TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/27 L514 2206638-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2021
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Entscheidungsdatum

27.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L514 2206638-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, vertreten durch RA Mag. Doris EINWALLNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.08.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 30.03.2021 und 31.05.2021, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am XXXX 2016 in Österreich ein und stellte am XXXX 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hierzu wurde der Beschwerdeführer am Tag der Antragstellung von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt

Im Rahmen der Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer vor, dass er seinen Herkunftsstaat am XXXX 2015 verlassen habe und nach Frankreich gereist sei, wo er sich von XXXX 2015 bis XXXX 2016 mit einem französischen Touristenvisum, gültig von XXXX 2015 bis XXXX 2015, aufgehalten habe, ehe er über Deutschland nach Österreich gereist sei. Zwischen seiner Einreise in Österreich und seiner Antragstellung sei er obdachlos gewesen und habe sich bspw. in türkischen Lokalen aufgehalten.

Als Grund für die Ausreise aus der Türkei führte der Beschwerdeführer an, dass er Kurde sei und in der Türkei von den staatlichen Kräften unterdrückt, geschlagen und gefoltert worden sei. Sowohl in XXXX als auch in XXXX sei er von der Gendarmerie und der Polizei ständig grundlos besucht worden und manchmal hätten sie ihn auch mitgenommen. Sowohl er als auch andere Kurden würden beschuldigt, PKK Terroristen zu sein. Er sei so sehr gefoltert worden, dass er mehrere Narben an den Beinen habe. Seit diesen Folterungen habe er auch Rückenschmerzen und Schnittverletzungen an den Unterarmen. Mit der Zeit sei es unerträglich geworden unter diesen Umständen als Kurde in der Türkei zu leben. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei befürchte er, weiter verfolgt und gefoltert zu werden. Es gebe sehr viele legale Tötungen in der Türkei und es sei leicht möglich, dass auch er verschwinde.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er Kurde sei und dem sunnitischen Glauben angehöre. Er sei geschieden und habe einen ca. acht Jahre alten Sohn. Er stamme aus dem Dorf XXXX , in der Provinz XXXX , und würden neben seinem Sohn noch seine Mutter, sein beiden Brüder und seine drei Schwestern in der Türkei leben. Der Beschwerdeführer habe sechs Jahre lang die Schule besucht und eine Ausbildung zum Friseur absolviert.

Der türkische Reisepass des Beschwerdeführers, XXXX , ausgestellt am XXXX 2015, wurde von der PI XXXX gemäß §39 BFA-VG sichergestellt.

2.       Aufgrund der angeführten Reisebewegung sowie des im Reisepasses ersichtlichen Visums für Frankreich, leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) am 22.03.2016 ein Konsultationsverfahren gem. Art. 12 Abs. 4 der Dublin-III-Verordnung mit Frankreich ein.

Mit Schreiben vom 05.04.2016 erklärten die französischen Behörden ihre Zuständigkeit gem. Art. 12 Abs. 4 der Dublin-III-Verordnung. Am 09.06.2016 wurde der Beschwerdeführer dazu vor dem BFA einvernommen.

Mit dem Bescheid des BFA, vom 13.06.2016, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005, als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung des Antrages gem. Art. 12 (4) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates sei Frankreich zuständig. Weiteres wurde gem. § 61 Abs. 1 FPG wider den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass gem. § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Frankreich zulässig sei.

Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 14.06.2016 persönlich übergebenen Bescheid des BFA wurde mit Schreiben vom 28.06.2016 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Beschwerdenachreichung vom 01.08.2016 legte der Beschwerdeführer einen Auszug aus dem Heiratsbuch vor, aus dem sich ergibt, dass der Beschwerdeführer am XXXX 2016 in Österreich geheiratet hat.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.08.2016 wurde der Beschwerde gem. § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Die Überstellungsfrist nach Frankreich endete mit XXXX 2017. Eine fristgerechte Überstellung des Beschwerdeführers gem. der Dublin-VO war somit nicht (mehr) möglich

3.       Mit Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 05.12.2016 wurden der Antrag auf internationalen Schutz und die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid zurückgezogen und erwuchs der Bescheid des BFA vom 13.06.2016, Zl. XXXX , in Rechtskraft.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.03.2017 wurde das Beschwerdeverfahren gem. § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt

Der Bescheid des BFA vom 13.06.2016, Zl. XXXX , wurde mit Bescheid des BFA vom 19.01.2018 gemäß § 68 Abs. 2 AVG von Amtswegen aufgehoben.

4.       Am XXXX 2016 stellte der Beschwerdeführer bei der MA 35 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, welcher mit Bescheid vom 01.02.2017 abgewiesen wurde. Eine gegen den Bescheid der MA 35 erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht XXXX als unbegründet abgewiesen.

5.       Nach Zulassung des Verfahrens wurden der Beschwerdeführer am 30.05.2018 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab eingangs auf Nachfrage an, dass es ihm gesundheitlich „halbe halbe“ gehe und die Situation sehr belastend sei. Er nehme bei Bedarf Medikamente (Seractil) gegen Schmerzen ein, weil er zuvor misshandelt und gefoltert worden sei. Er suche auch regelmäßig einen Arzt auf.

Hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnissen wiederholte der Beschwerdeführer seine bisherigen Angaben. Ergänzend führte er aus, dass er verheiratet sei und seinen Lebensunterhalt in Österreich mit der Unterstützung seiner Ehegattin finanziere. Seine Gattin habe zuvor bei einer Reinigungsfirma gearbeitet und sei derzeit beim AMS gemeldet. Er und seine Ehegattin hätten noch keine gemeinsamen Kinder, würden sich jedoch Kinder wünschen und stünden diesbezüglich auch in medizinischer Behandlung. Seine Mutter, seine beiden Brüder, seine drei Schwestern und sein Sohn würden nach wie vor in der Türkei leben. Zu seinem Sohn in der Türkei stehe er in regelmäßigem Kontakt, zuletzt habe er vor ca. 10 Tagen mit ihm telefoniert. Darüber hinaus würden noch mehrere (ca. 100 – 200) Onkel und Tanten in der Türkei leben. Ein Bruder des Beschwerdeführers arbeite als Träger, der andere sei Bauhilfsarbeiter. Beide seien verheiratet und hätten mehrere Kinder. Seine drei Schwestern seien ebenfalls verheiratet und Hausfrauen. In Österreich würden seine Ehefrau, zwei Cousins und weitere weitschichtige Verwandte leben. Darüber hinaus habe er auch zwischen 50 und 100 Cousins in Deutschland sowie in den Niederlanden und Belgien und würde auch ein Onkel in Deutschland leben. Er habe acht Jahre lang die Grundschule besucht und sei gelernter Friseur. Des Weiteren habe er in der Türkei auch in der Landwirtschaft gearbeitet.

Der Beschwerdeführer gab weiters an, bereits am XXXX 2015 über Griechenland nach Österreich flüchten habe wolle. Dafür habe er sich einen gefälschten Reisepass besorgt, er sei jedoch bei der Ausreise angehalten worden. Es sei zu einer Einvernahme gekommen und er habe wegen des gefälschten Reisepasses eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren auf Bewährung bekommen. Ins Gefängnis habe er nicht müssen. Es sei auch zu keiner Gerichtsverhandlung gekommen. Die Information, dass er fünf Jahre auf Bewährung bekommen habe, habe er von der Staatsanwaltschaft erhalten.

Vor seiner Einreise nach Österreich habe er sich ca. drei Monate in Frankreich aufgehalten, sein Ziel sei jedoch Österreich gewesen. In Frankreich habe er keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, weil die Menschen dort nicht so freundlich gewesen seien wie in Österreich. In Deutschland habe er keinen Antrag gestellt, weil er dort niemanden habe und hier in Österreich ein Cousin leben würde.

Hinsichtlich seiner aktuellen Ausreisegründe führte der Beschwerdeführern aus, dass er Kurde sei und die HDP unterstützt habe. Mitglied der Partei sei er nicht gewesen. Er habe in der Türkei an Protesten teilgenommen, darunter auch an der „Gezi Operation“, welche irgendwann zwischen 2012 und 2014 stattgefunden habe. Nachdem sein Bruder in ihrem Dorf kurdische Rechte vertreten habe und daraufhin erschossen worden sei, sei in ihrem Dorf sehr streng kontrolliert worden. Die Dorfbewohner seien verhaftet und misshandelt worden. Auch sein Vater sei misshandelt worden und daraufhin aufgrund des Stresses und der Angst verstorben. Der Beschwerdeführer sei im Jahr 2008 nach XXXX geflüchtet, wo er aber die gleichen Probleme bekommen habe. Man würde auch in den Medien sehen, dass viele Abgeordnete momentan im Gefängnis seien. Er sei dann von XXXX wieder zurück in sein Heimatdorf gegangen und habe beschlossen, sein Heimatland zu verlassen. Das erste Mal sei ihm das mit dem gefälschten Reisepass nicht gelungen. Mehrmals sei er von türkischen Soldaten verhaftet und misshandelt worden, weswegen er noch Narben sowie Schmerzen am Rücken und am Körper habe. Bereits im Jahr 1997 hätten die behaupteten Misshandlungen durch die türkischen Soldaten begonnen.

Am 17.07.2018 wurde die Ehegattin des Beschwerdeführers vor dem BFA als Zeugin niederschriftlich einvernommen. Neben Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen und der Beziehung zum Beschwerdeführer, gab diese an, ihren Ehegatten nicht nach den Details seiner Verfolgung in der Türkei gefragt zu haben. Sie führte jedoch aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund der vielen Unruhen in der Türkei und Misshandlungen durch Soldaten sowie Polizisten, das Land verlassen habe. Er habe für die kurdischen Rechte gekämpft, weshalb er Probleme bekommen habe und von Soldaten und der Polizei geschlagen worden sei.

