TE OGH 2021/11/24 7Ob180/21b

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Veröffentlicht am 24.11.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* M*, vertreten durch Mag. Robert Haupt, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W* AG *, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 24.316,58 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juli 2021, GZ 1 R 80/21y-33, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. April 2021, GZ 47 Cg 6/19p-28, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.568,52 EUR (darin enthalten 261,42 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Der von der Klägerin 2010 unterfertigte Antrag auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags mit der Beklagten enthielt eine Belehrung über das Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG wie folgt:

§ 165a VersVG

Es besteht ein Rücktrittsrecht binnen 30 Tagen nach der Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags.

[...]“

[2]       Allein das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einer bestimmten Fallgestaltung begründet für sich noch nicht eine erhebliche Rechtsfrage (RS0102181). Lassen sich – wie im vorliegenden Fall – die von der Revisionswerberin für erheblich erachteten Rechtsfragen durch Anwendung der bestehenden Rechtsprechung in Verbindung mit den Gesetzen der Logik klären, dann liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (RS0118640) und die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig und zurückzuweisen. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[3]       1.1 Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst (7 Ob 121/21a, 7 Ob 128/21f) dahin Stellung genommen, dass nach der österreichischen Rechtslage die Belehrung nach § 165a VersVG – hier in der Fassung BGBl I Nr 2006/95 – vor Abgabe seiner Vertragserklärung erteilt werden muss (§ 9a Abs 1 VAG – hier in der Fassung BGBl I 2007/56), und nach den einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen (Art 36 Abs 1 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 11. 2002 über Lebensversicherungen in Verbindung mit deren Anhang III Buchstabe A a. 13 als auch nach Art 185 Abs 1 und 3 lit j der nachfolgenden Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 11. 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) dem Versicherungsnehmer die Informationen über sein Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrags mitzuteilen sind.

[4]       1.2 Der Versicherungsvertrag kommt mit Zugang der Polizze als wirksame Annahme des Antrags zustande (7 Ob 121/21a mwN). Die der Klägerin im Versicherungsvertrag erteilte Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 165a Abs 1 Satz 1 VersVG erfolgte somit entsprechend der Rechtslage vor Vertragsabschluss.

[5]       1.3 Die Rücktrittsrechte nach § 5b VersVG, § 165a VersVG und § 8 FernFinG beruhen jeweils auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und knüpfen an unterschiedliche Voraussetzungen an.

[6]       1.4 Das Berufungsgericht vertrat, allein der Umstand, dass in der Polizze über die Rücktrittsrechte nach § 5b VersVG und § 8 FernFinG informiert, die im Versicherungsantrag bereits erfolgte Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG jedoch nicht wiederholt worden sei, führe zu keinen widersprüchlichen und irreführenden Aussagen über die Möglichkeit der Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 165a VersVG.

[7]       1.5 Diese Beurteilung ist nicht korrekturbedürftig. Die Argumentation der Klägerin, es könne dazu kommen, dass die entsprechenden Belehrungen in dem Versicherungsantrag nicht gelesen würden, jene in der Polizze aber schon, trägt nicht. Die Klägerin verfügte zu dem von der Rechtslage vorgesehenen Zeitpunkt über die erforderliche Information.

[8]            1.6 Vor dem weiteren Hintergrund, dass dann, wenn der Versicherer ein vom Interessenten an einem seiner Produkte auszufüllendes und bei ihm einzureichendes Antragsformular verwendet, für den durchschnittlichen, redlichen und vernünftigen Versicherungsnehmer klar ist, dass der Zugang der Polizze die wirksame Annahme des Versicherungsantrags und gleichzeitig die Verständigung vom Zustandekommen ist (7 Ob 128/21f mzwN), lag für die im Versicherungsantrag entsprechend belehrte Klägerin auch kein Umstand vor, der sie an der Ausübung des Rücktrittrechts hindern hätte können.

[9]       1.7 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Frist für einen Rücktritt der Klägerin nach § 165a VersVG aF, sei mit dem Zugang der Polizze im November 2010 in Gang gesetzt worden und ihr aus diesem Grund am 18. 5. 2018 erklärter Vertragsrücktritt unwirksam, ist nicht korrekturbedürftig, sondern hält sich im Rahmen der bestehenden Judikatur.

[10]     3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

[11]     4. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E133635

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00180.21B.1124.000

Im RIS seit

26.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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