TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/22 W145 2243958-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.12.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

22.12.2021

Norm

ASVG §360b
ASVG §410
AVG §62 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W145 2243958-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela HUBER-HENSELER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , SVNR XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Wien, vom 08.01.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 17.07.2019, GZ XXXX , hat die Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Wien, (im Folgenden: belangte Behörde) den Antrag von XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer), SVNR XXXX , vom 09.04.2018 auf Gewährung einer Invaliditätspension abgelehnt, weil Invalidität dauerhaft nicht vorliege. Die belangte Behörde führte aus, dass vorübergehende Invalidität im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten ab 1. Mai 2018 vorliege. Daher sei als medizinische Maßnahme der Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers der weitere Krankheitsverlauf abzuwarten. Infolge des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers sind berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig und zumutbar. Ab dem 1. Mai 2018 bestehe für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.

2. Mit verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 08.01.2020 erließ die belangte Behörde neuerlich einen Bescheid in dem der Spruch des Bescheides vom 17.07.2019 von „Ab dem 1. Mai 2018 besteht für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung“ auf „Es besteht kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der österreichischen Krankenversicherung“ richtigstellte.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Berichtigung von Schreib- und Rechenfehlern oder diesen gleichzuhaltenden, offenbar auf einem Versehen oder ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützen Datenverarbeitungsanlage beruhenden Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen vorgenommen werden könne. Bei der Ausfertigung des Bescheides vom 17.07.2019 sei ein Schreibfehler unterlaufen, der hiermit richtiggestellt werde.

3. Mit Schreiben vom 29.01.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und führte aus, dass er aus gesundheitlichen Gründen arbeitsunfähig sei und in Deutschland EUR 145,00 Erwerbsminderungsrente bekomme, die ihm nicht reiche. Er habe die österreichische Staatsbürgerschaft und habe da in verschiedenen Zeiträumen gearbeitet.

4. Im Akt findet sich ein Schreiben vom 09.06.2020 mit der Bezeichnung „Beschwerdevorlage“.

5. Die Aktenvorlage erfolgte tatsächlich erst am 01.07.2021 samt einer Stellungnahme, in der die belangte Behörde ausführt, dass mit Bescheid vom 17.07.2019 ausgesprochen worden sei, dass aufgrund des Antrages vom 09.04.2018 auf Gewährung einer Invaliditätspension vorübergehende Invalidität im Ausmaß von voraussichtlich mindestens 6 Monaten ab 01.05.2018 bestehe. Daher habe der Beschwerdeführer Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation zur Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit.

Im Zuge der Erstellung des Bescheides sei es zu einem offenkundigen Schreibfehler gekommen, zumal einem Versicherten, der im Ausland lebe, dort eine Pensionsleistung beziehe und daher dort der Krankenversicherung unterliege, keinen Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe.

Auf das Ersuchen der zuständigen Gebietskrankenkasse zur Anmeldung an die Krankenversicherung sie diese informiert worden, dass eine Anmeldung nicht erfolgen könne, da der Beschwerdeführer eine Pensionsleistung in Deutschland beziehe. Aufgrund dieser Anfrage sei festgestellt worden, dass bei der Erstellung des Bescheides ein Schreibfehler erfolgt sei, welcher mittels gegenständlichem Bescheid berichtigt worden sei.

Ein Schreib- oder Rechtschreibfehler im obigen Sinn kann auch Folge einer unrichtigen Auszeichnung eines Erfassungsbescheides oder einer falschen Eingabe und nicht nur eines Programmes oder technischen Fehlers einer automationsunterstützen Datenverarbeitungsanlage sein. Dieser Fehler sei offenkundig, da dies der Rechtsansicht der belangten Behörde widersprechen würde, die vertreten werde. Die belangte Behörde vertrete, wie bisher, dass auch in diesem Fall kein Naheverhältnis zu Österreich gegeben ist, da der Beschwerdeführer im Ausland lebe, eine Pensionsleistung im Ausland beziehe und daher auch der ausländischen Krankenversicherung unterliege und somit insgesamt kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld habe.

