TE Lvwg Erkenntnis 2021/10/7 VGW-102/013/4600/2021

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Entscheidungsdatum

07.10.2021

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

B-VG Art. 130 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Helm über die Beschwerde der Frau A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch ihre Einkesselung am 06.03.2021 im Bereich Obere Donaustraße 49-51 von 18:15 Uhr bis 19:45 Uhr in 1020 Wien, gegen die Landespolizeidirektion Wien als belangte Behörde, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 05.08.2021, 09.09.2021 und 07.10.2021, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerdeführerin hat dem Rechtsträger der belangten Behörde (Bund) EUR 368,80 für Schriftsatzaufwand, EUR 57,40 für Vorlageaufwand und EUR 461,00 für Verhandlungsaufwand, insgesamt somit EUR 887,20 an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu leisten.

III. Die Revision wird zugelassen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

1. Mit Schriftsatz vom 26.03.2021, zur Post gegeben am 01.04.2021 und sohin rechtzeitig, erhob die Einschreiterin durch ihren Rechtsfreund Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, worin sie zum Sachverhalt vorbringt.

„Ich war am Samstag 06.03.2021 gemeinsam mit meiner Freundin Frau C. D., geb. …, und einem Bekannten namens Herrn E. F., geb. …, auf einer offiziellen, angemeldeten Demo (Demokratie – Grundrechte – Freiheit) beim / bzw in der Nähe der Jesuitenwiese in der Praterallee.

Ich möchte anmerken, dass die Demo absolut friedlich verlief. Nur vermummte Antifa-Personen fuhren vorbei und zeigten den Mittelfinger. Sie verbrannten auch eine Österreich-Fahne.

Um circa 17:30 Uhr war die Ansprache von Herrn Herbert KICKL vorbei und wir gingen nach Hause, in Richtung Innenstadt zur U-Bahn. Uns fiel dann auf, dass die Straßen abgesperrt waren und jegliche Möglichkeit, zu einer U-Bahnstation gelangen, uns genommen wurde. Es gab keine Chance. Wir konnten weder nach rechts noch nach links.

Wir wurden dann von der Polizei sogar bis zur Augartenbrücke regelrecht getrieben.

Wir wollten dann über die Augartenbrücke, um so zur U4 Station Schottenring

gelangen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt noch auf der Oberen Donaustraße. Vor uns baute sich aber eine Wand von Polizisten und Polizeihunden auf. Die waren auf einmal da. Über uns flog ein Hubschrauber. Gleichzeitig schloss sich auch eine Polizeiwand von hinten und von der linken Seite; die vierte Seite war von der Hausmauer (Gebäude der Wiener Städtischen Versicherung) blockiert.

Wir gingen vor zur Polizei, um zu sehen, ob wir hinauskönnen. Dort sahen wir aus nächster Nähe Personen, die darum bettelten, wie wir rauszudürfen. Mehrere Mütter war in Panik und sprachen von Kleinkinder, welche bei ihnen zu Hause auf sie warteten.

Andere mussten dringend auf die Toilette und versuchten ebenfalls auf die Polizisten einzureden. Die Polizisten hörten diese Bitten auch, aber die Polizisten schüttelten nur mit dem Kopf und gaben keinen Laut von sich. Es gab auch keine Möglichkeit durch Ausweisleistung hinauszukommen. Es wurde immer enger, die Polizisten schritten immer stärker nach vorne. Schritt für Schritt, wie Zinnsoldaten.

Für etwa einundhalb Stunden (von etwa 18:15 bis 19:45 Uhr) wurden wir ohne

Mitteilung und ohne irgendwelche Erklärungen an dieser Stelle festgehalten. Niemand wusste was passiert und wie lange das noch dauern wird. Ich hatte mittlerweile extremen und schon schmerzhaften Harndrang. Doch es gab keinen Ausweg, man durfte nicht gehen. Ich hatte Durst und es war extrem kalt. Am schlimmsten war es aber mit den Müttern. Die haben die Polizisten richtig angebettelt, aber die Polizisten zeigten kein Herz und ließen sich nicht erweichen.

