TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/13 L510 2199349-1

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Veröffentlicht am 13.12.2021
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Entscheidungsdatum

13.12.2021

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L510 2199349-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Irak, vertreten durch die BBU GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.05.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.10.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP), eine Staatsangehörige des Irak, stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 25.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge ihrer Erstbefragung am selben Tag gab die bP zu ihrem Fluchtgrund an, dass im Irak Krieg herrsche und dort verschiedene Gruppen miteinander kämpfen würden. Ihr Vater sei krank und ihr Ehemann sei nach Österreich geflüchtet. Sie habe ebenfalls den Irak verlassen und habe ihre Kinder bei ihrer Mutter und ihrer Schwester zurücklassen müssen, da die Flucht zu gefährlich gewesen sei. Sie wolle jedoch ihre Kinder auch noch nachholen. Im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat habe die bP Angst um ihr Leben.

Die niederschriftliche Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 09.04.2018 gestaltete sich im Wesentlichen folgend:

„…

LA: Sind Sie gesund? Fühlen Sie sich in der Lage der heutigen Befragung zu folgen?

VP: Mir geht es körperlich gut, aber psychisch nicht gut, aber ich kann die Fragen beantworten.

LA: Haben Sie bei der vorangegangen Befragungen und Einvernahmen der Wahrheit entsprechenden Angaben gemacht und wurden Ihnen diese Angaben rückübersetzt und richtig protokolliert?

VP: Ich habe die Wahrheit gesagt, aber damals habe ich einen Dolmetscher aus der Türkei der Kurdisch gesprochen hat. Der Dolmetscher hat behauptet, dass er Sorani sprechen konnte, leider konnte er dies aber nicht. Es gibt Dinge die falsch protokolliert wurden.

LA: Was wurde falsch protokolliert?

VP: Ich habe angegeben, dass ich aus der Stadt XXXX bin und es gibt dort Kämpfe und der IS ist dort auch präsent. Es wurde aber nicht protokolliert, dass mein Leben wegen dem IS in Gefahr war. Es gibt viele Dinge die nicht gefragt wurden und ich habe mich damals nicht ausgekannt.

LA: Was wurde noch falsch protokolliert?

VP: Bei der Frage, ob ich im Falle einer Rückkehr in den Irak Probleme habe, wurde „Nein“ protokolliert.

Anm.: Teile der Erstbefragung werden rückübersetzt, aus der hervorgeht, dass die VP bezüglich der Frage geantwortet hat, dass die VP Angst um Ihr Leben hätte.

LA: Wurde sonst noch etwas falsch protokolliert?

VP: Die Geburtsdaten einer Tochter wurden falsch protokolliert. Meine Tochter XXXX wurde am XXXX geboren. Der Vorname meiner Mutter ist XXXX . Mein Vater ist im Jahr 1967 und meine Mutter im Jahr 1968 geboren.

LA: Sonst wurde alles richtig protokolliert?

VP: Ich weiß nicht ob der Rest richtig ist, weil ich nicht alles auswendig weiß.

LA: Sind Sie verheiratet, haben Sie Kinder?

VP: Ja, mein Gatte ist bereits in Österreich und meine beiden Töchter befinden sich im Irak. Ein Kind von mir ist hier in Österreich gestorben. Ich hatte eine Fehlgeburt. Ich habe aber keine Befunde dieser Fehlgeburt, da ich von den Krankenhäusern in Wien nicht aufgenommen wurde.

LA: Möchten Sie irgendwelche Papiere/Dokumente/ärztliche Befunde etc. vorlegen?

Haben Sie irgendwelche Dokumente bei sich?

VP: Medizinische Befunde, Bestätigung über die Teilnahme an einem Werte und Orientierungskurs, Deutschkursbestätigungen, Kursbestätigung für einen A1 Kurs, Personalausweis, Kopien der Personalausweise der Kinder, Kopie der Reisepässe der Kinder, Kopie der Heiratsurkunde, und Kopie des Ausweises des Vaters.

Anm.: Kopien werden zum Akt genommen.

LA: Haben Sie Dokumente in Ihrem Heimatland besessen?

VP: Ich hatte keinen Dokumente.

LA: Warum haben Ihre Kinder einen Reisepass, aber Sie nicht?

VP: Ich habe schon einen irakischen Reisepass gehabt, dieser wurde mir allerdings in der Türkei vom Schlepper abgenommen.

LA: Waren oder sind Sie im Heimatland Mitglied einer politischen Organisation oder eines

politischen Vereins?

VP: Nein.

LA: Welcher Volksgruppe/Religion gehören Sie an?

VP: Ich war moslemischen Glaubens, Sunnit und gehöre der Volksgruppe der Kurden an. Ich bin jetzt ohne Bekenntnis.

LA: Sind Sie offiziell aus dem islamischen Glauben ausgetreten?

VP: Nein, aber ich halte die religiösen Bräuche nicht ein.

LA: Weiß Ihr Gatte, dass Sie nicht mehr dem islamischen Glauben angehören?

VP: Ja.

LA: Was sagt Ihr Gatte dazu?

VP: Er hat nichts dagegen, jeder Mensch ist frei.

LA: Wann sind Sie vom islamischen Glauben abgekommen?

VP: Seitdem ich in Österreich bin, also 2016.

LA: Sind Sie nun das erste Mal außerhalb Ihres Heimatlandes?

VP: Ja.

LA: An welchen Adressen waren Sie im Heimatland aufhältig und mit wem haben Sie dort zusammengelebt? Unter aufhältig sind auch jene Adressen zu verstehen, wo Sie nicht gemeldet waren und wo Sie für einen Zeitraum gelebt haben, der über einen normalen Besuch hinausreicht.

VP: Von meiner Geburt bis 2014 in XXXX , und danach haben wir im Dorf XXXX gelebt. Dieses ist ca. 1 Stunde Autofahrt von XXXX entfernt.

LA: Dort haben Sie bis zu Ihrer Ausreise gelebt?

VP: Ja.

LA: Haben Sie bis zu Ihrer Ausreise immer im selben Haus gelebt?

VP: Ja.

LA: Mit wem haben Sie dort in einem Haus gelebt?

VP: Mit meinen Eltern, meiner Schwester und mit meinen Töchtern. Mein Mann hat 2015 den Irak verlassen und als er noch im Irak war, habe ich mit meinen Kindern gemeinsam mit meinem Mann gelebt.

LA: Wer Ihrer Familie lebt noch im Heimatland?

VP: Meine Eltern, eine Schwester und meine Töchter.

LA: Haben Sie sonst noch Verwandte im Irak?

VP: Ein Onkel väterlicherseits, welcher mich bedroht hat.

LA: Haben Sie eine Schule besucht?

VP: Nein.

LA: Was haben Sie beruflich gemacht und wovon haben Sie gelebt?