6. Mit Schreiben vom 02.07.2021 an die belangte Behörde ersuchte die zuständige Gerichtsabteilung um Nachreichung der fehlenden Aktenunterlagen, da lediglich der Bescheid vom 08.01.2020 vorgelegt wurde.

7. Mit E-Mail vom 07.07.2021 an die belangte Behörde wurde betreffend der Aktenvorlage urgiert.

8. Mit Schreiben vom 27.07.2021 an die belangte Behörde erging eine weitere Urgenz mit dem Ersuchen um dringende Nachreichung der fehlenden Aktenunterlagen.

9. Mit Äußerung vom 02.08.2021 legte die belangte Behörde ein Schreiben an die (vormals:) Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Wien) vom 08.11.2019 sowie eine Mitteilung über die Rentengewährung der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd vom 31.01.2019 vor.

10. Mit Schreiben vom 03.08.2021 erging mit einem Schreiben an die belangte Behörde die Aufforderung, den Bescheid vom 17.07.2019 samt Zustellnachweis, sowie die Beschwerde vom 29.01.2020 samt Nachweis über die Einbringung und Eingangsvermerk der belangten Behörde vorzulegen.

11. Mit Schriftsatz vom 05.08.2021 legte die belangte Behörde die angeforderten Unterlagen vor und führte aus, dass Bescheide aus Kostenersparnisgründen ohne Zustellnachweis übermittelt werden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die belangte Behörde hat am 17.07.2019 zum Aktenzeichen XXXX einen Bescheid an den Beschwerdeführer adressiert mit folgendem Inhalt erlassen:

„Ihr Antrag vom 09. April 2018 auf Gewährung einer Invaliditätspension wird abgelehnt, weil Invalidität nicht dauerhaft vorliegt.

Vorübergehende Invalidität im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten liegt ab 1. Mai 2018 vor. Daher ist als medizinische Maßnahme der Rehabilitation zur Wiederherstellung Ihrer Arbeitsfähigkeit der weitere Krankheitsverlauf abzuwarten.

Infolge Ihres Gesundheitszustandes sind berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig und zumutbar.

Ab dem 1. Mai 2018 besteht für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.

Rechtsgrundlage:  Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG)

§§ 253e, 253f, 254, 255, 255b, 367

Begründung

Anspruch auf Invaliditätspension hat die versicherte Person unter anderem, wenn die Invalidität auf Grund des körperlichen oder geistigen Zustandes dauerhaft vorliegt und kein Anspruch auf zumutbare und zweckmäßige berufliche Maßnahmen der Rehabilitation besteht.

Als invalid gilt eine versicherte Person,

1.       Sofern diese nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war und infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das eine körperlich und geistig gesunde versicherte Person regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt oder

2.       Wenn die versicherte Person

a)       das 50. Lebensjahr vollendet hat,

b)       mindestens zwölf Monate unmittelbar vor dem Stichtag als arbeitslos gemeldet war,

c)       mindestens 360 Versicherungsmonate, davon mindestens 240 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit, erworben hat und

d)       nur mehr Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet sind, ausüben kann und zu erwarten ist, dass ein Arbeitsplatz in einer der physischen und psychischen Beeinträchtigung entsprechenden Entfernung von seinem Wohnort innerhalb eines Jahres nicht erlangt werden kann.

Stichtag ist der 1. Mai 2018.

Das durchgeführte Verfahren ergab auf Grund der ärztlichen Gutachten zusammenfassend folgende maßgebliche Diagnose:

Rezidivierend depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig Episode

Somatisierungsstörung

Nach dem Ergebnis der vorgenommenen ärztlichen Begutachtung sind Sie auf Grund Ihres Gesundheitszustandes vorübergehend nicht imstande, eine Tätigkeit nach Punkt 1 weiterhin auszüben.

