Entscheidungsdatum
09.09.2021Norm
BBG §40Spruch
L517 2240759-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. STEININGER und den fachkundigen Laienrichter Mag. SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , OB: XXXX , vom 26.02.2021, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid vom 26.02.2021, OB: XXXX behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
06.03.2020—Antrag der beschwerdeführenden Partei (in Folge „bP“ genannt) auf die Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass beim Sozialministeriumsservice XXXX - SMS, Landesstelle XXXX (in Folge belangte Behörde bzw. „bB“ genannt)
23.03.2020—Aufforderung zur Nachreichung aktueller Befunde an die bP
20.05.2020—Aufforderung zur Nachreichung aktueller Befunde an die bP; Unzustellbarkeit des Schreibens
10.06.2020—erneute Aufforderung zur Nachreichung aktueller Befunde an die bP
22.09.2020—Erstellung eines allgemeinmedizinischen und neurologischen Sachverständigengutachtens; GdB 40 vH, Dauerzustand; Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel
28.10.2020—Antrag der bP auf die Verlängerung des Behindertenpasses
04.01.2021—Parteiengehör /keine Stellungnahme
26.02.2021—Bescheid der bB; Abweisung des Antrags vom 06.03.2020 auf Ausstellung eines Behindertenpasses
19.03.2021—Beschwerde der bP
25.03.2021—Beschwerdevorlage am BVwG
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.0. Feststellungen (Sachverhalt):
Die bP besitzt die XXXX Staatsbürgerschaft und ist an der im Akt ersichtlichen XXXX Adresse wohnhaft.
Die bP war seit 07.03.2018 im Besitz eines bis 28.02.2021 befristeten Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH. Seit 01.10.2018 war die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass eingetragen.
Am 06.03.2020 stellte die bP den verfahrensgegenständlichen Antrag auf die Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass bei der bB.
Mit Schreiben vom 23.03.2020 wurde die bP zur Nachreichung aktueller Befunde (Facharztbefunde, Rehabefunde, Krankenhausbefunde) zu den bei ihr vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen –emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, Asthma bronchiale aufgefordert.
Am 20.05.2020 wurde die bP erneut zur Nachreichung aktueller Befunde aufgefordert. Das Schreiben konnte jedoch nicht zugestellt werden.
In der Folge wurde am 10.06.2020 nochmals eine Aufforderung zur Nachreichung aktueller Befunde an die bP versendet.
Es wurde am 22.09.2020 im Auftrag der bB auf Grundlage der Einschätzungsverordnung ein allgemeinmedizinisches und neurologisches Sachverständigengutachten erstellt. Es wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 vH und die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Das Gutachten weist folgenden relevanten Inhalt auf:
„Derzeitige Beschwerden:
Die Antragstellerin kommt in Begleitung einer Begleitperson, die als Dolmetscherin fungiert. Sie kann namentlich ihre Medikamente nicht nennen, hat auch keine Medikamentenliste mit. Darüber hinaus liegen hinsichtlich ihrer psychiatrischen Erkrankung keine Befunde vor. Sie meint, dass sie einmal pro Woche einen Anfall hat, wo sie ganz steif werde, darüber hinaus auch am ganzen Körper zittern würde. Sie lebt bei ihrer Schwester. Aktuell werden körperlich keine Schmerzen angegeben.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Medikamente werden eingenommen, können namentlich allerdings nicht genannt werden. Keine ärztlich bestätigte Liste.
Psychotherapie ( XXXX )
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Dr. XXXX , FA Orthopädie, 24.01.2019
Diagnosen:
Rippenwirbelgelenksblockaden
Cervicalsyndrom
Dorsalgie
Lumbalgie
Arztbrief XXXX 23.03 - 26.03.2019, Klinik Neurologie 1
Diagnose:
Dissoziative Krampfanfälle, dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung
Emotional instabile Personlichkeitsstorung vom Borderline-Typ
Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion
Zustand nach Resektion eines Kavernoms re. temporal 2004, präoperativ fraglich
epileptische Anfälle
V.a. Migräne
Z. n. medikamenteninduzierten Kopfschmerz (Diagnose 2012)
Medikation:
Venlafaxin 150 mg 1-0-0 Für 4 Tage, dann Steigerung auf
Venlafaxin ret. 225 mg 1-0-0
Citalopram Absetzten!
