Entscheidungsdatum
17.12.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W220 2193024-1/19E
im namen der republik!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch Mag. Julian MOTAMEDI, Rechtsanwalt in 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2018, Zl.: 1069734003/150529926, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.11.2021, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 19.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Zu diesem Antrag auf internationalen Schutz wurde der Beschwerdeführer am 21.05.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 05.07.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen, wobei er zu seinen Fluchtgründen zusammengefasst vorbrachte, von einem Nachbarn seit dem Jahr 2008 regelmäßig angezeigt und in der Folge auch attackiert worden zu sein, weil dieser den Beschwerdeführer und seine Familie beschuldigt habe, sein Kind umgebracht zu haben; zuletzt sei der Beschwerdeführer im Jahr 2013 attackiert worden. Außerdem habe er seit dem Jahr 2009 eine Freundin gehabt, die Christin gewesen sei; er selbst sei aber Sikh, weshalb ihre Familien gegen eine Heirat gewesen seien. Er sei von den Familienangehörigen seiner Freundin bedroht worden.
Mit oben zitiertem Bescheid vom 07.03.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
Am 25.11.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi und der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers statt, in welcher der Beschwerdeführer als Verfahrenspartei zu seinen persönlichen Lebensumständen sowie zu seinen Fluchtgründen befragt wurde; zudem wurde die Ehefrau des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien und der Glaubensrichtung der Sikh sowie der Volksgruppe der Punjabi zugehörig. Er führt die im Kopf dieser Entscheidung ersichtlichen Personalien.
Der Beschwerdeführer ist in Indien, im Bundesstaat Punjab, geboren und dort bis zu seiner Ausreise im März 2015 aufgewachsen. Er absolvierte in Indien Schulbildung im Umfang von zehn Jahren und besuchte im Anschluss zwei Jahre ein College. Er arbeitete in Indien im familieneigenen Unternehmen (Vermietung von Hallen für Veranstaltungen, Betrieb einer Bäckerei und Landwirtschaft); die Familie des Beschwerdeführers in Indien war bzw. ist wohlhabend. Der Vater, der Bruder und die beiden Schwestern des Beschwerdeführers leben ebenso wie zahlreiche Onkeln und Tanten des Beschwerdeführers nach wie vor in Indien; der Beschwerdeführer hat zu seinen Familienangehörigen regelmäßig Kontakt. Der Beschwerdeführer beherrscht Punjabi und spricht auch etwas Englisch und Hindi.
Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Mai 2015 durchgehend in Österreich auf und ist meldebehördlich registriert. Er absolvierte am 24.02.2020 die Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 und kann sich in einfachem Deutsch unterhalten.
Am 15.01.2020 heiratete der Beschwerdeführer in Österreich eine in Österreich lebende indische Staatsangehörige. Die Ehefrau des Beschwerdeführers reiste erstmals im Jahr 2014 aus Indien aus und kam nach Österreich, um als Au-Pair zu arbeiten. Nach einem Jahr ging sie nach Deutschland, wo sie ebenfalls ein Jahr als Au-Pair tätig war. Im Jahr 2016 lebte sie wieder in Indien, bis sie im Herbst 2016 wieder nach Österreich kam, wo sie seitdem lebt. Sie verfügte stets über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem NAG; derzeit verfügt sie über einen bis 12.09.2022 gültigen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“. Die Ehefrau des Beschwerdeführers war in Österreich zuletzt bis Jänner 2020 als Kellnerin in einem Café beschäftigt, verlor ihren Job aber durch die Schließung dieses Cafés. In Zukunft würde sie gerne als Kindergärtnerin arbeiten. Sie verfügt nach wie vor über zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte in Indien, insbesondere ihre Eltern, zu denen sie fast täglich Kontakt hat.
Am XXXX 2021 wurde das gemeinsame Kind des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in Österreich geboren. Das Kind des Beschwerdeführers besitzt die indische Staatsangehörigkeit. Der Beschwerdeführer lebt zusammen mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind in einer Mietwohnung.
