TE Vfgh Beschluss 2021/6/8 G124/2020, SV 3/2020

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Veröffentlicht am 08.06.2021
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Index

19/20 Amtssitzabkommen

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
B-VG Art140a
BG über die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen §2
Amtssitzabkommen zwischen der Republik Österreich und der OPEC idF BGBl III 108/2010 Art4, Art9
PrivilegienG
AmtssitzG
VfGG §7 Abs2, §62 Abs2, §66

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung von Teilen einer Bestimmung des BG über die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen mangels Betroffenheit auf Grund Außerkrafttretens der Bestimmung; Zurückweisung eines Antrags gegen Bestimmungen des Amtssitzabkommens mit der OPEC wegen der Möglichkeit, den Gerichtsweg zu beschreiten

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, der Verfassungsgerichtshof möge

"die Wortfolge 'der internationalen Bedeutung und dem Aufgabenbereich der jeweiligen Organisation,' in §2 Abs1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1977 über die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen, […]

bestimmte Wortfolgen und Worte in Art4 Abs1 (in eventu […] den gesamten Art4) […] des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Organisation der erdölexportierenden Länder über den Amtssitz der Organisation der erdölexportierenden Länder, […] nämlich

1. im ersten Satz […]

a. das Wort: 'vollständige',

b. die Wortfolge: 'in jeder Beziehung',

2. im zweiten Satz […]

a. die Wortfolge: ' , welche mit einer der von der OPEC im Rahmen dieses Artikels erlassenen Vorschriften unvereinbar sind,' und

b. die Worte: 'solche' und 'nicht',

3. im vierten Satz […] die Wortfolge: ' , als von der OPEC seine Unvereinbarkeit mit der Vorschrift der OPEC behauptet wird', […]

[und]

[…] den gesamten Art9 […] [des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Organisation der erdölexportierenden Länder über den Amtssitz der Organisation der erdölexportierenden Länder]

[…] wegen Verfassungswidrigkeit [aufheben]" (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original).

II. Rechtslage

1. §2 Abs1 des – mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes zur Stärkung Österreichs als internationaler Amtssitz- und Konferenzstandort (Amtssitzgesetz – ASG), BGBl I 54/2021, am 1. Mai 2021 außer Kraft getretenen – Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1977 über die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen, BGBl 677/1977, idF BGBl I 135/2009 (im Folgenden: Privilegiengesetz) lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"§2. (1) Der Umfang der Privilegien und Immunitäten, der von der Bundesregierung den internationalen Organisationen und den Personen im Sinne dieses Bundesgesetzes im einzelnen eingeräumt werden kann, ist – soweit dieses Bundesgesetz nicht selbst eine genaue Umschreibung vorsieht – nach dem Sitz im In- oder Ausland, der Rechtsnatur (§1 Abs7), der internationalen Bedeutung und dem Aufgabenbereich der jeweiligen Organisation, der Art der von der zu begünstigenden Person auszuübenden Funktion, deren In- oder Ausländereigenschaft, sowie danach, ob sich eine solche Person für einen länger andauernden Zeitraum oder nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhält, zu bemessen."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Organisation der erdölexportierenden Länder über den Amtssitz der Organisation der erdölexportierenden Länder, BGBl 378/1985, idF BGBl III 108/2010 (im Folgenden: Amtssitzabkommen) lauten (die angefochtenen Wortfolgen und Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Artikel 3

(1) Die Regierung anerkennt die Exterritorialität des Amtssitzbereichs, der nach den Bestimmungen dieses Abkommens der Aufsicht und der Verfügungsgewalt der OPEC unterworfen ist.

(2) Soweit in diesem Abkommen nichts anderes vorgesehen ist und vorbehaltlich allfälliger gemäß Artikel 4 erlassener Vorschriften gelten innerhalb des Amtssitzbereichs die Gesetze der Republik Österreich.

(3) Soweit in diesem Abkommen nichts anderes vorgesehen ist, sind die innerhalb des Amtssitzbereichs gesetzten Handlungen und vorgenommenen Rechtsgeschäfte der Jurisdiktion der Gerichte oder sonst zuständigen Organe der Republik Österreich auf Grund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen unterworfen.

Artikel 4

(1) Die OPEC ist befugt, für den Amtssitzbereich geltende Vorschriften zu erlassen, um darin alle für die vollständige Wahrnehmung ihrer Funktionen in jeder Beziehung notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Gesetze der Republik Österreich, welche mit einer der von der OPEC im Rahmen dieses Artikels erlassenen Vorschriften unvereinbar sind, sind in dem Ausmaß, in dem eine solche Unvereinbarkeit gegeben ist, für den Amtssitzbereich nicht anwendbar. Jede Meinungsverschiedenheit zwischen der Republik Österreich und der OPEC darüber, ob eine Vorschrift der OPEC als im Rahmen des vorliegenden Artikels erlassenen Vorschrift der OPEC unvereinbar ist, ist unverzüglich nach dem in Artikel 29 vorgesehenen Verfahren beizulegen. Bis zu einer solchen Beilegung bleibt die Vorschrift der OPEC in Geltung und das Gesetz der Republik Österreich ist in dem Ausmaß für den Amtssitzbereich nicht anwendbar, als von der OPEC seine Unvereinbarkeit mit der Vorschrift der OPEC behauptet wird.

(2) Die OPEC wird die Regierung erforderlichenfalls von Zeit zu Zeit über die von ihr gemäß Absatz 1 erlassenen Vorschriften unterrichten.

(3) Dieser Artikel steht der angemessenen Anwendung der Feuerschutz- bzw Gesundheitsvorschriften der zuständigen österreichischen Behörden nicht entgegen.

