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41 Innere AngelegenheitenNorm
PersFrSchG 1988 Art1 ffLeitsatz
Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit mangels Erfüllung der Verpflichtung zur Entscheidung über eine Schubhaftbeschwerde binnen einer Woche; keine Verletzung der Verpflichtung des Hinwirkens auf eine möglichst kurze Dauer der SchubhaftSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden, daß der angefochtene Bescheid nicht innerhalb einer Woche erging.
Die Beschwerde wird, soweit der Antrag gestellt wird, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, abgewiesen.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit
S 15.000,-- bestimmten Kosten dieses Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, nach eigenen Angaben ein Staatsangehöriger von Liberia, reiste am 12. Mai 1993 mit dem Flugzeug von London nach Wien und wollte am selben Tag mit einem gefälschten britischen Reisepaß in die Schweiz weiterreisen. Anläßlich der Paßkontrolle verwehrten ihm Beamte der Schweizer Grenzpolizei die Einreise und übergaben ihn den österreichischen Behörden. Die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch sprach über ihn mit Bescheid vom 12. Mai 1993 gemäß §17 Abs2 Z6 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), die Ausweisung und gemäß §41 FrG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung aus. Am 8. Juni 1993 wurde er wegen Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 16. Juni 1993 wurde über ihn gemäß §41 Abs1 FrG erneut die Schubhaft verhängt. Dieser Bescheid wurde sogleich vollzogen.
2. Unter dem 27. Oktober 1993 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gemäß §51 FrG gegen seine weitere Anhaltung in Schubhaft an den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich. Diese Beschwerde ist beim unabhängigen Verwaltungssenat am 29. Oktober 1993 eingelangt. (Zu zwei weiteren Schubhaftbeschwerden des Beschwerdeführers s. VfGH 28.2.1994, B1661/93, B144/94.)
3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich wies die Beschwerde mit Bescheid vom 4. November 1993 als unbegründet ab und stellte fest, daß die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters am 8. November 1993 zugestellt.
4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung des durch Art1 ff. des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (im folgenden: BVGpersFr.), verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
5. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher der bekämpfte Bescheid verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die belangte Behörde habe das gemäß Art6 BVGpersFr. garantierte Recht auf Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges innerhalb einer Woche verletzt.
1.2.1. Art6 Abs1 BVGpersFr. lautet:
"Artikel 6
(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.
(2) ..."
1.2.2. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde - wie hier des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich -, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des BVGpersFr. und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes, wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfGH 7.3.1994, B115/93).
Ein Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates über eine Beschwerde gemäß §51 FrG verletzt (u.a.) dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er entgegen dem verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernis des Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. nicht binnen einer Woche ergangen ist.
1.3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 4.10.1994, B1847/93, näher dargelegt und begründet hat, erfließt aus der Anordnung des Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. die Verpflichtung des unabhängigen Verwaltungssenates, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, daß im Verfahren über eine Schubhaftbeschwerde gemäß §51 FrG seine Entscheidung iS des §52 FrG möglichst bald, spätestens innerhalb einer Woche (ab Einlangen der Beschwerde beim unabhängigen Verwaltungssenat berechnet) dem Beschwerdeführer (gegebenenfalls seinem Rechtsvertreter) und der vor dem unabhängigen Verwaltungssenat belangten Behörde zugeht.
1.3.2. Im vorliegenden Fall ist die Schubhaftbeschwerde gemäß §51 FrG am 29. Oktober 1993 beim unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich eingelangt. Die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates hatte daher - da sich der Beschwerdeführer weiterhin in Schubhaft befand (vgl. Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. iVm. §52 Abs2 Z2 FrG) - binnen einer Woche, also bis zum 5. November 1993, zu ergehen. Der angefochtene Bescheid wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (der auch schon die Beschwerde eingebracht hatte) ebenso wie der vor dem unabhängigen Verwaltungssenat belangten Behörde jedoch erst am 8. November 1993 zugestellt. Er ist sohin erst nach Ablauf der gemäß Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. iVm. §52 Abs2 Z2 FrG gebotenen Frist von einer Woche ergangen.