Der Beschwerdeführer bezog lediglich von Mai bis Juli 2015 Grundversorgungsleistungen und ist in Österreich selbsterhaltungsfähig, indem er selbstständig ein Transportunternehmen betreibt. Er meldete im November 2015 das nach wie vor aufrechte Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchstzulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“, sowie im Juni 2021 das nach wie vor aufrechte Gewerbe „Vermietung von beweglichen Sachen ausgenommen Waffen, Medizinprodukte und Luftfahrzeuge“ an. Im Jahr 2020 erzielte der einkommensteuerpflichtige und sozialversicherte Beschwerdeführer aus seinen Gewerbebetrieben Einkünfte in Höhe von 21.090,26 Euro, im Jahr 2019 12.086,06 Euro, im Jahr 2018 11.563,78 Euro, im Jahr 2017 9.161,00 Euro und im Jahr 2016 8.809,00 Euro. Der Beschwerdeführer beschäftigt in seinem Unternehmen fünf Angestellte, die als Fahrer arbeiten, und hat Verträge mit mehreren Subunternehmern.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Freundes- und Bekanntenkreises.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wurde in Indien nicht von seinem Nachbarn geschlagen, nicht im Zuge eines von seinem Nachbarn verursachten Autounfalls verletzt und nicht von seinem Nachbarn bzw. dessen Komplizen in anderen Landesteilen Indiens aufgespürt, weil er von seinem Nachbarn beschuldigt wurde, dessen Kind umgebracht zu haben. Der Beschwerdeführer wurde weiters nicht von Familienangehörigen eines Mädchens, mit dem er eine Beziehung führte, mit dem Tod bedroht und geschlagen, weil er Sikh ist und das Mädchen Christin war. Dem Beschwerdeführer drohte in der Vergangenheit bzw. drohen aktuell im Fall einer Rückkehr nach Indien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ungerechtfertigte konkrete und individuelle physische und/oder psychische Eingriffe erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre. Selbst für den Fall, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien von seinem Nachbarn und/oder den Familienangehörigen seiner ehemaligen Freundin bedroht werden sollte, kann er sich in anderen Landesteilen, etwa in der Stadt Delhi, niederlassen und würde dort nicht gefunden werden; überdies kann er sich an die indischen Behörden, die bezüglich der vorgebrachten Bedrohung schutzfähig und –willig sind, wenden.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Indien:
Der Beschwerdeführer läuft nicht konkret Gefahr, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.
Die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar. Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört im Hinblick auf sein Alter sowie aufgrund des Fehlens einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung erleiden würde. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Indien:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Indien, Version 4, gekürzt auf die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen:
„COVID-19
Letzte Änderung: 21.05.2021
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).
Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).
Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).
Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).
Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).
Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).
Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).
[…]
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 28.05.2021
Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).
Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).
Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).
Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).
[…]
Punjab
Letzte Änderung: 31.05.2021
Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 9.2020).
Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die aufständische Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Kämpfer der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West-Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der aufständischen Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Im Punjab (und anderen Konfliktzonen) haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 30.3.2021; vgl. BBC 20.10.2015). Die Menschenrechtslage im Punjab stellt sich nicht anders dar als im übrigen Indien (ÖB 9.2020).
Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab (sowie Uttar Pradesh und Haryana) weiterhin ein Problem dar (USDOS 30.3.2021).
Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Auch stellen die Sikhs 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 9.2020).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2018 wurden drei Personen durch Terrorakte getötet, 2019 waren es zwei Todesopfer und im Jahr 2020 wurden durch terroristische Gewalt drei Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen]. Bis zum 3.5.2021 wurden für Beobachtungszeitraum 2020 keine Opfer von verübten Terrorakten aufgezeichnet (SATP 3.5.2021).
In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert. In manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben (ÖB 9.2020).
Im Zuge der Bauernproteste gegen die 2020 beschlossene Liberalisierung des Agrarsektors ist ein neues, gegen die religiöse Minderheit der Sikhs gerichtetes politisches Narrativ von der hindunationalistischen BJP instrumentalisiert worden, nachdem sich Widerstand gegen die Marktrefom auch bei den Sikhs aus dem Punjab formiert hatte. Politiker der Bharatiya Janata Party (BJP) unterstellten den protestierenden Sikhs vereinzelt, für ein unabhängiges Khalistan zu kämpfen und weckten damit in der Bevölkerung Erinnerungen an die Bewegung aus den 1980er und 1990er Jahren (BAMF 12.4.2021).
Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020).
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Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 31.05.2021
In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung, vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 23.9.2020). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.3.2021).
Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 3.3.2021). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberste Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 9.2020).
Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre. Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen erlaubt die Inhaftierung ohne Anklage oder aufgrund von vage definierten Vergehen (FH 3.3.2021). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei mit Todesstrafe bedrohten Delikten, soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 23.9.2020).
In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 23.9.2020).
Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem bzw. zwei Jahren (in Fällen des Public Safety Act) ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind nicht bekannt (AA 23.9.2020).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es ist nicht unüblich, dass Häftlinge misshandelt werden, in einigen Fällen sogar mit Todesfolge. Folter durch Polizeibeamte, Armee und paramilitärische Einheiten bleibt häufig ungeahndet, weil die Opfer ihre Rechte nicht kennen oder eingeschüchtert werden (AA 23.9.2020).
Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities Prevention Act (UAPA)", und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 30.3.2021).
Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein. Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 9.2020).
Indische Einzelpersonen - oder NGOs im Namen von Einzelpersonen oder Gruppen - können sogenannte Rechtsstreitpetitionen von öffentlichem Interesse ("Public Interest Litigation petitions", PIL) bei jedem Gericht einreichen, oder beim Obersten Bundesgericht, dem „Supreme Court“ einbringen, um rechtliche Wiedergutmachung für öffentliche Rechtsverletzungen einzufordern (CM 2.8.2017).
Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 3.3.2021).
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 31.05.2021
Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 1.2021) und untersteht den Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 1.2021).
Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 1.2021; vgl. FH 3.3.2021). Es gibt zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten tragen zu einer geringen Effizienz bei (USDOS 30.3.2021). Es mangelt nach wie vor an Verantwortlichkeit für Misshandlung durch die Polizei und an der Durchsetzung von Polizeireformen (HRW 13.1.2021).
Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 1.2021). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 23.9.2020; vgl. BICC 1.2021). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 1.2021).
Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes nachgesagt (BICC 7.2020).
Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ herangezogen (USDOS 30.3.2021). Das Gesetz gibt den Sicherheitskräften in „Unruhegebieten“ weitgehende Befugnisse zum Gebrauch von Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act, UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 30.3.2021). Den Sicherheitskräften wird durch den Armed Forces (Special Powers) Act selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen (HRW 13.1.2021) weitgehende Immunität vor Strafverfolgung gewährt (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021).
Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zum AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz wurde im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für den Bundesstaat Jammu und Kashmir existiert eine eigene Fassung (AA 23.9.2020).
Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 23.9.2020). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als "Black Cat" bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Die sogenannten Assam Rifles sind zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) werden als Indo-Tibetische Grenzpolizei, die Küstenwache und die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe verantwortlich (ÖB 9.2020). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 23.9.2020).
Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force") unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 15.1.2017).
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 31.05.2021
Indien hat im Jahr 1997 das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 23.9.2020). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 1.2021). Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Folter (Bill on the Prevention of Torture), welcher innerstaatliche Voraussetzung der Ratifizierung der UN Anti-Folterkonvention ist, wurde vom Parlament bisher nicht verabschiedet (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.3.2021).
Folter ist in Indien zwar verboten (AA 23.9.2020) und der indische Staat verfolgt Folterer grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinsbildung bei den Sicherheitskräften, doch bleiben Menschenrechtsverletzungen von Polizeibeamten und paramilitärischen Einheiten häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren, weil Opfer ihre Rechte nicht kennen, eingeschüchtert werden oder die Folter nicht überleben (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Besonders gefährdet sind Angehörige unterer Kasten und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB 9.2020; vgl. FH 3.3.2021). Es gibt Berichte, dass Folter im Beobachtungszeitraum angewendet wurde (USDOS 30.3.2021). Die der Nationalen Menschenrechtskommission gemeldeten Zahlen lassen darauf schließen, dass sich im Jahr 2019 1.723 Todesfälle in richterlichem oder polizeilichem Gewahrsam ereignet haben (FH 3.3.2021).
Aufgrund von Folter erlangte Aussagen sind zwar vor Gericht nicht zur Verwertung zugelassen (AA 23.9.2020), es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangene (AA 23.9.2020). Trotz der Trainings für Senior Police Officers, bleiben willkürliche Verhaftungen, Folter und erzwungene Geständnisse durch Sicherheitskräfte verbreitet (ÖB 9.2020).
Es kommt immer wieder zu willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane, insbesondere der Polizeikräfte, vor allem gegenüber Häftlingen in Polizeigewahrsam, die unter Umständen auch tödlich enden (TIE 24.9.2020). In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht gemeldeten Verhaftungen berichtet, bei denen dem Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden. Von Ausnahmen abgesehen, werden gesetzeswidrige Handlungen in diesem Bereich geahndet. Die angerufenen Gerichte haben hierbei in den letzten Jahren verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten. Auch über Übergriffe der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (vor allem in Jammu und Kaschmir sowie in Indiens Nordosten) berichten Menschenrechtsorganisationen und die Nationale Menschenrechtskommission. Auch diese werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, Prozess und Prozessausgang bleiben allerdings geheim (ÖB 9.2020).