Artikel 5

(1) Der Amtssitzbereich ist unverletzlich. Kein Funktionär oder Beamter der Republik Österreich noch irgendeine in der Republik Österreich Hoheitsrechte ausübende Person darf den Amtssitzbereich betreten, um dort Amtshandlungen zu setzen, außer mit Zustimmung des Generalsekretärs und unter den von ihm festgelegten Bedingungen. Jedoch kann bei Feuer oder einer anderen Katastrophe, wenn sofortige Schutzmaßnahmen erforderlich sind, die Zustimmung des Generalsekretärs vermutet werden.

(2) Gerichtliche Vollzugshandlungen, einschließlich der Beschlagnahme privaten Eigentums, dürfen im Amtssitzbereich nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Generalsekretärs und unter den von ihm festgelegten Bedingungen stattfinden.

Artikel 6

(1) Die zuständigen österreichischen Behörden werden entsprechende Vorsorge treffen, um zu gewährleisten, daß die Ruhe im Amtssitzbereich nicht durch Personen oder Personengruppen gestört wird, die ihn ohne Erlaubnis zu betreten versuchen oder in der unmittelbaren Umgebung des Amtssitzbereiches Unruhe stiften; sie werden ferner an den Grenzen des Amtssitzbereiches den zu diesem Zweck erforderlichen Polizeischutz beistellen.

(2) Wenn dies vom Generalsekretär gewünscht wird, so werden die zuständigen österreichischen Behörden eine ausreichende Zahl von Polizisten zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Amtssitzbereich beistellen.

(3) Die zuständigen österreichischen Behörden werden alle entsprechenden Vorkehrungen treffen, um zu gewährleisten, daß die durch die örtlichen Gegebenheiten bedingten Vorteile des Amtssitzbereiches nicht beeinträchtigt werden und die Erfüllung der Aufgaben, denen der Amtssitzbereich dient, nicht durch irgendeine Verwendung der Grundstücke oder der Gebäude in der Umgebung derselben erschwert wird. Die OPEC wird ihrerseits alle entsprechenden Vorkehrungen treffen, um zu gewährleisten, daß die durch die örtlichen Gegebenheiten bedingten Vorteile der in der Umgebung des Amtssitzbereiches liegenden Grundstücke nicht durch irgendeine Verwendung des Geländes oder der Gebäude des Amtssitzbereiches beeinträchtigt werden.

Artikel 7

Die Regierung anerkennt die Rechtspersönlichkeit der OPEC und im besonderen ihre Fähigkeit:

a) Verträge zu schließen;

b) bewegliches und unbewegliches Eigentum zu erwerben und darüber zu verfügen;

und

c) gerichtliche Verfahren anhängig zu machen.

Artikel 8

Die Regierung anerkennt das Recht der OPEC, in ihrem Amtssitzbereich oder, mit Zustimmung der Regierung, sonstwo in der Republik Österreich Tagungen einzuberufen.

Artikel 9

Die OPEC und ihr Eigentum, wo immer es liegt und in wessen Händen es sich befindet, ist von jeglicher Jurisdiktion befreit, es sei denn, daß die OPEC in einem besonderen Fall ausdrücklich auf ihre Immunität verzichtet hat. Es besteht jedoch Einverständnis, daß der Verzicht sich nicht auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erstrecken kann.

Artikel 10

Das Eigentum der OPEC, wo immer es liegt und in wessen Händen es sich befindet, ist vor jeder Durchsuchung, Requisition, Beschlagnahme, Enteignung oder sonstigen Form von Zwangsmaßnahmen der Vollzugs-, Verwaltungs-, Gerichts- oder gesetzgebenden Behörden geschützt.

Artikel 11

Die Archive der OPEC sind unverletzlich, wo immer sie sich befinden.

Artikel 28

Der Generalsekretär trifft alle Vorkehrungen dafür, daß mit den im Rahmen dieses Abkommens gewährten Privilegien oder Immunitäten kein Mißbrauch getrieben wird. Falls die Regierung der Ansicht ist, daß mit den im Rahmen dieses Abkommens gewährten Privilegien oder Immunitäten Mißbrauch getrieben wurde, wird der Generalsekretär über Ersuchen mit dem Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Österreich Rücksprache pflegen, um festzustellen, ob ein solcher Mißbrauch vorliegt. Führen derartige Rücksprachen innerhalb eines angemessenen Zeitraumes zu keinem für die Regierung und den Generalsekretär befriedigenden Ergebnis, dann kann die Angelegenheit von jeder Partei einem aus drei Schiedsrichtern zusammengesetzten Schiedsgericht zur endgültigen Entscheidung unterbreitet werden; von diesen ist einer vom Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Österreich, einer vom Generalsekretär und der dritte, der als Vorsitzender des Schiedsgerichtes fungieren soll, von den beiden ersten Schiedsrichtern auszuwählen. Falls sich das Schiedsgericht nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt des Antrages, die Streitigkeit einem schiedsrichterlichen Spruch zu unterwerden, konstituiert, wird die Ernennung der noch nicht bestimmten Schiedsrichter auf Ersuchen der Regierung oder der OPEC vom Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes vorgenommen.

Artikel 29

Alle zwischen der Regierung und der OPEC über die Auslegung oder Anwendung dieses Abkommens entstehenden Streitigkeiten sind auf Antrag einer der beiden Parteien einem schiedsrichterlichen Spruch zu unterbreiten. Das Schiedsgericht besteht aus drei Schiedsrichtern; von diesen ist einer vom Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Österreich, einer vom Generalsekretär und der dritte, der als Vorsitzender des Schiedsgerichtes fungieren soll, von den beiden ersten Schiedsrichtern auszuwählen. Falls sich das Schiedsgericht nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt des Antrages, die Streitigkeit einem schiedsrichterlichen Spruch zu unterwerfen, konstituiert, wird die Ernennung der noch nicht bestimmten Schiedsrichter auf Ersuchen der Regierung oder der OPEC vom Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes vorgenommen.