VP: Meine Schwester ist Schneiderin, dieser habe ich manchmal geholfen. Selbst habe ich nicht gearbeitet.

LA: Haben Sie noch Kontakt ins Heimatland? (telefonisch, e-mail, postalisch, etc.)

VP: Ich habe Kontakt zu meiner Schwester.

LA: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Ihrer Schwester?

VP: Am 21.03.2018 habe ich den Kontakt zu meiner Schwester gehabt. Vor 2 Wochen habe ich mit meinen Kindern gesprochen.

LA: Was haben Sie mit Ihrer Schwester besprochen?

VP: Ich habe ihr mitgeteilt, dass ich einen Termin zur Einvernahme bekommen habe.

LA: Was hat Ihre Schwester dazu gesagt?

VP: Sie hat sich gefreut. Meine Töchter befinden sich bei ihr.

LA: Wann haben Sie den Entschluss gefasst den Irak zu verlassen?

VP: Eine Woche bevor ich in Österreich angekommen bin.

LA: Wann war das?

VP: Ca. am 18.07.2016.

LA: Wann verließen Sie das Heimatland?

VP: Ca. am 19.07.2016.

LA: Wie lange waren zwischen Ihrem Entschluss und Ihrer Ausreise im Irak?

VP: Da war ich noch für einen Tag im Irak.

LA: Was hat Sie Ihre Flucht insgesamt gekostet? (Schlepperkosten)

VP: Von XXXX nach Istanbul bin ich geflogen. Das hat 450$ gekostet.

LA: Woher hatten Sie dieses Geld?

VP: Meine Schwester war Schneiderin und aus diesen Ersparnissen wurde das bezahlt. Ich habe auch meinen Goldschmuck verkauft.

LA: Wer hat diese Reise organisiert?

VP: Mein Vater.

LA: Wie konnte dieser Ihre Reise so schnell organisieren?

VP: Er hat telefonische einen Kurden gefunden.

LA: Können Sie nochmals schildern, was die ausschlaggebenden Gründe für Ihre jetzige Ausreise waren? Was ist in Ihrer Heimat passiert, dass Sie sich zur Flucht entschlossen haben? Schildern Sie die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge und so detailreich, dass sich ein Außenstehender ein Bild Ihrer Situation machen kann.

VP: Die Sicherheitslage im Irak ist sehr angespannt und unsicher. Mein Mann hat familiäre Probleme mit seinem Onkel väterlicherseits. Die Probleme meines Mannes haben mich auch erfasst. Bevor ich meinen Mann geheiratet habe, hat er eine Beziehung zur Tochter seines Onkels gehabt. Sein Onkel väterlicherseits war nicht damit einverstanden, dass seine Tochter meinen Mann heiratet. Wir haben dann geheiratet und 2 Kinder von uns sind auf die Welt gekommen. Nachdem mein Onkel väterlicherseits erfahren hat, dass mein Mann vorher eine Beziehung zu seiner Cousine gepflegt hat, hat er mich aufgefordert mich von meinem Mann scheiden zu lassen. Ich habe das abgelehnt und sagte zu meinem Onkel väterlicherseits, dass ich bereits 2 Kinder habe und deswegen war ich nicht bereit mich von meinem Mann scheiden zu lassen. Im Jahr 2015 hat mein Mann beschlossen, den Irak zu verlassen und hat das auch getan. Mein Mann konnte nicht mehr im Irak leben, weil er von seinem Onkel bedroht wurde. Ich war mit meinen Kindern im Irak und hatte auch die Gefahr und die Drohung meines Onkels väterlicherseits und daher beschloss ich, das Land zu verlassen. Es gibt noch andere Gründe, aber das sind die Probleme des Iraks. Nachdem mein Mann den Irak verlassen hat, wollten sich sowohl mein Onkel väterlicherseits, als auch der Onkel meines Mannes sich an mir Rächen, weil mein Mann nicht mehr greifbar war.

Das sind meine Fluchtgründe, weitere habe ich nicht.

LA: Wann hatte Ihr Gatte eine Beziehung mit seiner Cousine?

VP: Das war vor unserer Eheschließung im Jahr 2008.

LA: Wann wurde Ihr Gatte von dessen Onkel bedroht?

VP: Das war im Jahr 2014.

LA: Warum wurde Ihr Gatte erst 6 Jahre danach bedroht?

VP: Die Sache wurde im Jahr 2014 entdeckt.

LA: Wie ist dies im Jahr 2014 entdeckt worden?

VP: Mein Mann hat sich zum Haus seines Onkels begeben und sein Onkel väterlicherseits hat die beiden dort gesehen.

LA: Warum ist Ihr Mann zum Haus Ihres Onkels gegangen?

VP: Mein Mann hatte im Jahr 2014 eine Liebesbeziehung mit seiner Cousine.

LA: War Ihr Gatte zu diesem Zeitpunkt bereits mit Ihnen verheiratet?

VP: Ja, wir sind seit 2010 verheiratet.

LA: Waren Sie mit dieser Liebesbeziehung einverstanden?

VP: Ich habe anfangs nicht gewusst, als der Onkel von der Beziehung erfahren hat wurde diese Sache aufgedeckt.

LA: Wann ist Ihr Gatte dann aus dem Irak ausgereist?

VP: Das war im April 2015.

LA: Warum haben Sie sich von Ihrem Gatten nicht scheiden lassen?

VP: Mein Mann hat mich um Verzeihung gebeten und ich habe damals 2 Kinder gehabt und ich habe ihm verziehen.

LA: Wie konnte Ihr Gatte noch ein Jahr im Irak leben, nachdem dieser von dessen Onkel bedroht wurde?

VP: Er hat jede Woche wo anders gelebt. Sein Onkel war hochrangiger Funktionär der Partei und er war bekannt in der Gesellschaft.

LA: Wann wurden Sie von Ihrem Onkel bedroht?

VP: Das war im Jahr 2014, als die Beziehung meines Mannes an die Öffentlichkeit gekommen ist.

LA: Wie wurden Sie da bedroht?

VP: Von meinem Onkel oder von den anderen?

LA: Sie haben bisher nur von Ihrem Onkel gesprochen!

VP: Ich war bei meinem Vater und mein Onkel ist gekommen und dieser hat gesagt, dass ich mich von meinem Mann trennen müsse.

LA: Wie wurden Sie da bedroht?

VP: Nachdem ich abgelehnt habe, hat er mich sogar einmal geschlagen.

LA: Von welchen anderen wurde Sie noch bedroht?

VP: Die haben mir mit dem Tod gedroht.

LA: Wer sind „die“?

VP: Die Leibwächter vom Onkel meines Mannes haben mich mit dem Tod bedroht, weil sein Onkel der Meinung war, dass ich weiß, wo mein Mann ist und ich ihm das nicht sage.

