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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AVG §56Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache 1. des M C, und 2. der H C, beide vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 20. Mai 2021, LVwG-458-10/2021-R21, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde iA Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Dornbirn), denBeschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien, beide türkische Staatsangehörige, gegen die behauptete (bescheidmäßige) Ungültigerklärung ihrer in ihren Reisepässen jeweils ersichtlichen Aufenthaltstitel (mittels Anbringung jeweils eines Stempels „ungültig“) durch die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn gemäß § 28 Abs. 1 in Verbindung mit § 31 VwGVG als unzulässig zurück. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
2 Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hielt zusammengefasst fest, in [abgelaufenen] Reisepässen der [auch über aktuell gültige Pässe verfügenden] revisionswerbenden Parteien befänden sich eine von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn am 2. Dezember 1998 für den Erstrevisionswerber unbefristet ausgestellte Vignette „Niederlassungsbewilligung jeglicher Aufenthaltszweck“ sowie ein von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn am 29. Mai 1996 für die Zweitrevisionswerberin ausgestellter unbefristeter Sichtvermerk gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 FrG [Fremdengesetz aus 1992, BGBl. Nr. 838/1992]. Nach einer durch Beamte der Polizeiinspektion L durchgeführten Kontrolle am 11. Februar 2021, bei der insbesondere die Ein- und Ausreisestempel in den Reisepässen der revisionswerbenden Parteien geprüft worden seien, habe die Landespolizeidirektion Vorarlberg den Beamten dieser Polizeiinspektion den Auftrag erteilt, die Aufenthaltstitel der revisionswerbenden Parteien mit dem Vermerk „ungültig“ zu stempeln und eine Kopie mit dem Bericht an die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zu übermitteln. Am 15. Februar 2021 seien die Reisepässe von Beamten der Polizeiinspektion L zur Bezirkshauptmannschaft Dornbirn gebracht worden, wo die in Rede stehenden Stempel auf den Aufenthaltstiteln angebracht worden seien. Anschließend seien die Reisepässe den revisionswerbenden Parteien wieder übergeben worden.
3 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, es seien durch die Anbringung der betreffenden Stempel gegenüber den revisionswerbenden Parteien keine Bescheide erlassen worden. Die „Überstempelung“ sei als Beurkundung einer nach Auffassung der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn bereits eingetretenen Tatsache, nämlich des Erlöschens der Aufenthaltstitel gemäß § 20 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), zu qualifizieren. Eine Auseinandersetzung mit dem inhaltlichen Vorbringen der revisionswerbenden Parteien, mit dem versucht werde, darzulegen, dass die Aufenthaltstitel nicht erloschen seien, sei dem Verwaltungsgericht verwehrt. Ebenso bestehe für die Feststellung, dass die Ungültigerklärung der Aufenthaltstitel rechtswidrig erfolgt sei und die revisionswerbenden Parteien nach wie vor zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich berechtigt seien, keine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts.
4 Gegen diesen Beschluss erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 27. September 2021, E 2619/2021-9, ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit ausgeführt, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach es fallbezogen an einem anfechtbaren Rechtsakt fehle, stehe in Widerspruch zu Art. 10 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (Richtlinie 2003/109/EG). Gemäß Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG sei jede Entscheidung über die Entziehung einer Daueraufenthaltsberechtigung zu begründen und unter Hinweis auf mögliche Rechtsbehelfe und die entsprechenden Fristen mitzuteilen; all dies sei vorliegend nicht geschehen. Zudem sei den revisionswerbenden Parteien der in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109/EG garantierte justizielle Rechtsweg verweigert worden. Das „Konstrukt“, erst nach dem ex-lege eingetretenen Rechtsverlust einen Feststellungsbescheid beantragen zu können, verletze in krasser Weise unmittelbar anwendbares Unionsrecht. Dieses sehe einen direkten Rechtsweg gegen den Entzug einer Daueraufenthaltsberechtigung vor. Auch die innerstaatliche Rechtslage zeige, dass eine Überprüfung der gemäß § 20 Abs. 4 NAG maßgeblichen Voraussetzungen in einem regulären Verfahren zu erfolgen habe.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Das Verwaltungsgericht stützte den angefochtenen Beschluss darauf, dass die Kenntlichmachung der Ungültigkeit von in den Reisepässen der revisionswerbenden Parteien ersichtlichen (gemäß § 11 Abs. 2 lit. A Z 1 und lit. C in Verbindung mit Abs. 3 NAG-Durchführungsverordnung sowie § 81 Abs. 2 und 29 NAG als Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ übergeleiteten) Aufenthaltstiteln nicht als Bescheid im Sinn von Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG zu qualifizieren sei und es daher an einem tauglichen Beschwerdegegenstand mangle. Dass im Hinblick auf diese Beurteilung eine Rechtsfrage im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG vorläge, zeigt die Revision nicht auf.
10 Zunächst ist festzuhalten, dass Gegenstand des gegenständlichen Revisionsverfahrens die Zurückweisung einer Beschwerde durch das Verwaltungsgericht ist und es im vorliegenden Kontext grundsätzlich nur um die Frage geht, ob die Behörde einen Bescheid erlassen hat oder nicht. Ob sie zur Erlassung eines Bescheides aus Rechtsschutzgründen verpflichtet gewesen wäre, ist dabei nicht entscheidend (siehe etwa VwGH 17.3.2009, 2007/21/0536).
11 Soweit sich die Revision auf Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG beruft, ist ihr zudem Folgendes zu entgegnen: Die Richtlinie differenziert zwischen dem Entzug und dem Verlust der Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (vgl. z.B. die Überschrift des Art. 9 der Richtlinie 2003/109/EG, in der ausdrücklich auf den Entzug oder den Verlust der Rechtsstellung Bezug genommen wird). Die Vorgaben des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG erstrecken sich nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung (sowohl in der deutschen, als auch in der vom Revisionswerber ins Treffen geführten französischen Sprachfassung) auf Entscheidungen, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu versagen oder zu entziehen, nicht aber auf Situationen, in denen - so wie hier - der Verlust dieses Rechtsstatus im Raum steht (vgl. VwGH 11.5.2017, Ra 2017/21/0002, Rn. 10, sowie Thym in Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law3 [2022], jeweils die Rz 2 zu Art. 9 und Art. 10 der Richtlinie 2003/109/EG).
12 § 20 Abs. 4 NAG sieht seit Inkrafttreten des FrÄG 2009 ausdrücklich die - von den revisionswerbenden Parteien mit Eingabe vom 16. Juni 2021 auch in Anspruch genommene - Möglichkeit der Beantragung eines Feststellungsbescheides vor. Aus welchen Gründen diese Ausgestaltung des behördlichen (und in weiterer Folge verwaltungsgerichtlichen) Rechtsschutzes nicht im Einklang mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109/EG stünde, legt die Revision nicht nachvollziehbar dar (siehe im Übrigen auch dazu VwGH 11.5.2017, Ra 2017/21/0002, Rn. 10 f).
13 Aus den dargelegten Erwägungen liegen die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 20. Dezember 2021
Schlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220250.L00Im RIS seit
26.01.2022Zuletzt aktualisiert am
01.02.2022