TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/28 W237 2205347-1

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Veröffentlicht am 28.12.2021
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Entscheidungsdatum

28.12.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W237 2205347-1/21E

Schriftliche Ausfertigung des am 26.11.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Äthiopien, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2018, Zl. 108529550-160751022, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.11.2021 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin reiste mit einem C-Visum der österreichischen Botschaft in Addis Abeba im September 2015 in das österreichische Bundesgebiet ein. In der Folge reiste sie in die Niederlande weiter, wo sie nach Ablauf des Visums einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Am 27.05.2016 wurde die Beschwerdeführerin von den Niederlanden nach Österreich überstellt.

2. Am 27.05.2016 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2.1. Am 30.05.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin statt.

2.2. In weiterer Folge wurde die Beschwerdeführerin am 30.04.2018 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für Amharisch niederschriftlich einvernommen und dabei näher zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaats gefragt. Am 15.05.2018 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin zu den ihr in der Einvernahme vorgehaltenen Länderinformationen zu Äthiopien ein.

2.3. Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2018 wurde der Beschwerdeführerin ein aktualisiertes Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Äthiopien übermittelt und die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt. Von dieser Möglichkeit machte die Beschwerdeführerin mit einer am 19.07.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangten Stellungnahme Gebrauch.

2.4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 26.07.2018 den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungs-würdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Äthiopien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 28.08.2018 über ihren zur Vertretung im Beschwerdeverfahren bevollmächtigten (damaligen) Rechtsberater vollinhaltlich Beschwerde.

3.1. Am 10.09.2018 wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht samt Bezug habendem Verwaltungsakt zur Entscheidung vorgelegt.

3.2. Am 10.01.2020, 04.03.2021, 11.11.2021 sowie am 25.11.2021 langten jeweils weitere Unterlagen und Stellungnahmen der Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht ein.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.11.2021 mit der Beschwerdeführerin in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Amharisch sowie ihres Lebensgefährten, dessen Beschwerdeverfahren zu diesem Zeitpunkt ebenfalls vor dem Bundesverwaltungs-gericht anhängig war, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der die Beschwerdeführerin zu ihrer Volksgruppenzugehörigkeit ergänzend befragt wurde.

Unmittelbar nach Schluss der Verhandlung wurde das Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet.

3.4. Am 03.12.2021 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist äthiopische Staatsangehörige; sie wurde in Äthiopien geboren und wuchs in Addis Abeba auf. Ihre Mutter gehört der Volksgruppe der Amhara, ihr Vater jener der Tigray eritreischer Abstammung an. Die Eltern der Beschwerdeführerin trennten sich, als sie noch ein Kind war, worauf sie in der Folge bei ihrem Vater aufwuchs. Die Beschwerdeführerin ist Angehörige der Volksgruppe der Tigray (auch: Tigrinya) und bezeichnet sich ob ihrer Abstammung als eritreische Tigray. Sie besuchte in Äthiopien zwölf Jahre lang die Schule und schloss diese mit Matura ab. Anschließend absolvierte sie an der Universität Addis Abeba ein Bachelorstudium der sozialen Arbeit.

Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Amharisch, sie spricht aber – neben Englisch – auch Deutsch auf zumindest B2-Niveau. Seit Mai 2016 lebt die Beschwerdeführerin durchgehend in Österreich, absolvierte hier ein Masterstudium und erwartet mit ihrem Lebensgefährten, einem in Österreich aufenthaltsberechtigten äthiopischen Staatsangehörigen, ein gemeinsames Kind.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Äthiopien:

Allgemeine politische Lage

Entsprechend der Verfassung ist Äthiopien ein föderaler und demokratischer Staat. Die Grenzen der Bundesstaaten orientieren sich an sprachlichen und ethnischen Grenzen sowie an Siedlungsgrenzen. Seit Mai 1991 regiert in Äthiopien die Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die sich aus vier regionalen Parteien zusammensetzt: Tigray People's Liberation Front (TPLF), Amhara National Democratic Movement (ANDM), Oromo People’s Democratic Organisation (OPDO) und Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement (SEPDM). Traditionellen Führungsanspruch in der EPRDF hat die TPLF, die in den vergangenen Jahrzehnten zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hatte (AA 17.10.2018).

Auf allen administrativen Ebenen werden regelmäßig Wahlen durchgeführt, zu denen Oppositionsparteien zugelassen sind. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 gewannen die regierende EPRDF und ihr nahestehende Parteien nach Mehrheitswahlrecht alle 547 Parlamentssitze. Auf allen administrativen Ebenen dominiert die EPRDF. Auch in den Regionalstaaten liegt das Übergewicht der Politikgestaltung weiter bei der Exekutive. Staat und Regierung bzw. Regierungspartei sind in der Praxis nicht eindeutig getrennt (AA 17.10.2018).