Es kam dann ein großer Polizeiwagen, der meinte, dass wir nicht aggressiv sein sollten und die Ausweise herrichten sollten.

Es wurde dann nach so langer Zeit begonnen, einzelne Personen aus der Menge

herauszufischen. Uns wurde die Möglichkeit gegeben, dass wir nun nach Hause gehen können, wenn wir „freiwillig einer Anzeige zustimmen“. Wir gaben unsere Ausweis her und gingen nach Hause.“

In rechtlicher Hinsicht wird lediglich beantragt, die Festhaltung durch Einkesselung von 18:15 Uhr bis 19:45 Uhr kostenpflichtig für unrechtmäßig zu erklären.

2. Die belangte Behörde legte auftragsgemäß eine Abschrift des Einsatzberichtes „EAII-Demos sonstige am 06.03.2021“ von Obst. G. H. und eine Abschrift des von ihrem SPK Floridsdorf elektronisch geführten Aktes PAD/21/-…/KRIM „Zwangsmittelanwendung durch Exekutivbedienstete“ vor, sowie Amtsvermerke aus den von ihrem Polizeikommissariat Brigittenau elektronisch geführten Verwaltungsakten, die den ersten Anhalteversuch des Demonstrationszuges betreffen (…). Ferner wird auf die SD-Karte verwiesen, die im Parallelverfahren VGW-102/013/4331/2021 vorgelegt worden ist.

Unter einem erstattete die belangte Behörde zu ihrer GZ: PAD/21/…/1 eine Gegenschrift, worin sie zum Sachverhalt vorbringt:

„Für den 06.03.2021 waren in Wien insgesamt 15 Kundgebungen zum

Themenkomplex Corona-Maßnahmen der Bundesregierung bei der LPD Wien als

Versammlungen angezeigt worden. Da im Zusammenhang mit diesen Kund-gebungen jedenfalls mit massiven Verstößen gegen die 4. Corona-Schutzmaßnahmen-Verordnung zu rechnen war, wurden davon 13 Kundgebungen durch die LPD Wien als zuständige Versammlungsbehörde unter Einbindung des Magistrats der Stadt Wien als zuständige Gesundheitsbehörde untersagt.

Es wurde seitens der LPD Wien dennoch davon ausgegangen, dass sich zahlreiche Demonstranten trotz Untersagung im Bereich Heldenplatz und Maria-Theresien-Platz einfinden würden, weshalb umfangreiche Vorkehrungen getroffen worden waren. Das Ziel der untersagten Versammlungen waren vorwiegend Märsche auf der Ringstraße sowie Marschkundgebungen im Bereich der Fußgängerzone des 1. Bezirks.

Dennoch kam es zu einigen unangemeldeten Versammlungen im Bereich Wien

Innere Stadt und zwar am Burgtor und an der Babenberger Straße. Des Weiteren

fand am Heldenplatz, um 14:00 Uhr, eine angemeldete Standkundgebung der FPÖ statt. In den meisten Fällen hielten sich die Teilnehmenden nicht an die

Regelungen des COVID -19-Maßnahmengesetz.

Die Masse dieser Teilnehmer zog in weiterer Folge in einem langegezogenen Zug

über den 3. Bezirk sowie über die Praterstraße bzw. Franzensbrückenstraße zum

Praterstern, in weiterer Folge über die Prater Hauptallee zur Jesuitenwiese. Ziel

dieser Personen war offensichtlich die angemeldete Versammlung der FPÖ zum

Thema „Demokratie, Grundrechte und Freiheit" zwischen 15:00 und 22:00 Uhr in

der Nähe der Jesuitenwiese.

Um 15:00 Uhr begann die oben angeführte Kundgebung der FPÖ in Wien 02.,

Jesuitenwiese. An dieser Kundgebung nahmen bis zu 20.000 Personen teil, welche insbesondere von den anderen, oben angeführten, Kundgebungen im Bereich Wien Innere Stadt hinzukamen.

