TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/17 W163 2222213-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2021
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Entscheidungsdatum

17.12.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W163 2222213-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.07.2019, Zahl XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 46, 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

I.1. Verfahrensgang

I.1.1. Erstes Verfahren

1.       Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein indischer Staatsangehöriger, reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 30.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am 01.09.2016 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.

3.       Mit Bescheid des BFA vom 05.10.2016 wurde der Antrag des BF ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und Frankreich für zuständig erklärt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 61 Abs 1 FPG wurde gegen den BF eine Außerlandesbringung angeordnet und die Abschiebung nach Frankreich gemäß § 61 Abs 2 als zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).

4.       Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesveraltungsgerichtes (im Folgenden: BVwG) vom 04.11.2016, W144 2138163-1, gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

I.1.2. Gegenständliches Verfahren

1.       Am 29.04.2019 stellte der BF den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am 30.04.2019 fand die Erstbefragung des BF vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.

3.       Am 02.07.2019 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.

4.       Mit angefochtenem Bescheid des BFA vom 08.07.2019 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn einen Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weites gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde als Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

5.       Gegen diesen am 19.07.2019 durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellten Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde, welche am 06.08.2019 beim BFA einlangte.

6.       Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakte wurden dem BVwG am 09.08.2019 vom BFA vorgelegt.

7.       Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 01.12.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF persönlich teilnahm. Weder ein bevollmächtigter Vertreter des BF noch ein Vertreter des BFA nahmen an der Verhandlung teil.

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a)       Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei

1.       Zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , in der Stadt Amritsar, Bundesstaat Punjab.

Der BF ist Staatsangehöriger Indiens und gehört der Kaste der XXXX und der Volksgruppe der Punjabi an und bekennt sich zur Religionsgemeinschaft der Hindus.

Der BF spricht eine Landessprache Indiens (Punjabi) als Muttersprache und Hindi.

Der BF stammt aus der Stadt Amritsar, Provinz Punjab (Indien). Der BF lebte zuletzt vor seiner Ausreise nach Europa im Bundesstaat Jammu – Kashmir.

Der BF besuchte insgesamt zwölf Jahre die Schule und drei Jahre die Universität, welche er mit einem Bachelor of Arts abgeschlossen hat. Der BF war im Herkunftsstaat selbständig und hatte ein Bekleidungsgeschäft. Nach seiner Selbständigkeit war der BF als Vertreter tätig, wobei er Waren aus anderen Provinzen Indiens in den Bundesstaat Kashmir importierte.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Eltern des BF sind bereits verstorben. Im Herkunftsstaat leben die Ehefrau, die beiden Kinder sowie der Bruder und die Schwester. Der BF hat Kontakt mit seinen in Indien aufhältigen Familienangehörigen.

Der BF ist volljährig, gesund, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter.

2.       Zur Rückkehrmöglichkeit nach Indien

Der BF ist in Indien keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt. Gründe, die eine Verfolgung oder sonstige Gefährdung des BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Indien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, wurden vom BF nicht glaubhaft gemacht.

Im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien wird der BF nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen und ist nicht von der Todesstrafe bedroht und bringt eine Rückkehr für den BF als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. In Indien wurden mit Stand 10.12.2021 insgesamt 34.64.744 Erkrankungen und 474.735 Todesfälle registriert. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

3.       Zur Situation des Beschwerdeführers in Österreich

Der BF reiste in das Bundesgebiet ein und stellte erstmals am 30.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen wurde. Zugleich wurde die Außerlandesbringung des BF gemäß § 61 Abs 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass gemäß § 61 Abs 2 FPG seine Abschiebung nach Frankreich zulässig sei. Der BF reiste daraufhin nicht aus dem Bundesgebiet aus, sondern verharrte im Bundesgebiet. Am 29.04.2019 wurde der BF festgenommen, woraufhin er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der BF hat keine Verwandten oder Familienangehörige im Bundesgebiet und lebt nicht in einer Lebensgemeinschaft. Er lebt in einer Wohngemeinschaft mit zwei anderen Personen. Der Mietvertrag läuft nicht auf den BF.

Der BF hat keinen nennenswerten sozialen Bindungen im Bundesgebiet.

Der BF besuchte einen Deutschkurs, verfügt jedoch über keine Deutschkenntnisse.

Der BF nicht über eine Beschäftigungsbewilligung oder Gewerbeberechtigung. Er arbeitet als Zeitungszusteller und verdient durchschnittlich 700 Euro im Monat. Der BF bezieht keine Leistungen der Grundversorgung.

Der BF ist weder Mitglied in einem Verein noch engagiert er sich zum Zeitpunkt der Entscheidung ehrenamtlich. In seiner Freizeit sieht der BF fern oder beschäftigt sich im Internet.