Äthiopien ist politisch sehr fragil (GIZ 9.2018). Zudem befindet sich das Land derzeit unter Premierminister Abiy Ahmed in einem politischen Wandel (GIZ 9.2018a). Abiy Ahmed, Angehöriger der Volksgruppe der Oromo, kam im April 2018 nach dem Rucktritt von Hailemariam Desalegn an die Macht. Binnen weniger Monate nach seinem Amtsantritt hat er den Ausnahmezustand des Landes beendet, politische Gefangene freigelassen, umstrittene Kabinettsmitglieder und Beamte entlassen, Verbote für Websites und sozialen Medien aufgehoben und ein Friedensabkommen mit dem benachbarten Eritrea geschlossen (RI 14.11.2018; vgl. EI 12.12.2018, JA 23.12.2018).

Unter der neuen Führung begann Äthiopien mit dem benachbarten Eritrea einen Friedensprozess hinsichtlich des seit 1998 andauernden Konfliktes (JA 23.12.2018). Im Juni 2018 kündigte die äthiopische Regierung an, den Friedensvertrag mit Eritrea von 2002 vollständig zu akzeptieren (GIZ 9.2018a). Mithilfe der USA, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate begann Abiy Ahmed Gespräche und begrüßte den eritreischen Präsidenten Isaias Afeworki im Juli 2018 in Addis Abeba (JA 23.12.2018). Nach gegenseitigen Staatsbesuchen sowie der Grenzöffnung erfolgte Mitte September 2018 die offizielle Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen den beiden Ländern (GIZ 9.2018a). Die Handels- und Flugverbindungen wurden wieder aufgenommen, und die UN-Sanktionen gegen Eritrea wurden aufgehoben (JA 23.12.2018).

Im Inneren des Staates Äthiopien wurden seit dem Amtsantritt Abiy Ahmeds jedoch ethnisch grundierte Zentrifugalkräfte freigesetzt, die in den letzten zwei Jahren zu offenen Bürgerkriegshandlungen führten (s. die folgenden Abschnitte).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018

-        EI - Ethiopia Inside (12.12.2018): Rebranded show trials are exactly what remodeled Ethiopia does not need, https://www.ethiopia-insight.com/2018/12/12/rebranded-show-trials-are-exactlywhat-remodeled-ethiopia-does-not-need/, Zugriff 17.10.2018

-        GIZ - Gesellschaft fur Internationale Zusammenarbeit (9.2018): Äthiopien, Überblick,

https://www.liportal.de/aethiopien/ueberblick/, Zugriff 11.12.2018

-        GIZ - Gesellschaft fur Internationale Zusammenarbeit Deutschland (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 10.12.2018

-        JA - Jeune Afrique (23.12.2018): Ethiopie: Abiy Ahmed, le negus du changement, https://www.jeuneafrique.com/mag/692770/politique/ethiopie-abiy-ahmed-le-negus-duchangement/?utm_source=newsletter-ja-actuabonnes&utm_medium=email&utm_campaign=newsletter-ja-actu-abonnes-24-12-18, Zugriff 27.12.2018

-        RI - Refugees International in Reliefweb.int (14.11.2018): The Crisis Below the Headlines: Conflict Displacement in Ethiopia, https://reliefweb.int/report/ethiopia/crisis-below-headlinesconflict-displacement-ethiopia, Zugriff 11.12.2018

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen sind prekär (überfüllte Gefängnisse, ungenügende hygienische Verhältnisse und medizinische Versorgung etc.) (EDA 10.12.2018), teilweise lebensbedrohlich (SFH 26.9.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) und mit europäischen Standards nicht zu vergleichen (AA 17.10.2018). In der Regel erfolgt die Unterbringung in großen Gemeinschaftszellen. Verpflegung und sanitäre Anlagen sind landestypisch sehr einfach (AA 17.10.2018). Aufgebessert werden die Haftbedingungen entweder durch finanzielle Mittel, die es Inhaftierten ermöglichen, Matratze, Bettzeug und zusätzliche Verpflegung zu kaufen, oder durch die weit verbreitete Unterstützung von Angehörigen, die regelmäßig Nahrungsmittel und Dinge des täglichen Bedarfs bei den Inhaftierten abgeben (AA 17.10.2018).

Zu den größten Problemen zahlen massive Überbelegung und unzureichende Nahrungsmittel-, Wasser- und medizinische Versorgung sowie mangelhafte sanitäre Anlagen (AA 17.10.2018; vgl. SFH 26.9.2018, USDOS 20.4.2018). Es wird zudem immer wieder berichtet, dass Angeklagten und/oder Verurteilten unter dem Antiterrorgesetz der Zugang zu Anwälten, Besuch von Angehörigen sowie adäquate medizinische Versorgung verwehrt wird (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Viele Frauen werden während ihrer Haftzeit Opfer von Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch (SFH 26.9.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Minderjährige werden zusammen mit Erwachsenen in Haft gehalten, häufig in Militärcamps, wo auch sogenannte Umerziehungsmaßnahmen“ angewandt werden. Jugendstrafanstalten existieren praktisch nicht (AA 17.10.2018).