Artikel 30

(1)–(2) […]

(3) Beratungen über die Abänderung dieses Abkommens werden über Ersuchen der Regierung oder der OPEC aufgenommen. Jede derartige Abänderung erfolgt im gegenseitigen Einvernehmen.

(4) Die Auslegung dieses Abkommens hat im Geiste seines obersten Zieles zu erfolgen, das darin besteht, die OPEC in die Lage zu versetzen, an ihrem Amtssitz in der Republik Österreich die ihr gestellten Aufgaben voll und ganz zu erfüllen und ihrer Zweckbestimmung nachzukommen."

3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Personalstatutes der OPEC in der von der 46. (außerordentlichen) Sitzung des Board of Governors im April 1978 genehmigten Form, einschließlich der Änderungen bis zur 142. Sitzung des Board of Governors im Mai 2014 (im Folgenden: OPEC-Personalstatut), lauten in der englischen Fassung:

"CHAPTER XI

TERMINATION OF SERVICE

Article 11.14

Termination Indemnities

a) Where the termination of an appointment in accordance with these Regulations entails payment of termination indemnities other than those covered by Article 8.2 and Annex III, or in other unforeseen and compelling circumstances, not provided for in these Regulations, termination indemnities in accordance with the scale below shall be paid by the Organization:

Completed years Amount of indemnity in terms of service       months of net salary:

                                                             Categories I and II

1                                                           1

2                                                          2

3                                                          4

4                                                          6

5 and over 8

For the purpose of calculating the indemnity for fractions of a year, the number of days worked beyond the previous anniversary shall be taken into account and shall be multiplied by 1/360 of the amount which would have been added at the next anniversary of appointment.

b) lndemnities expressed in terms of time shall not be considered period of service for the calculation of other benefits, and shall be paid as a lump sum when due. They shall be calculated on the basis of the salary of the Staff Member concerned at the time of termination of appointment.

CHAPTER XII

COMMITTEES

Article 12.1

Personnel Committee

a) A Personnel Committee shall be established by the Secretary General to perform the functions specified in Annex I and to hear complaints and appeals under the provisions of Articles 13.1 and 13.2.

b) The Personnel Committee shall consist of the Director of the Research Division, all Heads of Departments, the Head, Human Resources Section, and the General Legal Counsel. The Director of the Research Division, and in his/her absence the most senior Head of Department, shall act as Chairman. If a Comittee Member is unable to attend a meeting, he/she may deputise a senior member of his/her Department or Division to represent him/her.

c) The Personnel Committee will normally meet six times a year at intervals of two months, but may be convened at other times if needed.

d) The procedures and responsibilities of the Committee are described in Annex I and Articles 13.1 and 13.2.

CHAPTER XIII

COMPLAINTS AND APPEAL

Article 13.1

Complaints and Appeal

Any complaints by a Staff Member who thinks that he/she has been unfairly treated as regards the application of the provisions of these Regulations or the terms and conditions of his/her employment, or that he/she has been subjected to unjustifiable treatment by his/her superior, may be submitted to the Secretary General, copy to the superior and to the Director, Support Services Division within three months from the date of such treatment. The Secretary General may refer the complaint to the Personnel Committee for observation and report. The Secretary General shall take appropriate measures within three months.

Article 13.2

Procedures of the Personnel Committee

a) The Committee shall be convened by the Chairman within 15 days of the matter having been referred to it. Where the appeal is against a decision made by a member of the Committee, that member shall not be present at the proceedings.

b) When the Committee considers a case it shall hear the Staff Member or the person presenting the case on his/her behalf and/or shall consider correspondence and documents submitted by either party. lt shall have the authority to call upon any Member of the Secretariat who may be able to provide information relevant to the issue before it.

c) The Committee shall by unanimity or by majority vote, adopt and submit a report to the Secretary General. This report should contain a summary of the matter, as well as the Committee's opinion and shall constitute the record of proceedings.

A dissenting member may, if he/she so requests, have his/her opinion recorded in the report."

4. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom 1. August 1895, über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdiktionsnorm – JN), RGBl. 111/1895, idF BGBl I 148/2020 lauten wörtlich wie folgt:

"Prüfung der Zuständigkeit.

§. 41.

(1) Sobald eine Rechtssache der streitigen oder freiwilligen Gerichtsbarkeit bei einem Gerichte anhängig wird, hat dasselbe seine Zuständigkeit von amtswegen zu prüfen.

(2)–(3) […]

§. 42.

(1) Ist die anhängig gewordene Rechtssache der inländischen Gerichtsbarkeit oder doch den ordentlichen Gerichten entzogen, so hat das angerufene Gericht in jeder Lage des Verfahrens seine Unzuständigkeit und die Nichtigkeit des vorangegangenen Verfahrens sofort durch Beschluß auszusprechen; dies gilt nicht, wenn das Fehlen der inländischen Gerichtsbarkeit nach §104 geheilt ist. Das Gleiche hat seitens der Gerichte höherer Instanz zu geschehen, wenn der Mangel erst hier offenbar wird.

(2) Ist eine Rechtssache auf Grund einer Immunität der inländischen Gerichtsbarkeit oder doch den ordentlichen Gerichten entzogen und wird ein solcher Mangel erst nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens offenbar, so ist auf Antrag der obersten Verwaltungsbehörde vom Obersten Gerichtshof die Nichtigkeit des durchgeführten gerichtlichen Verfahrens auszusprechen.

(3)–(4) […]"

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Antragstellerin sei am 16. November 2009 in ein befristetes Dienstverhältnis als Statistikerin mit der Organisation der erdölexportierenden Länder (im Folgenden: OPEC) eingetreten. Nach Beförderung zur "Senior Statistician" und Verlängerung ihres Dienstvertrages um zwei Jahre im Jahr 2014 sei die Antragstellerin zwischen September 2014 und Juni 2016 anhaltenden Belästigungen und Einschüchterungen am Arbeitsplatz (Mobbing) durch zwei Vorgesetzte ausgesetzt gewesen, die auch auf den Umständen gegründet gewesen seien, dass sie eine Frau und nicht-muslimischen Glaubens sei.