Der BF ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafrechtlich unbescholten.

b) Zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Indien, Version 4 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

COVID-19

Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen Regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeinschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staatlichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Politische Lage

Letzte Änderung: 21.05.2021

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).

Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis "National Democratic Alliance (NDA)", mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).

Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.05.2021

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Indien und Pakistan

Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten "Line of Control (LoC)" haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).

In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel "einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" ab dem 25. Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).

Indien und China

Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten "Line of Actual Control" (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).

Indien und Bangladesch

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).

Indien und Nepal

Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kratographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).

Indien und Sri Lanka

Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE ("Tamil Tigers") in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 31.05.2021

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung, vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 23.9.2020). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.3.2021).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 3.3.2021). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberste Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 9.2020).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre. Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen erlaubt die Inhaftierung ohne Anklage oder aufgrund von vage definierten Vergehen (FH 3.3.2021). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei mit Todesstrafe bedrohten Delikten, soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 23.9.2020).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 23.9.2020).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem bzw. zwei Jahren (in Fällen des Public Safety Act) ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind nicht bekannt (AA 23.9.2020).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es ist nicht unüblich, dass Häftlinge misshandelt werden, in einigen Fällen sogar mit Todesfolge. Folter durch Polizeibeamte, Armee und paramilitärische Einheiten bleibt häufig ungeahndet, weil die Opfer ihre Rechte nicht kennen oder eingeschüchtert werden (AA 23.9.2020).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities Prevention Act (UAPA)", und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 30.3.2021).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein. Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 9.2020).

Indische Einzelpersonen - oder NGOs im Namen von Einzelpersonen oder Gruppen - können sogenannte Rechtsstreitpetitionen von öffentlichem Interesse ("Public Interest Litigation petitions", PIL) bei jedem Gericht einreichen, oder beim Obersten Bundesgericht, dem „Supreme Court“ einbringen, um rechtliche Wiedergutmachung für öffentliche Rechtsverletzungen einzufordern (CM 2.8.2017).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 3.3.2021).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 31.05.2021

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020), allerdings verlangen Zentralregierung und die Bundesstaatenregierungen vor Reiseantritt von indischen Staatsbürgern spezielle Genehmigungen, um bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen betreten zu dürfen (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus wird von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Angehörige der Dalits berichtet. Auch sind die Regierungen der Bundesstaaten angewiesen, die Bewegungsfreiheit der Rohingya auf bestimmte Orte zu beschränken (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung kann jedem Antragsteller per Gesetz die Ausstellung eines Reisepasses verweigern, wenn der Antragsteller an Aktivitäten außerhalb des Landes teilnimmt, "die der Souveränität und Integrität der Nation abträglich sind". Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller, einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren, zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 30.3.2021).

Angesichts massiv gestiegener COVID-19-Infektionszahlen können nächtliche Ausgangssperren oder Lockdowns in allen Städten/Bundesstaaten ohne lange Vorankündigung verhängt werden (BMEIA 10.5.2021). Zunehmend werden Ausgangssperren orts- und lageabhängig verhängt. Viele Bundesstaaten führen zudem oft kurzfristig Einreisebeschränkungen und Kontrollmaßnahmen sowie sonstige einschränkende Maßnahmen ein. Das Verbindungsangebot des nationalen Eisenbahn- und Flugverkehrs ist gegenwärtig stark reduziert, die Einreise auf dem Landweg ist weiterhin nicht möglich (AA 30.4.2021).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem (DFAT 10.12.2020), sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt (AA 23.9.2020). In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 9.2020).

Meldewesen

Letzte Änderung: 31.05.2021

Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020, DFAT 10.12.2021). Allerdings besteht für alle Einwohner (auch ausländische StaatsbürgerInnen) die freiwillige Möglichkeit, sich umfassend mittels Aadhaar (12-stellige, individuelle Nummer) registrieren zu lassen (ÖB 9.2020). Flüchtlinge sind von dieser Möglichkeit jedoch ausgeschlossen (USDOS 30.3.2021). Als Sicherheitsmaßnahme für die Registrierung dienen ein digitales Foto, Fingerabdrücke aller 10 Finger sowie ein Irisscan. Mittels Aadhaar ist es dann möglich, Sozialleistungen von der öffentlichen Hand zu erhalten. Auf Grund der umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen (Irisscan, Fingerabrücke) ist das System relativ fälschungssicher. Mittlerweile wurden über 1,2 Mrd. Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB 9.2020).

Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 31.05.2021

Indien hat die UN-Konvention über die Anerkennung von Flüchtlingen von 1951 und das Protokoll von 1967 nicht unterzeichnet und gewährt ausländischen Flüchtlingen in der Regel keinen besonderen Status. Besondere Gesetze zum Status von Flüchtlingen gibt es nicht (AA 23.9.2020).

Einzelfallabhängig und je nach Nationalität erhalten Personen aus humanitären Gründen einen Aufenthaltstitel. So erhalten Tibeter und Tamilen aus Sri Lanka grundsätzlich indische Passersatzpapiere, die mit einem dauernden Bleiberecht verbunden sind. Nepalesen können nach dem Freundschaftsvertrag von 1950 frei nach Indien einreisen und sind indischen Bürgern weitgehend gleichgestellt. Staatsangehörige von Bhutan erhalten eine Aufenthaltsberechtigung in Indien. Sonstige Flüchtlinge werden durch den UNHCR registriert und betreut. Sie erhalten lediglich ein UNHCR-Dokument, das sie als asylberechtigt ausweist. Nach dem Staatsbürgerschaftsänderungsgesetz, („Citizenship Amendment Act“, 2019) das am 10. Januar 2020 in Kraft trat, erhalten Migranten, die vor dem 31. Dezember 2014 als Flüchtlinge aus den Nachbarländern Afghanistan, Bangladesch und Pakistan kamen, vereinfacht die indische Staatsbürgerschaft. Davon ausgenommen sind Muslime (AA 23.9.2020).

Im August 2019 drückte der indische Außenminister bei seinem Besuch in Bangladesch seine Bereitschaft aus, vertriebenen Rohingyas in Bangladesch und der Entwicklungszusammenarbeit des Staates Rakhine in Myanmar mehr Hilfe zu zukommen zu lassen. Bedenken bezüglich der Abschiebung von fast 2 Millionen Menschen, die vom Projekt zur Überprüfung der Staatsbürgerschaft in Assam ausgeschlossen wurden, bezeichnete er als innere Angelegenheit Indiens. 2018 und 2019 wurden von der indischen Regierung einige Rohingya nach Myanmar abgeschoben. Diese Abschiebungen wurden im April 2019 durch UN-Menschenrechtsexperten verurteilt, da sie angeblich gegen das Völkerrecht verstoßen. Darüber hinaus wird die unbefristete Inhaftierung einiger Rohingyas in Indien kritisiert (HRW 14.1.2020). Mindestens vier, in Haft befindliche Rohingyas wurden im Januar 2020 nach Myanmar rückgeführt (USDOS 30.3.2021). Geschätzt sind 5.000 muslimische Rohingya in den vergangenen Jahren vor der gegen sie gerichteten Militärgewalt im mehrheitlich buddhistischen Myanmar in den indischen Teil Kaschmirs geflohen und leben dort seither in Lagern oder Elendsvierteln. Bei Razzien Anfang März 2021 wurden 170 Rohingya aus dem Unionsterritorium Jammu und Kaschmirfestgenommen und zum Zweck der Rückführung nach Myanmar in eine Haftanstalt nach Hiranagar gebracht. Die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung wurde vom Obersten Gerichtshof im Apri 2021 aus Gründen der nationalen Sicherheit bestätigt. Insgesamt sollen in Indien rund 40.000 Rohingya größtenteils undokumentiert in Jammu und Kaschmir, vor allem in Hyderabad, Nuh und in der Hauptstadt New Delhi aufhältig sein (BAMF 12.4.2021).

2020 wurden insgesamt 196 Tamilen nach Sri Lanka zurückgeführt (2019: 800) (TOI 14.9.2021), zum Jahresende [2020/2021] wurden freiwillige Rückführungen ausgesetzt, da aufgrund der COVID-19-Pandemie keine kommerziellen Flüge für die Rückkehr von srilankischen Flüchtlingen zur Verfügung standen (USDOS 30.3.2021). Rund 95.000 Tamilen leben im Land (IT 23.2.2021).

Grundsätzlich kann jeder Flüchtling nach zwölfjährigem Aufenthalt in Indien indischer Staatsangehöriger werden. Der Großteil der Tibeter lehnt dies jedoch in der Hoffnung, eines Tages in die Heimat zurückzukehren, ab. Tibetische Flüchtlinge haben mit Hilfe von NGOs (teils mit ausländischer Unterstützung) sowie Bemühungen der tibetischen Exilregierung und Institutionen Möglichkeiten zur Schul-/Berufsausbildung sowie Zugang zu Startkapital und sind dementsprechend wirtschaftlich aktiv. Indien teilt den Flüchtlingen Siedlungsgebiete zu, Afghanen erhielten Land in Lajpat Nagar in Delhi. Schon aufgrund der religiösen Verwandtschaft werden diese Flüchtlinge nicht nur toleriert, sondern in die indische Gesellschaft integriert und dort akzeptiert (AA 23.9.2020).