LA: Wann wurden Sie von den Leibwächtern bedroht?

VP: Das war auch im Jahr 2014.

LA: Wie konnte Sie dann noch mehr als 2 Jahre im Irak leben?

VP: Ich habe diese Zeit immer mit meinem Vater verbracht und dann habe ich im Jahre 2016 gemeinsam mit meiner Schwester beschlossen den Irak zu verlassen.

LA: Wusste Ihr Onkel wo Ihr Vater lebt?

VP: Ja, der hat es gewusst, aber er wusste nicht wann ich den Irak verlassen habe.

LA: Hat Ihr Onkel Sie dann nochmals bedroht, nachdem Sie bei Ihrem Vater gelebt haben?

VP: Ja, er ist einige Male gekommen.

LA: Wie oft war Ihr Onkel bei Ihrem Vater und hat Sie bedroht?

VP: Ich kann mich nicht genau daran erinnern, aber er ist einige Male gekommen.

LA: Warum sind Sie dann nicht bereits früher ausgereist?

VP: Ich habe zuerst darauf gewartet, dass mein Mann, der seit 2015 in Österreich ist eine Antwort bekommt und wir uns dann zu ihm begeben können.

LA: Sie haben also gewartet obwohl Sie bedroht wurden?

VP: Ja.

LA: Was war nun der ausschlaggebende Grund, warum Sie ausgereist sind?

VP: Mein Mann hat bis Ende 2016 keine Entscheidung bekommen und somit habe ich dann beschlossen das Land zu verlassen.

LA: Möchten Sie etwas zu Ihrem Vorbringen ergänzen?

VP: Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Situation und ich mache mir Sorgen um meine Kinder. Eine Tochter ist krank und benötigt eine Operation.

LA: Waren Sie im Heimatland oder anderswo in Strafhaft? Wenn ja, weshalb?

VP: Nein.

LA: Besteht gegen Sie ein offizieller Haftbefehl im Heimatland?

VP: Nein.

LA: Was würde bei aktueller (fiktiver) Heimkehr ins Heimatland passieren? Was würde Sie dort erwarten?

VP: Ich habe Angst getötet zu werden.

LA: Von wem sollten Sie getötet werden?

VP: Von meinem Onkel väterlicherseits.

LA: Ihr Onkel hatte 2 Jahre Zeit zu töten und hat dies nicht getan, warum sollte er es im Falle einer Rückkehr machen?

VP: Er ist verärgert über mich, weil er mir vorwürfe macht, dass ich den Irak, ohne ihn zu Fragen, den Irak verlassen habe und auch weil ich seine Aufforderung hinsichtlich meiner Scheidung nicht nachgegangen bin.

LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?

VP: Es kann nichts passieren, was mich dazu bewegen kann mich in den Irak zu begeben.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die in die vom Bundesasylamt zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länderfeststellungen des BFA zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im einzelnen auch eingesehen werden können.

VP: Ich möchte keine schriftliche Stellungnahme einbringen.

LA: Sind Sie in Österreich wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden?

Wenn ja, wann? Und wo?

VP: Nein.

LA: Haben Sie Bindungen an Österreich? Haben Sie hier Verwandte oder sonstige Beziehungen?

VP: Ich habe Kontakte, aber nicht viel da ich nicht Deutsch kann, und mein Gatte lebt hier und kann ein bisschen Deutsch.

LA: Leben Sie bei Ihrem Gatten?

VP: Ja.

LA: Was machen Sie in Ihrer Freizeit, mit wem verbringen Sie diese?

VP: Ich habe täglich 2 Kurse zu besuchen. Mein Mann besucht auch einen Deutschkurs.

LA: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder anderen Organisationen?

VP: Nein.

LA: Wovon leben Sie hier in Österreich? (Grundversorgung? Arbeiten Sie hier?)

VP: Ich werde vom Staat versorgt.

LA: Haben Sie schon einen Deutschkurs oder sonst Kurse besucht?

VP: Ja, ich beuche jeden Tag einen Kurs.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit all Ihre persönlichen Gründe vorzubringen oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?

VP: Wir haben gar nicht über meine Kinder gesprochen.

LA: Was ist mit Ihren Kinder?

VP: Meine Kinder sind klein und ich habe sie seit einem Jahr und 8 Monaten nicht mehr gesehen.

LA: Was wollen Sie bezüglich Ihrer Kinder noch angeben?

VP: Ich habe die ganze Zeit auf den heutigen Tag gewartet, damit ich war für die Kinder machen kann, weil auch mit der Aufenthaltsberechtigung meines Mannes, nichts gemacht werden kann.

LA: Es wird Ihnen nunmehr die Niederschrift rückübersetzt und Sie haben danach die Möglichkeit noch etwas richtig zu stellen oder hinzuzufügen.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift, wurde diese richtig und vollständig protokolliert?

VP: Ich habe keine Einwände.

LA: Haben Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden?

VP: Ich habe den Dolmetscher einwandfrei verstanden.

…“

2. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 25.05.2018, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, der bP jedoch im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 8 iVm § 34 Abs 3 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 18.08.2019 erteilt.

Das BFA gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. So habe sich die bP mit ihren Fluchtgründen auf die Ausreisegründe ihres Ehegatten bezogen, welchem jedoch die Glaubwürdigkeit zur Gänze versagt worden sei, weshalb auch nicht davon auszugehen sei, dass die bP in irgendeiner Form davon betroffen sei. Auch dass ihr Gatte gegen seinen Bescheid des BFA, mit welchem die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens versagt worden sei, keine Beschwerde eingelegt habe, bezeuge, dass dieser mit der Entscheidung der Behörde einverstanden gewesen sei und somit nicht der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt habe. Darüber hinaus bezeuge auch der Umstand, dass ihr Gatte im Jahr 2017 für mehrere Monate im Irak gewesen und sich wieder einen irakischen Reisepass ausstellen lassen habe, dass ihr Gatte keinerlei Bedrohung im Irak ausgesetzt gewesen sei. Somit sei auch das Vorbringen der bP, wonach sie nun ihr Onkel aufgrund der Affäre ihres Gatten mit dessen Cousine verfolgen würde, nicht glaubhaft, zumal es sich schon als unglaubhaft herausgestellt habe, dass ihr Gatte überhaupt eine Affäre mit seiner Cousine gehabt habe.

Mit Verfahrensanordnung vom 25.05.2018 wurde der bP ein Rechtsberater von Amts wegen zur Seite gestellt.

3. Gegen Spruchpunkt I. des genannten Bescheides wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

4. Mit Schreiben vom 05.03.2020 ersuchte die bP um Bekanntgabe des Verfahrensstandes.

5. Mit Schreiben vom 17.09.2021 ersuchte der Rechtsvertreter der bP um Übermittlung von Aktenbestandteilen sowie um Auskunft, warum die Beschwerde des ältesten Kindes der bP nicht Gegenstand der Verhandlung ist.