Aufgrund der Ergebnisse der vorangegangenen Erhebungen, sowie der Erfahrungen dieses Einsatztages war anzunehmen, dass sich zumindest ein erheblicher Teil der Demonstranten nach Beendigung der Kundgebung auf der

Jesuitenwiese zu neuerlichen Demonstrationsmärschen in die innerstädtischen

Bezirke aufmachen würden. Aus diesem Grunde erfolgte der Auftrag des

behördlichen Einsatzleiters Landespolizeipräsident Dr. Gerhard PÜRSTL an die

Einsatzkommandantin Brigadier J. K., Demonstrationsmärsche über den Donaukanal zu unterbinden. Zu diesem Zwecke wurden die Donaukanalbrücken durch Exekutivkräfte besetzt und Tretgittersperren aufgezogen.

Es wird jedoch bemerkt, dass der Abstrom über die Prater Haupt- und die

Rustenschacherallee jederzeit möglich war. Die Möglichkeit die öffentlichen

Verkehrsmittel über den Praterstern zu erreichen war dabei ständig gegeben und

wurde durch einen erheblichen Anteil der Demonstrationsteilnehmer, circa 15000

bis 20000 Personen, wahrgenommen.

Personen, die einzeln oder in kleinen Gruppen zu den Brücken am Donaukanal

kamen, konnten diese auch passieren und diese Möglichkeit wurde auch von vielen Personen genützt.

Nach dem offiziellen Ende der angemeldeten Kundgebung auf der Jesuitenwiese

sammelten sich mehrere hundert Personen im Bereich Wittelsbachstraße/-Rotundenbrücke und wollten - trotz bereits beendeter Versammlung am angemeldeten Versammlungsort - als Demonstrationszug, es handelte sich um einen geschlossenen Zug, in dem Sprechchöre- teils unter Verwendung von Lautsprechern - skandiert („Kurz muss weg") und Fahnen und Transparente hochgehalten wurden, durch Überqueren des Donaukanals in Richtung 1. bzw. 3.Bezirk gelangen.

Diese Absicht wurde nach Rücksprache mit dem behördlichen Einsatzleiter durch

Sperre der Rotundenbrücke mittels Tretgitter unterbunden. Ein Auseinandergehen oder Verlassen des Demonstrationszuges in alle anderen Richtungen wäre jederzeit möglich gewesen.

Die Teilnehmerinnen an diesem Zug mit manifestem Charakter hielten sich

vorwiegend nicht an die COVID-Bestimmungen.

Dieser Demonstrationszug begab sich nun nach Sperre der Rotundenbrücke auf

die Böcklinstraße und in weiterer Folge über die Schüttelstraße in Richtung

Norden.

Auf Höhe Sellenygasse wurde versucht, den Zug anzuhalten, die polizeiliche

Sperre wurde jedoch durch mehrere Personen gewaltsam durchbrochen. Nur zwei dieser Personen konnten wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt

festgenommen werden, den anderen am Durchbruch beteiligten Personen gelang

es im Zug unerkannt weiterzumarschieren. Eine Person wurde vor Ort sogar

wegen § 3 g Verbotsgesetz festgenommen.

Der Demonstrationszug bewegte sich am Donaukanal Richtung Norden weiter.

Nach der Aspernbrücke, auf Höhe Fischergasse, wurde von polizeilicher Seite

erneut versucht diesen zu stoppen. Die Sperre wurde durch Gewalt gegen die

einschreitenden Beamten wiederum durchbrochen, den am gewaltsamen

Durchbruch Beteiligten gelang die Flucht in der Masse der Weitermarschierenden.

