Entscheidungsdatum
11.11.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L504 2240469-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.02.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 57, 10 AsylG 2005, §§ 52 Abs 2 Z 2 u. Abs 9, 46, 55 FPG idgF, als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 02.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Irak mit sunnitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Kurden angehört und aus XXXX stammt.
Aus dem unbestritten gebliebenen Verfahrensgang des angefochtenen Bescheides ergibt sich Folgendes, (Auszug aus der Niederschrift):
„[…]
- Sie reisten am 02.12.2020 illegal und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.
- Sie gaben dabei an, den Namen XXXX zu führen, irakischer Staatsbürger und am XXXX in XXXX / Irak geboren zu sein.
- Bei der Erstbefragung am 03.12.2020 bei der Polizeiinspektion XXXX Fremdenpolizei-FGP gaben Sie befragt nach Ihren Fluchtgründen an:
„Es gibt im Irak keine Menschlichkeit mehr. Es gibt keine Sicherheit. Außerdem will ich den Islam nicht, ich trinke Alkohol und rauche Zigaretten, das wird im Irak als ungläubiger angesehen. Meine Familie ist streng gläubig. Ich hatte immer Probleme mit meinem Vater. Ich bin geflüchtet, weil ich mir eine Zukunft aufbauen möchte und frei entscheiden will, wie ich lebe. Das sind alle meine Fluchtgründe“
- Befragt, was Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat befürchten, gaben Sie an:
„Ich habe im Irak keine Sicherheit und keine Menschlichkeit.“
- Ihr Verfahren wurde am 03.12.2020 zugelassen.
- Am 22.01.2021 wurden Sie beim BFA, Regionaldirektion OÖ, Außenstelle Linz, niederschriftlich einvernommen. Die wesentlichen Passagen dieser Einvernahme gestalten sich dabei wie folgt:
….
„F: Welche Sprachen sprechen Sie?
A: kurdisch-bahdini (kurmanji), das ist meine Muttersprache, arabisch, türkisch, englisch
F: Verstehen Sie den Dolmetscher einwandfrei?
A: Ja.
F. Sind Sie psychisch und physisch in der Lage die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?
A. Ja.
F. Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
A: Gut.
F: Nehmen Sie Medikamente oder/und sind Sie in ärztlicher Behandlung?
A: Nein.
F. Sind Sie anwaltlich vertreten?
A. Nein.
F: Besitzen Sie einen Reisepass / Personalausweis?
A: Mein Reisepass ist im Irak, ich habe aber eine Kopie davon. Ich habe auch eine Kopie meines Personalausweises.
F: Haben Sie die Möglichkeit die Originale schicken zu lassen?
A: Wenn ich die Zeit kriege? Ich kann es versuchen. Ich weiß nicht, ob ich es in 2 Wochen schaffe.
AW wird ersucht, seine E-Mail-Adresse bekanntzugeben:
XXXX
AW wird angewiesen, die Dokumente Reisepass und Personalausweis im Original bis zum 09. Februar 2021 der Behörde vorzulegen.
F: Haben Sie sonst noch Beweismittel, die Sie vorlegen möchten?
A: Nein.
F: Wie heißen Sie?
A: XXXX
F: Wann und wo sind Sie geboren?
A: Ich bin am XXXX in XXXX , Irak, geboren.
F: Welcher Volksgruppe und Religion gehören Sie an?
A: Kurde, Moslem, Sunnit.
F: Haben Sie im Verfahren bis dato bei den bisherigen Befragungen der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht?
A: Ja.
Wurde jeweils alles richtig protokolliert und rückübersetzt?
A: Ja.
F: Sind Sie verheiratet?
A: Nein.
F: Haben Sie Kinder? Wenn ja: wann sind sie geboren und wo leben sie?
A: Nein.
F: Wie heißen Ihre Eltern? Geben Sie das Geburtsdatum und den aktuellen Wohnort an.
A: Vater: XXXX geboren
Mutter: XXXX geboren
Sie leben in XXXX . Sie arbeiten nicht.
F: Haben Sie Geschwister? Wenn ja: Wie heißen sie, wo leben sie?