Invalidität in Verbindung mit Punkt 2 liegt nicht vor.

Zur Besserung Ihres Gesundheitszustandes und damit zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sind medizinische Maßnahmen der Rehabilitation zweckmäßig und notwendig.

Da vorübergehend Invalidität voraussichtlich im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nicht zweckmäßig und zumutbar sind, haben Sie für die Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld.

Die Feststellung der Höhe des Rehabilitationsgeldes sowie die Auszahlung obliegen dem zuständigen Krankenversicherungsträger.

Sie sind verpflichtet bei der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen entsprechend mitzuwirken. Verweigern Sie die Mitwirkung, so ist das Rehabilitationsgeld trotz weiterhin vorliegender Invalidität zu entziehen.“

1.2. Gegen den Bescheid wurde kein Rechtsmittel erhoben und dieser wurde rechtskräftig.

1.3. Die belangte Behörde hat am 08.01.2020 zur Aktenzahl XXXX einen weiteren Bescheid mit folgendem Inhalt erlassen:

„Der Spruch des Bescheides vom 17. Juli 2019 wird von

Ab dem 1. Mai 2018 besteht für die weitere Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.

auf

Es besteht kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der österreichischen Krankenversicherung.

richtig gestellt.

Rechtsgrundlagen:  Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG)

§ 360b

Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG)

§ 62 Abs. 4

Begründung

Die Berichtung von Schreib- und Rechenfehlern oder diesen gleichzuhaltenden, offenbar auf einem Versehen oder ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhenden Unrichtigkeiten in Bescheiden kann jederzeit von Amts wegen vorgenommen werden.

Bei der Ausfertigung des Bescheides vom 17. Juli 2019 ist ein Schreibfehler unterlaufen, der hiermit richtig gestellt wird.“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Ausführungen zum Verfahrensgang und zu den Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

2.2. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag, oder wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Nach der Rechtsprechung des EGMR kann eine mündliche Verhandlung in Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK unterbleiben, wenn besondere beziehungsweise außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (vgl. EGMR 05.09.2020, Speil/Österreich, Appl. 42057/98, VwGH 17.09.2009, 2008/07/0015). Derartige außergewöhnliche Umstände hat der EGMR etwa bei Entscheidungen über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, die ausschließlich rechtliche oder in hohem Maße technische Fragen aufwerfen, als gegeben erachtet. Hier kann das Gericht unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Verfahrensökonomie und Effektivität von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn der Fall auf Grundlage der Akten und schriftlichen Stellungnahmen der Parteien als angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Fall Döry, Appl. 28.394/95, Z 37 ff.; EGMR 8.2.2005, Fall Miller Appl. 55. 853/00).

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von der Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und der Entfall der mündlichen Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. NR. 219/1985, noch Art. 47 der Charte der Grundrechte der Europäischen Union, Abl. Nr. 83 vom 30.03.2010, S. 389 entgegenstehen. Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache mehr zu erwarten war und sich der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als hinreichend geklärt darstellte. Der Sachverhalt war weder in wesentlichen Punkten als ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Es wurden keine Rechts- und Tatfragen aufgeworfen, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. ua VwGH 18.06.2012, B 155/12m, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist).

Dem Entfall der mündlichen Verhandlung stehen weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Bescheide einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Nach Art. 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat – vorliegend die Pensionsversicherungsanstalt.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. In Ermangelung einer entsprechenden Anordnung der Senatszuständigkeit liegt im gegenständlichen Fall Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.3. § 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang fest und beschränkt diesen insoweit, als das Verwaltungsgericht (bei Bescheidbeschwerden) prinzipiell (Ausnahme: Unzuständigkeit der Behörde) an das Beschwerdevorbringen gebunden ist (vgl. Fister/Fuchs/Sache, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, Anm. 1 zu § 27 VwGVG). Konkret normiert die zitierte Bestimmung: „Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.“

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG. Die vorliegend relevanten Abs. 1 und 2 dieser Bestimmung lauten wie folgt:

„§ 28 (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. „

Gegenständlich steht der maßgebliche Sachverhalt im Sinne von § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG fest. Das Bundesverwaltungsgericht hat folglich in der Sache selbst zu entscheiden.