Es gibt regelmäßig Berichte über Misshandlungen, insbesondere in Untersuchungshaft, unbekannten Verbleib zwischen Verhaftung und Vorführung vor Gericht bzw. Einlieferung in ein staatliches Gefängnis oder auch darüber, dass Familienangehörige von Verhafteten unter Druck gesetzt werden (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Äthiopisches Sicherheitspersonal, einschließlich Sicherheitskräfte und Geheimdienstbeamte in Zivilkleidung, Bundespolizei, Sonderpolizei und Militär foltern politische Gefangene in offiziellen und geheimen Haftzentren, um Geständnisse oder die Herausgabe von Informationen zu erzwingen. Während dem Ausnahmezustand sollen inhaftierte Personen bei Verhören malträtiert und misshandelt worden sein (SFH 26.9.2018; vgl USDOS 20.4.2018). Es kommt vor, dass Haftlinge wegen der durch Folter zugefügten Verletzungen oder an Hunger sterben (SFH 26.9.2018). Einzelne berichten von Misshandlungen in Untersuchungshaft. Diese Vorwürfe werden in der Regel nicht weiter untersucht. Zudem wird berichtet, dass mehrere inoffizielle Haftanstalten, meist in Militärcamps existieren (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz besuchte im Laufe des Jahres 2017 Gefängnisse im ganzen Land. Die Regierung hat anderen internationalen Menschenrechtsorganisationen den Zugang zu Gefängnissen nicht gestattet (USDOS 20.4.2018).

Im Jänner 2018 kündigte die äthiopische Regierung an, das berüchtigte Maekelawi-Gefängnis in Addis Abeba, in dem insbesondere auch offenbar aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört wurden, zu schließen und in ein Museum umzuwandeln. Das Maekelawi-Gefängnis wurde unmittelbar nach Amtsantritt Abiys im April geschlossen (AA 17.10.2018). Im August 2018 wurde auch das bis dahin für Folter berüchtigte Jail Ogaden in der Region Somali geschlossen (HRW 19.10.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-un d-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018

-        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.12.2018): Reisehinweise für Äthiopien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reiseinformation/aethiopien/reisehinweise-aethiopien.html, Zugriff 12.12.2018

-        HRW – Human Rights Watch (19.10.2018): Ethiopia: Ensure Justice for Abuses in Jail Ogaden, https://www.hrw.org/news/2018/10/19/ethiopia-ensure-justice-abuses-jail-ogaden, Zugriff 4.1.2019

-        SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (26.9.2018): Äthiopien: Exilpolitische Aktivitäten, staatliche Überwachung, neuere Entwicklungen, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/afrika/athiopien/180926-ethexilpolitische-

-        aktivitaeten-staatl.ueberwachung.pdf, Zugriff 18.12.2018

-        USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017- Ethiopia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430108.html, Zugriff 14.12.2018

Ethnische Minderheiten in Äthiopien

Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat mit einer großen Zahl von Ethnien und Sprachen. Die Anzahl ethnischer Gruppen wird mit mindestens 80, in einigen Quellen mit bis zu 120, angegeben. Die Sprachenvielfalt ist ebenso ausgeprägt. Diese sind entweder sehr klein, mit nur einigen tausend Menschen (z.B. Mursi) oder mit uber 25 Millionen (z.B. Oromo) sehr groß (GIZ 9.2018c). Laut Volkszahlung von 2007 sind Oromo mit 34,5% und Amharen mit 29,6% die zwei größten ethnischen Gruppen, gefolgt von Somali mit 6,2% und Tigray mit 6,1%. Die übrigen Ethnien machen zusammen gut 23% der Bevölkerung aus (GIZ 9.2018c; vgl. AA 4.2018, CIA 4.12.2018). Auch wenn keine diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis feststellbar ist, gibt es jedoch nicht verifizierbare Berichte, dass kleinere indigene Gruppen in der Praxis diskriminiert werden (AA 17.10.2018).

Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Ethnien werden teils gewaltsam ausgetragen, und weder die Zentralregierung noch lokale Behörden sind in allen Regionen in der Lage, Menschenrechte und demokratische Rechte permanent zu gewährleisten. Es kam z.B. bereits mehrfach zu gewaltsamen Zusammenstoßen zwischen umgesiedelten Äthiopiern aus dem Hochland und der einheimischen Bevölkerung in Gambella (AA 17.10.2018). Im Sommer 2018 ist die Bilanz bezüglich ethnischer Versöhnung auch in anderen Teilen des Landes ernüchternd: An der Grenze zwischen den Regionen Somali und Oromia kommt es immer wieder zu Gewaltexzessen, auch an der Grenze zwischen Oromia und der Southern Nations', Nationalities' and Peoples' Region (SNNPR) gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen (GIZ 9.2018a).

Seit Juni 2018 sind bei Zusammenstößen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Ethnien zahlreiche Personen getötet worden (EDA 10.12.2018). Es kam bereits in der Vergangenheit zu Zusammenstößen und zu Kämpfen z.B. zwischen den Gedeo und den Guji. Die Gedeo sind Landwirte, und die Guji sind traditionell Pastoralisten. Die Spannungen zwischen den beiden Gruppen konzentrierten sich auf Land, Grenzziehung und Rechte ethnischer Minderheiten (RI 11.2018), bzw. der Streit um Weideland und andere Ressourcen (WZ 16.12.2018).