A: 6 Brüder, 5 Schwestern.
Die Angaben in der Erstbefragung zu meinen Geschwistern sind richtig. Alle 6 Brüder leben in XXXX , die Schwestern auch, nur eine lebt in XXXX .
Meine Brüder arbeiten, aber eher unregelmäßig. Meine Schwestern sind bis auf eine verheiratet.
F: Haben Sie noch Kontakt mit Ihren Familienangehörigen im Irak?
A: Ja. Alle 4 – 5 Tage.
F: Haben Sie Familienangehörige in Österreich oder einem anderen Land Europas?
A: Ein Cousin und ein weitschichtiger Verwandter lebt in Deutschland, ein Cousin lebt in Finnland.
F: Geben Sie einen kurzen Lebenslauf bezüglich ihrer Person ab. Wo sind Sie aufgewachsen, welche Schulbildung haben Sie absolviert, welchen Beruf haben Sie ausgeübt?
A: Ich habe 10 Jahre die Schule besucht, dann habe ich bis zu meiner Ausreise als Lagerarbeiter in XXXX gearbeitet.
F: Wann haben Sie das erste Mal daran gedacht den Irak zu verlassen?
A: Vor 10 Jahren.
F: Wann konkret und wie haben Sie den Irak verlassen?
A: 14. Oktober 2020 legal in die Türkei. Ich bin zuerst mit dem Bus in die Türkei, dann mit dem Flugzeug nach Istanbul.
F: Wie haben Sie die Reise unternommen, wenn Sie den Reisepass zuhause gelassen haben?
A: Meinen Reisepass habe ich in der Türkei einem Freund gegeben, der hat ihn dann wieder nach Hause in den Irak nach XXXX gebracht.
F: Wieso haben Sie das so gemacht?
A: Ich wollte den Reisepass nicht mitnehmen, weil ich gedacht habe, wenn man mich in den Ländern, wo ich durchreiste, erwischt, nehmen sie mir den Pass weg.
F: Sind Sie alleine aus dem Irak ausgereist?
A: Ja.
F: Wo bzw. bei wem hielten Sie sich in der Zeit bis zu Ihrer Ausreise aus dem Irak auf?
A: Ich war in XXXX bei meinen Eltern. Sie haben ein Haus, das sie nach wie vor bewohnen.
F: Zählen Sie die Aufenthaltsorte der letzten 3 Jahre vor Ihrer Ausreise aus dem Irak auf.
A: XXXX .
F: Wann und wie sind Sie in Österreich eingereist?
A: am 02.12.2020, illegal, schlepperunterstützt.
F: War Österreich das Ziel Ihrer Reise? Wenn ja: Warum?
A: Mein Ziel war Deutschland, dort habe ich Verwandte, ich wurde aber in Österreich von der Polizei aufgehalten.
F: Sie sind vom Irak durch verschiedene Länder nach Österreich gereist, zB Türkei, Rumänien, Ungarn. Warum sind Sie nicht in einem anderen sicheren Land geblieben und haben dort um Asyl angesucht?
A: Weil ich nicht wollte.
Beantworten Sie die Fragen mit „ja“ oder „nein“, Sie haben später die Möglichkeit sich ausführlich dazu zu äußern.
F: Sind Sie vorbestraft oder waren sie in Ihrem Heimatland inhaftiert oder hatten Sie Probleme mit den Behörden in der Heimat?
A: 3 x Nein
F.: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, etc.?
A: Nein.
F: Sind oder waren Sie politisch tätig?
A: Nein.
F: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei?
A: Nein.
F: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses bzw. Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme?
A: Nein.
F: Hatten Sie gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)?
A: Nein.
F: Nahmen Sie in ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?
A: Nein.
F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Asylantrag gestellt haben. Sie werden darauf hingewiesen, dass Sie die Frage wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten haben und dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können.
A: Es gibt keine Zukunft im Irak. Ich habe den Islam nicht gemocht, ich halte auch nichts davon. Sehr oft haben meine Freunde und meine Familie mich als Ungläubigen, als Atheist, bezeichnet.