Gelegentlich wird auch von Tötungen bei gestellten Zwischenfällen (sog. "encounter killings") berichtet. So wurden in einem aufsehenerregenden Fall im Dezember 2019 in Hyderabad vier einer Gruppenvergewaltigung und des Mordes beschuldigte Verdächtigte von der Polizei bei einem angeblichen Lokalaugenscheines "auf der Flucht" erschossen. Die Tat wurde von Teilen der Gesellschaft und einigen Politikern explizit begrüßt (AA 23.9.2020).
Fälle von Folter in Polizeigewahrsam und außergerichtlichen Tötungen machten deutlich, dass es nach wie vor an Verantwortlichkeit für polizeiliche Übergriffe mangelt und Polizeireformen nicht durchgesetzt werden können (HRW 13.1.2021).
Korruption
Letzte Änderung: 31.05.2021
Korruption ist weit verbreitet (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Indien scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) im Jahre 2020 mit einer Bewertung von 40 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 86. Platz von 180 Staaten auf (2019: Bewertung 40, 80. Rang von 180 Staaten) (TI 2021; vgl. TI 2020).
NGOs berichten, dass üblicherweise Bestechungsgelder bezahlt werden, um Dienstleistungen wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder Beihilfen zu beschleunigen (USDOS 30.3.2021). Die unteren Bereiche des Gerichtswesens sind von Korruption betroffen und die meisten Bürger haben Schwierigkeiten, Recht durch die Gerichte zu erhalten (FH 3.4.2020). Korruption ist auf allen Regierungsebenen vertreten (USDOS 30.3.2021).
Obwohl Politiker und Beamte regelmäßig bei der Entgegennahme von Bestechungsgeldern erwischt werden, gibt es zahlreiche Korruptionsfälle, die unbemerkt und unbestraft bleiben (FH 3.3.2021). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Dienst vor, in der Praxis kommen Staatsdiener mit korrupten Praktiken häufig straflos davon (USDOS 30.3.2021).
Groß angelegte politische Korruptionsskandale haben wiederholt Bestechlichkeit und anderes Fehlverhalten aufgedeckt, doch wird den Behörden eine selektive, parteiische Durchsetzung bei Bestrafungen vorgeworfen (FH 3.3.2021).
Die Regierung berichtet, dass zwischen März 2019 und Februar 2020 insgesamt 12.458 Korruptionsbeschwerden gemeldet worden sind. Von diesen wurden 12.066 Fälle behandelt oder aufgeklärt. Darüber hinaus wird durch die Regierung festgestellt, dass durch die Central Vigilance Commission, die sich mit Korruption in der Regierung befasst, im Jahr 2019 insgesamt 2.752 Fälle überprüft wurden. Mehr als 950 Fälle waren 2019 noch nicht abgeschlossen (USDOS 30.3.2021). Ende 2020 waren davon noch knapp 590 Fälle beim Central Bureau of Investigation (CBI) seit über einem Jahr zur Untersuchung anhängig. Sechs davon betreffen Personen des politischen Lebens (TET 11.2.2021).
Eine von Transparency International und Local Circles durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass ein Einsatz von Bestechungsgeldern immer noch das effizienteste Mittel darstellt, um die Arbeit von Regierungsstellen abzuwickeln. Die Zahl jener Personen, die zugaben, ein Bestechungsgeld bei Behörden erlegt zu haben, lag 2019 bei 51 Prozent (2017: 45 Prozent). Die drei korruptionsanfälligsten Bereiche sind Grundbucheintragungen und Grundstücksangelegenheiten, sowie die Polizei und die kommunalen Vertretungen (IT 26.11.2019; vgl. IT 11.10.2018).
[…]
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 31.05.2021
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).
Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 1.2021). Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Während die Bürger-und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatisti-sche Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsver-letzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entfüh-rungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hin-richtungen vorgeworfen. Es gibt Befürchtungen, dass die neue, drakonische Anti-Terror-Gesetzgebung die Menschenrechtslage verschlimmern wird und dass diese Gesetze gegen politische Gegner missbraucht werden. Frauen, Mitglieder ethnischer undreligiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert. Den Sicherheitskräften wird Parteilichkeit vorgeworfen, besonders hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 1.2021 vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, ÖB 9.2020).
Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 30.3.2021). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020).
In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 30.3.2021).