In der Somali Region kam es auch zur Plünderung von Besitztümern ethnischer Minderheiten (DW 8.8.2018). Angriffe richteten sich gezielt gegen ethnische Nicht-Somalis und gegen orthodoxe Kirchen (AA 17.10.2018). Am 12.11.2018 führte Gewalt zwischen den Gemeinschaften Gebra und Garre dazu, dass etwa 15.000 Menschen in der Stadt Moyale, einer Stadt, die sowohl zu Oromia als auch zu Somalia gehört, vertrieben wurden (UNOCHA 25.11.2018).

Mitte Dezember 2018, kam es erneut zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia Region (AA 4.1.2019; vgl. BAMF 17.12.2018; WZ 16.12.2018).

Die Polizei in Äthiopien berichtete, dass sie im Zuge von Untersuchungen angeblicher Gräueltaten des ehemaligen Regionalpräsidenten der Region Somali, Abdi Mohamed Omar, ein Massengrab mit 200 Leichen an der Grenze zwischen den Regionen Somali und Oromia gefunden hat (BBC 8.11.2018). Abdi Mohamed Omar wird beschuldigt, für Verhaftungen, Folter und Vergewaltigungen von Somali in der Region Somali verantwortlich gewesen zu sein. Zudem habe er den ethnischen Konflikt angeheizt, indem er Somali-Nomaden gegen Oromo-Bauern aufhetzte (BBC 8.11.2018; vgl. GfbV 9.11.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt Deutschland (4.1.2019): Äthiopien, Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopiensicherheit/209504, Zugriff 4.1.2019

-        AA - Auswärtiges Amt (17.10.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452858/4598_1543583225_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-un d-abschiebungsrelevante-lage-in-aethiopien-stand-september-2018-17-10-2018.pdf, Zugriff 11.12.2018

-        AA - Auswärtiges Amt Deutschland (4.2018): Äthiopien, Überblick, https://www.auswaertigesamt.de/de/aussenpolitik/laender/aethiopien-node/aethiopien/209502, Zugriff 7.12.2018

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (17.12.2018): Briefing Notes vom 17. Dezember 2018

-        BBC News Africa (8.11.2018): Ethiopia police find mass grave of 200 people, https://www.bbc.com/news/world-europe-46145307, Zugriff 8.1.2019

-        CIA - Central Intelligence Agency (4.12.2018): The World Factbook, Ethiopia, Peoples and Society, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/et.html, Zugriff 7.12.2018

-        DW - Deutsche Welle (8.8.2018): Äthiopien: Ethnische Konflikte schwelen weiter, https://www.dw.com/de/%C3%A4thiopien-ethnische-konflikte-schwelen-weiter/a-45011266, Zugriff 10.12.2018

-        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.12.2018): Reisehinweise für Äthiopien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reiseinformation/aethiopien/reisehinweise-aethiopien.html, Zugriff 10.12.2018

-        GfbV.de – Gesellschaft für bedrohte Volker (9.11.2018): Äthiopien: Massengrab im Ogaden gefunden, https://www.gfbv.de/de/news/aethiopien-massengrab-im-ogaden-gefundenverbrechen-muessen-aufgearbeitet-werden-9482/, Zugriff 8.1.2019

-        GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Äthiopien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aethiopien/geschichte-staat/, Zugriff 12.12.2018

-        GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018c): Äthiopien, Gesellschaft, www.liportal.de/aethiopien/gesellschaft/, Zugriff 7.12.2018

-        RI - Refugees International in Reliefweb.int (11.2018): The Crisis Below the Headlines: Conflict Displacement in Ethiopia https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/FINAL %2BEthiopia%2BReport%2B-%2BNovember%2B2018%2B-%2BFinal.pdf, Zugriff 17.12.2018

-        UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (25.11.2018): Ethiopia Humanitarian Bulletin Issue 68 | 11 - 25 November 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452480/1788_1543330695_2511.pdf, Zugriff 11.12.2018

-        WZ - Wiener Zeitung (16.12.2018): Äthiopien – Mehr als 20 Tote bei ethnischen Zusammenstößen, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/welt/weltchronik/1008111_Mehrals-20-Tote-bei-ethnischen-Zusammenstoessen.html, Zugriff 17.12.2018

Ethnische Unruhen im Sommer 2020

Nach der Ermordung des Musikers und Aktivisten Hachalu Hundessa am 29.6.2020 ist es in Äthiopien in mehreren Städten zu gewalttätigen Unruhen gekommen (BAMF 6.7.2020; vgl. Spiegel 3.7.2020, DW 5.7.2020, HRW 1.7.2020). Mindestens 166 Menschen wurden bei den Protesten getötet. Im Bundesstaat Oromia wurden 145 Zivilisten und 11 Sicherheitskräfte getötet, zehn weitere Menschen, darunter zwei Polizisten, starben in der Hauptstadt Addis Abeba. Die Zahl der Todesopfer könnte steigen, da viele Menschen ins Krankenhaus eingeliefert wurden (DW 5.7.2020; vgl. BAMF 6.7.2020, FAZ 5.7.2020, AN 6.7.2020). Zudem wurden rund 2.300 Personen festgenommen (BAMF 6.7.2020; vgl. FAZ 5.7.2020, AN 6.7.2020). In Addis Abeba wurde von mehreren Explosionen berichtet, Geschäfte wurden in Brand gesetzt (BAMF 6.7.2020; vgl. IPN 1.7.2020).