Im November 2015 beginnende Versuche der Antragstellerin, im Rahmen der OPEC Abhilfe gegen das zunehmend als belästigend und einschüchternd empfundene Arbeitsklima zu schaffen, seien erfolglos gewesen. Unter anderem sei eine der beiden Personen, von der sich die Antragstellerin belästigt gefühlt habe, zum Leiter der betreffenden Untersuchung bestellt worden. Eine von der Antragstellerin im Februar 2016 gemäß Art13.1 OPEC-Personalstatut erhobene Beschwerde an den Generalsekretär der OPEC habe zur Einsetzung eines neuen Ermittlungsteams und zur Versetzung der Antragstellerin in die Abteilung "Energy Studies" geführt. Ein vom Ermittlungsteam erstellter Bericht sei der Antragstellerin nicht zur Kenntnis gebracht worden. Im Juni 2016 habe sie vom Generalsekretär der OPEC einen Brief erhalten, in dem dieser den Beschwerdeeingang bestätigt und der Antragstellerin mitgeteilt habe, dass ihr Verhalten als beleidigend und unkooperativ gegenüber ihren beiden Vorgesetzten angesehen werde. Ende September 2016 habe der neue OPEC-Generalsekretär entschieden, "den Fall […] zu schließen".

Nachdem ihr Vertrag zuvor bis zum 15. Dezember 2016 und im Anschluss bis zum 15. Jänner 2017 verlängert worden sei und der Leiter der Abteilung "Energy Studies" dem Personalausschuss unter Verweis auf die guten Leistungen der Antragstellerin die Entfristung ihres Dienstverhältnisses empfohlen habe, habe sich der Personalausschuss am 7. Dezember 2016 knapp gegen die Verlängerung des Dienstverhältnisses der Antragstellerin ausgesprochen. An der Sitzung des Personalausschusses habe einer der beiden Vorgesetzten, gegen die die Antragstellerin die Beschwerde eingebracht hatte, als stimmberechtigtes Mitglied teilgenommen. Am 21. Dezember 2016 sei der Antragstellerin schriftlich mitgeteilt worden, dass ihr befristeter Vertrag gekündigt werde und am 31. Dezember 2016 ende, weil der Generalsekretär beschlossen habe, der Empfehlung des Personalausschusses zu folgen.

Versuche der Antragstellerin, Informationen zu ihren Ansprüchen nach Art11.14 OPEC-Personalstatut, insbesondere hinsichtlich der ihr zustehenden Abfertigung, zu erlangen, seien von der Personalabteilung der OPEC mit dem Argument abgelehnt worden, dass der Arbeitsvertrag der Antragstellerin abgelaufen wäre und ein Anspruch nach Art11.14 OPEC-Personalstatut demnach nicht bestehe. Weitere Anfragen der Antragstellerin seien unbeantwortet geblieben.

Mit einer gemäß Art13.1 OPEC-Personalstatut an den Generalsekretär der OPEC gerichteten (zweiten) Beschwerde vom 13. März 2017 habe die Antragstellerin die OPEC aufgefordert,

"a. die Beendigung ihres Vertrages für diskriminierend und rechtswidrig zu erklären,

b. das Verhalten und das Verfahren der involvierten OPEC-Organe als voreingenommen, diskriminierend und im Widerspruch zu international anerkannten Normen zu erklären,

c. anstelle einer Wiederaufnahme des Verfahrens ihr aufgrund der Kündigung und Nichtaufnahme in ein unbefristetes Dienstverhältnis eine Entschädigung im Ausmaß von acht Nettomonatsgehältern einschließlich der Gehaltssteigerungsdifferenz zu leisten, die aufgrund der letzten verzerrten Leistungsbeurteilung entstanden ist, und schließlich

d. die ihr entstandenen und noch entstehenden Kosten des Rechtsstreits zu ersetzen."

Da die Beschwerde trotz Nachfrage unbeantwortet geblieben sei und ihr keine weiteren OPEC-internen Rechtsmittel zur Verfügung gestanden seien, habe sich die Antragstellerin am 3. September 2017 mit dem Ersuchen an den Leiter des Völkerrechtsbüros im Bundesministerium für Europa, Integration und Auswärtige Angelegenheiten (in der Folge: BMEIA) gewandt, geeignete Schritte zu unternehmen, um die Antragstellerin in ihren Bemühungen um Zugang zum Recht gegenüber der OPEC zu unterstützen. Am 17. Dezember 2017 habe sie eine Antwort erhalten, in der ihr nur eine Verbalnote der OPEC übermittelt worden sei, laut der die von der Antragstellerin eingereichte Belästigungsklage nach dem Streitbeilegungsmechanismus der OPEC behandelt worden sei. Am 13. März 2018 habe der Leiter des Völkerrechtsbüros im BMEIA die Antragstellerin über ein Treffen seines Büros mit Vertretern der OPEC informiert, in dessen Rahmen Letztere bestätigt hätten,

"dass alle Beschwerden in Übereinstimmung mit den internen Regelungen der OPEC behandelt werden, alle internen Rechtsbehelfe wirksam sind und die Verfahren das Erfordernis der Unabhängigkeit der Personen, die über Beschwerden entscheiden, beachten".

Nach nochmaligem Ersuchen erhielt die Antragstellerin vom Leiter des Völkerrechtsbüros des BMEIA eine schriftliche Stellungnahme vom 30. Mai 2018, wonach

"das Ministerium 'alle einem Gaststaat einer internationalen Organisation zur Verfügung stehenden Mittel in Bezug auf Beschäftigungsstreitigkeiten ausgeschöpft hat' und daher 'nicht in der Lage ist, weitere Schritte in dieser Angelegenheit zu unternehmen'".