1.3.3. Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt, daß diese Entscheidung nicht innerhalb einer Woche ab Beschwerdeerhebung erging.
2.1. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, die Fremdenpolizeibehörde habe entgegen §48 Abs1 FrG nicht darauf hingewirkt, daß die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, weil sie nicht zügig für die Herbeischaffung eines Heimreisezertifikates Sorge getragen habe. Spätestens mit 27. Oktober 1993 sei festgestanden, daß der Beschwerdeführer nicht in seinen Heimatstaat Liberia abgeschoben werden könne, da die Bundespolizeidirektion Linz an diesem Tag vom Bundesministerium für Inneres "in Erfahrung brachte, daß eine Kontaktaufnahme mit der liberianischen Botschaft in Wien nicht hergestellt wurde, da diese Vorgangsweise dem Bundesministerium für Inneres nicht aussichtsreich erschien". Die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers ab dem 27. Oktober 1993 sei daher im Hinblick auf §48 Abs2 FrG rechtswidrig gewesen.
2.2. Wie dem fremdenpolizeilichen Akt der Bundespolizeidirektion Linz zu entnehmen ist, ersuchte die Bundespolizeidirektion unter dem 22. Juni 1993 die Botschaft der Republik Liberia in Bonn um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer. Am 5. Juli 1993 wurde die Botschaft telefonisch kontaktiert. Mit Schreiben vom 19. Juli 1993 wurde die Botschaft um neuerliche Prüfung ersucht, ob ein Heimreisezertifikat ausgestellt werden könne. Zugleich ersuchte die Bundespolizeidirektion Linz das Bundesministerium für Inneres um Prüfung, ob über die zuständige Vertretungsbehörde in Liberia die Ausstellung eines Heimreisezertifikates erwirkt werden könne. Unter dem 28. September 1993 trat die Bundespolizeidirektion an das Bundesministerium für Inneres mit der Bitte heran, bei der liberianischen Botschaft die Ausstellung eines Heimreisezertifikates zu urgieren. Diese Bitte wurde laut telefonischer Mitteilung des Bundesministeriums für Inneres vom 27. Oktober 1993 an das Außenministerium weitergeleitet. Weiters teilte das Bundesministerium mit, daß ein Kontakt mit der österreichischen Vertretungsbehörde in Liberia nicht hergestellt worden sei, da dieser Weg aussichtslos sei.
2.3. In Anbetracht der aktenkundigen wiederholten Bemühungen der Behörde, die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer zu erwirken, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu erkennen, daß der Behörde diesbezüglich ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre (s. auch VfGH 28.2.1994, B1661/93, B144/94). Auch stand entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers am 27. Oktober 1993 nicht fest, daß eine Abschiebung des Beschwerdeführers mangels eines Heimreisezertifikates nicht möglich sein werde, sondern lediglich, daß in diesem Zusammenhang ein Herantreten an die österreichische Vertretungsbehörde in Liberia nicht zielführend sei.
Dem Beschwerdevorbringen kommt daher insoweit keine Berechtigung zu.
3. Auch sonst hat das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren nicht ergeben, daß der angefochtene Bescheid iS der unter II.1.2.2. dargelegten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes an einem weiteren in die Verfassungssphäre reichenden Mangel leidet.
4. Unter diesen Umständen kommt aber eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht in Betracht. Vielmehr hatte sich der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf §87 Abs1 VerfGG (wonach der angefochtene Verwaltungsakt "gegebenenfalls" aufzuheben ist) auf den Ausspruch zu beschränken, daß eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) stattgefunden hat (vgl. VfGH 4.10.1994, B1847/93).
III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind S 2.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Fremdenrecht, Fremdenpolizei, SchubhaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1994:B2153.1993Dokumentnummer
JFT_10058988_93B02153_00