In Entsprechung des Ersuchens übermittelte das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 27.09.2021 die angeforderten Aktenbestandteile und teilte mit, dass beim Bundesverwaltungsgericht kein Beschwerdeverfahren betreffend den ältesten Sohn der bP anhängig sei.

6. Am 07.10.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP, ihres Rechtsvertreters und des Ehegatten der bP eine mündliche Verhandlung durch.

Mit der Ladung zu dieser Verhandlung wurde die bP umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere ihre persönlichen Fluchtgründe und sonstigen Rückkehrbefürchtungen durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen.

Zugleich mit der Ladung wurden der bP ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Irak übermittelt, welche das BVwG in die Entscheidung miteinbezieht. Eine schriftliche Stellungnahmefrist bis zum Verhandlungstermin oder eine Stellungnahmemöglichkeit in der Verhandlung wurden dazu eingeräumt. Eine schriftliche Stellungnahme wurde nicht abgegeben und auch in der mündlichen Verhandlung wurde den Berichten nicht entgegengetreten.

7. Am 07.10.2021 langten beim Bundesverwaltungsgericht Vollmachtsbekanntgaben der BBU GmbH sowie mehrere Dokumente ein.

Bezugnehmend auf ein Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichts um Berichtigung der Vollmachten vom 28.10.2021 langten am 29.10.2021 die berichtigten Vollmachten der bP und ihrer Familienangehörigen ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die bP ist irakischer Staatsangehöriger, führt den im Spruch angeführten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum. Ihre Identität steht fest. Sie gehört der kurdischen Volksgruppe an und war ursprünglich muslimischen (sunnitischen) Glaubens. Aktuell bekennt sich die bP zu keiner Glaubensgemeinschaft.

Die bP wurde in der Stadt XXXX in der Provinz XXXX geboren, wo sie auch aufwuchs. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 2010 lebte sie mit ihrem Gatten und später auch ihren Kindern in der Kleinstadt XXXX , in der Nähe von XXXX . Nach der Ausreise ihres Gatten nach Österreich im April 2015 übersiedelte die bP wieder zu ihrer Familie nach XXXX , wo sie bis zu ihrer Ausreise im Juli 2016 mit ihren Eltern, ihrer Schwester und ihren beiden Töchtern lebte. Die bP hat im Irak keine Schule besucht und ging auch keiner Erwerbstätigkeit nach, lediglich ihrer Schwester hat sie gelegentlich bei Schneiderarbeiten geholfen. Sie hat im Irak ihren Lebensunterhalt von der finanziellen Unterstützung ihrer Familie bzw. ihres Ehegatten finanziert. Die bP reiste im Juli 2016 aus dem Irak aus, wenige Tage später unrechtmäßig in Österreich ein und stellte am 25.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des BFA vom 25.05.2018, Zl. XXXX , wurde der bP im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 8 iVm § 34 Abs 3 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Die bP ist seit XXXX 2010 mit dem irakischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX , verheiratet. Der Ehe entsprangen drei gemeinsame Kinder: XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX .

Der Ehegatte der bP reiste bereits Mitte April 2015 aus dem Irak aus und am 16.05.2015 in Österreich ein, wo er am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des BFA vom 19.08.2016, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, ihm jedoch gemäß § 8 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 18.08.2017 erteilt. Dieser Bescheid erwuchs am 21.09.2016 in Rechtskraft. Aufgrund einer Verurteilung des Ehegatten wegen dem Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1 und Abs 3 FPG wurde diesem mit Bescheid des BFA vom 17.06.2021, Zl. XXXX , der ihm zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 2 AsylG von Amts wegen aberkannt und festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gem. § 9 Abs 2 AsylG iVm § 52 Abs 9 FPG unzulässig sei. Es wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und gem. § 10 Abs 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs 2 Z 4 FPG erlassen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag als unbegründet abgewiesen.

Die beiden älteren Kinder der bP und ihres Gatten, welche zwischenzeitlich im Irak bei der Familie der bP lebten, reisten am 22.12.2019 in Begleitung des Gatten der bP sowie in Besitz eines österreichischen Visums legal nach Österreich ein und stellten am 27.12.2019 durch die bP als gesetzliche Vertretung Anträge auf internationalen Schutz. Am XXXX wurde das jüngste Kind der bP und ihres Gatten in Österreich geboren. Am 17.07.2019 stellte dieses durch die bP als gesetzliche Vertretung einen Antrag auf internationalen Schutz von einem in Österreich nachgeborenen Kind gemäß § 17 AsylG. Mit Bescheiden des BFA vom 05.08.2019 und 14.01.2020 wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, den Kindern jedoch im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 8 iVm § 34 Abs 3 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag wurden die Beschwerden zweier Kinder der bP hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen.

Die bP verfügt im Herkunftsstaat noch über ein familiäres bzw. verwandtschaftliches Netz. Ihre Eltern, ihre Schwester sowie ein Onkel der bP leben nach wie vor im Irak. Darüber hinaus befindet sich auch die Familie des Ehegatten der bP nach wie vor im Irak. Die bP hält zumindest zu ihrer Schwester regelmäßigen Kontakt.

Am 18.03.2017 reiste der Ehegatte der bP in den Irak, ließ sich am 27.03.2017 einen neuen irakischen Reisepass ausstellen und hielt sich bis 30.03.2017 im Irak auf. Darüber hinaus reiste er am 03.07.2017 in den Irak und reiste anschließend mit ihren Kindern am 25.07.2017 zur ärztlichen Behandlung der Kinder vom Irak nach Istanbul, wo er sich bis 30.07.2017 aufhielt. Anschließen reiste er wieder in den Irak und reiste am 31.07.2017 nach Deutschland. Am 20.11.2021 wurde der Ehegatte der bP in der Bundesrepublik Deutschland von der Bundespolizei Freilassing angehalten und einer Personenkontrolle unterzogen, wobei er sich mit einem irakischen Reisepass auswies.

Aktuell liegen keine relevanten behandlungsbedürftigen Krankheiten vor. Die bP ist gesund und arbeitsfähig.

Die bP geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit. Zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in Österreich ist sie zum einen auf staatliche Zuwendungen, welche sie von ihrer Ankunft in Österreich bis zum 31.05.2019 sowie vom 14.10.2020 bis zum 31.10.2021 bezog, angewiesen und zum anderen auf die finanzielle Unterstützung ihres Ehegatten.

Die bP besuchte in Österreich mehrere Deutschkurse und hat sowohl die ÖSD Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 als auch die ÖSD Deutschprüfungen auf dem Niveau A2 bestanden. Im März 2018 nahm sie an einem Werte- und Orientierungskurs teil. Sonstige Ausbildungen machte die bP nicht.