3.4. Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Gemäß § 62 Abs. 4 AVG kann die Behörde Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen berichtigen.

Offenbar auf einem Versehen beruht eine Unrichtigkeit, wenn sie für alle Parteien klar erkennbar ist und von der Behörde bei entsprechender Aufmerksamkeit bereits bei der Bescheiderlassung hätte vermieden werden können. Es kommt dabei letztlich auch auf den Inhalt der übrigen Bescheidteile (z.B. Begründung) bzw. auf den Akteninhalt an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 1986, Zl. 86/10/0143). (VwGH v. 14.09.1993, Zl. 90/07/0152).

In Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11 (2019) RZ 449 wird ausgeführt, dass nach der Jud eine Unrichtigkeit „offenbar auf einem Versehen“ beruht, wenn sie für die Partei – bei Mehrparteienverfahren: allen Parteien – „klar erkennbar“ ist und von der Behörde bei entsprechender Aufmerksamkeit bereits bei der Bescheiderlassung hätte vermieden werden können.

In einem weiteren Erkenntnis vom 21.02.1995, Zl. 95/07/0010 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass einem Berichtigungsbescheid nur feststellende, nicht jedoch rechtsgestaltende Wirkung zukommt. Seine Funktion erschöpft sich ausschließlich in der Feststellung des tatsächlichen Inhaltes des berichtigten Bescheides schon zum Zeitpunkt seiner in berichtigungsbedürftiger Form erfolgten Erlassung. Einem solchen Verständnis vom Wesen des Berichtigungsbescheides entspricht die ständige Rechtsprechung des VwGH des Inhalts, dass ein Berichtigungsbescheid mit dem von ihm berichtigten Bescheid eine Einheit bildet, sodass der berichtigte Bescheid iSd Berichtigungsbescheides in dem Zeitpunkt als geändert angesehen werden muss, in dem er in Rechtskraft erwachsen ist (Hinweis E 31.3.1960, 1646/59, VwSlg 5253 A71960; E 14.11.1978, 1003/76, VwSlg 9691 A71978; E 14.9.1993, 90/07/0152).

In Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahrensgesetze20 (2017) wird zu § 62 Abs. 4 AVG bei Anm. 8 ausgeführt, dass berichtigungsfähig nur – gleichgültig, ob im Spruch oder in der Begründung des Bescheides enthaltene – Fehler sind, die erkennbar nicht der behördlichen Willensbildung selbst, sondern alleine ihrer Mitteilung anhaften.

Im gegenständlichen Fall kann eindeutig nicht von einem offensichtlichen Versehen gesprochen werden. Bei dem Bescheid vom 17.07.2019 ist nicht klar, vor allem für den Beschwerdeführer erkennbar, dass die belangte Behörde einen Bescheid anderen Inhaltes erlassen wollte. Zumal auch in der Begründung der Spruch ausgeführt und erklärt wird und somit die Begründung der logische Schluss des Spruches ist. Mit Erlassung des Bescheides vom 08.01.2020 wurde die belangte Behörde rechtsgestaltend tätig, was nicht dem Sinn des § 62 Abs. 4 AVG entspricht, wonach die Behörde die Möglichkeit hat Schreib- und Rechenfehler nachträglich zu kontrollieren. Von einem Schreibfehler kann im vorliegenden Fall absolut nicht gesprochen worden.

Der Beschwerde war demnach stattzugeben und der bekämpfte Bescheid zu beheben.

3.5. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Berichtigung Erkennbarkeit Invaliditätspension Rechtsgestaltung Rehabilitationsmaßnahme Schreibfehler Versehen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W145.2243958.1.00

Im RIS seit

27.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten