Entscheidungsdatum
25.08.2021Norm
BFA-VG §21 Abs7Spruch
I408 2245307-1/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BFA-W) vom 13.07.2021, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
Der XXXX Beschwerdeführer kam mit seiner Familie 2007 nach Österreich und hält sich seit seinem 7. Lebensjahr in Österreich auf.
Am 27.08.2020 wurde dem damals in Untersuchungshaft befindlichen Beschwerdeführer seitens des des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein schriftliches Parteiengehör ausgehändigt, womit ihm mitgeteilt wurde, dass im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, in eventu der Erlassung eines Schubhaftbescheides geplant sei, und er wurde aufgefordert Fragen zu seinen persönlichen Verhältnissen zu beantworten (AS 5). Diesem Auftrag kam er mit einem handschriftlichen Schreiben vom 01.09.2020 nach.
Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 18.02.2021, XXXX , wurde der Beschwerdeführer als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, die sich zum Handel mit Suchtgift sowie zur fortgesetzten Geldwäsche verbunden hat, wegen der Verbrechens des Suchtgifthandels und der Vorbereitung von Suchtgifthandel sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten, davon 14 Monate bedingt verurteilt (AS 28). Dieses Urteil wurde dem BFA am 23.04.2021 übermittelt (AS 28)
Am 29.06.2021 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl informiert, dass der Beschwerdeführer am 17.06.2021 wegen §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) in Untersuchungshaft genommen worden war (AS 38).
Am 12.07.2021 erfolgte dann die Verständigung über die Anklageerhebung wegen §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (3) SMG; §§ 27 (1) Z 1 7. Fall und 8. Fall, 27 (3) SMG) und am selben Tag wurde eine Auskunft über den Kriminalpolizeilichen Aktenindex abgerufen (AS 67+69).
Im Anschluss daran wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 13.07.2021 gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Dieser Bescheid wurde dem in Haft befindlichen Beschwerdeführer am 19.07.2021 ausgefolgt.
Am 09.08.2021 bekämpfte der Beschwerdeführer diese Entscheidung über seine Rechtsvertretung in vollem Umfang. Dieser Beschwerde ist auch ein handschriftliches Schreiben des Beschwerdeführers beigeschlossen, in welcher er versucht, seine persönliche Situation darzustellen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Die relevanten Dokumente sind über die Aktenseite (AS) definiert.
Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Im gegenständlichen Fall liegen besonders gravierende Ermittlungslücken der Behörde vor:
So hat der VwGH bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wiederholt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsberechtigten Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf eine Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die Abwägung nach Art. 8 MRK relevanten Umständen (vgl. dazu VwGH vom 17.11.2016, Ra 2016/21/0316).
Im gegenständlichen Verfahren wurde der Beschwerdeführer nicht einvernommen. Es wurde ihm zwar vor einem Jahr ein schriftliches Parteiengehör zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes übermittelt, auf das er mit einer handschriftlichen Stellungnahme reagierte. Sein Vorbringen, er beherrsche die Sprache seines Herkunftslandes nicht und kenne dort auch niemanden, wurde als unglaubwürdig abgetan, und alle weiteren Feststellungen beruhen auf dem Strafurteil, Behördenverständigungen, Abfragen aus Datenbanken und den sonstigen Angaben des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme, denen ungeprüft Glauben geschenkt wurden. Das persönliche Umfeld des Beschwerdeführers blieb in vielen Bereichen völlig im Dunkeln und konnte damit auch nicht entsprechend berücksichtigt werden. Ebenso fehlen jegliche Erhebungen in Bezug auf die neuerliche Anklage. Von einem eindeutigen Fall, der eine persönliche Erörterung nicht erforderlich machen würde kann nicht gesprochen werden.
Damit hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für das gegenständliche Verfahren notwendige und auch vom VwGH vorgegeben Ermittlungsschritte unterlassen. Auch wenn im gegenständlichen Fall die Suchtgiftdelikte des Beschwerdeführers sein Interesse an einem Aufenthalt in Österreich ganz maßgeblich mindern, hat er einen Anspruch auf ein gesetzmäßiges Verfahren, insbesondere, wenn er sich seit seinem 7. Lebensjahr in Österreich befindet und strafrechtlich das Jugendgerichtsgesetz Anwendung findet. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren durch eine mündliche Einvernahme des Beschwerdeführers mit seinen persönlichen Umständen in Österreich und allenfalls noch vorhandenen Bindungen in Rumänien auseinanderzusetzen haben.
Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf verschiedene grundlegende Fragen. Damit hat das Bundesamt im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt bzw. Ermittlungen in weiten Teilen gänzlich unterlassen.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG unterbleiben, da bereits aus der Aktenlage ersichtlich war, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose gefährliche Drohung Haft Haftstrafe Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung persönlicher Eindruck Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Suchtgifthandel Suchtmitteldelikt Verbrechen Vergehen ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I408.2245307.1.00Im RIS seit
24.01.2022Zuletzt aktualisiert am
24.01.2022