TE Vwgh Beschluss 2021/12/20 Ra 2021/22/0161

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Veröffentlicht am 20.12.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §11 Abs2 Z4
NAG 2005 §11 Abs5
NAG 2005 §46 Abs1 Z2
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Schwarz sowie Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des Landeshauptmanns von Wien gegen das am 9. Juni 2021 mündlich verkündete und am 14. Juni 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/087/6907/2021-19, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: G K), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 23. März 2021 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag der Mitbeteiligten, einer türkischen Staatsangehörigen, vom 18. August 2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab, da ihr Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könne.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten statt und erteilte dieser einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG mit zwölfmonatiger Gültigkeitsdauer. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

3        Das Verwaltungsgericht legte - soweit vorliegend von Bedeutung - seiner Entscheidung zugrunde, dass die Mitbeteiligte seit 12. Juli 2019 mit einem türkischen Staatsangehörigen verheiratet sei. Dieser verfüge über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“. Die Mitbeteiligte halte sich derzeit in der Türkei auf, wo sie den Ausgang des gegenständlichen Verfahrens abwarte. Weder die Mitbeteiligte noch ihr Ehegatte hätten Kinder. Der Zusammenführende lebe derzeit alleine in einer ca. 70 m² großen Wohnung. Die monatliche Miete betrage € 615,28. Weiters fielen an monatlichen Aufwendungen € 40,40 für eine Besitzversicherung sowie € 93,10 für Fernwärme und Strom an. Der Zusammenführende, der zunächst an Imbissständen gearbeitet habe, halte sich seit sieben Jahren in Österreich auf. Als er im September 2017 arbeitslos geworden sei und zeitnah keine neue Anstellung gefunden habe, habe er eine privat finanzierte Ausbildung zum Berufskraftfahrer sowie die dafür erforderlichen Führerscheinprüfungen absolviert. Zudem habe er seine Deutschkenntnisse verbessert. Er beherrsche diese Sprache nunmehr auf sehr gutem Niveau, sodass eine Verständigung in der mündlichen Verhandlung nahezu ohne Dolmetscher möglich gewesen sei. Von März bis Mai 2019 habe er als Uberfahrer und anschließend als LKW-Fahrer bei dem S Unternehmen gearbeitet. Nach einem unverschuldeten Arbeitsunfall im Oktober 2019 sei er bis November 2020 arbeitsunfähig gewesen. In der Folge habe er (nach Wegfall der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber) ab 10. Dezember 2019 Krankengeld in der Höhe von täglich € 46,27 sowie ab November 2020 Arbeitslosengeld bezogen. Im Jänner 2021 habe er seine Berufstätigkeit als Fahrer bei dem B Unternehmen wiederaufgenommen. Dort sei er von 19. Jänner bis 26. Februar 2021 einer Vollzeitbeschäftigung nachgegangen. Diese Tätigkeit übe er auch seit 2. April 2021 wieder aus. Bei dem zuletzt genannten Unternehmen könne der Zusammenführende jedenfalls für die nächsten sechs Monate als Fahrer arbeiten. Mit dieser Tätigkeit erziele er inklusive Sonderzahlungen, Prämien und Diäten ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von ca. € 1.970,--. Aktuell bewerbe er sich auch bei verschiedenen anderen Unternehmen. Aufgrund seiner Ausbildung, seines jungen Alters, seiner wiederhergestellten Gesundheit sowie seiner Arbeitswilligkeit sei davon auszugehen, dass der Ehegatte der Mitbeteiligten nach sechs Monaten jedenfalls wieder eine neue Anstellung finden werde, sodass er auch nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses bei dem B Unternehmen weiterhin ein Gehalt in der Höhe seines jetzigen Einkommens erzielen werde. Darüber hinaus beziehe der Zusammenführende aufgrund des im Jahr 2019 erlittenen Arbeitsunfalls eine unbefristete Rente in der Höhe von monatlich € 224,26. Ferner verfüge er über ein Bankguthaben in der Höhe von € 3.100,--. Weder die Mitbeteiligte noch ihr Ehegatte hätten Kredit- oder sonstige Verbindlichkeiten.