In einem an die Bundeskanzlerin und den Bundesminister für Europa, Integration und Auswärtige Angelegenheiten der Republik Österreich adressierten Schreiben vom 5. August 2019 habe die Antragstellerin geltend gemacht, die rechtswidrige, weil elementare Grundsätze eines fairen Verfahrens missachtende, ungerechtfertigte und diskriminierende Beendigung ihres befristeten Arbeitsverhältnisses stelle einen Missbrauch der der OPEC nach dem Amtssitzabkommen gewährten Immunität dar. Die Antragstellerin habe die Bundeskanzlerin und den Bundesminister für Europa, Integration und Auswärtige Angelegenheiten ersucht, das in Art28 Amtssitzabkommen geregelte Schiedsverfahren zur Anwendung zu bringen. Im Antwortschreiben des Bundesministers für Europa, Integration und Auswärtige Angelegenheiten vom 14. August 2019 sei auf die vorangegangenen Bemühungen des Ministeriums in Gesprächen mit der OPEC verwiesen und die Einleitung eines Streitbeilegungsverfahrens nach Art28 Amtssitzabkommen abgelehnt worden.

2. Mit Eingabe vom 10. Februar 2020 stellte die Antragstellerin den vorliegenden Antrag.

2.1. Zur Zulässigkeit des Antrages führt die Antragstellerin Folgendes aus (Zitat ohne die Hervorhebungen und Verweise im Original):

"Die Antragstellerin begründet die Zulässigkeit ihres Antrags gemäß Art140a B-VG damit, dass ihr nach österreichischem Recht keine effektiven Rechtsmittel zur Verfügung stehen, um ihre in der Einleitung dieses Antrags genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte geltend zu machen. Einerseits waren ihre […] geschilderten Bemühungen vergebens, die Republik Österreich zur Einleitung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens gemäß Artikel 28 des OPEC-Personalstatuts zu bewegen. Andererseits ist die Antragstellerin der Ansicht, dass die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, des Obersten Gerichtshofs und der österreichischen Arbeitsgerichte die Einbringung einer kostenintensiven arbeitsgerichtlichen Klage nicht nur unnötig, sondern auch sinnlos und damit unzumutbar macht.

So hat der VfGH in seinem Beschluss vom 25. Februar 2016, SV2/2015-18, unter zahlreichen Verweisen auf die Literatur festgehalten: 'Der Vollzug arbeitsrechtlicher Vorschriften gehört – wie die Bundesregierung zutreffend ausführt – zum Kernbereich der Immunität internationaler Organisationen […], weshalb der Antragstellerin als Dienstnehmerin der IAEO der Rechtszug zu den innerstaatlichen Gerichten somit (nicht erst durch die angefochtene Bestimmung des Amtssitzabkommens, sondern) schon auf Grund des ArtXV A. der Statuten der IAEO verwehrt ist' […]. Im Anschluss an den zitierten Beschluss des VfGH hat der OGH in seinem Beschluss vom 18. August 2016, 9 ObA 73/16z, dessen Ansicht geteilt, dass 'die Immunität internationaler Organisationen im Rahmen ihrer funktionellen Beschränkung grundsätzlich als absolut anzusehen' ist, und dabei auf die eigene Rechtsprechung in 10 Ob 53/04y (RIS-Justiz RS0046275) verwiesen.

Schließlich hat zuletzt das Arbeits- und Sozialgericht Wien in seinem Beschluss vom 22. Mai 2019, 8 Cga 153/17b, eine Klage gegen die Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit mit im Wesentlichen folgenden Argumenten zurückgewiesen: Nach einem Vermittlungsersuchen des Gerichts an das BMVRDJ gemäß §35 Abs2 RHE Ziv 2004 erklärte die OPEC unter Verweis auf Art9 des Amtssitzabkommens der Republik Österreich mit der OPEC, nicht auf ihre Immunität verzichten zu wollen, was mit ihrer ständigen Praxis in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten übereinstimmt. Aufgrund dessen verwies das Arbeitsgericht Wien auf §42 Abs1 Jurisdiktionsnorm, wonach ein Gericht dann, 'wenn eine anhängig gewordene Rechtssache der inländischen Gerichtsbarkeit oder den ordentlichen Gerichten entzogen ist, in jeder Lage des Verfahrens seine Unzuständigkeit auszusprechen' hat. Und weiters: 'Nach Art9 des Amtssitzabkommens ist die beklagte Partei und ihr Eigentum, wo immer es liegt und in wessen Händen es sich befindet, von jeglicher Jurisdiktion befreit, es sei denn, dass die beklagte Partei in einem besonderen Fall ausdrücklich darauf verzichtet.' Diese Ausführungen entsprechen der ständigen Judikatur der österreichischen Arbeitsgerichte sowie der höchstgerichtlichen Rechtsprechung des VfGH und des OGH.

[…]

Nun könnte eingewendet werden, dass die OPEC im Fall der Antragstellerin gemäß Art9 des Amtssitzabkommens ja die Möglichkeit hätte, auf ihre Immunität zu verzichten, und die Antragstellerin aus diesem Grund eine arbeitsrechtliche Klage hätte einbringen können, die – so wie im zitierten Beschluss vom 22. Mai 2019, 8 Cga 153/17b – zu einem Vermittlungsersuchen des Gerichts an das BMVRDJ und in der Folge zu einem Immunitätsverzicht der OPEC hätte führen können. Da die OPEC – soweit ersichtlich – im Hinblick auf Art9 Amtssitzabkommen nie auf ihre Immunität verzichtet, erweist sich die Einbringung einer arbeitsgerichtlichen Klage auch in dieser Hinsicht als eine nicht effektive bzw wirksame Beschwerdemöglichkeit iSd Art6 Abs1 bzw 13 EMRK, weshalb der Antragstellerin die Beschreitung dieses Rechtswegs nicht zugemutet werden kann.