6.       Mit gegenständlich in Beschwerde gezogenen Bescheid des BFA vom 27.08.2018, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass sich der Beschwerdeführer bei seinen Fluchtgründen in der Einvernahme vor dem BFA am 30.05.2018 auf das Aufstellen bloß abstrakter und allgemeiner Behauptungen beschränkt habe. Während seiner gesamten niederschriftlichen Einvernahme habe der Beschwerdeführer auch keine konkreten und detaillierten Schilderungen bezüglich seiner angeblichen Misshandlungen gemacht, obwohl seitens des Bundesamtes ausreichend Gelegenheit eingeräumt worden sei. Aus diesem Grund erachte das BFA die behauptete Misshandlung durch die türkischen Soldaten für nicht glaubhaft. Es sei auch nicht glaubhaft, dass die angeblichen Misshandlungen bereits im Jahr 1997 begonnen hätten, zumal der Beschwerdeführer damals 14 Jahre alt gewesen sei. Wäre er tatsächlich sukzessiv durch die türkischen Soldaten misshandelt worden, hätte er bereits viel früher die Gelegenheit genutzt um zu flüchten. Dass er trotz der angeblichen Misshandlungen weitere 21 Jahre in der Türkei verblieben sei, entbehre jeglicher Logik. Des Weiteren sei er nicht in der Lage gewesen, konkrete Angaben über den Verlauf der Demonstration zu machen, an der er teilgenommen habe und sei es aufgrund seiner Teilnahme auch zu keiner Verhaftung und Verfolgung seiner Person gekommen. Er habe angegeben, kein Mitglied der HDP zu sein, sondern diese nur zu unterstützen. Diesbezüglich führte das BFA aus, dass es abgesehen davon, dass sein Vorbringen sehr kurz und knapp gehalten gewesen sei, es für das BFA nicht nachvollziehbar sei, warum gerade er verfolgt werden solle. Darüber hinaus habe er auch angegeben, aufgrund seiner kurdischen Abstammung in der Türkei Probleme zu haben, er sei jedoch nicht im Stande gewesen, persönliche Angaben diesbezüglich zu machen. Eine allgemein schwierige Situation von Kurden in der Türkei sei zwar zum Teil auch in den Länderfeststellungen der Staatendokumentation zur Türkei abgebildet, fluchtbegründend könne eine solche schwierige Allgemeinsituation jedoch nicht sein. Eine nicht gegebene persönliche Verfolgung gegen den Beschwerdeführer werde auch durch dessen fortwährendes, reguläres Verbleiben in seinem Heimatland und den Mangel an Verfolgungshandlungen gegen ihn belegt. Folge man den Länderinformationen, so seien Kurden in der Türkei zwar einer gewissen Form der Diskriminierung ausgesetzt, von einer asylrelevanten Verfolgungssituation könne jedoch in keiner Weise ausgegangen werden. Schließlich habe der Beschwerdeführer auch noch seine Familie und Verwandte in der Türkei, die ebenfalls kurdischer Abstammung seien und ebenfalls dort leben könnten. Sein Vorbringen, wegen seiner kurdischen Abstammung diskriminiert zu werden, würde sich daher als haltlos darstellen. Eine Verfolgung von staatlicher Seite sei deshalb auszuschließen, weil der Beschwerdeführer die türkische Botschaft in XXXX betreten habe, um Dokumente zu erlangen. Zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Frankreich wurde ausgeführt, dass das Bundesamt es nicht nachvollziehen könne, warum er nicht unmittelbar nach seiner legalen Einreise nach Frankreich um internationalen Schutz angesucht habe. Seine Angaben, warum er nicht in Deutschland um Schutz angesucht habe, seien widersprüchlich. Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen, hätte er nach der allgemeinen Lebenserfahrung die erste sich ihm bietende Gelegenheit genutzt, um Schutz zu suchen. Zusammenfassend gelangte das BFA zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können.

Spruchpunkt II. begründete das BFA zusammengefasst damit, dass dem Beschwerdeführer keine Verletzung der von der EMRK gewährleisteten Rechte im Heimatland drohe.

Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung hielt das BFA fest, dass bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise gefunden werden könnten, welche den Schluss zuließen, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familien- und Privatlebens eingegriffen werden würde.

Mit Verfahrensanordnung vom 28.08.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtberater amtwegig zu Seite gestellt.

7.       Gegen den ordnungsgemäß zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer vertreten durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter, mit Schriftsatz vom 25.09.2018, fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In der Beschwerde wurde im Wesentlichen das vom Beschwerdeführer Gesagte wiederholt und ausgeführt, dass er in der Türkei von den staatlichen Kräften unterdrückt, geschlagen und gefoltert worden sei. Sowohl in XXXX , als auch in XXXX sei er grundlos sowohl von der Gendarmerie, als auch von der Polizei ständig besucht und manchmal auch mitgenommen worden. Der Beschwerdeführer und andere Kurden würden beschuldigt werden, PKK-Terroristen zu sein. Er sei so sehr gefoltert worden, dass er mehrere Narben noch an den Beinen habe. Seit den Folterungen habe er Rückenschmerzen und Schnittverletzungen an den Unterarmen.

Obwohl sein Vorbringen geeignet sei, „wohlbegründete Furcht“ iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK nach sich zu ziehen, habe es die belangte Behörde unterlassen, weitere Fragen hinsichtlich jenes Vorbringens zu stellen, obwohl diese unabdingbar gewesen wären. Darüber hinaus habe sich die Behörde auch nicht mit dem in Vorlage gebrachten Arztbefund auseinandergesetzt. Es würden auch erhebliche Bedenken gegen die Beweiswürdigung des BFA bestehen, zumal sie sich nicht mit dem gesamten Tatsachenvorbringen auseinandergesetzt habe und deshalb zu der unrichtigen Beweiswürdigung, wonach seine Aussagen unglaubwürdig seien, gelangt sei. Es würde des Weiteren auch ein schützenswertes Privat- und Familienleben vorliegen, zumal der Beschwerdeführer mit einer zu einem Daueraufenthalt berechtigten Person verheiratet sei und sich zum Zeitpunkt der Begründung des schutzwürdigen Privat- und Familienlebens rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.

8.       Mit Schriftsatz vom 03.12.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht das Vollmachtverhältnis von RA Mag. Doris EINWALLNER bekanntgegeben sowie Urkunden in Vorlage gebracht.

Mit Schriftsätzen vom 17.02.2020, 06.11.2020 und 23.03.2021 wurden ebenfalls Dokumente, darunter ein Sprachzertifikat A1, ein Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau A2 sowie mehrere medizinische Unterlagen den Beschwerdeführer betreffend, in Vorlage gebracht und ein ergänzendes Vorbringen erstattet.