Der ermordete Sänger Hachalu wird von vielen als ein Verfechter der Rechte der Oromo angesehen, dessen Lieder die Kampfe und Frustrationen der Oromo während der Protestbewegung 2014-2018 wiedergaben und vor allem von Jugendlichen gehört wurden (BAMF 6.7.2020; vgl. DW 5.7.2020, HRW 1.7.2020). Noch kurz vor seinem Tod hatte Hachalu die Politik Abiys stark kritisiert, weil er nicht die Interessen der Oromo vertrete. Gleichzeitig berichtete Hachalu von Morddrohungen gegen ihn. Obwohl sie die größte Bevölkerungsgruppe Äthiopiens bilden, fühlten sich die Oromo über Jahre von der Regierung diskriminiert (BAMF 6.7.2020).

Inzwischen habe sich die Lage – so die Polizei – wieder beruhigt. Drei Verdächtige des Mordes am Sanger seien in Untersuchungshaft, die Hintergrunde des Anschlages sind jedoch bislang noch unklar (BAMF 6.7.2020). Premierminister Abiy Ahmed rief die Bewohner der Region zur Einheit auf und versicherte ihnen, dass strenge Maßnahmen gegen die Täter ergriffen wurden (Regnum 3.7.2020). Abiy Ahmed machte „interne und externe Kräfte“ für die Ausschreitungen verantwortlich und bezog sich dabei auch auf die anhaltenden Spannungen mit Ägypten im Zusammenhang mit dem Bau des Staudamms am Nil (BAMF 6.7.2020; vgl. Regnum 3.7.2020).

Als Reaktion auf die Unruhen blockierte die äthiopische Regierung alle Internetverbindungen im Land. Auch die Telefonverbindungen wurden unterbrochen (BAMF 6.7.2020; vgl. AN 6.7.2020). Am Wochenende (4./5.7.2020) war die Lage in Oromia weiter angespannt. In der Hauptstadt hatte sich die Lage bis zum 5.7.2020 wieder entspannt, allerdings bleibt das Internet weiter ausgeschalten (FAZ 5.7.2020; vgl. BAMF 6.7.2020, AN 6.7.2020).Human Rights Watch befürchtet, dass die Abschaltung des Internets durch die Behörden, die offensichtlich exzessive Anwendung von Gewalt und die Verhaftung von politischen Oppositionellen die instabile Situation noch verschlimmern könne, anstatt die staatliche Ordnung wieder herzustellen (HRW 1.7.2020).

Schwere Unruhen gab es auch in Halachus Heimatstadt Ambo im Zusammenhang mit dessen Begräbniszeremonie (AN 2.7.2020; vgl. BAMF 6.7.2020). Im Umfeld der Beisetzung führte die Inhaftierung des Medienunternehmers Jawar Mohammed zu einer weiteren Eskalation (BAMF 6.7.2020; vgl. Spiegel 2.7.2020, AN 6.7.2020, AN 2.7.2020). Der Medienunternehmer galt lange als Unterstutzer Abiys, wirft dem Premierminister jedoch vor, zu wenig für die Oromo zu tun und befürwortet die Abspaltung des Regionalstaates Oromia. Nach Einschätzung politischer Beobachter wäre Jawar bei den ursprünglich für dieses Jahr geplanten – wegen COVID-19 jedoch verschobenen – Parlamentswahlen wohl größter Konkurrent Abiys geworden (BAMF 6.7.2020; vgl. AJ 25.10.2019).

Im April 2018 übernahm Abiy als erster Oromo das Amt des Premierministers. Er leitete umfassende Reformen ein und wurde 2019 unter anderem wegen seiner Befriedungsbemühungen am Horn von Afrika mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Spannungen innerhalb der Gesellschaft haben unter seiner Amtszeit jedoch zugenommen (BAMF 6.7.2020). Abiy versprach den Äthiopiern, den Staat zu dezentralisieren und den Föderalismus zu stärken. Die meisten der neuerdings zehn semiautonomen äthiopischen Verwaltungsregionen sind ethnisch definiert. Dass die Regionen nun mehr Rechte bekommen haben, verstärkt die separatistischen Kräfte im Land. Abiys Vorhaben, die föderalen Strukturen zu stärken, ohne ein Zerbrechen entlang ethnischer Trennlinien zu provozieren, ist ein riskanter Plan, dessen Erfolg nun immer fraglicher scheint (Spiegel 3.7.2020; vgl. AN 6.7.2020). Allein 2018 flohen drei Millionen Menschen aus ihren Heimatregionen, zum Großteil wegen ethnischer Konflikte (Spiegel 3.7.2020).