Abgesehen von ihrer Kernfamilie hat die bP keine Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich. Die bP lebt gemeinsam mit ihrem Ehegatten und ihren Kindern in einer Mietwohnung. Ihre Freizeit verbringt sie beinahe ausschließlich mit ihren Kindern und verbringt ihre Freizeit überwiegend zuhause. Sie nimmt in Österreich nur in geringem Umfang am sozialen Leben teil. Dass sie in Österreich über einen großen Freundeskreis verfüge brachte die bP nicht vor, ebenso wenig wurden besonders enge Freundschaften oder Unterstützungsschreiben vorgebracht. Mitgliedschaften in Vereinen wurden auch nicht vorgebracht. Ehrenamtliche Tätigkeiten konnten nicht festgestellt werden.

Strafrechtliche Verurteilungen liegen in Österreich nicht vor.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Die von der bP vorgebrachten Fluchtgründe werden den Feststellungen nicht zugrunde gelegt.

Die bP hat nicht glaubhaft dargelegt und kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass sie vor ihrer Ausreise aus ihrer Heimat in dieser einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder sie im Falle ihrer Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre oder in eine lebens- bzw. existenzbedrohliche Notlage geraten würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP von ihrem Onkel oder dem Onkel ihres Ehegatten bedroht bzw. verfolgt worden sei oder sonst von diesem etwas zu befürchten hätte.

Die weibliche bP wäre im Herkunftsstaat alleine aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Bei der bP handelt es sich nicht um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF während ihres Aufenthaltes in Österreich eine Lebensweise verinnerlicht hätte, aufgrund derer sie eine Bedrohung oder Verfolgung im Irak ausgesetzt wäre.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass die bP infolge einer tatsächlichen oder ihr unterstellten Abkehr vom Islam im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung unterliegen würde oder psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ

1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, XXXX und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a). An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a). Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020).

Die im Irak anhaltenden sektiererischen Spannungen führten zum Aufstieg von Da'esh (auch als islamischer Staat bekannt), einer militanten Salafi Dschihadistengruppe, die einer fundamentalistischen Version des sunnitischen Islam folgt. Der IS besetze große Teile des Irak im Jahr 2014. Auf seinem Höhepunkt besaß der IS ungefähr 40 Prozent des irakischen Territoriums. Während seiner Besatzung verübte er zahlreiche Gräueltaten, insbesondere gegen Minderheitengruppen, einschließlich Massenmord und sexuelle Versklavung. Der IS besiegte die irakischen Sicherheitskräfte in mehreren Schlachten und kam 50 Kilometer bis an Bagdad heran, bevor er von den regulären irakischen Streitkräften gestoppt werden konnte, unterstützt von einer durch die USA geführten Internationalen Koalition und irregulärer Volksmobilisierungskräfte (PMF). Nach drei Jahren Konflikt erklärte die Regierung im Dezember 2017 den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die letzten vom IS kontrollierten Gebiete entlang der syrischen Grenze zurückerobert worden waren. Der Konflikt mit dem IS hat die irakische Wirtschaft erheblich geschädigt und der IS stellt weiterhin eine Sicherheitsbedrohung innerhalb des Landes dar (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 9).

Demografische Daten für den Irak sind unzuverlässig, aber die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass die Bevölkerung des Landes zwischen 38 und 40 Millionen liegt. Das geschätzte Bevölkerungswachstum des Landes liegt bei rund 2,8 Prozent pro Jahr und liegt damit in den Top 20 der am schnellsten wachsenden Länder weltweit. Der Irak ist ein junges Land: Fast 60 Prozent der Iraker sind den Berichten zufolge unter 25 Jahre alt. Ungefähr 70 Prozent der Iraker leben in städtischen Gebieten. Der Irak hat eine 3-prozentige jährliche Urbanisierungsrate. Bagdad ist die Hauptstadt und größte Stadt mit einer Bevölkerung zwischen 6 und 7 Millionen Einwohner. Die Städte Basra und Mosul haben beide mehr als 2 Millionen Einwohner, während XXXX , Kirkuk, Sulaymaniyah und Hilla jeweils mehr als 1 Million Einwohner haben. Die irakische Bevölkerung ist stark konzentriert im Norden, in der Mitte und im Osten des Landes, mit vielen größeren städtischen Ballungsräumen entlang der ausgedehnten Teile des Tigris und des Euphrat. Ein Großteil der westlichen und südlichen Gebiete des Irak ist Wüste und dünn besiedelt oder unbewohnt (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 10).

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechten einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre, Unabhängigkeit der Justiz, Versammlungsfreiheit, Freiheit der Religionsausübung und Schutz der Kultstätten, Vereinigungs- Gedanken- und Meinungsfreiheit. Zahlreiche Gesetze schützen diese verfassungsmäßige Freiheiten. Artikel 2 Absatz 1 der Verfassung besagt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist. Der zweite Teil von Artikel 2 garantiert das Recht auf Glaubens- und Religionsfreiheit, insbesondere unter Erwähnung von Christen, Jesiden und Sabäer-Mandäer (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 18, 26).

Artikel 102 der Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der irakischen Hohen Kommission für Menschenrechte (IHCHR), die vom Repräsentantenrat überwacht wird. Das Gesetz über die Tätigkeit des IHCHR sieht 12 Vollzeitkommissare und drei Reservekommissare mit einer Laufzeit von vier Jahren vor. Das Gesetz überträgt der IHCHR eine breite Befugnis, einschließlich des Rechts auf Empfang und Untersuchung von Menschenrechtsbeschwerden, Durchführung unangekündigter Besuche in Justizvollzugsanstalten und Überprüfung der Gesetzgebung. Die Unabhängige Menschenrechtskommission der Region Kurdistan (IHRCKR) führt ein ähnliches Verfahren durch. Beide Organisationen veröffentlichen regelmäßig Berichte zu Menschenrechtsfragen und führen Schulungen für staatliche Sicherheitsbehörden durch (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 18, 19).

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt. Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen. Im Juli 2019 begann die „Operation Will of Victory“, an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilizations Forces (PMF), Trival Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen. Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel. Die zivilen Todesopfer im gesamten irakischen Gebiet belaufen sich im Jahr 2017 auf 13.183, im Jahr 2018 auf 3.319 und von Jänner bis inkl. September 2019 auf 1.542. Es handelt sich dabei im vorläufige Zahlen, andere sind nicht verfügbar.

Der IS hat im April 2020 eine neue Gewaltoffensive gestartet, die in der dritten Woche des Mai ihren Höhepunkt erreichte. Es wurden dabei die gleich hohe Anzahl von Attacken wie zuletzt zur selben Zeit 2018. In der vierten Mai-Woche gingen die Attacken wieder zurück (Musings on Iraq, 01.06.2020).

Die Gewalt im Irak erreichte in der vierten Juniwoche einen Tiefpunkt. Die Angriffe des Islamischen Staates waren dort einstellig. Vom 22. bis 28. Juni 2020 wurden in den Medien im Irak insgesamt 10 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Einer davon war ein Raketenangriff auf den Internationalen Flughafen Bagdad von pro-iranischen Gruppen, die hoffen, inmitten der amerikanisch-irakischen Verhandlungen um eine neue Sicherheitsvereinbarung, eine Nachricht an die USA zu senden. Das waren nur 9 Vorfälle des Islamischen Staates. Dies war die niedrigste Zahl seit 8 Vorfällen in der zweiten Woche im November 2019.

Gewalt trat nur in vier Provinzen auf. Es gab jeweils einen Vorfall in Kirkuk und Salahaddin, zwei in Bagdad und sechs in Diyala. 8 Menschen starben und 13 wurden verwundet. Das waren 2 Hashd al-Shaabi und 6 Polizisten, die ihr Leben verloren haben, zusammen mit 5 Polizisten und 8 Hashd, die verletzt wurden. Die Sicherheitskräfte waren weiterhin das Hauptziel der Militanten. Jetzt versucht der IS, seine militärische Dominanz über die ländlichen Gebiete, in denen er arbeitet, durch Einschüchterung der Armee, Polizei und Hashd zu behaupten. Alle Opfer gab es in Salahaddin mit 10 und Diyala mit 11. Anbar bleibt ein Schwerpunkt der Regierung. In der vergangenen Woche gab es 7 Sicherheitsoperationen. In der folgenden Woche gab es gerade eine in der Wüstenregion Nukhaib im Süden an der Grenze zu Nadschaf. Die Provinz sieht relativ wenig aufständische Aktivitäten, ist aber die Hauptschmuggelroute des IS.

Es gab zwei Zwischenfälle in Bagdad. Neben dem Raketenangriff warf ein Polizist zwei Granaten auf sein Haus im Adhamiya Distrikt im Norden. Im Juni wurden fast alle Angriffe, 8 von 10, im Gouvernement der Hauptstadt von proiranischen Gruppen durchgeführt, die Raketen in Bereichen abfeuerten, in denen amerikanisches Personal untergebracht ist. Dies führte dazu, dass die Regierung die Büros der Kataib Hisbollah überfiel, die dafür verantwortlich gemacht wurde.

Diyala ist die Hauptbasis für den Aufstand im Irak. Es war diesen Monat relativ ruhig, weil die Regierungstruppen anwesend waren. Während der Woche gab es sechs Vorfälle, die meisten in diesem Monat. Dazu gehörten zwei Städte im Waqf-Becken, welche von Mörsern getroffen wurden, zwei Angriffe auf Kontrollpunkte, ein Angriff auf ein Dorf und es wurde ein Polizist erschossen. All dies geschah im Muqdadiya Bezirk in der Mitte. Die Regierung startete außerdem sechs Operationen im Norden, Süden, Nordosten und Zentrum. Die Hälfte davon war auf wenige Dörfer beschränkt, während die anderen größere Regionen abdeckten. Die Kerngebiete des Islamischen Staates in Muqdadiya und Khanaqin wurden jede Woche durchsucht, was erklärt, warum die Vorfälle relativ gering waren. Die stetigen Operationen in letzter Zeit haben dazu geführt, dass nicht so viele Angriffe wie üblich ausgeführt werden konnten.

Im südlichen Makhmour-Distrikt von XXXX gab es eine Sicherheitsoperation. Seit einigen Monaten trifft der IS diesen Bereich, weil es ein umstrittenes Gebiet ist und es Lücken in der Berichterstattung zwischen den irakischen Streitkräften und Peshmerga gibt.

Die dritte Phase der Heroes of Iraq-Kampagne begann Anfang der Woche in Salahaddin. Vier verschiedene Bereiche in der Mitte und im Osten waren betroffen. Es wurden mehrere IEDs entdeckt, die 2 Hashd töteten und 8 weitere verwundeten.

Es gab keine Zwischenfälle in Kirkuk oder Ninewa und keine Regierungsaktivitäten. Dies war ein weiteres Zeichen dafür, dass sich der IS im Juni reduzierte. Der Rückgang der Ereignisse im Juni zeigt, dass der Aufstand militärisch immer noch sehr begrenzt ist und große Operationen nicht lange aufrechterhalten werden können. Die Regierung war auch sehr aggressiv (Musings on Iraq, 30. Juni 2020).

Die Gewalt im Irak ist auf ein sehr niedriges Niveau zurückgekehrt. In der dritten Woche in Folge gab es kaum Vorfälle. Das kam nachdem der Islamische Staat von April bis Mai eine neue Offensive angekündigt hatte, bei der die Angriffe auf das Niveau von 2018 stiegen. Die Regierung startete auch eine aggressive Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, die auch die Operationen der Aufständischen niedrig gehalten haben.

Vom 15. bis 21. Juni wurden in den Medien nur 16 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Das war die gleiche Zahl wie in der Woche zuvor. Zwei von den Vorfällen waren pro-iranische Gruppen, die Raketen auf Ziele in Bagdad abfeuerten, in denen Amerikaner untergebracht waren, sowie ein Dritter, bei welchem Raketen entdeckt wurden, bevor sie ins Leben gerufen wurden. Diese Art von Angriffen entstand, als die irakische Regierung Gespräche über eine neue Sicherheitsvereinbarung mit den Vereinigten Staaten aufgenommen hat. Teheran versucht die Botschaft zu senden, dass die Amerikaner jederzeit ins Visier genommen werden können und das Land verlassen sollten. Damit blieben 13 Vorfälle durch den IS wahrscheinlich, gegenüber 12 in der Woche zuvor und 17 in der ersten Juniwoche.

Die Vorfälle verteilten sich auf nur fünf Provinzen, eine in Kirkuk, vier in Bagdad und Diyala, zwei in Ninewa und fünf in Salahaddin. Diese führten zu 11 Todesfällen und 19 Verwundeten. 1 Zivilist, 4 irakische Sicherheitskräfte (ISF) und 6 Hashd al-Shaabi kamen ums Leben, weitere 5 Sicherheitskräfte, 7 Zivilisten und 7 Hashd wurden verletzt. Salahaddin hatte mit 19 die meisten Verluste, gefolgt von 6 in Diyala, 4 in Ninewa und 1 in Bagdad. Obwohl die Verluste gering waren, litten die Sicherheitskräfte mehr als die Zivilbevölkerung darunter, was in den letzten zwei Monaten eine entscheidende Veränderung war. Es scheint, dass der IS versucht, die militärische Überlegenheit gegenüber den ländlichen Gebieten, in denen sie tätig sind, zu etablieren, indem sie danach streben die Polizei, Armee und Hashd einzuschüchtern. Seit der IS letztes Jahr sein letztes Stück Territorium in Syrien verloren hat, zieht er Männer und Material aus dem Land in den Irak, weitgehend über Anbar. Als Reaktion darauf tätigt die Regierung ständige Sicherheitsoperationen in den großen unbewohnten Gebieten der Provinz. Dort gab es sieben solche während der Woche durch die Wüstengebiete, die Grenze und das Hit-Viertel.

