TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/20 Ra 2021/22/0201

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Veröffentlicht am 20.12.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwGVG 2014 §29 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 28. Juli 2021, LVwG-751422/5/MZ, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: Y W, vertreten durch Dr. Günter Schmid, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hafferlstraße 7/2. Stock), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 19. April 2021 nahm der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz das aufgrund des Erstantrags der Mitbeteiligten, einer chinesischen Staatsangehörigen, vom 27. April 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung - Angehöriger“ rechtskräftig (positiv) abgeschlossene Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf (Spruchpunkt 1.) und wies diesen Antrag gemäß § 21a in Verbindung mit § 47 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab (Spruchpunkt 2.). Ihre Entscheidung gründete die Behörde im Wesentlichen darauf, dass die Mitbeteiligte an Z € 1.000,-- sowie für die Prüfungsgebühr € 100,-- bezahlt habe, damit dieser eine andere Person „organisiere“, die die Deutschprüfung für die Mitbeteiligte absolviere. Die Prüfung sei sodann in einem näher genannten Sprachinstitut in Tschechien von einer unbekannten Person anstelle der Mitbeteiligten abgelegt worden. Anlässlich ihrer Antragstellung am 27. April 2018 habe die Mitbeteiligte der Behörde das Zertifikat vorgelegt, das (auf ihren Namen ausgestellt worden, aber) nicht von ihr durch Ablegung einer Prüfung erworben worden sei. Diesbezüglich sei die Mitbeteiligte auch geständig gewesen. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz sei das (gegen die Mitbeteiligte wegen §§ 231 Abs. 2, 293 Abs. 2 StGB geführte) Verfahren gemäß § 200 Abs. 5 StPO eingestellt worden, da die Mitbeteiligte eine Bußgeldzahlung geleistet habe. Der in Rede stehende Aufenthaltstitel sei somit von der Mitbeteiligten erschlichen worden, weshalb das über ihren Erstantrag rechtskräftig positiv abgeschlossene Verfahren wiederaufzunehmen gewesen sei. Da die Mitbeteiligte die erforderliche Prüfung über Deutschkenntnisse auf A1-Niveau nicht persönlich abgelegt habe, seien die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht erfüllt.

2        Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde und führte aus, dass sich ihre Beschwerde gegen den Bescheid in seinem gesamten Umfang richte. In ihren Ausführungen berief sie sich im Wesentlichen darauf, dass sie sich unmittelbar nach Erhalt der behördlichen Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme für einen Deutschkurs angemeldet habe. Die Deutschprüfung habe sie auch mittlerweile abgelegt; das Prüfungsergebnis liege jedoch noch nicht vor. Mit einer weiteren Eingabe vom 22. Juni 2021 teilte die Mitbeteiligte sodann mit, dass sie die Prüfung bestanden habe. Unter einem übermittelte sie ein Prüfungszeugnis vom 16. Juni 2021.

3        Am 28. Juli 2021 verfasste das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich einen Aktenvermerk, wonach die anwaltliche Vertretung der Mitbeteiligten im Zuge eines Telefonats bekannt gegeben habe, dass ungeachtet des Wortlauts der Beschwerde eine Anfechtung des Bescheides vom 19. April 2021 betreffend die Wiederaufnahme des in Rede stehenden Verfahrens nicht intendiert gewesen sei.

4        Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich Spruchpunkt 2. des Bescheides vom 19. April 2021 auf und verwies die Angelegenheit (in diesem Umfang) zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz zurück. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