Weitere empfohlene Maßnahmen:
Psychotherapie über XXXX weiter.
Fachärztliche psychiatrische Verlaufskontrolle im niedergelassenen Bereich - Facharztliste wurde ausgehändigt.
Mammographiebefund, Dr. XXXX , 07.03.2019
Ergebnis: Mammazysten links, Fibroadenom DD: Mammazyste links bei 2 Uhr ohne Größenprogredienz, im Übrigen mastopathische Alterationen bds.,kein aktueller Malignomhinweis.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Gut.
Ernährungszustand:
Gut.
Klinischer Status – Fachstatus:
Vigilanz und Sprache:
Patient wach und allseits orientiert. Unauffällige Spontansprache.
Caput collum:
HWS aktiv und passiv frei beweglich, kein Meningismus, kein Druckschmerz im Bereich der Nervenaustrittspunkte des Nervus trigeminus.
Hirnnerven:
Nervus olfactorius: Geruch anamnestisch o.B.
Nervus opticus: Gesichtsfeldprüfung unauffällig, Visus o.B.,
Nervus oculomotorius, Nervus trochlearis und Nervus abducens: unauffällige Optomotorik, keine Ptose, keine horizontale oder vertikale Blicklähmung, kein Nystagmus.
Auge in Primärposition. Pupillen bds. mittelweit, isokor und rund. Prompte, direkte und indirekte Lichtreaktion, erhaltene Konvergenzreaktion.
Nervus trigeminus: Sensibilität im Gesicht o.B., Kornealreflex nicht geprüft, gut auslösbarer Masseterreflex.
Nervus facialis: kein Facialisdefizit mimisch oder willkürlich
Nervus vestibulocochlearis: Gehör subjektiv seitengleich, kein Nystagmus.
Nervus glossopharyngeus, Nervus vagus: Seitengleiches Heben des Gaumensegels, Würgreflex auslösbar. Phonation o.B., keine Heiserkeit in der Stimme bemerkbar. Kehlkopf hebt und senkt sich regelrecht.
Nervus accessorius: beidseits kräftige Muskulatur ohne Atrophie
Nervus hypoglossus: Zunge wird gerade herausgestreckt. Zungenmotilität o.B., keine Faszikulationen.
Obere Extremität:
Trophik o.B., Tonus normal, grobe Kraft o.B.
Kein Absinken im Armvorhalteversuch, keine Pronationstendenz.
Muskeleigenreflexe beidseits mittellebhaft symmetrisch auslösbar (Bizepssehnenreflex, Radiusperiostreflex, Trizepssehnenreflex).
Knips beidseits negativ.
Untere Extremitäten:
Trophik o.B., Tonus normal, grobe Kraft o.B.
Kein Absinken im Beinvorhalteversuch.
Muskeleigenreflexe beidseits mittellebhaft symmetrisch auslösbar (Patellarsehnenreflex, Achillessehnenreflex).
Babinski beidseits negativ.
Sensibilität:
Sensibilität in allen Qualitäten unauffällig.
Prüfung der Koordination:
Finger-Nase und Knie-Hacke-Versuch beidseits zielsicher, kein Hinweis für Ataxie.
Eudiadochkinese
Romberg und Unterberger Tretversuch unauffällig.
Gesamtmobilität – Gangbild:
Unauffälliges Gangbild, Seiltänzergang und Einbeinstand sicher durchführbar.
Status Psychicus:
Wach und allseits orientiert, Stimmungslage soweit beurteilbar euthym, normale affizierbarkeit, soweit beurteilbar keine inhaltlich oder formale Denkstörung.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
1. Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp, posttraumatische Belastungsstörung, dissoziative Krampfanfälle.