Quellen:

?        AJ - Al Jazeera (25.10.2019): Prominent activist may challenge Ethiopian PM in 2020 election, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/prominent-activist-challenge-ethiopianpm-2020-election-191025154446076.html, Zugriff 7.7.2020

?        AN - Africanews (2.7.2020): Ethiopia protest singer buried in Ambo, Addis under heavy security, https://www.africanews.com/2020/07/02/death-of-famed-oromo-singer-violentprotests-net-blackout-in-ethiopia/, Zugriff 7.7.2020

?        AN - Africanews (6.7.2020): Ethiopia protest death toll 166, mass arrests, net still blocked, https://www.africanews.com/2020/07/06/ethiopia-arrests-oromo-activist-jawar-mohammedomn-shut-down/, Zugriff 7.7.2020

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration (6.7.2020): Briefing Notes 06.Juli 2020, per E-Mail.

?        DW - Deutsche Welle (5.7.2020): ?? ????? ??????????? ? ??????? ????? ???????? ????? ??????? ?? ????? 166 ???????,

?        https://www.dw.com/ru/a-54059780, Zugriff 7.7.2020

?        FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (5.7.2020): Mehr als 160 Tote bei Unruhen in Äthiopien, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/unruhen-in-aethiopien-mehr-als-160-tote-16847270.html, Zugriff 7.7.2020

?        HRW - Human Rights Watch (1.7.2020): Ethiopia Cracks Down Following Popular Singer’s Killing, https://www.hrw.org/news/2020/07/01/ethiopia-cracks-down-following-popularsingers-killing, Zugriff 7.7.2020

?        IPN - Interpressnews (1.7.2020): ????????? ????????? ?????????? ???? ???????? ????????? 50-?? ???? ???????? ??????????, https://www.interpressnews.ge/ka/article/607454-etiopiashi-momgerlis-mkvlelobis-gamodacqebul-areulobas-50-ze-meti-adamiani-emsxverpla/, Zugriff 7.7.2020

?        Regnum, Informazionnoje Agentstwo (3.7.2020): ???????-??????? ??????? ???????? ??????????? ? ????????????, https://regnum.ru/news/polit/3000488.html, Zugriff 7.7.2020

?        Spiegel Politik (2.7.2020): 81 Menschen bei Protesten in Äthiopien getötet, https://www.spiegel.de/politik/ausland/aethiopien-81-menschen-bei-protesten-nach-mordan-saenger-getoetet-a-abc99fec-89ad-4c30-98f2-47dd5c4e1d40, Zugriff 7.7.2020

?        Spiegel Politik (3.7.2020): Lieder des Zorns, https://www.spiegel.de/politik/ausland/aethiopien-ethnische-gewalt-nach-tod-von-hachaluhundessa-a-f425b977-8931-4973-93aa-153b29d49dc7, Zugriff 7.7.2020

Konflikt um Region Tigray

Der Konflikt nahm seinen Ursprung, als der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed – der noch 2019 für seine Aussöhnungspolitik mit Eritrea mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war – die im August 2020 geplante landesweite Parlamentswahl sowie die Regionalwahlen unter Verweis auf die COVID-19-Pandemie in Äthiopien absagte. Die Regionalregierung Tigrays war mit dem Verbot der Regionalwahl nicht einverstanden und hielt sie dennoch ab, was Abiy als illegal einstufte. Bei der Wahl in Tigray am 09.09.2020 gewann die TPLF fast alle Sitze.

Als Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Zentral- und Regionalregierung wurde von vielen Kommentatoren der zunehmende Einflussverlust der TPLF auf die äthiopische Zentralregierung unter Abiy Ahmed angesehen. Die TPLF-Regionalregierung warf Premierminister Ahmed vor, ein zentralistisches Regime in Äthiopien einrichten zu wollen und illegal im Amt zu sein, da seine Amtszeit aufgrund der verschobenen Parlamentswahl verlängert worden war.

Nachdem mehrere regionale Armeebasen in Tigray durch Milizen der Regionalregierung übernommen worden waren, eskalierte der Konflikt und Premierminister Ahmed entsandte am 05.11.2020 Truppen zur Verteidigung der angegriffenen Basen, Sicherung der dort befindlichen schweren Waffen und Inhaftierung der führenden TPLF-Mitglieder. Über Tigray wurde ein sechsmonatiger Ausnahmezustand verhängt; am 07.11.2020 erklärte das äthiopische Parlament die Regionalregierung von Tigray für aufgelöst. Eine internationale Vermittlung zur friedlichen Lösung des Konflikts lehnte Abiy Ahmed im selben Monat ab.

Die äthiopische Armee marschierte in Tigray ein, was die Flucht und Vertreibung von ca. 500.000 Menschen bis Anfang 2021 und eine schwere humanitäre Krise zu Folge hatte. Eritrea trat schnell auf der Seite der äthiopischen Zentralregierung in den Krieg ein. Äthiopien und Eritrea waren jahrzehntelang in einen blutigen Grenzkonflikt verwickelt, den erst Premier Abiy nach seinem Amtsantritt beendet hatte. Die TPLF wiederum ist ein erbitterter Gegner Eritreas.