Angesichts dessen erachtete es die Antragstellerin als unzumutbar, eine arbeitsgerichtliche Klage einzubringen, die in ihrem Fall nicht nur mit hohen Gerichtsgebühren verbunden, sondern gemessen an der ständigen Rechtsprechung der österreichischen Arbeitsgerichte, des OGH und des VfGH auch aussichtslos und damit iSd Art13 EMRK in der Rechtsprechung des EGMR auch als unwirksam anzusehen gewesen wäre.

Daher ersucht die Antragstellerin, der VfGH möge ihre Anträge nach Art140 Abs1 Z1 litc B-VG sowie Art140a B-VG iVm Art140 Abs1 Z1 litc B-VG für zulässig erklären."

2.2. Ihre Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von §2 Abs1 Privilegiengesetz legt die Antragstellerin wie folgt dar:

"Die Antragstellerin erachtet sich durch die fehlende Determinierung der Begriffe 'internationale Bedeutung' und 'Aufgabenbereich der jeweiligen Organisation' und den dadurch bewirkten Verstoß gegen das Legalitätsprinzip des Art18 Abs1 B-VG in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt. […]

Die Verletzung des Determinierungsgebots des Art18 Abs1 B-VG durch die Wortfolge 'der internationalen Bedeutung und dem Aufgabenbereich der jeweiligen Organisation,' in §2 Abs1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1977 über die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen entzieht der Antragstellerin aber nicht nur das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG, sondern bewirkt darüber hinaus auch Verletzungen [näher bezeichneter weiterer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte]."

2.3. Ihre Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von (Teilen des) Art4 und Art9 Amtssitzabkommen legt die Antragstellerin wie folgt dar (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"Aus all diesen [näher bezeichneten] Gründen erhebt die Antragstellerin an die Republik Österreich den Vorwurf, bei Verhandlung und Abschluss des Amtssitzabkommens mit der OPEC, insbesondere bei Ausgestaltung der Art4 Abs1 und 9 des Abkommens, nicht auf die Umsetzung der maßgebenden Garantien der Art6 Abs1, Art8, Art13 und Art14 EMRK sowie des Art1 1. ZPEMRK geachtet, bzw nach der M. & Co.-Entscheidung der EKMR 1990, nach dem EGMR-Urteil Bosphorus 2005 oder spätestens nach der Resolution 2206 (2018) der Parlamentarische[n] Versammlung des Europarats nicht auf eine entsprechende Anpassung des Amtssitzabkommens und/oder des OPEC-Personalstatuts hingewirkt zu haben. Da auch das gemäß Art7 B-VG zu beachtende Sachlichkeitsgebot missachtet wurde, erachtet sich die Antragstellerin in allen geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten für verletzt […]."

3. Mit Verfügung vom 19. Februar 2020 wies der Verfassungsgerichtshof die Antragstellerin darauf hin, dass die Anträge entgegen §62 Abs1 VfGG "keine Ausführungen [enthielten], inwieweit das Gesetz und der Staatsvertrag ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für die Antragstellerin wirksam geworden sind." Der Verfassungsgerichtshof forderte die Antragstellerin unter Hinweis auf die Säumnisfolgen auf, diesen Mangel innerhalb von zwei Wochen zu beheben.

4. In Entsprechung des Mängelbehebungsauftrages führt die Antragstellerin in der fristgerecht beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Eingabe vom 4. März 2020 Folgendes aus (Zitat ohne die Hervorhebungen und Verweise im Original):

"1.    Zu §2 Abs1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1977 über die  Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale  Organisationen

Zwar findet §2 Abs1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1977 über die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen, BGBl Nr 677/1977 idF BGBl I Nr 135/2009, keine unmittelbare Anwendung auf gemäß Art50 B-VG abgeschlossene Staatsverträge, unter die das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Organisation der erdölexportierenden Länder über den Amtssitz der Organisation der erdölexportierenden Länder, BGBl Nr 382/1974 i.d.F. BGBl III Nr 108/2010, fällt, das die der OPEC von der Republik Österreich eingeräumte Immunität regelt. Jedoch kommt dem §2 Abs1 leg cit durchaus eine auslegungssteuernde Funktion hinsichtlich des Verständnisses der internationalen Organisationen gewährten Immunitäten zu, da von der Einheitlichkeit der Rechtsordnung auch und besonders im Hinblick auf Rechtsbegriffe und ihre Inhalte auszugehen ist.

Die Wortfolge 'der internationalen Bedeutung und dem Aufgabenbereich der jeweiligen Organisation,' in §2 Abs1 leg cit wurde für die Antragstellerin insoweit unmittelbar wirksam, als die nicht ausreichende Determinierung des Begriffs der Immunität anhand grund- und menschenrechtlicher Erwägungen, Entwicklungen, Vorgaben und Einschränkungen der Bundesregierung und dem Nationalrat keinen Anlass und keine Vorgaben geliefert hat, das 1974 abgeschlossene Amtssitzabkommen mit der OPEC entsprechend nachzubessern, wodurch einerseits der gesetzliche Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt wurde, und andererseits die Antragstellerin einer staatsvertraglichen Rechtslage ausgesetzt war, die es der OPEC ermöglichte, für ihre Bediensteten einen internen arbeitsrechtlichen 'Rechtsschutz' vorzusehen, der eklatante Missachtungen [näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte] zur Folge hatte (siehe dazu auch die Ausführungen im folgenden Punkt 2).