Aktuell keine Medikamentenliste mitgeführt, keine Bestätigung fachärztlicher Betreuung, lediglich anamnestisch Psychotherapie. Pos.Nr.03.05.01 GdB% 40
2. Z.n. Cavernom Operation rechts temporal.
Unverändert zum Vorgutachten. Pos.Nr.04.01.01 GdB% 20
Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Die Positionsnummer 1 wird durch die folgende Positionsnummer aufgrund der Geringfügigkeit nicht erhöht.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Geringgradige Varikositas
WIrbelsäulebeschwerden ( Keine Befunde, keine Therapie )
Zustand nach Unterschenkel- und Knöchelverletzung rechts ( abgeheilt )
Gonarthralgie beidseits mit Zustand nach Meniskusläsion beidseits( Keine Befunde )
Schmerzen in der rechten Großzehe ( keine Befunde )
Mammazysten ( keine kranklheitswert )
Blutarmut ( keine Befunde )
Asthma bronchiale ( keine Befunde, keine Medikation )
Warzen an der rechten Ferse ( kein Krankheitswert )
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Im Vergleich zum Vorgutachten liegen leider keine detaillierten Facharztbefunde vor. Darüber hinaus auch keine näheren Auskünfte über die Medikation. Die Abstufung von den Einzelpositionen erfolgt demnach aufgrund der fehlenden Befunde.
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
Die Abstufung ergibt sich durch die Herabstufung aufgrund fehlender Befunde der einzelnen Positionsnummern.
[X] Dauerzustand
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Die Antragstellerin ist in ihrer Gehleistung nicht höhergradig eingeschränkt. Sie kann eine Wegstrecke von 400 m aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Sie benötigt keinen Gehbehelf und ist auch nicht sturzgefährdet. Sie kann höhere Niveauunterschiede (bis 30 cm) zum ein- und aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel überwinden. Es konnte keine Einschränkung der Standfestigkeit erhoben werden. Diese insbesondere in Bezug auf das sichere Stehen, die Sitzplatzsuche oder bei einer notwendig werdenden Fortbewegung in öffentlichen Verkehrsmitteln während der Fahrt. Weiters ist die Benützung von Haltegriffen und Stangen möglich. Es konnte überdies keine weiteren erheblichen Einschränkungen festgestellt werden, die die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel rechtfertigen würden.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Es liegt keine Erkrankung des Immunsystems vor.
…“
Im Akt befindet sich ein Antrag der bP vom 28.10.2020 auf die Verlängerung des Behindertenpasses.
Am 04.01.2021 wurde Parteiengehör gewährt und der bP die Möglichkeit gegeben zum Sachverständigengutachten vom 22.09.2020 Stellung zu nehmen. Die bP gab keine Stellungnahme ab.
Im Anschluss wurde am 26.02.2021 der Bescheid der bB erlassen. Es wurde der Antrag vom 06.03.2020 auf die Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen. Mit einem Grad der Behinderung von 40% erfülle die bP nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Rechtsgrundlage waren §§ 40, 41, und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990, in der jeweils geltenden Fassung.
Begründend wurde ausgeführt: Im Ermittlungsverfahren sei ein Gutachten zur Feststellung des Grades der Behinderung eingeholt worden. Nach diesem Gutachten betrage der Grad der Behinderung 40%. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Gemäß § 45 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) sei der bP mit Schreiben vom 04.01.2021 Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Da eine Stellungnahme innerhalb der gesetzten Frist nicht eingelangt sei, habe vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht abgegangen werden können.
Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.
Mit Schreiben vom 17.03.2021, eingelangt am 19.03.2021 erhob die bP Beschwerde und führte darin aus: Ihre Gesundheitsprobleme seien nach wie vor da und diese seien noch immer nicht geheilt. Seit einem Jahr bestehe leider wegen der Pandemie nicht immer die Möglichkeit zum Arzt zu gehen. Darüber hinaus habe die bP auch Vorerkrankungen, weshalb sie sowieso Angst habe, auszugehen. Deswegen habe sie auch zu mehreren Behandlungen nicht gehen können. Ihr gehe es so wie früher nicht gut, es gehe ihr sogar derzeit viel schlechter. Aus diesem Grund verstehe sie nicht, warum ihr Behinderungsgrad von 50 auf 40 % herabgesetzt worden sei. Deshalb ersuche sie ihren Fall nochmal zu überprüfen und ihr wieder den alten Behinderungsgrad zu geben.
Schließlich erfolgte am 25.03.2021 die Beschwerdevorlage am BVwG.
2.0. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.
2.2. Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen – wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden – vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Das im Verfahren vor der bB eingeholte medizinische Sachverständigengutachten zum Grad der Behinderung bedarf nach der Rsp des VwGH (vom 21.06.2017, Ra 2017/11/0040) einer ausreichenden, auf die vorgelegten Befunde eingehenden und die Rahmensätze der Einschätzungsverordnung vergleichenden (vgl zu den diesbezüglichen Anforderungen das hg Erkenntnis vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036) Begründung.