Die Versorgung von Binnenvertriebenen fällt im Allgemeinen in den Zuständigkeitsbereich der Regierungen der Bundesstaaten und der lokalen Behörden, was Lücken in der Versorgung und eine mangelhafte Dokumentation zur Folge hat. So sind Angaben zur genauen Anzahl der durch Konflikte oder durch Gewalt Vertriebenen schwierig, da die Regierung die Bewegungen der Vertriebenen nicht dokumentiert und humanitäre und Menschenrechtsorganisationen nur begrenzten Zugang zu den Lagern und betroffenen Regionen haben. Zwar werden die Bewohner der Vertriebenenlager von den Behörden registriert, doch lebt eine unbekannte Anzahl von Vertriebenen außerhalb dieser Lager. Vielen Binnenvertriebenen fehlte es an ausreichender Nahrung, sauberem Wasser, Unterkünften und medizinischer Versorgung (USDOS 30.3.2021).

Landesweit sind Lager Binnenvertriebener existent. Darunter auch solche mit Gruppen, die durch interne bewaffnete Konflikte in Jammu und Kaschmir, in den von Maoisten betroffenen Gebieten, in den nordöstlichen Staaten und in Gujarat vertrieben wurden. Im Jahr 2019 wurden etwa 19.000 Personen aufgrund von Konflikten und Gewalt vertrieben, während mehr als fünf Millionen Menschen wegen Naturkatastrophen ihren Lebensraum verlassen mussten (USDOS 30.3.2021; vgl. IDMC o.D.).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 31.05.2021

Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden. Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Millionen Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).

Im Geschäftsjahr 2020/21 (1.April 2020 – 31.März 2021) brach Indiens BIP Wachstum mit einem Minus von sieben bis neun Prozent deutlich ein. Der massivste Wachstumsrückgang seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1947, verdeutlicht die Auswirkungen der strengen Lockdown Maßnahmen in der ersten sechs Monaten des Vorjahres (WKO 4.2021; vgl. TIE 26.1.2021). 80 Prozent der Arbeiterschaft im informellen Sektor während des Lockdown ihre Arbeit verloren (AAAI 8.2020). Hundertausende Wanderarbeiter flohen in den Wochen danach aus den Städten. Weil auch der Zug- und Bahnverkehr von der Regierung ausgesetzt wurde, müssten viele Arbeiter zum Teil auf den Autobahnen und Gleisen Hunderte Kilometer zu Fuß in ihre Dörfer zurücklegen. Hunderte starben dabei (HO 28.4.2021). Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind für die Armen besonders gravierend (SZ 25.1.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Ab Oktober 2020 konnte wieder ein starker Wachstumsanstieg verzeichnet werden. Die Investitionsförderungsprogramm der Regierung und die Erleichterung der Vergabebedingungen für Investitionskredite haben sehr wesentlich zum Wiederanspringen der Konjunktur beigetragen (WKO 4.2021). Für 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von mehr als sieben Prozent erwartet (TIE 26.1.2021).

Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019; vgl. AAAI 8.2020).

Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 2020; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Bundesstaaten geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 2020).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat). Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmern ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 2020).

Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 23.9.2020). Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa 2/3 der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Krise und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 rund 1,2 Milliarden indischer Bürger eine Aadhaar-ID ausgestellt (ORF 27.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, sind keine umfangreichen Unterlagen erforderlich, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, wodurch sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere zugänglich ist. Die Verwendung biometrischer Daten, einschließlich Gesichtsauthentifizierung, Iris und Fingerabdruck, soll die doppelte Vergabe von UIDs an ein und dieselbe Person reduzieren oder verhindern. Während es möglich sein kann, eine Aadhaar-Karte unter falschem Namen zu erhalten, ist es weniger wahrscheinlich, dass eine Person mit denselben biometrischen Daten eine zweite Aadhaar-Karte unter einem anderen Namen erhalten kann (DFAT 10.12.2020). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Die Aadhaar-Karte selbst ist kein sicheres Dokument, da sie auf Papier gedruckt wird, und obwohl sie nicht wie ein Personalausweis behandelt werden sollte, ist sie es in der Praxis doch (DFAT 10.12.2020).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018).

Rückkehr

Letzte Änderung: 31.05.2021

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 23.9.2020; vgl. DFAT 10.12.2020). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020).

Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Es ist strafbar, zu Terrorgruppen Kontakte zu unterhalten oder an Handlungen beteiligt zu sein, die die Souveränität, Integrität oder Sicherheit Indiens gefährden. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 9.2020). Aus

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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