Ich habe auch Alkohol getrunken, meine Familie war auch damit nicht einverstanden.
F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
A: Nein.
F: Gehören Sie einer Religion an?
A: Nein, ich glaube nur an Gott, sonst nichts.
F: Gehen Sie in Moscheen?
A: Nein.
F: Wie wurden Sie von der Familie und Freunde als Ungläubiger behandelt?
A: Meine Familie hat mich nicht als Atheist bezeichnet, letztlich war ich ja ein Mitglied der Familie. Manche Freunde haben mich schlecht behandelt, weil ich nicht gebetet und gefastet habe.
F: Sind Sie von diesen Freunden auch bedroht oder verfolgt worden?
A: Nein, aber die waren sauer auf mich.
F: Was haben Sie sonst noch mit ihren Freunden unternommen?
A: In der Nacht waren wir gemeinsam in einem Cafehaus, während dem Tag in der Arbeit.
F: Haben Sie an Ihrer Arbeitsstelle Probleme gehabt deswegen?
A: Nein, aber die schlechte Behandlung habe ich überall gespürt.
F: Wie oft und wo haben Sie im Irak Alkohol getrunken?
A: 1 bis 3 Mal in der Woche, mit Freunden. Wir haben außer der Stadt.
F: Wie viele Freunde waren da ungefähr mit?
A: Durchschnittlich 3 bis 4.
F: Welchen Alkohol haben Sie konsumiert?
A: Whiskey oder Wodka.
F: Was befürchten Sie wenn Sie nach Irak zurückkehren müssten?
A: Ich befürchte gar nichts.
F: Wie gestaltet sich Ihr Leben in Österreich?
A: Ich habe mich für Deutschkurse in XXXX beim XXXX angemeldet, der erste beginnt am 01.02.2021. Dazu lege ich Unterlagen vor.
F: Sind Sie in Vereinen tätig? Üben sie ehrenamtliche Arbeit in Österreich aus?
A: Nein.
F: Sind Sie in Österreich mit dem Gesetz in Konflikt geraten?
A: Nein.
F: Haben Sie soziale Kontakte hier in Österreich?
A: Nur mit einem Mitbewohner, der kommt auch aus derselben Stadt im Irak.
F: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich vor?
A: Ich werde arbeiten, egal welche Arbeit.
F: Konnten Sie sich bei dieser Einvernahme konzentrieren? Haben Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden?
A: Ja.
F: Möchten Sie noch irgendetwas angeben?
A: Nein.
Der Verfahrenspartei wird mitgeteilt, dass die Lage in Irak den Behörden bekannt ist, sie kann das Länderinformationsblatt auf Ihren Wunsch hin ausgehändigt bekommen und dann innerhalb von 2 Wochen Stellung dazu beziehen.
Ich verzichte darauf.
Es wird rückübersetzt.
F: Hat der Dolmetscher das rückübersetzt, was Sie gesagt haben?
A: Ja.
F: Möchten Sie noch etwas korrigieren?
A: Nein.
- Am 05.02.2021 legten Sie der Behörde Ihren irakischen Reisepass und Ihren irakischen Personalausweis im Original vor.
- Anhand einer Überprüfung der Dokumente am 05.02.2021 durch einen ausgebildeten Dokumentenprüfer der LPD OÖ vor Ort konnten der Reisepass und der Personalausweis als echt befunden werden.
[…]“
Die bP gab beim Bundesamt ausdrücklich an, auf eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zu verzichten.
Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (I.).
Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (II.).
Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (III.).
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (IV.)
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (V.).
Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (VI.).
Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat in Verbindung mit ihrer persönlichen Situation keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Relevante Abschiebungshindernisse würden demnach nicht vorliegen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht gegeben sein und werde daher eine Rückkehrentscheidung mit der angegebenen Frist für die freiwillige Ausreise verfügt.
