TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/16 W118 2244067-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2021
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Entscheidungsdatum

16.09.2021

Norm

AVG §71 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MOG 2007 §6
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §33
VwGVG §33 Abs1
VwGVG §33 Abs3

Spruch


W118 2244067-1/2E
W118 2244067-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. ECKHARDT über die Beschwerden der XXXX , vertreten durch RA Dr. Florian Leitinger, gegen die Bescheide des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria (AMA) vom 19.01.2021, AZ 98.220-11/I/3/10/J, nach Beschwerdevorentscheidung vom 30.04.2021, AZ 98.220-15/I/3/10/J, und vom 30.04.2021, AZ 98.220-14/I/3/10/J, zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen den Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria vom 19.01.2021, AZ 98.220-11/I/3/10/J, betreffend den Antrag auf Änderung des Operationellen Programms 2021 wird gemäß § 7 Abs. 4 Z 1 VwGVG als verspätet zurückgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung vom 30.04.2021, AZ 98.220-15/I/3/10/J, wird bestätigt.

II.      Die Beschwerde gegen den Bescheid des Vorstandes für den Geschäftsbereich I der Agrarmarkt Austria vom 30.04.2021, AZ 98.220-14/I/3/10/J, betreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 01.04.2021 wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit dem angefochtenen Bescheid der AMA vom 19.01.2021, AZ 98.220-11/I/3/10/J, wurde der Antrag der Erzeugerorganisation XXXX (in der Folge: Beschwerdeführerin) auf Änderung des Operationellen Programms 2021 vom 15.09.2020 unter konkret angeführten Bedingungen, Auflagen bzw. Einschränkungen genehmigt.

2.       Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 22.02.2021 Beschwerde erhoben.

3.       Mit Parteiengehör vom 25.03.2021 wies die AMA die Beschwerdeführerin darauf hin, dass eine rechtzeitige Beschwerde spätestens vier Wochen nach Zustellung des Bescheides – sohin spätestens am 16.02.2021 – auf den Postweg gebracht werden hätte müssen und die vorliegende Beschwerde daher als verspätet zu beurteilen sein werde. Für eine allfällige Stellungnahme wurde eine Frist von 14 Tagen eingeräumt.

4.       Mit Datum vom 01.04.2021 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und regte in eventu eine amtswegige Abänderung des Bescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG an.

Begründend für die Beschwerdeführerin aus, der Bescheid vom 19.01.2021 sei ihr am 19.01.2021 per E-Mail zugestellt worden und die Rechtsmittelfrist habe tatsächlich bereits am 16.02.2021 geendet. Die verspätete Erhebung der Beschwerde beruhe allerdings auf einem für die Beschwerdeführerin unvorhersehbaren Ereignis:

Die Beschwerde sei vom Vorstand der Beschwerdeführerin, XXXX , mittels E-Mail bereits am 28.01.2021 inhaltlich freigegeben und mit dem auch an den Mitarbeiter der Beschwerdeführerin, XXXX , gerichteten Hinweis „kann so rausgehen“ versehen worden. Diese Vorgehensweise entspreche der im Unternehmen der Beschwerdeführerin üblichen Koordinierung der fristgerechten Erledigung von Rechtsmittelfristen durch den Vorstand selbst.

XXXX habe der Anweisung des Vorstandes aber aufgrund hoher Arbeitsbelastung nicht umgehend entsprochen und entschieden, die Abfertigung bis zum Fristende zu verschieben. Bei der Berechnung der Frist habe sich der Mitarbeiter allerdings verrechnet und sei von einem Ende der Rechtsmittelfrist am 23.02.2021 ausgegangen.