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der, gegen die Gutachten gerichteten, sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, 0705/77).
Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).
Ebenso kann die Partei ein Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw. Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, 2005/07/0108).
Im gegenständlichen Verfahren hat es die bB unterlassen, den Sachverhalt dem Gesundheitszustand der bP entsprechend vollständig zu erheben – dies aus den nachfolgenden Erwägungen:
Im allgemeinmedizinischen und neurologischen Sachverständigengutachten vom 22.09.2020 gab der Gutachter folgende Stellungnahme zu gesundheitlichen Veränderungen im Vergleich zum Vorgutachten ab: „Im Vergleich zum Vorgutachten liegen leider keine detaillierten Facharztbefunde vor. Darüber hinaus auch keine näheren Auskünfte über die Medikation. Die Abstufung von den Einzelpositionen erfolgt demnach aufgrund der fehlenden Befunde.“ Auch die Abstufung des Gesamtgrades der Behinderung ergebe sich durch die Herabstufung aufgrund fehlender Befunde der einzelnen Positionsnummern.
Als führendes Leiden wurde bei der bP eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp, posttraumatische Belastungsstörung, dissoziative Krampfanfälle festgestellt. Dieses Leiden wurde unter der Positionsnummer 03.05.01 nach der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 40 vH eingeschätzt. Diese Positionsnummer erfasst neurotische Belastungsreaktionen, somatoforme Störungen und posttraumatische Belastungsstörung PTSD (post traumatic stress disorder) leichten Grades und ermöglicht eine Einstufung des GdB innerhalb eines Rahmensatzes von 10-40 vH. Der Gutachter führte aus, dass aktuell keine Medikamentenliste mitgeführt werde und keine Bestätigung fachärztlicher Betreuung vorliege. Es werde lediglich anamnestisch Psychotherapie in Anspruch genommen.
In einem psychiatrischen Vorgutachten vom 14.08.2018 war das führende Leiden der bP unter der nächsthöheren Positionsnummer 03.05.02, welche Störungen mittleren Grades erfasst, mit einem Grad der Behinderung von 50 vH eingeschätzt worden. Weiters wurde der bP auch die Zusatzeintragung der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ zuerkannt, weil sie unter psychogenen Anfällen leide durch die plötzlichen Sturzereignisse auftreten können, welche die bP nicht kontrollieren könne. Die bP erreichte einen Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH.
Das Gutachten vom 22.09.2020, auf welches die bB ihre Entscheidung stützt, stellt sich sowohl als unzureichend begründet als auch unschlüssig dar. Der Gutachter begründete die Herabstufung mit dem Fehlen aktueller fachärztlicher Befunde. Ein Allgemeinmediziner und Neurologe, der keine fachärztliche Ausbildung im Bereich der Psychiatrie besitzt ist nicht geeignet, das führende Leiden der bP einzuschätzen und kann sich im Rahmen der Erstellung eines Gutachtens nicht auf sein mangelndes Fachwissen berufen. Aus diesem Grund ist das herangezogene Sachverständigengutachten vom 22.09.2020 kein geeignetes Beweismittel, um eine Neueinschätzung des Grades der Behinderung und die Aberkennung der Zusatzeintragung der „Unzumutbakeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ der bP zu begründen.
Die bB hätte vielmehr wie im vorangegangenen Verfahren einen Facharzt der Psychiatrie als Sachverständigen heranziehen sollen, um den gegenständlichen Sachverhalt ordnungsgemäß und abschließend zu ermitteln.
Betreffend den Antrag der bP vom 28.10.2020 auf Verlängerung des Behindertenpasses kann vom ho. Gericht keine Aussage dazu getroffen werden, ob von der bB diesbezüglich ein separates Verfahren geführt wird oder in welchem Verfahrensstadium sich dieser Antrag befindet. Der bekämpfte Bescheid vom 26.02.2021 spricht nur über den Antrag der bP vom 06.03.2020 ab. Auch in der Beschwerde der bP vom 19.03.2021 wird der Antrag vom 28.10.2020 nicht erwähnt.
Wie der VwGH auch, wie bereits oben angeführt, aussprach, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar.
Zusammenfassend erfüllt das von der bB für seine Entscheidung herangezogene Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151). Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden. Bei Einhaltung der gebotenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen hätte die bB ihre Entscheidung aufgrund einer anderen, nämlich umfassenderen Befund- und Beweislage, getroffen.
3.0. Rechtliche Beurteilung:
3.1 Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:
- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF
- Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF
- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF
Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.
3.2 Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden
1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; …
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Gemäß § 45 Abs. 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Gemäß § 45 Abs. 5 BBG entsendet die im § 10 Abs. 1 Z 6 des BBG genannte Vereinigung die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des BBG anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
In Anwendung des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs. 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt. 3.1 im Generellen und die in den Pkt. 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.
3.3 Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Dies auch unter dem Aspekt, dass, um eine Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren treffen zu können, vorher vom Bundesverwaltungsgericht noch notwendige ergänzende Ermittlungen durch Einholung von weiteren Sachverständigengutachten vorzunehmen wären. Dementsprechend würde es das Verfahren iSd § 28 Abs. 2 VwGVG nicht beschleunigen und auch keine Kostenersparnis mit sich bringen. Die Behörde ist in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Gegenständliche Entscheidungsform stellt nach Ansicht des ho. Gerichtes ein verfahrensökonomisches Instrument, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche verfahrensbeschleunigende Wirkung, dar, welches generell vorab durch die Behörde zu prüfen und einzelfallbezogen in Betracht zu ziehen wäre.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
3.4 Steht der maßgebliche Sachverhalt fest oder ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Hierzu führt der VwGH aus, dass angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
3.5 Wie bereits festgestellt und in der Beweiswürdigung erörtert, hat die bB den gegenständlich bekämpften Bescheid vom 26.02.2021 auf ein Beweismittel – das Sachverständigengutachten vom 22.09.2020 – gestützt, welches unschlüssig und nicht nachvollziehbar ist
Obig angeführte Ermittlungsmängel liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes vor und ist der Bescheid nach § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und zur neuerlichen Erlassung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Dies auch unter dem Aspekt der Raschheit und Wirtschaftlichkeit iSd § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG, da aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten des BVwG das anhängige Verfahren mit Sicherheit nicht rascher, sondern nur kostenintensiver im Vergleich zum Sozialministeriumservice durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten, durchgeführt werden kann.
Zusammenfassend erfüllt das, von der bB für seine Entscheidung herangezogene, Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151). Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden.
Aufgrund des organisatorischen Aufbaues der bB und des ho. Gerichts, der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der einzelnen Verfahrensabschnitte, ergibt sich, dass die Führung des Verfahrens durch die bB eine wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens darstellt.
Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau im Lichte der oa. Ausführungen davon auszugehen, dass in diesem konkreten Fall vom Primat der inhaltlichen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht ausnahmsweise abzugehen und aufgrund der qualifizierten Unterlassung wesentlicher Ermittlungsschritte der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zu beheben war.
Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.
Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).
Im fortgesetzten Verfahren hat die bB nunmehr einen Facharzt für Psychiatrie als Sachverständigen heranzuziehen, um das führende Leiden der bP –emotionale Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp, posttraumatische Belastungsstörung, dissoziative Krampfanfälle in ihrer rechtlichen Entscheidung zu berücksichtigen.
Vom Ergebnis des ergänzenden Ermittlungsverfahrens wird sie die bP neuerlich in Kenntnis zu setzen und ihr die Möglichkeit einzuräumen haben, sich hierzu äußern. Eine solche Äußerung wird sie rechtskonform zu behandeln haben.
Nach Abschluss dieser Ermittlungen hat die bB einen einzelfallbezogenen Bescheid zu erlassen, welcher den Sachverhalt, von dem er ausgeht, klar und übersichtlich wiedergibt, eine nachvollziehbare, einzelfallbezogene Beweiswürdigung enthält, und die zu lösende Rechtsfrage schlüssig darstellt.
Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der bP noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die bB zurückzuverweisen.
3.6. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Im vorliegenden Fall stand bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, weshalb eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen konnte.
3.7. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030).
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L517.2240759.1.00Im RIS seit
26.01.2022Zuletzt aktualisiert am
26.01.2022