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34 MonopoleNorm
B-VG Art7 Abs1Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Geldstrafe mangels zeitnaher schriftlicher Ausfertigung der nahezu drei Jahre vorher mündlich verkündeten EntscheidungSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Das Erkenntnis wird in diesem Umfang aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerde liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Straferkenntnis vom 19. April 2017, Z VStV/916301327042/2016, verhängte die Landespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer drei Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 30.000,– wegen Übertretung des §52 Abs1 Z1 iVm §2 Abs4 iVm §4 GSpG.
1.2. Mit Spruchpunkt III. des am 27. Juli 2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses setzte das vom Beschwerdeführer angerufene Verwaltungsgericht Wien die verhängten Geldstrafen auf einen Pauschalbetrag von insgesamt € 10.000,– herab und wies die Beschwerde gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 19. April 2017, Z VStV/916301327042/2016, hinsichtlich drei Eingriffsgegenständen als unbegründet ab.
1.3. Der Spruchpunkt III. des am 27. Juli 2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses, Z VGW-002/V/066/7925/2017, wird (ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung) wie folgt begründet:
"************ war Gesellschafter und Geschäftsführer der ******************* (********; vormals ***************Uniit Sitz in Bratislava/Slowakische Republik.
Von 01.02.2016 bis 24.04.2016 waren im Cafe ********* die verfahrensgegenständlichen Geräte (FAKNr1, FAKNr2, FAKNr 3) aufgestellt. Alle 3 Geräte sind Eigentum der ********, die diese im Cafe ********* aufgestellt hatte und betrieb. […] Eine Konzession oder Bewilligung zum Betrieb der verfahrensgegenständlichen Geräte lag nicht vor.
[…]
Am 24.04.2016, 15.25 Uhr wurde im Cafe ********* eine Kontrolle durchgeführt. Die 3 verfahrensgegenständlichen Geräte waren eingeschaltet und betriebsbereit. Auf dem Gerät FAKNr1 wurde nach zuführen von Bargeld eine M-Card ausgedruckt, mit dieser und dem so hergestellten Guthaben wurden in der Folge auf dem Gerät FAKNr2 auf der Seite www.minkygames.com Probespiele 'Mystery of Ra' durchgeführt.
Zu ***** lag im Tatzeitpunkt jedenfalls eine rechtskräftige verwaltungsstrafrechtliche [Vormerkung] wegen einer Übertretung des §52 Abs1 GSpG vor.
[…]
***** hat als vertretungsbefugter Geschäftsführer der ********, die als Unternehmerin entgegen den Bestimmungen des GSpG die verfahrensgegenständlichen Geräte auf eigene Rechnung und eigenes Risiko betrieb und somit Veranstalterin der im angelasteten Zeitraum mit den verfahrensgegenständlichen Geräten durchgeführten verbotenen Ausspielungen war, die objektive Tatseite der angelasteten Verwaltungsübertretung verwirklicht.
[…]
Im Verfahren ergaben sich keine Anhaltspunkte, dass ***** und ***** kein Verschulden traf. Auch aus dem Vorbringen zum Rechtsirrtum und zur eingeholten anwaltlichen Auskunft [ergab sich] nicht der Wegfall des Verschuldens.
Hinsichtlich ***** ist der zweite Strafsatz des §52 Abs2 GSpG (€ 3 000,-- bis € 30 000,--) maßgeblich. Die einschlägige Vormerkung war nicht als erschwerend zu berücksichtigen, weil sie strafsatzbestimmend wirkte. Bei der Bemessung war die nicht unbeträchtliche Dauer des Verstoßes zu berücksichtigen, sonstige Milderungs- und Erschwerungsgründe kamen nicht hervor. Mangels entsprechender Angaben wurden ***** wirtschaftliche Verhältnisse durchschnittlich angenommen. Vor diesem Hintergrund erscheint die mit dem angefochtenen Straferkenntnis verhängte Geldstrafe zu hoch und war spruchgemäß herabzusetzen; das gilt auch für die Ersatzfreiheitsstrafe (zur Verhängung bloß einer Strafe siehe oben).
[…]
Aus der Gesamtbetrachtung der im Ermittlungsverfahren hervorgekommenen Sachverhaltselemente ergibt sich, dass die Bewilligungs- und Konzessionserfordernisse des GSpG in einer kohärenten und systematischen Art und Weise ausgestaltet sind und das Ziel verfolgen, die Gelegenheit zum Spiel zu verringern. Insgesamt liegt daher keine Unvereinbarkeit der hier anzuwendenden Bestimmungen des GSpG mit dem Unionsrecht vor. Die Bestimmungen des GSpG haben daher im Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht unangewendet zu bleiben (VwGH 16.03.2016, Ro 2015/17/0022; VwGH 20.04.2016, Ra 2016/17/0066; VfGH 15.10.2016, E945/2016 ua)."