Die bB legte neben Länderfeststellungen, Erstbefragung und Einvernahme nachstehende, von der bP vorgelegte Beweismittel der Entscheidung zugrunde
- Irakischer Reisepass im Original Nr. A 17192022 (überprüft und echt)
- Irakischer Personalausweis im Original Nr. 00963576 (überprüft und echt)
- Anmeldebestätigungen vom 14.01.2021 für Deutschkurse beim BFI
Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen hat die bP ihr Vorbringen wiederholt. Der Beweiswürdigung, worin die Behörde zum Ergebnis gelangte, dass keine individuelle Verfolgungsgefahr vorliegt, wurde von der bP damit „widersprochen“, dass „wenn man sich die aktuellen Länderinformationen zur Lage im Irak ansieht kann man sehen, dass Personen, die gegen die strenge Auslegung der islamischen Regeln verstoßen, sehr wohl mit intensiven, und somit relevanten Verfolgungshandlungen durch extremistische Gruppen und Milizen zu rechnen haben, die über das Ausmaß von bloßer sozialer Ächtung oder Geringschätzung hinausgeht“. Zitiert werden Berichtsstellen aus dem Bescheid. Angesichts der Berichtslage sei die Entscheidung der Behörde nicht nachvollziehbar. Die Länderberichte würde bestätigen, dass sie im Falle der Rückkehr ernsthaft gefährdet wäre wegen Missachtung der religiösen Regeln sowie der Abkehr vom Islam, sowohl seitens der Familie als auch seitens der Gesellschaft und der staatlichen Behörden mit asylrelevanter Verfolgung konfrontiert zu sein. Zudem bestünde auch wegen der prekären Sicherheits- u. Corona-bedingten Versorgungslage im Irak die reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 u. 3 EMRK.
Sie sei zwar erst seit 3 Monaten hier in Österreich aufhältig, habe jedoch schon erste Schritte unternommen um sich in die österr. Gesellschaft zu integrieren.
Die bP hat sich seit Beschwerdeeinbringung nicht mehr geäußert bzw. im Rahmen ihrer gesetzlichen Mitwirkungsverpflichtung (vgl. § 15 AsylG, § 39 Abs 2a AVG) keine Änderung in ihrer persönlichen Situation mitgeteilt, die das gegenständliche Verfahren betreffen.
Am 21.05.2021 wurde die Aufenthaltsberechtigungskarte gem. AsylG im Bahnhof Köln/BRD gefunden und in weiterer Folge von der dortigen Polizei dem Bundesamt übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1. Identität und Herkunftsstaat:
Name und Geburtsdatum (wie im Einleitungssatz des Spruches angeführt) stehen (lt. Bundesamt) fest.
Die bP ist der Volksgruppe der Kurden und dem sunnitischen Islam zuzurechnen.
Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist der Irak.
1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:
Die bP ist im Gouvernement Dahuk in der Autonomen Region Kurdistan geboren und absolvierte dort eine 10jährige Schulbildung.
Sie wohnte vor ihrer Ausreise in XXXX in der Autonomen Region Kurdistan bis zur Ausreise bei den Eltern in deren eigenem Haus. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie zuletzt als Lagerarbeiter in XXXX .
1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:
Die bP hat 6 Brüder und 5 Schwestern. Eine Schwester lebt in XXXX . Die übrigen Geschwister leben in XXXX . Die Brüder arbeiten unregelmäßig. Die Eltern arbeiten nicht.
Die bP hat alle 4 – 5 Tage Kontakt zu ihren Familienangehörigen.
1.4. Ausreisemodalitäten:
Die bP besitzt einen irakischen Reisepass. Sie reiste legal mit dem Bus in die Türkei und flog nach Istanbul. Es gab bei der Ausreise keine Probleme. In weiterer Folge reiste sie von der Türkei schlepperunterstützt über als sicher geltende Länder bis nach Österreich.
In der Türkei suchte sie bei den türkischen Behörden oder UNHCR nicht um Schutz an. Dies deshalb, weil es nicht ihr Plan war in der Türkei zu verbleiben.
Zum Verbleib des heimatsstaatlichen Reisepasses gab sie an, dass sie diesen in der Türkei einem Freund gegeben hat, welcher diesen zurück nach XXXX gebracht hat.
