TE Vwgh Beschluss 2021/12/21 Ra 2020/21/0419

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Veröffentlicht am 21.12.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §76 Abs2a
FrPolG 2005 §76 Abs3 Z9
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A M, vertreten durch die Hasch & Partner Anwaltsgesellschaft mbH in 1010 Wien, Zelinkagasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. September 2020, W137 2234863-1/5E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in Österreich ein. Am 28. Februar 2019 versuchte er, unter einer Alias-Identität nach Deutschland zu gelangen, allerdings wurde ihm von den deutschen Behörden die Einreise verweigert.

2        Am 3. März 2019 wurde er festgenommen, nachdem er einem Polizisten in Zivil Drogen angeboten hatte. In der Folge wurde über den Revisionswerber die Untersuchungshaft verhängt.

3        Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 14. Juni 2019 wurde er wegen des Verbrechens des zweifachen versuchten Raubes und wegen Vergehen nach dem SMG zu einer unbedingten dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Als erschwerend wurde u.a. eine einschlägige Vorverurteilung wegen Suchtmitteldelikten in Italien gewertet.

4        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 11. Dezember 2019 eine Rückkehrentscheidung und ein zehnjähriges Einreiseverbot. Im Zuge des gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerdeverfahrens stellte der Revisionswerber am 16. März 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Bescheid vom 11. Dezember 2019 wurde daraufhin vom Bundesverwaltungsgericht ersatzlos behoben. Der Antrag auf internationalen Schutz wurde schließlich mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. September 2020 vollumfänglich abgewiesen; unter einem ergingen eine Rückkehrentscheidung und ein befristetes (vom Bundesverwaltungsgericht auf acht Jahre herabgesetztes) Einreiseverbot sowie die Feststellung, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Marokko zulässig sei.

5        Am 3. September 2020 wurde der Revisionswerber bedingt aus der Strafhaft entlassen. Im Anschluss daran verhängte das BFA über ihn - noch am selben Tag - gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung. Der Bescheid wurde sogleich in Vollzug gesetzt.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. September 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Schubhaftbescheid und die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG „iVm § 76 FPG“ stellte es fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Außerdem traf es eine diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidung.

7        Das Bundesverwaltungsgericht stützte sich für die Annahme einer Fluchtgefahr - ebenso wie das BFA im Schubhaftbescheid - auf die Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z 3 und 9 FPG. Der Tatbestand der Z 3 (Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sei unstrittig. Auch der Tatbestand der Z 9 sei erfüllt: Der Revisionswerber sei in Österreich vor der Anordnung der Schubhaft ausschließlich in Justizanstalten gemeldet gewesen. Er habe im Bundesgebiet keine familiären Anknüpfungspunkte und sei weder beruflich noch sozial integriert. Soweit er in der Beschwerde auf eine Unterkunftmöglichkeit bei einer namentlich genannten Person verweise, habe er dies nicht schon im Verfahren vor dem BFA vorgebracht. Auf Grund seiner strafrechtlichen Verurteilung sei das BFA zu Recht von einer „nahezu vollständig fehlenden Vertrauenswürdigkeit“ des Revisionswerbers und von einem besonderen öffentlichen Interesse an der Sicherstellung seiner Abschiebung ausgegangen. Daher habe auch nicht mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden können. Das BFA habe somit zu Recht die Schubhaft verhängt.

8        Zum Fortsetzungsausspruch führte das Bundesverwaltungsgericht noch aus, dass auch die in der Beschwerde behauptete Unterkunftmöglichkeit, die das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung ausdrücklich zugrunde legte, keinen „gesicherten Wohnsitz“ darstelle. Details dazu und zu der als potentielle Unterkunftgeberin genannten Person würden in der Beschwerde nicht genannt. Hinsichtlich der absehbaren Dauer der Schubhaft sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass sie in zumutbarer Zeit beendet werden könne. Für eine unverhältnismäßig lange Anhaltedauer gebe es keine Anhaltspunkte, vielmehr sei davon auszugehen, dass die Abschiebung binnen weniger Monate (voraussichtlich noch im laufenden Kalenderjahr) erfolgen könne. Bis Februar 2020 hätten Abschiebungen nach Marokko regelmäßig stattgefunden, und die aktuellen Einschränkungen im internationalen Luftverkehr seien durchwegs zeitlich befristet.

9        Die Abhaltung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhalts der Beschwerde geklärt sei.

10       Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

13       In der Revision wird unter diesem Gesichtspunkt geltend gemacht, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe. Eine solche wäre erforderlich gewesen, um den Revisionswerber zu seiner Wohnmöglichkeit und der Existenz sozialer Bindungen zu befragen.

14       Entgegen diesem Vorbringen durfte das Bundesverwaltungsgericht aber vertretbar von einem aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen. Soziale Bindungen waren vom Revisionswerber im gesamten Verfahren nicht konkret behauptet worden. Die Existenz einer potentiellen Unterkunftgeberin legte das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung ohnedies zugrunde, musste daraus aber vor dem Hintergrund, dass sich der Revisionswerber während seines bisherigen Aufenthalts in Österreich fast durchgehend in Strafhaft befand, weder eine der Annahme von Fluchtgefahr im Sinn des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG entgegenstehende soziale Verankerung noch das Ausreichen gelinderer Mittel ableiten. Dafür spricht auch, dass der Revisionswerber durch seinen Aufenthalt in Italien und seine versuchte Weiterreise nach Deutschland auch schon in der Vergangenheit seine (grenzüberschreitende) Mobilität gezeigt hat.

15       Die Revision bringt weiters vor, dass die Anhaltung in Schubhaft unverhältnismäßig sei, weil im Hinblick auf die Flugreisebeschränkungen auf Grund der COVID-19-Pandemie eine Abschiebung nach Marokko in naher Zukunft nicht möglich sei. Angesichts der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erst knapp zwei Wochen dauernden Anhaltung in Schubhaft und mangels Hinweisen darauf, dass Flugabschiebungen nach Marokko nicht binnen absehbarer Zeit wieder möglich sein würden, erweist sich die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft durch das Bundesverwaltungsgericht aber auch unter diesem Gesichtspunkt als vertretbar. Dabei wurde vom BVwG überdies zu Recht - der Sache nach auch iSd § 76 Abs. 2a FPG - auf die gravierende Straffälligkeit des Revisionswerbers Bedacht genommen.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 21. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210419.L00

Im RIS seit

27.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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