5        Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, im Akt der Behörde befänden sich lediglich Unterlagen betreffend einen Verlängerungsantrag der Mitbeteiligten vom 27. Mai 2020; aktuelle Unterlagen seien nicht vorhanden. Die Ermittlungen hinsichtlich der Erfüllung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels habe die Behörde nur ansatzweise geführt. Diese sei davon ausgegangen, dass die Mitbeteiligte keinen Deutschnachweis erbracht habe. Das sei zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde auch tatsächlich der Fall gewesen. Mittlerweile liege das erforderliche Prüfungszertifikat aber vor. Eine Abweisung des in Rede stehenden Antrags komme daher aus dem von der Behörde herangezogenen Grund nicht in Betracht. Somit wäre fallbezogen zu prüfen, ob auch die weiteren Voraussetzungen für eine Titelerteilung vorlägen. Dazu habe die Behörde keine Ermittlungen durchgeführt. Die im Akt befindlichen Unterlagen betreffend einen Verlängerungsantrag seien in etwa eineinhalb Jahre alt, zum Teil auch älter. Die den Erstantrag betreffenden Unterlagen seien deutlich älter als drei Jahre und seien dem Landesverwaltungsgericht zudem nicht vorgelegt worden. Es fehle folglich an aktuellen Unterlagen zur Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen. Dass die Sachverhaltsermittlung durch das Verwaltungsgericht mit einer Kosten- oder Zeitersparnis verbunden wäre, sei nicht ersichtlich. Ausgehend davon sei die Sache gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an die Behörde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts sowie zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen gewesen.

6        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die in ihrer Zulässigkeitsbegründung - unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - geltend macht, dass die Voraussetzungen für eine aufhebende und zurückverweisende Entscheidung des Verwaltungsgerichts gegenständlich nicht erfüllt seien.

7        Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Aus dem in ihrer Zulässigkeitsbegründung dargelegten Grund erweist sich die Revision als zulässig und begründet.

9        Nach der ständigen hg. Rechtsprechung zu § 28 VwGVG normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterließ, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte setzte oder bloß ansatzweise ermittelte. Zudem hat das Verwaltungsgericht - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festhielt - nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (VwGH 14.5.2020, Ro 2019/22/0005, Rn. 8, mwN). Das Verwaltungsgericht hat daher darzulegen, dass und aus welchen Gründen die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung nach § 28 Abs. 2 VwGVG nicht erfüllt sind, insbesondere in welcher Weise der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht und inwiefern allenfalls erforderliche Ergänzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen wären. Diesen Anforderungen wird der bloße Hinweis auf einen im Beschwerdeverfahren geänderten Sachverhalt, der von der Behörde neuerlich zu beurteilen bzw. zu prüfen sei, im Allgemeinen nicht gerecht (vgl. etwa VwGH 26.5.2021, Ra 2018/22/0132, Pkt. 7.2. der Entscheidungsgründe, mwN).

10       Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legte dem angefochtenen Beschluss zugrunde, dass die amtsrevisionswerbende Behörde zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung berechtigter Weise das Nichtvorliegen eines Sprachnachweises gemäß § 21a Abs. 1 NAG als Grund für die Abweisung des in Rede stehenden Antrags herangezogen habe. Zudem zog das Verwaltungsgericht das Zutreffen der behördlichen Sachverhaltsfeststellungen, wonach die Mitbeteiligte den ihr erstmals erteilten Aufenthaltstitel mittels eines unrechtmäßig erlangten Sprachzertifikats erschlichen habe, nicht in Zweifel. Auf Basis dieser Feststellungen rückte somit in dem vom Verwaltungsgericht zu führenden Verfahren - worauf die Revision zu Recht hinweist - auch die Prüfung des Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 Z 1 NAG in den Fokus (vgl. dazu etwa VwGH 3.9.2021, Ra 2018/22/0231, Pkt. 6 und 7 der Entscheidungsgründe). Diesbezüglich fanden sich umfangreiche Unterlagen im verwaltungsbehördlichen Akt (S 89 bis 111). Das der Mitbeteiligten zu Last gelegte Verhalten wurde von dieser auch nicht bestritten. In diesem Zusammenhang waren der Behörde daher jedenfalls keine krassen oder besonderes gravierenden Ermittlungsmängel im Sinne der oben dargestellten hg. Judikatur vorzuwerfen. Weshalb das Verwaltungsgericht ergänzende Ermittlungsschritte (gegebenenfalls auch hinsichtlich der für eine Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG maßgeblichen Sachverhaltselemente) nicht im Interesse der Raschheit des Verfahrens - erforderlichenfalls im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - hätte selbst durchführen und die dabei erzielten Ergebnisse einer rechtlichen Beurteilung hätte unterziehen können, ist nicht ersichtlich.

11       Aus den dargelegten Erwägungen lagen somit die Voraussetzungen für eine aufhebende und zurückverweisende Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vor. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 20. Dezember 2021

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220201.L00

Im RIS seit

26.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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