In Diyala gab es während der Woche vier Zwischenfälle. Eine Militärpatrouille wurde von einem IED getroffen, eine Gruppe von Zivilisten wurde angegriffen, ein IS-Scharfschütze tötete einen Hashd und verwundete einen Soldaten, alles im Bezirk Muqdadiya im Zentrum. Ein Infiltrationsversuch wurde im Bezirk Khanaqin im Nordosten vereitelt. Diese Provinz ist das Zentrum der IS-Aktivitäten im Irak, weshalb es regelmäßig zu einer hohen Anzahl von Vorfällen kommt.

3 Personen, die Wochen zuvor entführt worden waren, wurden von den Sicherheitskräften in einem Dorf im Bezirk Daquq im Süden von Kirkuk gerettet. Der IS wurde nie aus der südlichen Region des Gouvernements vertrieben, weshalb sich dort fast alle Vorfälle ereignen. In Ninewa führten zwei IEDs, die sich gegen Zivilisten richteten, zu insgesamt vier Verwundeten. Beide ereigneten sich im Bezirk Qayara südlich von Mosul. Salahaddin war das gewalttätigste Gebiet im Irak. Es gab fünf Vorfälle, darunter IEDs, die auf einen Armeekonvoi und eine Hashd-Patrouille abzielten. Der Anführer von Hashd wurde ermordet und es wurde auf einen Kontrollpunkt geschossen. Das größte Ereignis war jedoch ein Angriff auf ein Hashd-Hauptquartier im Samarra Bezirk, der 6 Opfer hinterließ. Der IS hat in den letzten Wochen seine Aktivitäten in der Provinz stark aufgenommen. Als Antwort gab es eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, drei im Osten, eine im Westen von Samarra im Zentrum und die letzte in Yathrib im Süden (Musings on Iraq, 23. Juni 2020).

Die Winterruhe setzte sich bis März fort. Von 08. bis 14. März wurden insgesamt nur 12 Vorfälle gemeldet. Zwei davon waren von pro-iranischen Gruppen, die nur 10 vom Islamischen Staat. Seit November sind IS-Vorfälle im einstelligen Bereich. Mit dem Iran verbündete Fraktionen trafen zwei Konvois, die Vorräte für die USA transportierten. Einer war in Anbar und der andere in Diwaniya. Es war das erste Mal, dass ein IED-Angriff in Anbar stattfand. Dies zeigte, dass pro-iranische Gruppen ihre Operationen auf den Irak ausweiten. Die 10 IS-Vorfälle ereigneten sich in Bagdad (1), Kirkuk (2), Ninewa (2), Salahaddin (2) und Diyala (3). 13 Menschen wurden getötet, bestehend aus 1 Hashd al-Shaabi, 4 irakischen Sicherheitskräften und 8 Zivilisten. Weiter 15 wurden verwundet, bestehend aus 7 Zivilisten und 8 ISF. Salahaddun hatte mit 10 die meisten Opfer. In Bagdad wurde eine Granate auf eine Menschenmenge auf einer Brücke in Khadimiya geworfen, wo sich ein schiitischer Schrein befindet. 1 Person wurde getötet und drei wurden verletzt. Es ist unklar, wer dafür verantwortlich war, aber wenn es der IS war, wäre es das zweite Mal, dass er einen Angriff innerhalb der Stadt in den letzten Wochen durchgeführt hat. Normalerweise trifft es nur die Städte am Rande der Provinz. Es gab 3 Vorfälle in Diyala. Ein Anwalt überlebte ein Attentat, ein Soldat wurde von einem Scharfschützen getötet und wurde eine Granate auf ein Haus geworfen. In Kirkuk verwundete ein IED 7 Polizisten. Die Militanten griffen auch einen Armee-Regimestützpunkt an und ließen 1 Soldaten tot und 1 verletzt zurück. Der IS hat ein Lager im Süden des Gouvernements, aber es war ruhig in den letzten Monaten. Es gab einen IED und eine Schießerei mit der Armee in Ninewa, als eine Gruppe von IS-Kämpfern versuchte, aus Syrien zu infiltrieren. Wie Kirkuk hat auch diese Provinz einen dramatischen Rückgang der Gewalt erlebt. In Salahaddin drang eine Gruppe von ISF-Kämpfern in ein Haus ein und massakrierte 7 Menschen, tötete einen Polizisten und verletzte einen weiteren. Ein Hashd-Kämpfer wurde ebenfalls von einem Scharfschützen getötet (Musings on Iraq, 16.März 2021).

ACLED weist im aktuellsten Bericht vom 28.10.2020 betreffend das 2. Quartal für das Gouvernement Bagdad, mit seinen ca. 11.8 Millionen Einwohner insgesamt 71 sicherheitsrelevante Vorfälle auf, wobei über 19 Todesopfer berichtet wurde. Folgende Gebiete waren betroffen: Al Wahdah, Al Yusufiyah, Ar Rashidiyah, At Tarmiyah, Az Zaydan, Baghdad, Baghdad - Adhamiya, Baghdad - Al Rashid, Baghdad - Kadhimiya, Baghdad - Karadah, Baghdad - Karkh, Baghdad - Mansour, Baghdad - Rusafa, Baghdad - Sadr City, Baghdad International Airport, Madain, Nahrawan, Taji, Zawbaa.

Dem Country Fact Sheet Iraq 2019 der IOM zufolge führt die irakische Regierung Berufsbildungsprogramme durch, um die Arbeitslosigkeit zu senken, das Qualifikationsniveau zu heben und „den Bedarf des entstehenden Privatsektors“ zu decken. Rückkehrer können beim Ministerium für Arbeit und Soziales Unterstützung beantragen; hierzu müssen sie ihre Identitätskarte und ihre Lebensmittelkarte sowie verschiedene andere Dokumente vorlegen, um sich beim Ministerium registrieren zu lassen (EASO, Irak, Zentrale sozioökonomische Indikatoren für Bagdad, Basra und XXXX , Sept 2020).