Für die Beschwerdeführerin sei nicht vorhersehbar gewesen und hätte sie bei aller zumutbaren Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten können, dass XXXX hinsichtlich der Fristberechnung einem Irrtum unterliegen würde. Der genannte Mitarbeiter sei bereits seit 02.04.2007 im Unternehmen beschäftigt und habe sich in diesen vierzehn Jahren stets durch seine sorgfältige und genaue Arbeitsweise hervorgetan. Auf Grund seiner Zuverlässigkeit und einwandfreien Arbeit sei er mit 01.01.2020 zum Leiter der hausinternen IT-Abteilung bestellt worden und für das Operationelle Programm zuständig. Insbesondere das Erfassen von Schriftstücken und das Vormerken von Rechtsmittelfristen sei von XXXX bis dato stets fehlerfrei erledigt worden, da er um die Wichtigkeit der fehlerfreien und sorgsamen Erledigung von Rechtsmittelfristen aus seiner langjährigen Tätigkeit für die Beschwerdeführerin wisse.

Überdies entspreche der bei der Beschwerdeführerin eingerichtete Ablauf zur Handhabung der Eingangspost den an ein internes Kontrollsystem gestellten Anforderungen. Dadurch dass eingehende Post stets mit einem Eingangsstempel versehen und an den jeweils zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet werde, werde im Unternehmen der Beschwerdeführerin sichergestellt, dass Irrtümer beim Ermitteln und Dokumentieren des Zustelldatums aller Voraussicht nach verhindert würden.

Das geringe Versehen von XXXX stelle somit für XXXX ein unvorhersehbares Ereignis dar, da er seiner nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen sei, indem er den Versand des Rechtsmittels selbst koordiniert habe. Dass dieses entgegen seinen Erwartungen liegen geblieben und erst drei Wochen später – zu einem falsch errechneten Fristende – abgefertigt worden sei, könne dem Vorstand bzw. der Beschwerdeführerin nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Die Versäumung der Frist sei der Beschwerdeführerin erst offenbar geworden, als sie das Schreiben „Parteiengehör“ der AMA vom 25.032021 erhalten habe. Gemäß § 33 Abs. 3 VwGVG sei der Wiederaufnahmeantrag daher jedenfalls rechtzeitig.

Unter einem brachte die Beschwerdeführerin (neuerlich) eine Beschwerde gegen den Bescheid der AMA vom 19.01.2021 ein.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden eidesstattliche Erklärungen von XXXX vom 01.04.2021 und XXXX vom 31.03.2021, deren Aussagen im Einklang mit der oben dargestellten Antragsbegründung stehen, sowie die E-Mail von XXXX vom 28.01.2021 mit der inhaltlichen Freigabe der Beschwerde beigeschlossen.

5.       Mit dem gegenständlich ebenfalls angefochtenen Bescheid vom 30.04.2021 wies die AMA den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.01.2021 ab.

Die belangte Behörde legte das im Rahmen des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von der Beschwerdeführerin erstattete mündliche und schriftliche Vorbringen ihrer Entscheidung zugrunde und kam zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin nicht durch ein unvorhergesehenes Ereignis – an dem sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens treffe – an der Einhaltung der Rechtsmittelfrist gehindert gewesen sei.

6.       Mit Beschwerdevorentscheidung vom 30.04.2021, AZ 98.220-15/I/3/10/J, wies die AMA die Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.01.2021 zurück. Die vierwöchige Rechtmittelfrist habe am 16.02.2021 geendet und die Beschwerde vom 22.02.2021 sei daher verspätet. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 01.04.2021 sei mit Bescheid vom „29.04.2021“ (richtig: 30.04.2021), AZ 98.220-14/I/3/10/J, abgewiesen worden und sei daher wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden gewesen.

7.       In der gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung erhobenen Beschwerde vom 18.05.2021 wurde inhaltlich im Wesentlichen wie in dem genannten Antrag vorgebracht und darüber hinaus begründend insbesondere ausgeführt, es sei in einem solchen Unternehmen realitätsfremd und nach der Sachlage nicht geboten zu verlangen, den fristgerechten Versand jedes Schriftstückes zu überwachen. Dies sei dem Obmann der Beschwerdeführerin auch nicht zumutbar. Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde komme es überdies sehr wohl auf die Verlässlichkeit des Boten an (Hinweis auf VwGH 10.11.1998, 98/11/0141; 05.10.1990, 90/18/0050) und habe die belangte Behörde auch gänzlich außer Acht gelassen, dass im Unternehmen der Beschwerdeführerin ein internes Kontrollsystem eingerichtet sei.

Der Vollständigkeit halber wies die Beschwerdeführerin schließlich darauf hin, dass der Verspätungsvorhalt der AMA (entgegen der Angabe im Bescheid) mit 25.03.2021 datiert sei und die Beschwerdeführerin an diesem Tag erstmals Kenntnis von ihrem Versäumnis erlangt habe.

8.       Mit Schriftsatz vom 18.05.2021 beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.01.2021 an das Bundesverwaltungsgericht und verwies in der Begründung auf den eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. die gegen dessen bescheidmäßige Abweisung erhobene Beschwerde.

9.       Mit Datum vom 06.07.2021 bzw. 07.07.2021 legte die AMA die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und führte zu dem Beschwerdevorbringen aus, es sei aus Sicht der AMA nicht ersichtlich, wieso es unzumutbar und überzogen sei, wenn der Obmann der Beschwerdeführerin innerhalb zweier Wochen sich bei einem einzigen Sachbearbeiter einmal erkundige, ob das Rechtmittel rechtzeitig abgefertigt werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Bescheid der AMA vom 19.01.2021, AZ 98.220-11/I/3/10/J, wurde der Beschwerdeführerin am selben Tag per E-Mail übermittelt.

Nach Einlangen des Bescheides am 19.01.2021 beauftragte die Beschwerdeführerin die XXXX , eine Beschwerde zu konzipieren. Der Beschwerdeentwurf wurde von dieser am 28.01.2021 an den selbständig vertretungsbefugten Vorstand der Beschwerdeführerin XXXX sowie an XXXX , einen Angestellten der Beschwerdeführerin, mittels E-Mail übermittelt. Noch am selben Tag wurde der Beschwerdeentwurf von XXXX mittels E-Mail an XXXX sowie an XXXX mit den Worten „für mich ist [der Entwurf der Beschwerde] ok und kann so rausgehen“ inhaltlich freigegeben.

XXXX ist ein langjähriger, nicht vertretungsbefugter Mitarbeiter der Beschwerdeführerin und seit 01.01.2020 Leiter der hausinternen IT-Abteilung sowie für das Operationelle Programm zuständig. Eingehende Post wird im Unternehmen der Beschwerdeführerin mit einem Eingangsstempel versehen und an den jeweils zuständigen Sachbearbeiter sowie an den Vorstand weitergeleitet.

Eine weitere Nachfrage des Vorstandes bei dem für den Versand des Rechtsmittels zuständigen XXXX oder eine sonstige Kontrolle der rechtzeitigen Einbringung ist innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht erfolgt.

XXXX verschickte die Beschwerde nicht unverzüglich nach Freigabe durch den Vorstand, sondern wollte mit dem Versand bis zu dem – von ihm fehlerhaft ermittelten – Ende der Rechtsmittelfrist zuwarten. Die Beschwerde wurde am 22.02.2021 per Post an die AMA abgesendet und langte bei dieser am 24.02.2021 ein.

Die AMA wies die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 25.03.2021 auf eine verspätete Einbringung der Beschwerde hin und räumte Gelegenheit zur Stellungnahme ein.

2. Beweiswürdigung:

Die angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und wurden von keiner Partei bestritten. Die Feststellungen betreffend die administrativen Abläufe im Unternehmen der Beschwerdeführerin, die Vorgänge im Zusammenhang mit der Einbringung der verspäteten Beschwerde sowie zu den Aufgaben und Kompetenzen von XXXX beruhen auf dem mündlich und schriftlich erstatteten Vorbringen der Beschwerdeführerin. Aus dem im Rahmen des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der gegen dessen Abweisung erhobenen Beschwerde erstatteten Vorbringen geht hervor, dass die Beschwerdeführerin keinen Grund hatte, an der Sorgfältigkeit und Zuverlässigkeit von XXXX zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zuständigkeit und zum Verfahren:

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden in Rechtssachen in Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Gemäß § 1 AMA-Gesetz 1992 iVm § 6 MOG 2007 erfolgt die Abwicklung der Maßnahmen im Rahmen der einheitlichen gemeinsamen Marktordnung (EGMO) durch die AMA im Rahmen der unmittelbaren Bundesverwaltung.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A)

3.2. Zur Zurückweisung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.01.2021:

Gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG vier Wochen. Sie beginnt gemäß § 7 Abs. 4 Z 1 VwGVG – wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde – mit dem Tag der Zustellung.

Gemäß § 32 Abs. 2 AVG enden nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat.

Gemäß § 33 Abs. 3 AVG werden die Tage von der Übergabe an einen Zustelldienst im Sinne des § 2 Z 7 des Zustellgesetzes zur Übermittlung an die Behörde bis zum Einlangen bei dieser (Postlauf) in die Frist nicht eingerechnet.

Der Bescheid der AMA vom 19.01.2021, AZ 98.220-11/I/3/10/J, wurde der Beschwerdeführerin unstrittig am 19.01.2021 zugestellt und die Rechtsmittelfrist endete daher am 16.02.2021.

Die am 22.02.2021 per Post abgesendete Beschwerde erweist sich daher gemäß § 7 Abs. 4 Z 1 VwGVG als verspätet und war somit gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 31 VwGVG zurückzuweisen.

Die Beschwerdevorentscheidung der AMA vom 30.04.2021, AZ 98.220-15/I/3/10/J, erfolgte daher zu Recht.

3.3. Zur Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 30.04.2021 betreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 01.04.2021:

Soweit sich die belangte Behörde bei der Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung auf die Bestimmungen des AVG gestützt hat, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Versäumen der Beschwerdefrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein § 33 VwGVG die maßgebliche Bestimmung ist und nicht die §§ 71, 72 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (anderer Ansicht: Hengstschläger/Leeb, AVG § 72, Stand 01.01.2020, rdb.at, Rz 8/3). Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings in seiner Rechtsprechung auch festgehalten, dass grundsätzlich die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar sind (VwGH 30.05.2017, Ra 2017/19/0113, mwH).

Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zu Last liegt, hindert die Bewilligung zur Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 33 Abs. 3 VwGVG).

Gemäß § 33 Abs. 4 erster Satz hat bis zur Vorlage der Beschwerde über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 VwGVG schützt – wie die Wiedereinsetzung im behördlichen Verfahren – die Partei gegen Nachteile aus der Versäumung einer befristeten Rechtshandlung dadurch, dass sie die Partei in die Lage versetzt, die versäumte Handlung nachzuholen und die aus der Säumnis resultierenden negativen Konsequenzen abzuwenden (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72, Stand 01.01.2020, rdb.at, Rz 2 mwH).

Um die Wiedereinsetzung zu rechtfertigen, muss das Ereignis für den Wiedereinsetzungswerber entweder unvorhergesehen oder unabwendbar gewesen sein. Nach dem Wortlaut des Gesetzes („oder“) genügt das Vorliegen eines der beiden Momente, um den Wiedereinsetzungsanspruch zu begründen (Hengstschläger, Verwaltungsverfahrensrecht3 Rz 605 FN 1188). Die Partei (der Antragsteller) muss an der zeitgerechten Vornahme einer befristeten Prozesshandlung durch ein Ereignis verhindert gewesen sein, das sie (er) nicht vorhergesehen hat oder dessen Eintritt sie (er) nicht abwenden konnte. Mit den Begriffen „unvorhergesehen“ und „unabwendbar“ sind nicht objektive Eigenschaften des „Ereignisses“ angesprochen, vielmehr umschreiben sie die Relation zum Antragsteller (Hengstschläger/Leeb, AVG § 72, Stand 01.01.2020, rdb.at, Rz 37 mit Hinweis auf Walter/Thienel I2 AVG § 71 Anm 9).

Die Beschwerdeführerin macht im vorliegenden Fall im Wesentlichen geltend, dass sie die Beschwerdefrist versäumt habe, da sich der mit dem Versand des Rechtsmittels betraute Angestellte XXXX bei der Berechnung des Fristendes geirrt und den Postversand daher zu spät vorgenommen habe.