Der Marschblock konnte schließlich im Bereich der Oberen Donaustraße 49-51/Untere Augartenstraße angehalten werden.Es wurde im Bereich Augartenbrücke und auf Höhe Schiffamtsgasse Sperrketten unter dem Kommando von Oberst H. G. errichtet, westseitig bildete der Donaukanal eine natürliche Barriere. Das Vorhaben war, die Versammlung behördlich aufzulösen. Dies wurde infolge der sich überschlagenden Ereignisse letztlich nicht umgesetzt.

Auch hier kam es unmittelbar nach Errichtung der Sperre sofort zu Durchbruchsversuchen auf beiden Seiten der Sperren in Form von tätlichen Angriffen und Widerstandshandlungen gegen die, die Sperre bildenden, Beamten, wobei es zu Festnahmen sowie zu mehreren Pfeffersprayeinsätzen und Anwendungen von Körperkraft kam.

In weiterer Folge kam es um ca. 18.35 Uhr zu einem Eindringen einer ca. 70 – 80-köpfigen Personengruppe in das Gebäude der Wr. Städtischen Versicherung,

wobei sich der Anfangsverdacht des schweren Hausfriedensbruchs ergab und

insgesamt 24 Personen deshalb festgenommen wurden.

Nach der Beendigung der gefährlichen Angriffe, der Verhinderung des weiteren

Zustromes in das Gebäude der Wiener Städtischen Versicherung und der dabei

erforderlichen Hilfeleistung für die Verletzten wurden die anwesenden Personen

mittels Megafon deutlich wahrnehmbar aufgefordert, ihre Ausweise bereitzuhalten, da Identitätsfeststellungen vorgenommen werden würden.

Die Abarbeitung der Identitätsfeststellungen unter dem Kommando vom Oberst

L. M. konnte daher um 18:50 Uhr begonnen werden und dauerte bis 19:31 Uhr. Diese war in der Form organisiert, dass Abarbeitungsstraßen an beiden Seiten der Sperren errichtet wurden und die Anwesenden nach Identitätsfeststellung den Bereich verlassen konnten. Auch die BF konnte nach Identitätsfeststellung den Bereich verlassen.

Ein Zusammendrängen der anwesenden Personen ist nicht erfolgt. Es ist auch den Luftaufnahmen erkennbar, dass genügend „Platz" vorhanden war.“

In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt, es sei durch die Teilnehmer an diesem Demonstrationszug mehrfach Gewalt gegen die einschreitenden Beamten geübt und es seien strafbare Handlungen begangen worden. Anderseits habe sich der Großteil der Versammlungsteilnehmer nicht an den Vorschriften der COVID-19-Maßnahmenverordnung gehalten, man habe keine Masken getragen und nicht den geforderten Mindestabstand eingehalten. In rechtlicher Hinsicht habe der Demonstrationszug eine nicht angemeldete Versammlung dargestellt, in deren Verlauf sich gesetzwidrige Vorfälle ereignet hätten. Das zielgerichtete Verhalten und der manifeste Charakter seien im Sachverhalt dargestellt. Es hätte daher die Möglichkeit bestanden, die Versammlung aufzulösen. Aufgrund der mit einer Auflösung verbundenen hohen Ansteckungsgefahr durch den zu erwartenden Einsatz von Zwangsgewalt sei aber auf Deeskalation gesetzt worden.