Sie durchreiste auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchte sie nicht um Schutz an. Es wurde nicht dargelegt, dass ihr dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder, dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.
Ihr Ziel war Deutschland, wo Verwandte leben.
1.5. Aktueller Gesundheitszustand:
Die bP hat im Verfahren keine aktuell behandlungsbedürftige Erkrankung dargelegt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass sie einer Covid 19 Risikogruppe angehören würde.
1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich:
Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes
Die bP begab sich ohne Vorhandensein eines gültigen Einreise- bzw. Aufenthaltstitels am 02.12.2020 schlepperunterstützt in das Bundesgebiet.
Mit der am 02.12.2020 erfolgten Stellung des Antrages auf internationalen Schutz erlangte die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die Beschwerdeerhebung verlängert wurde.
Da ihr in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise als rechtswidrig und stellt grds. gem. § 120 Abs 1 iVm Abs 7 FPG eine Verwaltungsübertretung dar.
Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich
Die bP hat in Österreich weder beim Bundesamt noch in der Beschwerde als Familienleben zu wertenden Umstände dargelegt.
Grad der Integration
Die bP hat sich zu einem Deutsch A1 – Teil 1 und Teil 2– Kurs angemeldet. Der 1. Teil am 01.02.2021 und endet am 19.02.2021. Der 2. Teil beginnt am 22.02.2021 und endet am 12.03.2021. Kurs- oder Prüfungsbestätigungen oder sonstiges Vorbringen oder Nachweise über Integrationsbemühungen wurden bis dato nicht vorgelegt.
Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens bzw. Teilnahme an möglicher und gesetzlich erlaubter Erwerbstätigkeit für Asylwerber (vgl. zB https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern#wieknnenasylwerberinnenundasylwerberbeschftigtwerden) oder Abhängigkeit von staatlichen Leistungen
Die bP lebt von der staatlichen Grundversorgung.
Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Familienleben; die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren
Die bP hat diese Anknüpfungspunkte während einer Zeit erlangt, in der der Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet stets prekär war.
Bindungen zum Herkunftsstaat
Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren, absolvierte dort ihre Schulzeit, kann sich im Herkunftsstaat – im Gegensatz zu Österreich – problemlos verständigen und hat ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht. Sie wurde somit im Herkunftsstaat sozialisiert und kennt die dortigen Regeln des Zusammenlebens einschließlich der gegebenen sozialen Unterstützungsnetzwerke. Sie verfügt auch über einen irakischen Reisepass. Es leben dort auch noch insbes. Familienangehörige, Verwandte und Freunde bzw. Bekannte.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführende Partei als von ihrem Herkunftsstaat entwurzelt zu betrachten wäre.
Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen
In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen keine Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf.
Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG von den Verwaltungsstrafbehörden bzw. vom BFA nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.
Sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts
Da der bP weder der Status einer Asylberechtigten noch der einer subsidiär schutzberechtigten Person zukommt, stellt die rechtswidrige Einreise (bei strafmündigen Personen) gegenständlich auch grds. eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. § 120 Abs 1 iVm Abs 7 FPG).
Die beschwerdeführende Partei verletzte – trotz diesbezüglicher Belehrung - durch die nichtwahrheitsgemäße Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutz ihre gesetzlich auferlegte Mitwirkungs- und Verfahrensförderungsverpflichtung im Asylverfahren.
Verfahrensdauer
Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde am 02.12.2020 gestellt und erging der Bescheid vom Bundesamt am 11.02.2021. Nach eingebrachter Beschwerde erging mit heutigem Erkenntnis die Entscheidung im Beschwerdeverfahren.
1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen / nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von der bP vorgebrachten Problemen, die sie persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwartet:
a) Betreffend ihrer persönlichen Sicherheit / Verfolgung im Herkunftsstaat:
Die in der Herkunftsregion aufgewachsene bP erwartet im Falle der Rückkehr in den Irak keine Probleme (AS 44).
Es kann somit nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret ihre Herkunftsregion XXXX , mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer entscheidungsrelevanten realen Gefahr für Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.