1.4. Mit Schreiben vom 6. September 2018 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des am 27. Juli 2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses.
1.5. Am 4. Mai 2021 erging die schriftliche Ausfertigung des am 27. Juli 2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses.
2. In der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten und gegen Spruchpunkt III. des Erkenntnisses gerichteten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG. Begründend führt der Beschwerdeführer aus, die Landespolizeidirektion Wien habe bereits mit Straferkenntnis vom 19. April 2017 entschieden. Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes Wien sei erst am 4. Mai 2021 erfolgt. Daher sei die in §43 VwGVG normierte 15-monatige Entscheidungsfrist nicht gewahrt. Das Verfahren sei daher einzustellen. Zudem sei die im Zeitraum vom 1. Februar 2016 bis 24. April 2016 vorgeworfene Verwaltungsübertretung des Beschwerdeführers gemäß §31 Abs2 VStG verjährt. Die Verjährung gemäß §31 Abs2 VStG sei bereits am 25. April 2019 und somit vor Abfertigung der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses vom 4. Mai 2021 eingetreten.
3. Das Verwaltungsgericht Wien legte die Gerichtsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses gerichtete Beschwerde ist begründet:
1.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (zur Anwendung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auch auf Unionsbürger vgl VfSlg 19.077/2010, 19.515/2011) kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass das Verwaltungsgericht diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn das Verwaltungsgericht Willkür geübt hätte.
1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem Verwaltungsgericht Wien ein willkürliches Vorgehen anzulasten:
2.1. Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist bezüglich der Erlassung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der Zustellung einer Entscheidung ihre mündliche Verkündung gleichzuhalten (vgl VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082; s. auch VfSlg 19.965/2015 und VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua). Mit der mündlichen Verkündung wird die Entscheidung unabhängig von der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung (§29 Abs4 VwGVG) rechtlich existent (VwGH 27.6.2016, Ra 2016/11/0059; 14.9.2016, Fr 2016/18/0015; 4.4.2017, Ra 2017/02/0050), wenn sowohl der Inhalt einer Entscheidung als auch die Tatsache ihrer Verkündung in der Niederschrift festgehalten werden (VwGH 13.10.2015, Fr 2015/03/0007; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082). Bereits an die Verkündung einer Entscheidung knüpfen sich daher deren Rechtswirkungen (vgl VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua; VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558). Aus diesem Grund kann die Entscheidung bereits nach der mündlichen Verkündung mit Beschwerde gemäß Art144 B-VG angefochten werden, sofern mindestens ein hiezu Berechtigter einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung der Entscheidung gemäß §29 Abs4 VwGVG gestellt hat (§82 Abs3b letzter Satz VfGG; siehe VfGH 10.3.2021, E2059/2020; VwGH 15.12.2014, Ro 2014/04/0068; 22.11.2017, Ra 2017/03/0082).
Unabhängig von der Möglichkeit, die Entscheidung bereits nach der mündlichen Verkündung anzufechten, ist der Rechtsschutzsuchende in der Regel auf die – nähere und ausführliche – Begründung der Entscheidung in der schriftlichen Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG angewiesen, um die Entscheidung auf Grund der maßgebenden Erwägungen gegebenenfalls mit einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG bekämpfen zu können. Aus der rechtsstaatlich gebotenen Pflicht zur Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen folgt daher im Zusammenhang mit der Regelungssystematik des §29 VwGVG auch die Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung, weil andernfalls dem Rechtsschutzsuchenden effektiver Rechtsschutz verwehrt sein könnte (zum Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes siehe zB VfSlg 11.196/1986, 15.218/1998, 17.340/2004, 20.107/2016), was rechtsstaatlichen Anforderungen an die Erlassung gerichtlicher Entscheidungen widerspricht (VfGH 10.3.2021, E2059/2020 ua; VfGH 23.6.2021, E720/2021).
2.2. Die schriftliche Ausfertigung der am 27. Juli 2018 mündlich verkündeten Entscheidung erfolgte vorliegend am 4. Mai 2021 und somit nahezu drei Jahre nach der mündlichen Verkündung. Eine derart lange Zeitspanne zwischen mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung der Entscheidungen, für die im Beschwerdeverfahren auch keine besonderen Umstände hervorgekommen sind, welche diese Verzögerung rechtfertigen könnten, widerspricht jedenfalls der Pflicht zu einer möglichst zeitnahen schriftlichen Ausfertigung der Entscheidungen und somit den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen (VfGH 10.3.2021, E2059/2020; VfGH 23.6.2021, E720/2021).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Glücksspiel, Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, VerwaltungsgerichtsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E2443.2021Zuletzt aktualisiert am
27.01.2022