9.       Am 30.03.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des Beschwerdeführers sowie seiner rechtsfreundlichen Vertretung durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, die der Antragstellung zugrundeliegenden Umstände neuerlich umfassend darzulegen. Mit der Ladung wurden dem Beschwerdeführer die Länderfeststellungen die Türkei betreffend (LIB Stand 27.01.2021) übermittelt und dem Beschwerdeführer bze seinem rechtsfreundlichen Vertreter die Möglichkeit eingeräumt bis zur Verhandlung dazu Stellung zu nehmen.

Mit Schriftsatz vom 13.04.2021 und 11.05.2021 wurden Dokumente, darunter ein Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister, ein Scheidungsurteil aus der Türkei mit beglaubigter Übersetzung, ein aktueller arbeitsrechtlicher Vorvertrag sowie mehrere Empfehlungsschreiben, in Vorlage gebracht und ein ergänzendes Vorbringen erstattet.

10.      Am 01.04.2021, zwei Tage nach der Beschwerdeverhandlung, langte beim Bundesverwaltungsgericht per E-Mail eine anonyme Eingabe (samt Beilagen) ein. Dieses Schreiben wurde dem Beschwerdeführer und seinem rechtsfreundlichen Vertreter am 31.05.2021 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, dazu Stellung zu nehmen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Sachverhalt:

1.1.    Feststellungen zur Person:

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Der Beschwerdeführer heißt XXXX und wurde am XXXX in XXXX in der Türkei geboren.

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger der Türkei und gehört der Volksgruppe der Kurden an. Aktuell übt er seinen islamischen Glauben nicht aus. Er stammt aus dem Dorf XXXX , in der Provinz XXXX . Der Beschwerdeführer lebte mit seinen Familienangehörigen in XXXX in einem Haus, welches im Eigentum der Familie steht. Eine Zeit lang lebte der Beschwerdeführer auch in XXXX . Seine Muttersprache ist kurdisch und er beherrscht auch die türkische Sprache.

Der Beschwerdeführer hat acht Jahre lang die Schule besucht und eine Ausbildung zum Friseur abgeschlossen. Seinen Lebensunterhalt verdiente der Beschwerdeführer in der Türkei als Friseur. Des Weiteren arbeitete er in der Türkei auch in der Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer war in der Türkei bereits einmal verheiratet. Am XXXX 2016 wurde die Ehe geschieden. Der Ehe entstammt ein gemeinsamer Sohn, XXXX , geb. XXXX . Das Sorgerecht für den Sohn wurde im Rahmen der Scheidung der Mutter zugesprochen. Dem Beschwerdeführer kommt ein Besuchsrecht zu.

Die Familie des Beschwerdeführers, seine Mutter, seine beiden Brüder, seine drei Schwestern sowie sein Sohn aus erster Ehe, lebt nach wie vor in der Türkei. Darüber hinaus befinden sich auch noch zahlreiche weitere Verwandte, wie Onkel und Tanten, in der Türkei. Die Familie des Beschwerdeführers ist sehr groß. Seine Mutter, seine beiden Brüder und zwei seiner Schwestern leben in XXXX . Alle Geschwister des Beschwerdeführers sind bereits verheiratet. Die Brüder des Beschwerdeführers arbeiten als Lastenarbeiter/Bauhilfsarbeiter, seine Schwestern sind Hausfrauen. Seine Mutter lebt von der Rente des verstorbenen Gatten. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen telefonischen Kontakt zu seiner Mutter in der Türkei. Zumindest im XXXX 2018 hat der Beschwerdeführer auch noch regelmäßigen telefonischen Kontakt zu seinem Sohn gehabt.

Der Beschwerdeführer reiste am XXXX 2015 legal mit einem touristischen Schengen-Visum in Frankreich ein, wobei ihm das Touristenvisum für den Zeitraum von XXXX 2015 bis XXXX 2015 erteilt wurde. Am XXXX 2016 reiste er über Deutschland illegal nach Österreich ein, wo er nach einigen Tagen am XXXX 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer ist seit XXXX 2016 mit der zu einem Daueraufenthalt berechtigten in Österreich lebenden XXXX , geb. XXXX , verheiratet. Diese ist türkische Staatsangehörige und verfügt über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“. Der Beschwerdeführer lernte seine Ehegattin am XXXX 2016 in einem Kaffeehaus kennen. Seit XXXX 2016 leben sie in einem gemeinsamen Haushalt. Die Ehegattin ist Mutter von zwei Kindern (ca. 18 und 16 Jahre alt), wobei ihr Sohn bei seinem leiblichen Vater lebt und ihre Tochter fremduntergebracht ist. Gemeinsame Kinder haben die beiden Ehegatten keine.

Die Ehegattin des Beschwerdeführers hat diesen bereits zwei Mal wegen häuslicher Gewalt angezeigt, zog beide Anzeigen jedoch wieder zurück. Im XXXX 2017 gab die Ehegattin vor der MA35 in XXXX an, kein Interesse mehr an einem Zusammenleben mit dem Beschwerdeführer zu haben, die Scheidung zu begehren und zu vermuten, dass der Beschwerdeführer sie nur wegen eines Aufenthaltstitels geheiratet habe, weswegen sie eine Anzeige bei der Polizei erstatten wolle. Es kam im Anschluss zu keiner Scheidung. Der Beschwerdeführer lebt nach wie vor mit seiner Gattin zusammen. Vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ist nicht auszugehen, auch wenn berechtigte Zweifel bestehen bleiben.