2.     Zum Amtssitz-Abkommen zwischen der Republik Österreich und der OPEC

Art4 des Abkommens verschafft der OPEC eine absolute funktionale Immunität der OPEC und Art9 im Hinblick auf ihr Eigentum sogar eine in jeder Hinsicht absolute Immunität, wie in Punkt III. des Antrags ('Darlegung der verfassungsrechtlichen Bedenken') ausfu?hrlich begru?ndet wird. Dies ermöglichte der OPEC in ihrem Personalstatut einen in arbeitsrechtlichen Belangen anzuwendenden Beschwerdemechanismus einzurichten, der nicht einmal annähernd den Erfordernissen eines fairen Verfahrens iSd Art6 Abs1 EMRK und eines wirksamen Rechtsschutzes iSd Art13 EMRK entspricht. Diese Rechtslage in Gestalt der Art4 und 9 des Amtssitzabkommens bewirkte daher eine unmittelbare individuelle Betroffenheit der Antragstellerin, da sie alleine aufgrund dieses Umstands von Beginn ihres Beschäftigungsverhältnisses an im Fall einer Beschwerde – zu der sie aufgrund des Verhaltens der OPEC genötigt war, wie in ihrem Antrag vom 10. Februar 2020 ausführlich schilderte und begründete – keine Chance auf ein faires Verfahren, vor allem nicht auf Entscheidung durch eine unabhängige und unparteiische Instanz hatte und auch keine wirksame Beschwerdemöglichkeit iSd Art13 EMRK vorfand. Dies mit der Folge auch einer Verletzung [näher bezeichneter] verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der Antragstellerin […].

3.     Zur Umwegsunzumutbarkeit einer arbeitsgerichtlichen Klage vor einem  österreichischen Gericht

Die vorstehenden Ausführungen der Punkte 1 und 2 zeigen, dass die zitierten Bestimmungen aufgrund der von der Republik Österreich der OPEC eingeräumten Immunität für die Antragstellerin bereits ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides wirksam geworden sind. Dieser Beurteilung steht auch die Möglichkeit nicht entgegen, eine Klage bei einem österreichischen Arbeitsgericht einzubringen, da die Rechtslage aufgrund der OPEC-Immunität eindeutig und durch die ständige Rechtsprechung der österreichischen Arbeits- und Sozialgerichte sowie des VfGH und des OGH bestätigt und verfestigt ist (siehe dazu die näheren Ausführungen in Punkt II. des Antrags). Der Antragstellerin[…] ist sohin der Zugang zu einer arbeitsrechtlichen Entscheidung in der Sache durch ein österreichisches Gericht verwehrt.

Angesichts dessen erachtete es die Antragstellerin als unzumutbar, eine arbeitsgerichtliche Klage einzubringen, die in ihrem Fall nicht nur mit hohen Gerichtsgebühren verbunden, sondern vor allem gemessen an der ständigen Rechtsprechung der österreichischen Arbeitsgerichte, des OGH und des VfGH aussichtslos und damit iSd Art13 EMRK in der Rechtsprechung des EGMR auch als unwirksam anzusehen gewesen wäre. In diesem Zusammenhang erlaubt sich die Antragstellerin, auch auf die Rechtsprechung des EGMR zu verweisen, nach der nichteffektive oder von vornherein aussichtslose innerstaatliche Rechtsbehelfe nicht ergriffen werden müssen, um eine zulässige Beschwerde an den EGMR erheben zu können (vgl dazu mit Nachweisen aus der Rechtsprechung Grabenwarter/Pabel, EMRK-Kommentar6, 2016, 70ff Rz 25 ff).

4.     Zusammenfassung

Gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH zur unmittelbaren Betroffenheit (siehe v.a. VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003, sowie VfGH Beschluss vom 6. März 2019, G318/2018-12) ist ein unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre eines Antragstellers dann anzunehmen, 'wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfu?gung steht'.

Der Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerin erfolgt unmittelbar und aktuell durch die angefochtenen Bestimmungen – insbesondere durch Art4 und 9 des Amtssitzabkommens der Republik Österreich mit der OPEC – mit der Gewährung absolut funktionaler Immunität der OPEC und absoluter Immunität im Hinblick auf das Eigentum der OPEC, die eine Zuständigkeit österreichischer Gerichte in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten ausschließt. Damit ist der Antragstellerin der Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht und einem fairen Verfahren iSd Art6 Abs1 EMRK sowie zu einer wirksamen Beschwerde iSd Art13 EMRK einschließlich des Schutzes weiterer geltend gemachter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte verwehrt, zumal der Antragstellerin aufgrund der Immunität der OPEC innerstaatlich kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des verfassungswidrigen Eingriffs zur Verfügung steht.

Zusammengefasst ersucht die Antragstellerin daher unter zusätzlichem Verweis auf die Ausführungen in ihrem Antrag vom 10. Februar 2020, der VfGH möge ihre Anträge gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG sowie Art140a B-VG iVm Art140 Abs1 Z1 litc B-VG für zulässig erklären."

5. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung des Antrages beantragt.

5.1. Die Bundesregierung hält den Antrag aus mehreren Gründen für unzulässig. Erstens sei die Antragstellerin durch §2 Privilegiengesetz nicht in ihrer Rechtssphäre berührt. Zweitens stehe ihr mit einem Verfahren vor einem Arbeitsgericht ein zumutbarer Rechtsweg offen. Drittens würde selbst bei Aufhebung bzw Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen die behauptete Verfassungswidrigkeit nicht beseitigt werden, weil die Immunität der OPEC auch völkergewohnheitsrechtlich verankert sei. Viertens sei der Anfechtungsumfang hinsichtlich Art4 Amtssitzabkommen zu eng gewählt.

5.2. In der Sache hält die Bundesregierung den Antrag für unbegründet.

5.2.1. Das Amtssitzabkommen betreffend führt die Bundesregierung insoweit Folgendes aus (Zitat ohne die Hervorhebungen und Verweise im Original):

"3.3. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR muss der alternative Rechtsschutz einer internationalen Organisation, um deren Immunität von der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit zu rechtfertigen, nicht jenes Schutzniveau erreichen, wie es Art6 EMRK für das innerstaatliche Rechtsschutzsystem verlangt.