Im November 2019 berichtete REACH über offizielle Pläne und Strategien für den Schutz und die Förderung der Beschäftigung von Frauen. Hierzu zählten der nationale Aktionsplan für die Umsetzung der Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die nationale Strategie zur Verbesserung des Status irakischer Frauen für den Zeitraum 2014 bis 2018 und das irakische Arbeitsgesetz aus dem Jahr 2015. REACH gelangte zu dem Schluss, das ungeachtet dieser Bemühungen insbesondere im Privatsektor erhebliche Diskrepanzen bei der Umsetzung dieser Strategien zu beobachten waren. Im nationalen Entwicklungsplan 2018–2022 des Irak wurden zahlreiche Probleme genannt, die einer wirksamen Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt entgegenstehen. Hierzu zählten die „unzureichende Durchführung der Gesetze zur Befähigung von Frauen zur Selbstbestimmung“ aufgrund gesellschaftlicher und kultureller Faktoren, die Abschaffung der Ministerien für Frauen und Menschenrechte und die zahlreichen gegen das Personenstandsgesetz verstoßenden Praktiken, wie beispielsweise die Kinderehe. Als weitere Hindernisse für die Beschäftigung von Frauen wurden die unzureichende Berücksichtigung geschlechterspezifischer Aspekte im Staatshaushalt, die Diskriminierung von Frauen im Zusammenhang mit ihren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rollen, die steigende Zahl der Witwen und Waisen sowie das niedrige Bildungsniveau und die unzureichenden Qualifikationen von Frauen genannt.

Zu den im Plan festgelegten Zielsetzungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Frauen zählten unter anderem die Steigerung der Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und die Erleichterung der Kreditaufnahme.

Mit Blick auf den Privatsektor wurde das Ziel vorgegeben, die Vergabe von Kleinkrediten an Frauen zu fördern und verstärktes Augenmerk auf die Durchführung des Frauen betreffenden Kapitels des irakischen Arbeitsgesetzes Nr. 37/2015 zu legen. Die UNAMI stellte fest, dass sich Faktoren wie Gewalt, Unsicherheit, die gesellschaftlichen Ansichten über Frauen und die unzureichende Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben nachteilig auf „die Rolle der irakischen Frauen beim Wiederaufbau des Landes“ ausgewirkt haben. Darüber hinaus waren irakische Frauen in der Regel stark von der unzuverlässigen Stromversorgung betroffen, die „das Einkommen und die Produktivität der von Frauen geführten kleinen Unternehmen beeinträchtigt und [...] Frauen davon abhält, sich weiterzubilden oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen“. In einer von der Weltbank in der RKI durchgeführten Erhebung gaben mehr als 70 % der befragten Männer und Frauen an, dass die Beschäftigung von Frauen im Privatsektor akzeptabel sei. Zudem erklärten mehr als 50 % der befragten arbeitslosen Frauen, arbeiten zu wollen. Was die Art der Beschäftigung betrifft, so waren in der Stadt XXXX 82,3 % der erwerbstätigen Frauen im öffentlichen Sektor und 10,5 % im privaten Sektor beschäftigt, 2,9 % waren selbstständig und 1,9 % verdienten ihren Lebensunterhalt als Tagelöhnerinnen. Dem Ausblick 2020 für die RKI zufolge sind etwa 80 % der erwerbstätigen Frauen in der RKI im öffentlichen Sektor beschäftigt. Weiter wurde eingeräumt, dass „kulturelle Aspekte den gleichberechtigten Zugang von Frauen zu Ressourcen und Führungspositionen in der Gesellschaft nach wie vor einschränken“. Dem Ausblick zufolge gab die Mehrheit der Frauen in der RKI an, nicht über die für eine Beschäftigung erforderliche Qualifikation zu verfügen. Als Zielsetzung für die KRG wurde festgelegt, „das Geschlechtergefälle bei der Lese- und Schreibkompetenz und den Schulbesuchsquoten zu verringern“ und „die Gleichberechtigung der Frauen bei allen gesellschaftlichen Aktivitäten zu gewährleisten“ (EASO, Irak, Zentrale sozioökonomische Indikatoren für Bagdad, Basra und XXXX , Sept 2020).

Stammeszugehörigkeit – sonstige Unterstützungsnetzwerke:

Im Irak gibt es ungefähr 150 Stämme, die unterschiedlich groß und einflussreich sind. Die traditionellen Stammesstrukturen im Irak sind grds. durch gesellschaftliche und politische Loyalitäten bestimmt. Irakische Stämme sind soziale Institutionen, die ihren Mitgliedern helfen können Arbeit zu finden, sich staatliche Dienstleistungen zu sichern, und sie vor externen Bedrohungen schützen. Solidarität, Loyalität und Schutz gehen jedoch auch mit Verpflichtungen gegenüber dem Stamm einher. Stämme haben ihre eigenen Mechanismen der Konfliktregelung (innerhalb des Stammes und zwischen zwei oder mehreren Stämmen) und eigene Konzepte von Ehre, Versöhnung und Reintegration (BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Stammeszugehörigkeit, Stammesausschluss, Strafe wegen Alkoholverkauf, 7. November 2018 (https://www.ecoi.net/en/file/local/1450510/5818_1542179189_irak-mr-min

stammeszugehoerigkeit-stammesausschluss-strafe-wegen-alkoholverkaufs-2018-11-07-ke.doc).

In einer Anmerkung zu dem 2019 veröffentlichten Bericht des EASO über die zentralen sozioökonomischen Indikatoren im Irak erklärte Dr. Chatelard, dass Patronage oder Klientelismus eine strukturierende Kraft in der irakischen Gesellschaft ist und die Inanspruchnahme nichtstaatlicher Unterstützungsnetzwerke die häufigste Bewältigungsstrategie darstellt, die sich alle Schichten der Bevölkerung zu eigen machen, um Zugang zu sozialem Schutz und wirtschaftlichen Ressourcen zu erhalten. Aufgrund des Fehlens von Rechtsstaatlichkeit und eines gerechten Systems für die Verteilung öffentlicher Güter (einschließlich der Gewährleistung der persönlichen Sicherheit) erfordert der Zugang zu diesen Gütern die Vermittlung politischer Machthaber, religiöser Persönlichkeiten und anderer einflussreicher Personen, die die Interessen ihrer Anhängerschaft vertreten und als Gegenleistung Loyalität einfordern. „Familiäre Bindungen (die sich auf Stammesebene fortsetzen), Verbindungen innerhalb der Religionsgemeinschaften, politischen Parteien, bewaffneten Gruppen oder Milizen sowie alle anderen Beziehungen, die Menschen mit einem gewissen Maß an Vertrauen (zu Nachbarn, Arbeitskollegen, früheren Klassenkameraden oder Angehörigen der ethnisch-religiösen Gemeinschaft) aufbauen, können genutzt werden, um eine Stelle zu finden, Verwaltungsverfahren zu vereinfachen, einen Antrag auf Sozialhilfe zu beschleunigen, Zugang zu einer besseren Gesundheitsversorgung zu erhalten, sich Geld zu leihen usw.“

„Wasta“ ist ein System, bei dem „unterschiedliche Akteure, die außerhalb des formalen politischen Systems Einfluss ausüben, wie etwa Geschäftsleute, in die Regierungsführ

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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