Aus der derzeitigen Lage ergibt sich im Herkunftsstaat, insbesondere in der Herkunftsregion der bP, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht.
b) Betreffend ihrer Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse im Herkunftsstaat:
Die bP erwartet im Falle der Rückkehr in den Irak diesbezüglich keine Probleme (AS 44).
Zur Feststellung, dass die bP – die im Herkunftsstaat sozialisiert wurde, dort bis zur Ausreise auch lebte und sich auch seit der Ausreise über die Lage informiert - im Falle der Rückkehr keine persönlichen Probleme hinsichtlich der Versorgungslage in Bezug auf Unterkunft und Nahrung äußerte, ist anzuführen, dass die bP zum maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt derartige Probleme bei einer Reintegration im Herkunftsstaat nicht vorbrachte.
Die bP hat hinsichtlich ihrer persönlichen Versorgungssituation im Falle der Rückkehr weder beim Bundesamt noch in der Beschwerde konkret dargelegt, dass sie in eine ausweglose Lage geraten würde.
Die bP war im Hinblick auf Unterkunft und Versorgung mit Lebensmitteln auch vor der Ausreise schon in der Lage im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern.
Es ist eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft sowie im Bedarfsfall auch durch Sozialleistungen des irakischen Lebensmittelverteilungssystems PDS (Public Distribution System) im Irak gegeben. Der bP ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.
c) Betreffend ihrer aktuellen Versorgungssituation im Hinblick der notwendigen Erlangung medizinischer Versorgung im Herkunftsstaat:
Die bP erwartet im Falle der Rückkehr in den Irak diesbezüglich keine Probleme (AS 44).
Sie ist gesund und gehört keiner Covid-19 Risikogruppe an. Auch aus der Berichtslage ergibt sich diesbezüglich keine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Gefahr.
1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat
Aus nachfolgend genannten Quellen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak, Stand 17.03.2020, welche bereits von der bB ihrer Entscheidung zugrunde gelegt wurden und denen die bP im behördlichen Verfahren im Rahmen des Parteiengehörs nicht entgegen getreten wurde, ergeben sich folgende Feststellungen über die relevante Lage, wobei zur Beurteilung der aktuellen und entscheidungsrelevanten Situation jeweils den jüngsten Erkenntnisquellen besondere Bedeutung zugemessen werden und ältere im Wesentlichen der Übersicht über die Lageentwicklung dienen. Kürzungen durch das BVwG werden im Nachfolgenden mit […] dargestellt.
Politische Lage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist.
Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis alnuww?b,
engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).
Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a). Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).
Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).
Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).
Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).
Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).
Quellen:
[…]
Parteienlandschaft
Letzte Änderung: 17.3.2020
Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019). Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma- Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018).
Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018). Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).
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Kurdische Region im Irak (KRI) / Autonome Region Kurdistan
Letzte Änderung: 17.3.2020
Die Kurdische Region im Irak (KRI) wird in der irakischen Verfassung, in Artikel 121, Absatz 5 anerkannt (Rudaw 20.11.2019). Die KRI besteht aus den Gouvernements Erbil, Dohuk - und Sulaymaniyah. sowie aus dem im Jahr 2014 durch Ministerratsbeschluss aus Sulaymaniyah herausgelösten Gouvernement Halabja, wobei dieser Beschluss noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde. Verwaltet wird die KRI durch die kurdische Regionalregierung (KRG) (GIZ 1.2020a).
Das Verhältnis der Zentralregierung zur KRI hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der KRI und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil „umstrittener Gebiete“ ab dem 25.9.2017 deutlich verschlechtert. Im Oktober 2017 kam es sogar zu lokal begrenzten militärischen Auseinandersetzungen (AA 12.1.2019). Der langjährige Präsident der KRI, Masoud Barzani, der das Referendum mit Nachdruck umgesetzt hatte, trat als Konsequenz zurück (GIZ 1.2020a).