Die zweimaligen Durchbruchsversuche bei versuchten vorangegangenen Sperren und die von den Demonstranten gesetzten Handlungen seien ohne Zweifel als Widerstand gegen die Staatsgewalt und tätliche Angriffe auf Beamte zu werten. Ein Teilnehmer am Demonstrationszug sei auch wegen einer strafbaren Handlung gegen das Verbotsgesetz festgenommen worden. Da mehrfach durch die Teilnehmer an diesen Demonstrationszug strafbare Handlungen begangen worden seien, sei es gemäß § 118 StPO geboten gewesen, die Identität jener Personen zu klären, die an diesen Straftaten beteiligt gewesen seien, und jener, die über die Straftaten Auskunft hätten erteilen können. Zwischen Beteiligten und bloßen Zeugen habe nicht sofort unterschieden werden können. Hierzu wird auf Art. 2 Abs. 1 Z 2 lit. a des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit verwiesen. Sei somit auf die Notwendigkeit der Identitätsfeststellung zur Ausforschung der Täter bereits hingewiesen, so ergebe sich die Zweckmäßigkeit daraus, dass das strafbare Verhalten im Zuge des Marsches zur Beweissicherung aus verschiedenen Perspektiven auf Video dokumentiert worden sei. Die Auswertung dieses Materials zur Ausforschung der konkreten Täter sei aber als höchst umfangreich und komplex einzustufen. Die Zeit der Anhaltung sei verhältnismäßig gewesen und ob der großen Zahl der Anwesenden, nämlich circa 540, durch das gezielte und organisierte Einschreiten mit zwei Aufarbeitungsstraßen sehr rasch, nämlich innerhalb von 45 Minuten erfolgt. Der verzögerte Beginn sei dadurch entstanden, dass unmittelbar nach Bildung der Sperrkette sofort wieder Gewalt gegen die Beamten geübt worden sei, und zwar auf beiden Seiten des abgesperrten Bereiches, und dass eine Personengruppe in das Haus der Wiener Städtischen Versicherung eingedrungen sei, sodass die anwesenden Kräfte nach der Beendigung durch gefährlichen Angriffe mit der Durchsuchung des Gebäudes und mit Hilfeleistungen beschäftigt gewesen seien. Diese Verzögerung könne nicht zur Lasten der belangten Behörde gehen.

Durch die deutlich wahrnehmbare Durchsage, es werde zu Identitätsfeststellungen kommen und man möge daher seine Ausweise bereithalten, seien die Angehaltenen über das Prozedere informiert gewesen und hätten die Möglichkeit gehabt, durch kooperatives Verhalten rasch den Ort wieder verlassen zu können. Die Beschwerdeführerin hätte den Demonstrationszug an jedem Ort verlassen können, was nach den tätlichen Angriffen beim ersten Anhalteversuch ja nahegelegen wäre.

Es wird daher beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

3. Am 05.08.2021 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt, welcher mit den Verhandlungen zu VGW-102/013/4582/2021 (N. P.) und VGW-102/013/4331/2021 (O. R.) verbunden wurde. Die Beschwerdeführerin ist mit ihrer Rechtsvertreterin Mag. S. ladungsgemäß erschienen, ebenso die Parallelbeschwerdeführerin R. sowie die Zeuginnen C. D. und Bgdr. K. und die Zeugen Obst. T., KI U., GrI V. und MR Mag. W.. Die belangte Behörde war durch Herrn Dr. X. vertreten. Zur Einvernahme des Zeugen F. wurde auf den 09.09.2021 vertagt, zur Einvernahme des Zeugen Obst. H. auf den 07.10.2021, wobei die Verfahren mit jenen zu VGW-102/013/5370/2021 (I. Y.) und VGW-102/013/5585/2021 (Q. Z.) verbunden wurde. In dieser Verhandlung wurde auch die Parallelbeschwerdeführerin N. P. einvernommen. Nach Abschluss des Beweisverfahrens wurde das Erkenntnis verkündet.

3.1. Aufgrund der vorlegten Unterlagen sowie des Akteninhaltes, der vorgeführten Videos, der Einvernahme der genannten Zeugen sowie Parteienvernehmung hat das Verwaltungsgericht Wien folgenden Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:

Am Nachmittag des 06.03.2021 fand auf der Jesuitenwiese im Prater eine Kundgebung der FPÖ gegen die COVID-19-Maßnahmen statt, welche gegen 17 Uhr beendet war. Da bereits um die Mittagszeit eine ebensolche Versammlung auf dem Heldenplatz stattgefunden hatte und die Versammlungsteilnehmer großteils am Rande der Innenstadt zur Jesuitenwiese gezogen waren, wollte die belangte Behörde ein abendliches Zurückströmen von Demonstrationsteilnehmern in die Innenstadt verhindern, um eine Verbreitung des Virus durch das Zusammentreffen der zumeist maskenlosen Demonstrationsteilnehmer mit abendlichen Ausgängen in der Innenstadt zu vermeiden. Die Brücken am Donaukanal vom 2. Bezirk in den 1. und 3. Bezirk wurden daher abgesperrt und die Order ausgege-ben, dass nur Einzelpersonen oder Kleingruppen, die nicht als Demonstrations-zug konstituiert seien, durchzulassen seien.