4        In rechtlicher Hinsicht ging das Verwaltungsgericht aus näher dargestellten Erwägungen davon aus, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des gegenständlichen Aufenthaltstitels erfüllt seien. Hinsichtlich des von der Behörde herangezogenen Abweisungsgrundes hielt es fest, dass den erforderlichen Geldmitteln (Ehegattenrichtsatz zuzüglich Aufwendungen in der Höhe von € 444,33 abzüglich des Wertes der freien Station) in der Höhe von insgesamt € 2.023,-- Mittel in der Höhe von € 2.452,-- gegenüberstünden. Ausgehend davon sei bei einem Aufenthalt der Mitbeteiligten im Bundesgebiet keine Gefahr einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft gegeben.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, das Verwaltungsgericht sei unzutreffender Weise davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG vorlägen. Die erforderlichen Unterhaltsmittel seien von der Mitbeteiligten lediglich für sechs Monate und somit nicht für die gesamte Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels nachgewiesen worden. Gegenständlich sei nach sechs Monaten mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse des Zusammenführenden zu rechnen; dieser habe nur für die nächsten sechs Monate eine fixe Anstellung. Hinsichtlich seiner Bewerbungen bei verschiedenen anderen Unternehmen habe er noch keine Rückmeldung erhalten. Vor diesem Hintergrund erweise sich die positive Prognoseentscheidung des Verwaltungsgerichts als nicht nachvollziehbar. Zudem habe der Zusammenführende in der Vergangenheit immer wieder, insbesondere auch während eines durchgehenden Zeitraums von ca. eineinhalb Jahren, Arbeitslosengeld bezogen. Es sei daher nicht unwahrscheinlich, dass der Ehegatte der Mitbeteiligten auch nach Beendigung seiner Beschäftigung bei dem B Unternehmen allenfalls wieder ein Einkommen aus der Arbeitslosenversicherung lukrieren werde. Dieses Einkommen sei aber bei Erstanträgen für die Berechnung der erforderlichen Unterhaltsmittel nicht zu berücksichtigen.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Das Verwaltungsgericht Wien legte (auch im Rahmen seiner beweiswürdigenden Überlegungen) mit ausführlicher Begründung dar, weshalb es unter den vorliegend maßgeblichen Umständen davon ausging, dass der Mitbeteiligten im Hinblick auf die Einkünfte ihres Ehegatten, auch wenn dessen aktuelles Beschäftigungsverhältnis voraussichtlich nach sechs Monaten enden werde, während der zwölfmonatigen Gültigkeitsdauer des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erteilten Aufenthaltstitels ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stünden. Dass diese einzelfallbezogen erstellte Prognose nicht den dazu in der hg. Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen entspräche (vgl. etwa VwGH 1.4.2021, Ra 2020/22/0025, Rn. 6), vermag die Zulässigkeitsbegründung der Amtsrevision nicht darzulegen.

10       Insbesondere trifft es nicht zu, dass Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, die dem zusammenführenden Ehegatten auch ohne den Zuzug der Mitbeteiligten zustünden (im Speziellen der Grundbetrag), bei der Einkommensberechnung gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG nicht zu berücksichtigen wären. Mit ihrem Vorbringen übersieht die Amtsrevision nämlich, dass fallbezogen nicht ein Arbeitslosenbezug, auf den erst infolge des Zuzugs der Mitbeteiligten Anspruch bestünde, sondern ein davon unabhängiger Leistungsanspruch des bereits im Bundesgebiet niedergelassenen Ehegatten zu beurteilen wäre. Aus diesem Grund stünde § 11 Abs. 5 letzter Satz NAG der Berücksichtigung eines dem Zusammenführenden - ungeachtet der Erteilung eines Aufenthaltstitels für die Mitbeteiligte - zustehenden Arbeitslosenbezugs nicht entgegen (VwGH 16.9.2015, Ro 2014/22/0047, wonach gemäß § 11 Abs. 5 letzter Satz NAG die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Zusammenführenden danach zu erfolgen hat, wie sich diese ohne den Zuzug des Fremden darstellen würde; zu Leistungen der Arbeitslosenversicherung, die nicht als Sozialhilfeleistung, sondern als Versicherungsleistungen zu qualifizieren und daher bei der Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens gemäß § 11 Abs. 5 NAG im Allgemeinen zu berücksichtigen sind, vgl. etwa VwGH 22.3.2011, 2009/18/0402; dort zu § 11 Abs. 5 in der Fassung vor BGBl. I Nr. 111/2010).

11       Die in der Amtsrevision vertretene Rechtsauffassung findet auch in den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2020, Ra 2019/22/0203, keine Deckung. Die dort in Rn. 11 getroffenen Aussagen sind dahin zu verstehen, dass bei Berechnung der für den Unterhalt des Fremden zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (wie Arbeitslosenbezüge und Notstandshilfe) - im Fall von Erstanträgen nur nach Maßgabe des § 11 Abs. 5 letzter Satz NAG und somit im oben dargestellten Sinn - zu berücksichtigen sind.

12       Dass aber bei einer durchschnittlichen Jahresbetrachtung unter Berücksichtigung des bereits bestehenden und voraussichtlich für weitere sechs Monate aufrechten Beschäftigungsverhältnisses des Zusammenführenden sowie unter Miteinbeziehung eines anschließend etwaig anfallenden Arbeitslosenbezugs die gegenständlich zu errechnenden finanziellen Mittel den gesetzlichen Vorgaben nicht entsprächen, legt die Amtsrevision nicht konkret dar. Somit wäre aber schon selbst für den Fall, dass der Ehegatte der Mitbeteiligten nach sechs Monaten keine neue Anstellung erlangte und sich die insofern erstellte positive Prognose des Verwaltungsgerichts als unzutreffend herausstellte, nicht notwendiger Weise der Schluss zu ziehen, dass die erforderlichen Richtsätze unterschritten würden. Auch angesichts dessen gelingt es der Amtsrevision insgesamt nicht, die Tragfähigkeit der verwaltungsgerichtlichen Einschätzung, die zur Bejahung des Vorliegens der erforderlichen Unterhaltsmittel führte, substantiiert in Zweifel zu ziehen.

13       Aus den dargelegten Erwägungen liegen die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor. Somit war die Amtsrevision gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.

Wien, am 20. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220161.L00

Im RIS seit

26.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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