Der Konflikt zwischen Bagdad und Erbil hat sich im Lauf des Jahres 2018 wieder beruhigt, und es finden seither regelmäßig Gespräche zwischen den beiden Seiten statt. Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind jedoch weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der KRI (AA 12.1.2019). Die KRI ist seit Jahrzehnten zwischen den beiden größten Parteien geteilt, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), angeführt von der Familie Barzani, und deren Rivalen, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die vom Talabani-Clan angeführt wird (France24 22.2.2020; vgl. KAS 2.5.2018). Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Sulaymaniyah. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im Irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018 (CRS 3.2.2020). Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad (GIZ 1.2020a). Dazu kommen Gorran („Wandel“), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert (KAS 2.5.2018; vgl. WI 8.7.2019), sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien (KAS 2.5.2018).
Auch nach dem Rücktritt von Präsident Masoud Barzani teilt sich die Barzani Familie die Macht. Nechirvan Barzani, langjähriger Premierminister unter seinem Onkel Masoud, beerbte ihn im Amt des Präsidenten der KRI. Masrour Barzani, Sohn Masouds, wurde im Juni 2019 zum neuen Premierminister der KRI ernannt (GIZ 1.2020a) und im Juli 2019 durch das kurdische Parlament bestätigt (CRS 3.2.2020).
Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind dabei gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Insbesondere in der nordöstlichen Stadt Sulaymaniyah kommt es zu periodischen Protesten, deren jüngste im Februar 2020 begannen (France24 22.2.2020).
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 17.3.2020
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019).
Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
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Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Letzte Änderung: 17.3.2020
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf proiranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).
Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).
Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).
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Sicherheitslage in der Kurdischen Region im Irak (KRI)
Letzte Änderung: 17.3.2020
In Erbil bzw. Sulaymaniyah und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings kommt es immer wieder zu militärischen Zusammenstößen, in die auch kurdische Streitkräfte (Peshmerga) verwickelt sind, weshalb sich die Lage jederzeit ändern kann. Insbesondere Einrichtungen der kurdischen Regionalregierung und politischer Parteien sowie militärische und polizeiliche Einrichtungen können immer wieder Ziele terroristischer Attacken sein (BMEIA 19.2.2020).
Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaymaniyah attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Kurdischen Region im Irak (KRI)] bemannt war. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurde in Sulaymaniyah ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019). Im November 2019 wurde ein weiterer Angriff im Gouvernement Sulaymaniyah verzeichnet. Der Vorfall ereignete sich im südlichen Sulaymaniyah, an der Grenze zu Diyala. Asayesh-Einheiten, die einen Mörserbeschuss untersuchten, wurden von Heckenschützen beschossen. Drei Personen, darunter ein Kommandant, starben, acht Personen, fünf Asayesh und drei Zivilisten wurden verletzt (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Ekurd 30.11.2019).
Im Gouvernement Erbil wurde im Jänner 2020 ein sicherheitsrelevanter Vorfall ohne Opfer verzeichnet. Als Vergeltung für die Tötung des iranischen Generalmajors Qassem Soleimani und des stellvertretenden Leiters der Volksmobilisierungskräfte (PMF)-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis durch die USA feuerte der Iran Raketen auf die US-Militärbasis nahe dem Internationalen Flughafen Erbil ab (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Al Monitor 8.1.2020). Im Februar 2020 wurden drei Vorfälle mit sieben Verletzten im südlichen Distrikt Makhmour verzeichnet. Dabei handelte es sich um einen Raketenangriff pro-iranischer PMF auf einen US-Militärstützpunkt (Joel Wing 5.3.2020), um die Detonation zweier IEDs in einem Dorf mit sechs Verletzten (Joel Wing 5.3.2020; vgl. BasNews 26.2.2020) und um einen Angriff des IS auf ein IDP Lager, mit einem verletzten Zivilisten (Joel Wing 5.3.2020; vgl. BasNews 2.2.2020).
Seit dem Abbruch des Friedensprozesses zwischen der Türkei und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Jahr 2015 kommt es regelmäßig zu türkischen Militäroperationen und Bombardements gegen Stellungen von PKK-Kämpfern in Qandil und in den irakischen Grenzgebieten (Kurdistan24 8.11.2019). Im Kreuzfeuer solcher Angriffe werden immer wieder kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum von den Kämpfen bedroht und bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. Kurdistan24 8.11.2019).