Der Beschwerdeführer und seine Ehegattin bestreiten ihren Lebensunterhalt aus der Mindestsicherung der Gattin, welche ca. 1.000,- Euro monatlich beträgt. Zwischen den beiden besteht kein finanzielles oder anderweitiges (wechselseitiges) Abhängigkeitsverhältnis. Im Falle der Rückkehr in die Türkei kann der Beschwerdeführer den Kontakt zu seiner Gattin auf unterschiedlichem Wege aufrechterhalten (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte etc.). Der Ehegattin ist es auch möglich, den Beschwerdeführer in die Türkei zu begleiten, um dort mit ihm zu leben. Es steht dem Beschwerdeführer zudem frei, einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet im Wege der Beantragung eines Aufenthaltstitels und einer anschließenden rechtmäßigen Einreise herbeizuführen. Der Beschwerdeführer und seine Gattin waren sich beim Eingehen der Beziehung und allen nachfolgenden Schritten, insbesondere der erfolgten Eheschließung, des unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers bewusst.

In Österreich leben zwei Cousins des Beschwerdeführers, welche ihn gelegentlich finanziell unterstützen. Ein finanzielles oder anderweitiges (wechselseitiges) Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Cousins besteht nicht.

Der Beschwerdeführer ist bisher noch keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit im Bundesgebiet nachgegangen. Leistungen aus der österreichischen Grundversorgung hat er von 16.03.2016 bis 05.07.2016 sowie von 19.06.2018 bis 01.04.2019 bezogen. Er ist aktuell bei seiner Ehegattin mitversichert. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage des Friseursalons „ XXXX “ in XXXX . Er ist kein Mitglied eines Vereines in Österreich und auch ansonsten nicht ehrenamtlich tätig. Der Beschwerdeführer bewegt sich überwiegend in kurdisch-türkischen Kreisen. Nennenswerte soziale Bindungen in Österreich – abgesehen von seiner Ehegattin – hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Er verfügt über einige Freunde und Bekannte, bei welchen es sich zum Teil um österreichische Staatsbürger, zum anderen Teil um Personen anderer Nationalitäten handelt. Zu diesen Personen besteht kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis und wurde auch eine besonders enge Beziehung nicht vorgebracht oder nachgewiesen. Der Beschwerdeführer hat an Deutschkursen teilgenommen und verfügt über ein ÖSD Zertifikat A1 sowie über ein Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau A2. Er spricht die deutsche Sprache auf gutem Niveau.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Er hat seit ca. fünf Jahren Probleme mit dem Magen, insbesondere leidet er an Gastritis sowie an einer gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD). Diesbezüglich wurde der Beschwerdeführer am XXXX 2021 in Österreich operiert. Er ist arbeitsfähig und arbeitswillig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2.    Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsland Türkei Schwierigkeiten aufgrund seiner politischen Ansichten, der Religion, der Volksgruppenzugehörigkeit oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe hatte.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Das Vorbringen, in der Türkei von der Polizei, dem Militär sowie der PKK festgehalten, misshandelt oder gefoltert worden zu sein, war nicht glaubhaft.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat Türkei einer staatlichen Verfolgung aufgrund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Sympathie für die HDP („Halklar?n Demokratik Partisi“) ausgesetzt ist.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung der EMRK bedeuten würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit mit sich bringen würde.

1.3.    Zur aktuellen Lage in der Türkei wird auf folgende Feststellungen verwiesen (Länderinformation der Staatendokumentation Türkei aus dem COI-CMS, 27.01.2021):

COVID-19

Am 11.3.2020 verkündete der türkische Gesundheitsminister, Fahrettin Koca, die Nachricht vom tags zuvor ersten bestätigten Corona-Fall (FNS 16.3.2020; vgl. DS 11.3.2020). Mit Jahresende 2020 wurden 2,18 Mio. Corona-Fälle und rund 21.000 Tote in der Türkei verzeichnet (JHU 30.12.2020).

Am 25.11.2020 erklärte Gesundheitsminister Fahrettin Koca, dass nunmehr alle positiv auf COVID-19 getesteten Personen in die Statistik aufgenommen werden. Ende Juli 2020 hatte das Gesundheitsministerium nämlich damit begonnen, die Corona-Infektionszahlen anzupassen, indem nur noch diejenigen, die tatsächlich Symptome entwickelten und einer Behandlung bedurften, statistisch gemeldet wurden. Dadurch blieben die offiziellen Zahlen in der Türkei im internationalen Vergleich niedrig. Auf diese Weise seien nach Medienberichten bis Ende Oktober 2020 bis zu 350.000 Corona-Infektionen verschwiegen worden (BAMF 30.11.2020). Das kam für den türkischen Ärzteverband nicht überraschend, der seit Monaten davor warnt, dass die bisherigen Zahlen der Regierung das Ausmaß der Ausbreitung verschleiern und dass der Mangel an Transparenz zu dem Anstieg beiträgt. Der Ärzteverband behauptet, dass die Zahlen des Ministeriums immer noch zu niedrig seien, verglichen mit ihrer eigenen Schätzung von mindestens 50.000 neuen Infektionen pro Tag. Die Krankenhäuser des Landes sind laut der Vorsitzenden des Ärzteverbandes, Sebnem Korur Fincanci, überlastet, das medizinische Personal ist ausgebrannt und die Contract-Tracer, die einst dafür bekannt waren, den Ausbruch unter Kontrolle zu halten, haben Schwierigkeiten, die Übertragungen zu verfolgen (AP 29.11.2020).