Der genannte – selbst nicht vertretungsbefugte – Angestellte wurde von der Beschwerdeführerin bloß angewiesen, das Rechtsmittel zu versenden, und ist daher Bote und nicht Bevollmächtigter.

Das Verschulden des Boten ist im Unterschied zum Verschulden des Vertreters nicht einem Verschulden der Partei gleichzusetzen, d.h. die Partei muss sich das Verschulden des Boten nicht zurechnen lassen (VwGH 04.10.1995, 94/01/0361; 20.04.2001, 98/05/0083; 26.05.2010, 2010/08/0081; Bernárd, ZfV 1981, 129; Hengstschläger/Leeb6 Rz 606; Kolonovits/Muzak/Stöger11 Rz 630; Schulev-Steindl6 Rz 357). Versäumt der Bote seinen Auftrag, so kann darin nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber für die Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gesehen werden, das ohne ihr Verschulden die Einhaltung der Frist verhindert hat, wenn sie der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist (VwGH 24.07.2001, 2001/21/0045; 20.01.2005, 2004/07/0211; 29.09.2017, Ra 2017/10/0105; vgl. auch Hengstschläger/Leeb6 Rz 606; Kolonovits/Muzak/Stöger11 Rz 630; Schulev-Steindl6 Rz 357). Die geforderte Überwachungspflicht ist nicht schon dadurch erfüllt, dass eine besonders verlässliche Person mit der Durchführung des Auftrags (z.B. der Postaufgabe) betraut wird (VwGH 20.04.2001, 98/05/0083), sondern nur dann, wenn die Partei die tatsächliche Ausführung des Auftrags durch entsprechende Nachfrage sicherstellt (VwGH 30.09.1999, 99/02/0157; 20.09.2007, 2005/09/0173; 26.05.2010, 2010/08/0081).

Hat die Partei die Überwachungspflicht verabsäumt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht, weil sich eine Partei, die sich nach Übergabe eines Schriftstücks an einen Boten nicht mehr darum kümmert, ob das Schriftstück tatsächlich und zeitgerecht überbracht wurde, vorwerfen lassen muss, dass sie auffallend sorglos gehandelt (VwGH 15.11.2012, 2012/17/0219), d.h. jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderlich und ihr nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist (VwGH 30.09.1999, 99/02/0157; 19.10.2001, 2001/02/0160; 29.09.2017, Ra 2017/10/0105; vgl auch Rz 40). (Hengstschläger/Leeb, AVG § 72, Stand 01.01.2020, rdb.at, Rz 47).

Im vorliegenden Fall hat der Vorstand der Beschwerdeführerin XXXX mit E-Mail vom 28.01.2021 dem „Boten“ XXXX lediglich mit den Worten „für mich ist [der Entwurf der Beschwerde] ok und kann so rausgehen“ implizit aufgetragen, den Versand des Rechtsmittels vorzunehmen. Weitere konkrete Anweisungen sind laut Angaben der Beschwerdeführerin offenbar nicht ergangen und auch eine Kontrolle der Einhaltung der Frist wurde nicht behauptet.

Soweit die Beschwerdeführerin in der Rechtsmittelschrift die Ansicht vertritt, dass XXXX mit der Beauftragung eines sorgfältigen und verlässlichen Mitarbeiters seiner Überwachungspflicht nachgekommen sei und das Erfordernis einer konkreten Nachfrage die zumutbare und der Sachlage nach gebotene Überwachungspflicht überspannen würde, ist zunächst festzuhalten, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhang mit Fragen der Kanzleiorganisation berufsmäßiger Parteienvertreter nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann. Vielmehr kommt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Partei, die sich eines Boten zur Übermittlung bedient, ihrer Überwachungspflicht nur dann nach, wenn die tatsächliche Ausführung des Auftrages durch entsprechende Nachfrage gesichert ist (vgl. VwGH 26.05.2010, 2010/08/0081; 20.01.2005, 2004/07/0211, und 20.04.2001, 98/05/0083). Eine Partei, die sich nach Übergabe eines fristgebundenen Schriftstückes an einen Boten nicht weiter darum kümmert, ob das Schriftstück auch tatsächlich innerhalb einer zu wahrenden Frist zur Post gebracht bzw. bei der Behörde eingebracht wurde, muss sich vorwerfen lassen, dass sie auffallend sorglos gehandelt hat, das heißt, dass sie die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihr nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat (VwGH 29.09.2017, Ra 2017/10/0105, mit Hinweis auf VwGH 30.09.1999, 99/02/0157; 17.10.2002, 2002/20/0496, und 04.10.1995, 94/01/0361).