Der größte Teil der Versammlungsteilnehmer strömte von der Jesuitenwiese über die Praterhauptallee und die Rustenschacheralle Richtung Praterstern ab. Eine Gruppe von etwa 500 Personen, der auch die Beschwerdeführerin angehörte, formierte sich jedoch zu einem neuerlichen Demonstrationszug über die Wittelsbachstraße Richtung Rotundenbrücke. Dort hatte die belangte Behörde eine größere Sperre vor der Schüttelstraße errichtet, gegen die einige Demonstranten zwar anrannten, die aber von einem Großteil der Demonstranten dadurch umgangen wurde, dass sie die letzte Quergasse davor in Richtung Sellenygasse und Tiergartenstraße benützen. Die in diesen beiden Gassen errichteten Sperren waren schwach besetzt und wurden von den Demonstranten überrannt, indem sich diese zwischen den Beamten gewaltsam durchzwängten. Danach zog der Demonstrationszug weiter auf der Schüttelstraße Richtung Untere Donaustraße. Es wurden weiterhin Transparente hochgehalten und Parolen gerufen, sodass allen Teilnehmern, einschließlich der Beschwerdeführerin, bewusst war, sich in einem weiteren Demonstrationszug zu befinden. Alle nahmen auch wahr, dass Absperrungen nur in Richtung des 1. Bezirks, aber nicht in Richtung 2. Bezirk vorhanden waren, sodass sich die Teilnehmer jederzeit in Richtung des 2. Bezirks hätten zerstreuen können. Die Beschwerdeführerin verblieb jedoch weiterhin im geschlossenen Demonstrationszug und erkundigte sich auch nicht bei den in Richtung 1. Bezirk an den Brücken postierten Beamten, ob sie als Einzelperson oder mit ein oder zwei Begleitern durchgelassen würde.

Hinter der Kreuzung mit Praterstraße bzw. Aspernbrücke und der nächsten Quergasse war eine weitere Sperre der Polizei errichtet, um den Demonstrationszug anzuhalten und die Auflösung der Demonstration zu verkünden, bei der sich bereits anlässlich des Durchbrechens der vorigen Polizeisperren strafbare Handlungen ereignet hatten und die COVID-Bestimmungen laufend missachtet wurden. Der dafür nötige Lautsprecherwagen war ursprünglich auf der Rotundenbrücke postiert gewesen und musste aufgrund der Einbahnregelungen auf der Seite des 1. Bezirks auf komplizierte Weise nach vor gebracht werden. Ein Teil der Demonstrationsteilnehmer umging jedoch neuerlich diese Sperre, indem sie in die davor gelegene Fischergasse abbogen und anschließend wieder auf die Untere Donaustraße zurückkehrten, andere durchbrachen diese Sperre neuerlich gewaltsam. Der Demonstrationszug begab sich sodann an den weiteren Brücken vorbei bis zur Augartenbrücke, wo es der belangten Behörde gelungen war, genügend Kräfte zusammenzuziehen, um einem neuerlichen Durchbruchsversuch ausreichend Widerstand entgegensetzen zu können.

Tatsächlich gab es vor der Unteren Augartenstraße einen Versuch, auch diese Polizeikette mit Gewalt zu durchbrechen, indem sich die Demonstrationsteilnehmer unterhakten und gegen die Polizeikette anrannten, sodass die dort aufgestellten Polizeibeamten Pfefferspray einsetzten mussten, um einen Durchbruch zu verhindern. Die wenigen durchgebrochenen Personen konnten überwältigt und festgenommen werden. Aufgrund der bis dato erfolgten zahlreichen Widerstandshandlungen und tätlichen Angriffen auf Polizeibeamte bei den Durchbruchsversuchen und aufgrund der weit überwiegenden Missachtung der COVID-Bestimmungen durch die Demonstrationsteilnehmer wurde der Bereich in der Oberen Donaustraße nun auch von hinten abgeriegelt und wurden die Leute aufgefordert, ihre Ausweise zur Identitätsfeststellung bereitzuhalten. Währenddessen kam es zu einem Durchbruch von mehr als 50 Personen in das Gelände der Wiener Städtischen Versicherung in Verbindung mit einer schweren Körperverletzung eines dort angestellten Sicherheitsorgans, auf das die Beamten reagieren mussten, und wodurch es zu einer weiteren Verzögerung kam. Die anschließenden Identitätsfeststellungen erfolgten im Verhältnis zur wartenden Menschenmenge rasch, sodass die Dauer der Einkesselung – unter Einschluss der von den Demonstrationsteilnehmern verursachen Verzögerungen (Durchbruchsversuch sowie Einbruch in das Gelände der Wiener Städtischen Versicherung) – auf insgesamt eineinhalb Stunden beschränkt werden konnte. Auch die Beschwerdeführerin konnte nach ihrer Identitätsfeststellung den Bereich verlassen.

3.2. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweisergebnisse:

Wie sich aus den Aussagen der Einsatzleiterin Bgdr. K., des vor Ort befindlichen Zugskommandanten Obst. H. und des ebenfalls vor Ort befindlichen Behördenvertreters Mag. W. ergibt, wurden nach der angemeldeten Versammlung auf die Jesuitenwiese die Übergänge in den 1. Bezirk für Demonstranten gesperrt, um eine Vermischung der großteils die Maske verweigernden Teilnehmer mit den abends doch recht zahlreichen Passanten in der Innenstadt aus gesundheitspolitischen Gründen zu verhindern. Die Order lautete demnach, Kleinstgruppen bis zu fünf Personen durchzulassen, sofern die nicht den Eindruck erweckten, den Demonstrationszug in der Innenstadt fortsetzen zu wollen. Diese Order wurden laut Aussage des Zeugen Obst. H. jedenfalls an seine Beamten weitergegeben, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sie nicht von den anderen Zugskommandanten ebenfalls an die ihnen unterstellten Beamten weitergegeben worden wäre. Allerdings hat das Beweisverfahren ergeben, dass in Einzelfällen dennoch Kleinstgruppen der Durchgang verwehrt worden ist. So wurde laut glaubwürdiger Aussage der als weitere Partei in derselben Verhandlung einvernommenen N. P. ihr und ihren zwei Begleitern der Durchgang über die Schwedenbrücke mit dem Hinweis verweigert, sie mögen bis zur Augartenbrücke weitergehen und könnten dort passieren, wodurch sie angehalten wurden, gegen ihren Willen mit dem Demonstrationszug weiter zu marschieren, und in die Einkesselung gerieten.

Hingegen hat die Beschwerdeführerin keinen Versuch unternommen, den als solchen deutlich erkennbaren Demonstrationszug von etwa 500 Personen zu verlassen, obwohl, wie auf den Videos ersichtlich, weiterhin Transparente hochgehalten und Parolen gerufen wurden. Wie sich aus den Aussagen der genannten Zeugen ergibt, aber zum Teil auch auf den Videos ersichtlich ist, hat es mehrere Durchbrüche und Durchbruchsversuche von polizeilichen Sperrketten gegeben, und ein Großteil der Demonstranten trug keine Masken. Die Beschwerdeführerin gab an, sie habe dies als Spaziergang empfunden und sei einfach weiter mit den Demonstranten marschiert.