Beginnend mit 1.12.2020 ist ein Lockdown in Kraft getreten, welcher Ausgangssperren unter der Woche von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr umfasst. An den Wochenenden herrschte eine totale Ausgangssperre von Freitag 21.00 Uhr bis Montag 5.00 Uhr. An allen Orten, wo sich mehrere Menschen befinden, insbesondere auf Märkten und in Geschäften, gilt Maskenpflicht. Auf öffentlichen Plätzen wurde ein Rauchverbot auch im Freien eingeführt. Das Verbot zur Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen durch staatliche und staatsnahe Organisationen sowie von Verbänden bleibt aufrecht. Sportveranstaltungen werden ohne Zuschauer durchgeführt. An Beerdigungen und Hochzeiten dürfen maximal 30 Personen teilnehmen. Feiern und Zusammenkünfte in häuslicher Umgebung sind untersagt. Gastronomische Einrichtungen bleiben tagsüber nur für Lieferservice geöffnet. Einkaufszentren und Lebensmittelgeschäfte dürfen nur zwischen 10.00 Uhr und 20.00 Uhr geöffnet haben. Beim Betreten von Einkaufszentren wird der sogenannten HES (Hayat Eve Sigar) - Code verlangt, ein behördlich verliehener elektronischer Schlüssel, mittels welchem der momentane Status der jeweiligen Person in Hinblick auf Corona verfolgt und überprüft werden kann. Er dient z.B. als Zutrittsvoraussetzung zu Ämtern oder eben Einkaufszentren. Beginnend mit 5.11.2020 müssen kulturelle Einrichtungen, wie Theater, ab 22.00 Uhr geschlossen sein. Kinos bleiben bis auf weiteres geschlossen. Alle Schulen inklusive Vorschulen sind geschlossen und werden bis auf weiteres nur mehr im Fernunterricht fortgeführt. Jugendliche unter 20 Jahren dürfen nur zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr die Wohnung verlassen. Die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist Ihnen untersagt. Ältere Menschen über 65 Jahre dürfen tagsüber nur während bestimmter Uhrzeiten (10.00 Uhr – 13.00 Uhr) die Wohnungen verlassen. Auch für diese Personengruppe ist die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln verboten (WKO 21.1.2021).

Ab 28.12.2020 müssen alle Personen, die mit dem Flugzeug in die Türkei reisen, einen Nachweis erbringen, dass sie innerhalb von 72 Stunden vor der Einreise mit einem PCR-Test negativ auf COVID-19 getestet wurden. Einreisende ohne einen negativen Test müssen entweder an ihrer gemeldeten Adresse in der Türkei oder in einer von der Regierung bezeichneten Einrichtung in Quarantäne gehen. Alle Personen, die über die Land- oder Seegrenzen in die Türkei einreisen, unterliegen ab dem 30.12.2020 den gleichen Anforderungen. Die Richtlinie wird mindestens bis zum 1.3.2021 in Kraft bleiben (Garda World 25.12.2020).

Am 30.12.2020 wurde das bis 17.1.2021 gültige Entlassungsverbot per Präsidialdekret um weitere zwei Monate verlängert (Hürriyet 30.12.2020).

In der zweiten Jänner-Woche 2021 ist mit den Impfungen begonnen worden. Zum Einsatz kommt das chinesische Vakzin der Firma Sinovac, dem am 13.1.2021 nach einem Eilverfahren eine Notzulassung erteilt wurde. Die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen, sie werde parallel zur Impfkampagne fortgesetzt, teilten die Behörden mit. Prioritär werden die 1,1 Mio. Mitarbeiter des Gesundheitswesens sowie Menschen über 65 Jahren geimpft. Laut dem Generalsekretär der Ärztevereinigung werde die landesweite Impfkampagne voraussichtlich im Juli 2021 angeschlossen werden. Bei Lieferverzögerungen könne sie auch bis Dezember dauern. Türkische Mediziner haben infolge der Ergebnisse in Brasilien und Indonesien ihre Zweifel an der Wirksamkeit des Impfstoffs geäußert. Die türkische Rechtsmedizinerin und Vorsitzende der Ärztevereinigung Sebnem Korur Fincanci sagte, die Sicherheit des Impfstoffs stehe jedoch außer Frage und appellierte, sich impfen zu lassen. Als Folge der intransparenten Politik will sich allerdings nur jeder zweite impfen lassen (FAZ 14.1.2021).

Quellen:

?        AP - Associated Press (29.11.2020): Turkey’s new virus figures confirm experts' worst fears, https://apnews.com/article/turkey-europe-coronavirus-pandemic-recep-tayyip-erdogan-07b8e18fa2268b847e84cd9702e9a895, Zugriff 11.1.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (30.11.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041720/briefingnotes-kw49-2020.pdf, Zugriff 11.1.2021

?        DS - Daily Sabah (11.3.2020): Turkey remains firm, calm as first coronavirus case confirmed, https://www.dailysabah.com/turkey/turkey-remains-firm-calm-as-first-coronavirus-case-confirmed/news, Zugriff 30.12.2020

?        Hürriyet (30.12.2020): Entlassungsverbot der Türkei erneut verlängert, https://www.hurriyet.de/news_entlassungsverbot-der-tuerkei-erneut-verlaengert_143543902.html, Zugriff 30.12.2020

?        FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (14.1.2021): Türkei beginnt mit Impfkampagne, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tuerkei-impfung-gegen-corona-beginnt-mit-china-impfstoff-sinovac-17146041.html, Zugriff 15.1.2021

?        FNS - Friedrich-Naumann-Stiftung (16.3.2020): Türkei Bulletin 5-2020, http://shop.freiheit.org/download/P2@876/248113/05-2020-T%C3%Bcrkei-Bulletin.pdf, Zugriff 30.12.2020

?        Garda World (25.12.2020): Turkey: Government to tighten COVID-related international entry restrictions effective Dec. 28; flights with Netherlands resume /update 30, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/421926/turkey-government-to-tighten-covid-related-international-entry-restrictions-effective-dec-28-flights-with-netherlands-resume-update-30, Zugriff 11.1.2020

?        Hürriyet (30.12.2020): Entlassungsverbot der Türkei erneut verlängert, https://www.hurriyet.de/news_entlassungsverbot-der-tuerkei-erneut-verlaengert_143543902.html, Zugriff 30.12.2020

?        JHU - Johns Hopkins University & Medicine (30.12.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 30.12.2020

?        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (21.1.2020): Coronavirus: Situation in der Türkei, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-tuerkei.html#heading_Schutzmassnahmen_und_Geschaeftsleben, Zugriff 25.1.2021

Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und zugleich Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 24.8.2020; vgl. DFAT 10.9.2020), wobei das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft wurde (DFAT 10.9.2020; vgl. bpb 9.7.2018).