[…]
Todesstrafe
Letzte Änderung: 31.05.2021
Gemäß Art. 53 Strafgesetzbuch von 1860 (Indian Penal Code) gilt für bestimmte Verbrechen die Todesstrafe (Mord, Hochverrat, Anstiftung zu Selbstmord eines Kindes, terroristische Gewalttat, Besitz von tödlichem Sprengstoff, wiederholter Drogenhandel, Vergewaltigung von Kindern etc.). In Militärgesetzen ist die Todesstrafe als Regelstrafe für schwere Fälle von Kollaboration, Meuterei und Fahnenflucht vorgesehen. Ende 2001 trat eine Änderung des Sprengstoffgesetzes in Kraft, die den Besitz tödlicher Sprengstoffe mit der Todesstrafe bedroht. Die Antiterrorgesetzgebung sieht für „terroristische Straftaten“, durch die Menschen zu Tode kommen, ebenfalls die Todesstrafe vor (AA 23.9.2020). Vergewaltigungen von Mädchen unter zwölf Jahren können seit August 2018 zwar mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 19.7.2019), doch wird der Umsetzung dieser Forderung einhergehende, rechtliche Möglichkeiten für Überlebende sexueller Gewalt am Land, wie Stigmatisierung, Angst vor Vergeltung, feindselige oder abweisende Reaktionen durch die Polizei und mangelnder Zugang zu angemessener rechtlicher und medizinischer Unterstützung nicht ausreichend berücksichtigt (HRW 13.1.2021).
Die indische Regierung hat im Jahr 2012 das inoffizielle Memorandum in Bezug auf die Todesstrafe aufgehoben (HRW 22.11.2012). Der Supreme Court stellte 2018 die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe nicht infrage, rief die Gerichte aber zu einer besonders sorgfältigen Prüfung der Fälle ("rarest of rare cases") auf (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). 2020 wurden 77 Personen zum Tode verurteilt (vgl. 2019: 102 Todesurteile) (AI 4.2021; vgl. ÖB 9.2020, AI 21.4.2020).
Am 20.3.2020 wurden vier Todesurteile im Fall einer 2012 begangenen Gruppenvergewaltigung vollstreckt (AA 23.9.2020; vgl. ZO 20.3.2020, BBC 20.3.2020, IT 20.3.2020). Die Hinrichtungen wurden in den letzten Monaten durch Einsprüche und Gnadengesuche der Verurteilten immer wieder verschoben. Der aus der schrittweisen Abarbeitung der Rechtsbehelfe resultierende Aufschub - trotz enormen Drucks aus Politik und Öffentlichkeit - demonstriert das prinzipielle funktionieren des indischen Rechtsstaates (AA 23.9.2020). Es waren dies die ersten Hinrichtungen seit dem Jahr 2015 (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020).
Etwa 370 bis 500 zum Tode verurteilte Gefangene sitzen in den Haftanstalten des Landes ein (AI 4.2021; vgl. HRW 18.1.2018, DW 5.5.2017, AA 23.9.2020, CLS 22.4.2020).
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 31.05.2021
Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 23.9.2020), sieht einen säkularen Staat vor, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteiisch zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht gewähren die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.6.2020).
Neben den vier Religionen indischen Ursprungs - dem Hinduismus, dem Buddhismus, dem Jainismus und dem Sikhismus - gibt es in Indien den Islam und das Christentum sowie noch wenige andere Religionen. Die Inder sind laut dem indischen Zensus von 2011 zu 79,8 Prozent Hindus, 14,2 Prozent Muslime, 2,3 Prozent Christen und zu 1,7 Prozent Sikhs. Die restlichen 2 Prozent verteilen sich auf die anderen Religionsgemeinschaften (GIZ 1.2021d). Das friedliche Nebeneinander im multiethnischen und multireligiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 9.2020). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.6.2020).
Trotz des insgesamt friedlichen Zusammenlebens existieren zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften Spannungen, die in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen („riots“, Pogrome) führten (AA 23.9.2020). Im Jahr 2019 verschlechterten sich die Bedingungen für Religionsfreiheit weiter drastisch und religiöse Minderheiten werden zunehmend bedroht. Nach der Wiederwahl der Bharatiya Janata Party (BJP) im Mai nutzte die nationale Regierung ihre gestärkte parlamentarische Mehrheit, um auf nationaler Ebene die Religionsfreiheit einzuschränken. Besonders betroffen von diesen Maßnahmen sind Angehörige der Muslime (USCIRF 4.2020). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Diskriminierungen, Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonversionen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Ausübung seiner religiösen Überzeugung einschränken sollen sowie zu Diskriminierung und Vandalismus (USDOS 10.6.2020). In den letzten Jahren häufen sich Berichte, wonach die Religionszugehörigkeit noch mehr als zuvor zu einem bestimmenden Identitätsmerkmal für den Einzelnen in der indischen Gesellschaft wird, wodurch Angehörige religiöser Minderheiten ein Gefühl des Ausgeschlossen-Werdens entwickeln (AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).
Gewalt gegen religiöse Minderheiten, wurde 2017 in Indien zu einer zunehmenden Bedrohung (HRW 18.1.2018), doch hat es die Regierung verabsäumt, Richtlinien des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung, wie auch der Untersuchung von Angriffen auf religiöse Minderheiten und andere gefährdete Gemeinschaften, welche häufig von BJP-Anhängern angeführt werden, umzusetzen (HRW 14.1.2020). 2019 hat es die Regierung verabsäumt, die Vorgaben des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung und Aufklärung von Übergriffen des in vielen Fällen von Bharatiya Janata Party (BJP)-Anhängern angeführten Mobs auf religiöse Minderheiten und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen umzusetzen (HRW 14.1.2020).
Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit hinduistischer Mehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder "Verlockung" erfolgt, was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen, manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 3.3.2021). Neun der 28 Bundesstaaten haben Gesetze, die religiöse Konversion einschränken: Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Himachal Pradesh, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan und Uttarakhand. Ein solches Gesetz in Rajasthan, das 2008 verabschiedet wurde, wurde 2017 von der Zentralregierung zurückgewiesen und ist nach wie vor nicht implementiert. Im August 2019 fügte die Legislative des Bundesstaates Himachal Pradesh "Nötigung" der Liste der Konversionsverbrechen hinzu, die auch Bekehrung durch "Betrug", "Gewalt" und "Anstiftung" umfassen. Die Definition von "Verführung" wurde erweitert und umfasst nun auch „das Angebot einer Versuchung“ (USDOS 10.6.2020).
Die Nationale Kommission für Minderheiten, welcher Vertreter der sechs ausgewiesenen religiösen Minderheiten und der Nationalen Menschenrechtskommission angehören, untersucht Vorwürfe von religiöser Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten ist auch befugt, Untersuchungen anzustellen. Diese Stellen verfügen jedoch über keine Durchsetzungsbefugnisse, sondern legen ihre gewonnenen Erkenntnisse zu Untersuchungen auf Grundlage schriftlicher Klagen durch Beschwerdeführer bei, welche strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße geltend machen, und legen ihre Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Stellungnahme vor. 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory of Delhi verfügen über staatliche Minderheitenkommissionen, die auch Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.6.2020).
Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamische Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.6.2020).
Der Wahlsieg der Hindu-nationalistischen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; und ging auch mit der Zunahme eines strammen (Hindu-) Nationalismus einher. Den erneuten deutlichen Wahlsieg der BJP 2019 sehen einzelne Gruppen daher mit Sorge (AA 23.9.2020).
Nach Angaben des Innenministeriums (MHA) fanden zwischen 2008 und 2017 7.484 Vorfälle gemeinschaftlicher Gewalt statt, bei denen mehr als 1.100 Menschen getötet wurden. Daten des Innenministeriums für 2018 bis 2019 liegen nicht vor, doch halten Vorfälle kommunaler Gewalt an (USDOS 10.6.2020). Hassverbrechen, gegen religiöse Minderheiten werden zumeist ungestraft begangen (AI 7.4.2021).
Christen
Letzte Änderung: 31.05.2021
2,3 Prozent der Inder sind Christen (GIZ 1.2021d). Christliche Bevölkerungsanteile finden sich im gesamten Land, aber in größerer Konzentration im Nordosten und in den südlichen Bundesstaaten Kerala, Tamil Nadu und Goa. In drei kleinen Bundesstaaten im Nordosten (Nagaland, Mizoram, und Meghalaya) stellen die Christen die Mehrheit (USDOS 10.6.2020).
Verschiedenen Quellen zufolge kommt es christlichen Gemeinden gegenüber zu Fällen von Gewalt und Belästigungen (USDOS 10.6.2020; vgl. CWS 17.2.2020). Kirchen werden immer häufiger das Ziel von Anschlägen (LZ 3.12.2019) in Form von Lynchjustiz, die zumeist über soziale Medien organisiert wer