Zu dem in den Schriftsätzen der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten „internen Kontrollsystem“ ist der Vollständigkeit halber auszuführen, dass sich dieses laut dem erstatteten Vorbringen offenbar darauf beschränkt, dass einlangende Poststücke mit einem Eingangsstempel versehen und an den jeweils zuständigen Sachbearbeiter sowie zur weiteren Koordinierung an den Vorstand weitergeleitet werden. Zu einem Kontrollsystem zur Überwachung der tatsächlichen Einhaltung von Fristen im Unternehmen der Beschwerdeführerin wurden keine konkreten Angaben gemacht und konnte ein solches im Ergebnis nicht festgestellt werden.

Auch wurden dem „Boten“ gegenständlich keinerlei konkrete Anweisungen – etwa hinsichtlich einer unverzüglich vorzunehmenden Einbringung der Beschwerde – erteilt. In Anbetracht der vor diesem Hintergrund von dem „Boten“ allenfalls vorzunehmenden Fristberechnung handelte es sich demzufolge nicht nur um rein technische Vorgänge beim Abfertigen des Rechtsmittels und ist umso mehr von einer Pflicht der Beschwerdeführerin, durch entsprechende Nachfrage die tatsächliche Ausführung des Auftrags sicherzustellen, auszugehen.

Da die Beschwerdeführerin bzw. ihr Vertreter XXXX im vorliegenden Fall keinerlei Schritte gesetzt hat, um sich zu vergewissern, ob die Rechtsmittelschrift auch rechtzeitig versandt wurde, ist die belangte Behörde zu Recht zu dem Schluss gelangt, dass gegenständlich die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen wurde.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid der AMA vom 19.01.2021 war daher nicht stattzugeben.

3.4. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Hinsichtlich Spruchpunkt I. konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen, da die Beschwerde zurückzuweisen war.

Betreffend die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Spruchpunkt II.) konnte trotz eines Parteienantrages gemäß § 24 Abs. 1 iVm Abs. 4 VwGVG von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da eine weitere Klärung der Rechtssache aus den oben dargestellten Gründen nicht zu erwarten war und Art. 47 GRC dem nicht entgegenstand. Letztlich handelte es sich um die Beurteilung reiner Rechtsfragen, die auch nach der Rechtsprechung des EGMR keiner Erörterung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bedürfen; vgl. dazu mwN Senft, Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte aus grundrechtlicher Perspektive, ZVG 2014/6, 523 (534) sowie VwGH 21.12.2016, Ra 2016/04/0117. Die Beschwerdeführerin ist den dem Bescheid zugrunde gelegten Feststellungen der belangten Behörde nicht entgegengetreten und der entscheidungsrelevante Sachverhalt hat sich vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes als geklärt erwiesen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Beschwerdefrist Fahrlässigkeit Fristablauf Fristüberschreitung Fristversäumung geringfügiges Verschulden Glaubhaftmachung Irrtum Kontrolle Kontrollsystem Rechtskraft der Entscheidung Rechtsmittelfrist rechtswirksame Zustellung Rechtzeitigkeit Sorgfaltspflicht Überlastung Überwachungsmaßnahme unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis Verschulden Versehen verspätete Beschwerde Verspätung Wiedereinsetzungsantrag zumutbare Sorgfalt Zurechenbarkeit Zurückweisung Zustellung Zuverlässigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W118.2244067.2.00

Im RIS seit

24.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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