Die Verfassungsarchitektur ist weiterhin von einer fortschreitenden Zentralisierung der Befugnisse im Bereich des Präsidentenamtes geprägt, ohne eine solide und wirksame Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative zu gewährleisten. Da es keinen wirksamen Kontroll- und Ausgleichsmechanismus gibt, bleibt die demokratische Rechenschaftspflicht der Exekutive auf Wahlen beschränkt. Unter diesen Bedingungen setzten sich die gravierenden Rückschritte bei der Achtung demokratischer Normen, der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten fort. Die politische Polarisierung verhindert einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die parlamentarische Kontrolle über die Exekutive bleibt schwach. Unter dem Präsidialsystem sind viele Regulierungsbehörden und die Zentralbank direkt mit dem Präsidentenamt verbunden, wodurch deren Unabhängigkeit untergraben wird. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019). Der öffentliche Dienst wurde politisiert, insbesondere durch weitere Ernennungen von politischen Beauftragten auf der Ebene hoher Beamter und die Senkung der beruflichen Anforderungen an die Amtsinhaber (EC 6.10.2020).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn-Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht gesenkt. Die unter der Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terror-Sympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdo?an mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekulare Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative ?yi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 27.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem (damals noch) geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31.3.2019 hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem ?mamo?lu, mit einem Vorsprung von nur 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6.5.2019 schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). ?mamo?lu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Y?ld?r?m, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert als regierende Partei in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdo?an bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirta?, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für ?mamo?lu betonte (NZZ 23.6.2019).

Die Gesetzgebungsverfahren sind nicht effektiv. Präsidialdekrete bleiben der parlamentarischen Beratung und Kontrolle entzogen (EC 6.10.2020; vgl. ÖB 10.2020). Präsidialdekrete können nur noch vom Verfassungsgericht aufgehoben werden (ÖB 10.2020). Parlamentarier haben kein Recht, mündliche Anfragen zu stellen. Schriftliche Anfragen können nur an den Vizepräsident und Minister gerichtet werden. Der Rechtsrahmen verankert zwar den Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialdekreten und bewahrt somit das Vorrecht des Parlaments, nichtsdestotrotz hat der Präsident bis Dezember 2019 53 Dekrete erlassen, die ein breites Spektrum sozioökonomischer Politikbereiche abdecken und eben nicht in den Geltungsbereich von Präsidialdekreten fallen (EC 6.10.2020). Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialdekrete zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen und 4 von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie 12 von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialdekreten beantragen kann (EC 29.5.2019).

Zunehmende politische Polarisierung verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der HDP, hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft (Stand Ende Dezember 2020), im Falle von Selahattin Demirta? trotz eines neuerlichen Urteils des EGMR, diesen sofort frei zu lassen (ZO 22.12.2020). Die Unzulänglichkeiten des Systems der parlamentarischen Immunität, das die Meinungsfreiheit von gewählten Amtsträgern außerhalb des Parlaments einschränkt, bleiben ungelöst (EC 6.10.2020).

Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser negativ auf Demokratie und Grundrechte aus. Einige gesetzliche Bestimmungen, die den Regierungsbehörden außerordentliche Befugnisse einräumen und mehrere restriktive Elemente des Notstandsrechtes wurden beibehalten und ins Gesetz integriert (EC 6.10.2020). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt auch im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018). Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands verhaftet und mehr als 78.000 aufgrund Vorwürfen mit Terrorismusbezug festgenommen (EC 29.5.2019).

Im September 2016 verabschiedete die Regierung ein Dekret, das die Ernennung von "Treuhändern" anstelle von gewählten Bürgermeistern, stellvertretenden Bürgermeistern oder Mitgliedern von Gemeinderäten, die wegen Terrorismusvorwürfen suspendiert wurden, erlaubt. Dieses Dekret wurde im Südosten der Türkei vor und nach den Kommunalwahlen 2019 großzügig angewandt (DFAT 10.9.2020). Mit Stand Oktober 2020 war die Zahl der Gemeinden, denen aufgrund der Lokalwahlen vom März 2019 ursprünglich ein Bürgermeister aus den Reihen der HDP vorstand (insgesamt 65) um 48 reduziert. Die Zentralregierung entfernte die gewählten Bürgermeister, hauptsächlich mit der Begründung, dass diese angeblich Verbindungen zu terroristischen Organisationen hatten, und ersetzte sie durch Treuhänder (EC 6.10.2020; vgl. bianet 2.10.2020). Die Kandidaten waren jedoch vor den Wahlen überprüft worden, sodass ihre Absetzung noch weniger gerechtfertigt war. Hunderte von HDP-Kommunalpolitikern und gewählten Amtsinhabern sowie Tausende von Parteimitgliedern wurden wegen terroristischer Anschuldigungen inhaftiert. Da keine Anklage erhoben wurde, verstießen laut Europäischer Kommission diese Maßnahmen gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Ordnung, entzogen den Wählern ihre politische Vertretung auf lokaler Ebene und schadeten der lokalen Demokratie (EC 6.10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2020%29%2C_24.08.2020.pdf, Zugriff 1.10.2020