Am 27.5.2019 initiierte die türkische Armee die „Operation Claw“ gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12.7.2019 und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und anderen Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Ende August 2019 begann die dritte Phase, die sich wiederum gegen die PKK im Gouvernement Dohuk richtete. Betroffen waren vor allem grenznahe Orte, Regionen und Subdistrikte wie Zab, Sinat-Haftanin, Batifa und Avashin (Kurdistan24 8.11.2019).
Am 10. und 11.7.2019 bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaymaniyah, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die “Partei für ein Freies Leben in Kurdistan‘‘ (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).
Quellen:
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Sicherheitslage Nord- und Zentralirak
Letzte Änderung: 17.3.2020
Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).
In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019).
Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018).
Gouvernement Ninewa
Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Ninewa 40 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 33 Toten und 25 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es zwölf Vorfälle mit 35 Toten und 15 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Ninewa ereigneten sich im Süden des Gouvernements (Joel Wing 3.2.2020).
Gouvernement Diyala
Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019) und ist weiterhin ein Kerngebiet des IS (Joel Wing 3.2.2020). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den schwer zugänglichen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.12.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019).
Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala (Joel Wing 5.8.2019), aus denen er einerseits Zivilisten vertreibt, um dort Basen zu errichten, und wo er anderseits wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte angreift (Joel Wing 9.9.2019). So häufen sich Berichte über zunehmende Vertreibung von Zivilisten aus ländlichen Gebieten, beispielsweise aus den Bezirken Khanaqin und Jalawla, wegen der Bedrohung durch den IS und dem Unvermögen der Sicherheitskräfte (Irakische Armee/ISF und PMF) für deren Sicherheit zu sorgen (Joel Wing 25.11.2019; vgl. Rudaw 3.12.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019).
Die übrigen Vorfälle betrafen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gab es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).
Ende 2019 und Anfang 2020 hat der IS seinen Aktionsschwerpunkt verschoben. Während sich bisher die meisten Vorfälle im Distrikt Khanaqin, rund um die Städte Khanaqin und Jalawla, ereigneten, verlegte der IS seinen Fokus zunehmend auf das Zentrum des Gouvernements, insbesondere auf den Distrikt Muqdadiya (Joel Wing 6.1.2020; vgl. Joel Wing 3.2.2020), sowie auch in die westlichen Gebiete Diyalas. Diese Verlagerung wird im Zusammenhang mit einer Kampagne der irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in Khanaqin gesehen. Damit zeigt der IS aber auch, dass er die Kapazität hat im gesamten Gouvernement aktiv zu werden (Joel Wing 3.2.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Diyala 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 65 Toten und 93 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Febraur 2020 waren es 24 Vorfälle mit 16 Toten und 27 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020).
Gouvernement Salah ad-Din
Im Gouvernement Salah ad-Din ist der IS hauptsächlich in ländlichen Regionen aktiv. Im Dezember 2019 setzte der IS erstmals seit Mai 2019 wieder Autobomben ein (Joel Wing 6.1.2020). Drei derartige Attacken trafen Sicherheitskräfte der PMF (Joel Wing 6.1.2020; vgl. Rudaw 12.12.2019; Anadolu 13.12.2019), zusätzlich zu einem Vorfall mit einem Selbstmordattentäter mit Sprengstoffweste (Joel Wing 6.1.2020; vgl. NINA 29.12.2019).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Salah ad-Din 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 27 Toten und 42 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es sechs Vorfälle mit zehn Toten und vier Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Während die übrigen Vorfälle dem IS zugeschrieben werden, werden für zwei Vorfälle im Jänner 2020 – ein Raketen-, bzw. ein Mörserbeschuss auf den Militärstützpunkt Balad - pro-iranische PMF verantwortlich gemacht (Joel Wing 3.2.2020).
Gouvernement Kirkuk
Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück (Joel Wing 5.8.2019). Da der Süden Kirkuks nicht vollständig von IS-Kämpfern befreit wurde, k