Zunächst schien es der äthiopischen Armee zu gelingen, die TPLF zu besiegen. Doch im Juni 2021 eroberte die TPLF die Regionalhauptstadt Mekele zurück. Abiy erklärte am 28.06.2021 eine Waffenruhe. Trotzdem haben die Kämpfe auch auf die benachbarten Regionen Afar und Amhara übergegriffen.

Quellen:

?        ARC - Asylum Research Centre, Ethiopia: The Situation in Tigray, November 2021

?        BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Äthiopien, 08.01.2019 mit letzter Kurzinformation vom 04.11.2021

?        NZZ - Neue Zürcher Zeitung, Kämpfe in Äthiopien: Über 1000 Personen innert einer Woche verhaftet, die USA belegen Eritreas Militär mit Sanktionen, 16.11.2021

Aktuelle Entwicklungen

Im Herbst 2021 droht sich der Konflikt der Regierung mit den rebellischen Tigray auf den Rest des Landes auszuweiten (TS 2.11.2021). Tigrayische Rebellen rücken in Richtung Addis Abeba vor (SC 4.11.2021). Die Regierung in Addis Abeba rief angesichts des Vormarschs der Rebellen am 02.11.2021 einen landesweiten Ausnahmezustand aus. Dieser soll vorerst für sechs Monate gelten (TS 2.11.2021; vgl. SC 4.11.2021, AS 4.11.2021). Zuvor hatten die tigrayischen Kämpfer in den letzten Tagen Gebietsgewinne tief in der Region Amhara erzielen können. Sie haben außerdem damit gedroht, gegen die Hauptstadt Addis Abeba zu marschieren (AJ 4.11.2021; vgl. TS 2.11.2021).

Zudem haben sich die Tigray mit einer weiteren Rebellengruppe, der Oromo Liberation Army (OLA), verbündet, welche den Vormarsch verstärkt hat (SC 4.11.2021). Die äthiopische Armee musste sich aus wichtigen Städten in der Region Amhara zurückziehen. Gemeinsam mit Rebellen der OLA konnten sich die Tigray Zugang zu einer der wichtigsten Autobahnen im Land verschaffen (ORF 2.11.2021). Derweil riefen die Behörden in Addis Abeba die Bevölkerung zur Verteidigung der Hauptstadt auf. Präsident Abiy hat die Bevölkerung zur Gewalt gegen die Rebellen aufgerufen (TS 2.11.2021).

Der nun ausgerufene Ausnahmezustand gibt der äthiopischen Regierung die Möglichkeit, Kritiker zu verhaften, Medien zu schließen und Ausgangssperren zu verhängen, um die Bewegungsfreiheit einzuschränken (SC 4.11.2021; vgl. TS 2.11.2021). Im Rahmen des Ausnahmezustands kann jede Person, die der Verbindungen zu "terroristischen" Gruppen verdächtigt wird, ohne richterlichen Beschluss inhaftiert werden. Dies hat die Besorgnis der ethnischen Tigrayer noch verstärkt (AJ 4.11.2021). Weiters ermöglicht der Ausnahmezustand unter anderem die Errichtung von Straßensperren, die Unterbrechung von Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen sowie die Übernahme der Verwaltung durch das Militär in bestimmten Bereichen (TS 2.11.2021).

Eine gemeinsame Untersuchung des UN-Menschenrechtsbüros und der äthiopischen Menschenrechtskommission hat Beweise dafür gefunden, dass alle Konfliktparteien in der Region Tigray in unterschiedlichem Maße Übergriffe begangen haben, von denen einige auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinauslaufen könnten. Der UN-Menschenrechtsbeauftragte spricht beim anhaltenden Krieg in Äthiopien von extremer Brutalität auf allen beteiligten Seiten (AJ 3.11.2021). Im Krieg in und um Tigray wurden bislang Tausende von Menschen getötet und mehr als 2,5 Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben. In den letzten Monaten hatte sich der Konflikt auf die benachbarten Regionen Amhara und Afar ausgeweitet. Die Zivilbevölkerung hat unter den Folgen des Krieges zu leiden – einschließlich Massakern und Vergewaltigungen. Hunderttausende von Menschen sind von einer Hungersnot betroffen (AJ 4.11.2021). Gleichzeitig warnen die USA vor einer weiteren Verschlechterung der humanitären Lage. Durch den Konflikt wurde eine humanitäre Krise ausgelöst. UN-Schätzungen zufolge leben etwa 400.000 Menschen in Tigray in einer Hungersnot. Rund 5,2 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe, um zu überleben. In den Regionen Afar und Amhara haben demnach 1,7 Millionen Menschen nicht genug zu essen (TS 2.11.2021).