[…]

3.4.4. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR geht die Bundesregierung daher davon aus, dass die internen Streitbeilegungsmechanismen der OPEC ein 'angemessenes anderes Mittel' im Sinne der EGMR-Rechtsprechung darstellen und das interne Rechtsschutzsystem der OPEC nicht 'offenkundig unzulänglich' im Sinne dieser Rechtsprechung ist (vgl die Zusammenfassung im erwähnten Beschluss Klausecker gg. Deutschland, in dem der EGMR ein Schiedsgericht als angemessene Alternative zum staatlichen Rechtsweg anerkannte).

3.4.5. Die Immunität der OPEC von der inländischen Gerichtsbarkeit ist daher mit Art6 EMRK vereinbar, und folglich auch mit den geltend gemachten (verfahrensrechtlichen Gewährleistungen der) Art8, 13 und 14 EMRK sowie Art1 (1.) ZPEMRK."

5.2.2. Das Privilegiengesetz betreffend führt die Bundesregierung insoweit Folgendes aus (Zitat ohne die Hervorhebungen und Verweise im Original):

"3.6.1. Soweit sich das Vorbringen der Antragstellerin gegen §2 des Privilegiengesetzes richtet, ist darauf hinzuweisen, dass das im Art18 Abs1 B-VG verankerte Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass Gesetze einen Inhalt haben müssen, durch den das Verhalten der Vollziehung vorherbestimmt ist. Es ist jedoch verfassungsgesetzlich zulässig, wenn die einfache Gesetzgebung bei der Beschreibung und Formulierung dieser Kriterien unbestimmte Gesetzesbegriffe verwendet, dadurch zwangsläufig Unschärfen in Kauf nimmt und von einer exakten Determinierung des Vollziehungshandelns Abstand nimmt, falls dies im Hinblick auf den Regelungsgegenstand erforderlich ist (vgl VfSlg 13.785/1994, 20.032/2015, 20.213/2017), und wenn der unbestimmte Gesetzesbegriff eine Sinnermittlung im Wege der Auslegung im Einzelfall gestattet, etwa mittels der Erläuterungen (vgl VfSlg 14.573/1996, Pkt. II.1.).

[…]

3.6.3. Inwiefern durch die (hier nicht anwendbare) Ermächtigung des Privilegiengesetzes ein Eingriff in Art83 Abs2 B-VG, Art6 Abs1, Art13 iVm. Art6, Art8 und Art14 EMRK sowie Art1 (1.) ZPEMR[K] erfolgen soll, wird von der Antragstellerin nicht dargetan. Daran vermag auch ihr Pauschalverweis auf die Ausführungen zu ihren Bedenken gegen Art4 und 9 des OPEC-Amtssitzabkommens nichts zu ändern. Dieses Vorbringen ist nicht nachvollziehbar."

6. Die Antragstellerin erstattete eine Replik auf die Äußerung der Bundesregierung, in der sie der Bundesregierung in der Sache entgegentritt und Näheres zur Zulässigkeit des Antrages ausführt.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist also, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt feststellt hat, ist das dem einzelnen Normunterworfenen mit Art140 Abs1 Z1 litc B-VG eingeräumte Rechtsinstrument dazu bestimmt, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen – gleichsam lückenschließend – nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hierfür nicht zur Verfügung steht, weil man andernfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes gelangte, die mit der grundsätzlichen Aufgabe des Individualantrages, bloß subsidiärer Rechtsbehelf zu sein, nicht in Einklang stünde (vgl VfSlg 11.479/1987; vgl auch VfGH 5.3.2014, V62/2013).

3. Gemäß Art140a iVm Art140 Abs1 Z1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Rechtswidrigkeit von Staatsverträgen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Rechtswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn der Staatsvertrag ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Die für das Verfahren nach Art140 B-VG aufgestellten Grundsätze gelten auch für das Verfahren zur Feststellung der Rechtswidrigkeit von Staatsverträgen nach Art140a B-VG (vgl §66 VfGG).

4. Zur Unzulässigkeit des Antrages, soweit die Verfassungswidrigkeit einer näher bezeichneten Wortfolge in §2 Abs1 Privilegiengesetz behauptet wird:

4.1. Das Privilegiengesetz, welches im Übrigen auch nicht an die Antragstellerin adressiert war und diese damit nicht in ihrer Rechtssphäre berühren konnte (vgl auch VfSlg 8890/1980), trat mit – am 1. Mai 2021 erfolgtem – Inkrafttreten des Bundesgesetzes zur Stärkung Österreichs als internationaler Amtssitz- und Konferenzstandort (Amtssitzgesetz – ASG), BGBl I 54/2021, außer Kraft (§19 Abs2 ASG). Da damit das Ziel des Individualantrages, die – behaupteterweise – verfassungswidrige Norm ohne Verzug mit genereller Wirkung aus dem Rechtsbestand zu beseitigen, obsolet geworden ist, ist der Antrag schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen (vgl zB VfSlg 14.033/1995, 16.280/2001).

4.2. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob einer meritorischen Erledigung des Antrages, soweit darin die Verfassungswidrigkeit einer näher bezeichneten Wortfolge in §2 Abs1 Privilegiengesetz behauptet wird, weitere Prozesshindernisse entgegenstehen.

5. Zur Unzulässigkeit des Antrages, soweit darin die Verfassungswidrigkeit von (näher bezeichneten Teilen des) Art4 und von Art9 Amtssitzabkommen behauptet wird:

5.1. Ein Erkenntnis nach Art140a B-VG hat auszusprechen, ob der ganze Inhalt des Staatsvertrages oder bestimmte Stellen wegen Rechtswidrigkeit von den zu seiner Vollziehung berufenen Organen nicht anzuwenden sind (§66 Z2 VfGG). Wenn die Antragstellerin die Aufhebung von (näher bezeichneten Teilen des) Art4 und von Art9 Amtssitzabkommen begehrt, so ist dieses Begehren dahingehend zu werten, dass es sich auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der ange

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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