Laut den Aussagen der weiteren Parteien P. und Z. war ein Verlassen des Demonstrationszuges in Richtung 2. Bezirk – wie von der belangten Behörde angegeben – jederzeit möglich. Dies räumt auch der Zeuge E. F. ein, welcher überdies angibt: „Die, die mitmarschiert sind, die wollten in der Demonstration mitmarschieren.“

Aus der Aussage der zuerst genannten Zeugen Bgdr. K., Obst. H., Mag. W. ergibt sich, dass eine Auflösung der Demonstration deshalb nicht möglich war, weil der Demonstrationszug die Sperren teils umgangen, teils durchbrochen hat und unverzüglich weitermarschiert ist, sodass seine Auflösung nicht verkündet werden konnte. Eine Anhaltung war demzufolge erst nach Errichtung einer ausreichend massiven und mit genügend Beamten bestücken Sperre auf Höhe der Augartenbrücke möglich. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits so viele strafbare Handlungen (Widerstand gegen die Staatsgewalt, tätlicher Angriff auf Beamte, Verstöße gegen das Verbotsgesetz) und Verwaltungsübertretungen (insbesondere Missachtung der Maskenpflicht) verletzt, dass es erforderlich war, die Identität der angehaltenen Demonstranten zu überprüfen, um nach einem Abgleich mit den aufgenommenen Videos eine Verfolgung der Täter zu ermöglichen. Der bereits auf der Rotundenbrücke postierte Lautsprecherwagen, welcher bereits dort der Auflösung der Demonstration gedient hätte, hätten die Demonstranten dort angehalten werden können, musste umständlich entgegen den auf der Seite des 1. Bezirks bestehenden Einbahnregelungen zur Augartenbrücke gebracht werden, da ein Vorbeiführen an der Demonstration faktisch nicht möglich war.

Die Videoaufnahmen von der Anhaltung vor der Augartenbrücke bzw. neben dem Gebäude der Wiener Städtischen Versicherung zeigen auch, dass dort ein massiver Durchbruchsversuch der Demonstranten unternommen wurde, und dass mehr als 50 von ihnen das Gelände der Wiener Städtischen Versicherung stürmten, was aktenkundig zur Beschädigung eines der beiden Tore und zur schweren Körperverletzung eines der dort postierten Sicherheitsleute geführt hat. Dadurch wurden die Identitätsfeststellungen verzögert; diese konnten nach übereinstimmender Darstellung der Parteien und Zeugen aber dennoch innerhalb von eineinhalb Stunden nach Beginn der Anhaltung durchgeführt werden.

3.3. In rechtlicher Hinsicht wurde erwogen:

Was die Einkesselung der zwar nicht angemeldeten, aber auch noch nicht aufgelösten Demonstration betrifft, so ist ein solches Vorgehen nur sehr ausnahmsweise mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit vereinbar, nämlich dann, wenn eine Auflösung aus nachvollziehbaren Gründen nicht möglich war oder schwerwiegende Straftaten verübt wurden, welche eine Identitätsfeststellung erforderlich machen. Im Gegenstand sind beide Voraussetzungen erfüllt, wie sich aus den Feststellungen ergibt. Da die Beschwerdeführerin nicht einmal selbst versucht hat, den Demonstrationszug zu verlassen, sondern Teil desselben war und sein wollte, ergibt sich ihre etwa eineinhalbstündige Anhaltung aus den festgestellten Umständen. Diese Anhaltung zwecks Identitätsfeststellung war in Bezug auf die Beschwerdeführerin wie auf alle anderen Demonstrationsteilnehmer notwendig, zweckmäßig (vor allem im Hinblick auf die angefertigten Videoaufnahmen) und verhältnismäßig, sodass spruchgemäß zu entscheiden war.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 35 VwGVG in Verbindung mit der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II. Nr. 517/2013.

5. Die Revision wird zugelassen, weil, soweit ersichtlich, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Einkesselung von Teilnehmern einer noch nicht aufgelösten Demonstration existiert.

Schlagworte

Einkesselung; Versammlung; Auflösung; Identitätsfeststellung; Anhaltung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.102.013.4600.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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