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?        EC – European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 9.10.2020

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?        HDN – Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338, Zugriff 20.10.2020

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (23.6.2019): Niederlage für Erdogans AKP: CHP-Kandidat Imamoglu gewinnt erneut die Bürgermeisterwahl in Istanbul, https://www.nzz.ch/international/niederlage-fuer-erdogans-akp-chp-kandidat-imamoglu-gewinnt-erneut-die-buergermeisterwahl-in-istanbul-ld.1490981, Zugriff 20.10.2020

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es-nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273, Zugriff 25.1.2021

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?        OSCE/PACE – Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey – Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true, Zugriff 20.10.2020

?        OSCE/ODIHR – Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (21.9.2018): Turkey, Early Presidential and Parliamentary Elections, 24 June 2018: Final Report,https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/397046?download=true, 20.10.2020

?        Standard – Der Standard (23.6.2019): Opposition gewinnt Wahlwiederholung in Istanbul, https://derstandard.at/2000105305388/Imamoglu-bei-Auszaehlung-der-Wahlwiederholung-in-Istanbul-in-Fuehrungin-Istanbul, Zugriff 20.10.2020

?        Standard – Der Standard (1.4.2019): Erdo?ans AKP verliert bei türkischer Kommunalwahl die Großstädte, https://derstandard.at/2000100581333/Erdogans-AKP-verliert-die-tuerkischen-Grossstaedte, Zugriff 20.10.2020

?        ZO - Zeit Online (22.12.2020): Menschenrechtshof fordert Freilassung von türkischem Oppositionellen, https://www.zeit.de/politik/2020-12/selahattin-demirtas-europaeischer-gerichtshof-menschenrechte-tuerkei, Zugriff 28.12.2020

?        ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen, Zugriff 20.10.2020

Sicherheitslage

Die Türkei steht vor einer Reihe von Herausforderungen im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Dazu gehören der wieder aufgeflammte Konflikt zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Südosten des Landes, externe Sicherheitsbedrohungen im Zusammenhang mit der Beteiligung der Türkei an Konflikten in Syrien und im Irak sowie die Bedrohung durch Terroranschläge durch interne und externe Akteure (DFAT 10.9.2020).

Die Regierung sieht die Sicherheit des Staates durch mehrere Akteure gefährdet: namentlich durch die seitens der Türkei zur Terrororganisation erklärten Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, durch die auch in der EU als Terrororganisation gelistete PKK, durch, aus türkischer Sicht, mit der PKK verbundene Organisationen, wie die YPG in Syrien, durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) und weitere terroristische Gruppierungen, wie der linksextremistischen DHKP-C. Die Ausrichtung des staatlichen Handelns auf die "Terrorbekämpfung" und die Sicherung "nationaler Interessen" hat infolgedessen ein sehr hohes Ausmaß erreicht. Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihre Ableger, den sog. IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (AA 24.8.2020; vgl. SD 29.6.2016, AJ 12.12.2016).

Die Lage im Südosten des Landes ist weiterhin sehr besorgniserregend (EC 6.10.2020). Dort sind die Spannungen besonders groß und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen (EDA 28.12.2020). Die Regierung setzte die inneren und grenzüberschreitenden Sicherheits- und Militäroperationen im Irak und in Syrien sowie innerhalb des Landes fort (USDOS 24.6.2020; vgl. EC 6.10.2020). In den Grenzgebieten ist die Sicherheitslage durch wiederkehrende Terrorakte der PKK prekärer (EC 6.10.2020). In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen (EDA 28.12.2020).

Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (?HD) kamen 2019 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 440 Personen ums Leben, davon 98 Angehörige der Sicherheitskräfte, 324 bewaffnete Militante und 18 Zivilisten (?HD 18.5.2020a). 2018 starben 502 Personen, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (?HD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (?HD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (?HD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe fast 5.200 Tote (PKK-Kämpfer, Sicherheitskräfte, Zivilisten) im Zeitraum Juli 2015 bis 10.12.2020. Im Jahr 2020 wurden bis zum 10.12.2020 311 Opfer registriert. Besonders hoch waren die Zahlen in den Monaten Mai bis September 2020 (ICG 20.12.2020). Es gab keine Entwicklungen hinsichtlich der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erzielung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 6.10.2020).

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 8.10.2020). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in XXXX , Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, ??rnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, ?anl?urfa, XXXX , Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Mu?, Tunceli, ??rnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder "zeitweilige Sicherheitszonen" eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in XXXX und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und A?r? (AA 28.12.2020a).

Das türkische Parlament stimmte (mit Ausnahme der pro-kurdischen HDP) am 7.10.2020 einem Gesetzentwurf zu, das Mandat für grenzüberschreitende Militäroperationen sowohl im Irak als auch in Syrien um ein weiteres Jahr zu verlängern (BAMF 19.10.2020).

Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 28.12.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.12.2020a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962#content_1, Zugriff 28.12.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2020%29%2C_24.08.2020.pdf, Zugriff 7.10.2020

?        AJ – Al Jazeera (12.12.2016): Turkey detains pro-Kurdish party officials after attack, https://www.aljazeera.com/news/2016/12/12/turkey-detains-pro-kurdish-party-officials-after-attack/, Zugriff 8.10.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (19.10.2020): Briefing Notes 12. Oktober 2020, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw43-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 28.10.2020

?        DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 20.10.2020

?        EC – European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 19.10.2020

?        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (28.12.2020): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 28.12.2020

?        ICG – International Crisis G

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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