Quellen:

?        AJ - Al Jazeera (4.11.2021): A year into war, fate of Tigrayan federal forces still a mystery, https://www.aljazeera.com/news/2021/11/4/ethiopia-war-fate-of-tigrayan-federal-forces-still-amystery, Zugriff 4.11.2021

?        AJ - Al Jazeera (3.11.2021): Ethiopia’s escalating conflict and allegations of war crimes, https://www.aljazeera.com/program/inside-story/2021/11/3/ethiopias-escalating-conflict-andallegations- of-war-crimes, Zugriff 4.11.2021

?        AS - Addis Standard (4.11.2021): News: Parlament approves State of emergency proclamation, Board of Inquiry commission, https://addisstandard.com/news-parliamentapproves-state-of-emergency-proclamation-board-of-inquiry-commission/, Zugriff 4.11.2021

?        ORF - Österreichischer Rundfunk und Fernsehen (2.11.2021): Rebellen auf Vormarsch: Äthiopien verhängt Ausnahmezustand, https://orf.at/stories/3235063/, Zugriff 4.11.2021

?        SC - The Soufan Center (4.11.2021): Ethiopia declares State of Emergency as civil war escalates sharply, https://mailchi.mp/thesoufancenter/ethiopia-declares-state-of-emergencyas-civil-war-escalates-sharply?e=86dc7d3075, Zugriff 4.11.2021

?        TS - Tagesschau (2.11.2021): Vormarsch der Tigray-Kämpfer: Äthiopien ruft Ausnahmezustand aus, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/aethiopienausnahmezustand-105.html, Zugriff 4.11.2021

Aktuelle Situation der Tigray in Äthiopien

Insbesondere seit die Rebellen aus Tigray Richtung Hauptstadt Addis Abeba vorrücken und von der Regierung ein sechsmonatiger Notstand ausgerufen wurde, verschlechterte sich die Situation für Personen, die der Volksgruppe der Tigray angehören, immens. Bereits mit Beginn des Konflikts wurde die Stimmung gegen Tigray in ganz Äthiopen vielfach feindselig, es wurden Brand- bzw. Hassreden, „ethnic profiling“ und vereinzelt Unruhen verzeichnet (ARC, Nov. 2021, 143-153). Im September 2021 gab es vereinzelt Berichte, wonach mehrere tausend ethnische Tigray in „concentration camps“ gesperrt worden seien und Tigray bei Checkpoints aussortiert würden. (ARC, Nov. 2021, 99)

Infolge des Ausnahmezustands, der unter anderem Festnahmen ohne Haftbefehl ermöglicht, kam es in der ersten November-Hälfte innerhalb nur einer Woche zu mehr als 1000 Verhaftungen in mehreren Städten des ganzen Landes. Der Großteil der verhafteten Personen gehört der Volkgruppe der Tigray an. (NZZ, 16.11.2021)

In Addis Abeba sind derzeit angeblich bis zu 25.000 Spitzel (mit Bezeichnung „Verteidiger des Stadtviertels“ oder „Freiwillige“) unterwegs, um Angehörige der Tigray zu identifizieren und diese anschließend der Polizei zu übergeben; durch das Notstandsrecht wurde die Festnahme von Verdächtigen ohne Haftbefehl erlaubt – verdächtig scheint jeder, der seine örtliche oder ethnische Herkunft mit den als „Terroristen“ bezeichneten Rebellen teilt. Die Identifizierung erfolgt über die Sprache, den Namen oder den Personalausweis, der die Person als Angehörige der Ethnie der Tigray identifiziert. Zu Übergriffen kommt es sowohl auf öffentlichen Flächen als auch in Wohnungen. Es werden nicht nur kampffähige junge, männliche Tigray festgenommen, sondern auch ganze Familien, Geistliche und der Regierung nahestehende Personen, die Tigrinya sind. In der Folge werden die festgenommenen Personen in Auffanglager oder in ein Militärcamp verbracht, in denen es zu Misshandlungen bzw. Folterungen kommen soll und zu denen Anwälte keinen Zugang haben. (Standard, 16.11.2021)

Quellen:

?        ARC - Asylum Research Centre, Ethiopia: The Situation in Tigray, November 2021

?        NZZ - Neue Zürcher Zeitung, Kämpfe in Äthiopien: Über 1000 Personen innert einer Woche verhaftet, die USA belegen Eritreas Militär mit Sanktionen, 16.11.2021

?        Standard - Der Standard, Systematische Verfolgung der Tigray in Äthiopiens Hauptstadt, 16.11.2021

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Staats- und Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus ihren diesbezüglich nachvollziehbaren und grundsätzlich gleichbleibenden Angaben während des gesamten Verfahrens. Die Beschwerdeführerin gab sowohl bei der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz am 27.05.2016 als auch bei der Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Niederösterreich am 30.05.2016, bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 30.04.2018 sowie schließlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.11.2021 jeweils an, der Volkgruppe der Tigray anzugehören. Auch die Angaben ihre Eltern betreffend scheinen nicht widersprüchlich. Schließlich vermochte die belangte Behörde, die an der Verhandlung nicht teilnahm, im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht keine Umstände aufzuzeigen, die die Angaben der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Volksgruppenzugehörigkeit in Zweifel zögen. Ihre Ausführungen zu ihrem Werdegang in Äthiopien waren im Wesentlichen schlüssig und nachvollziehbar.

Die Feststellungen zum Leben der Beschwerdeführerin in Österreich sowie ihren Deutschkenntnissen gründen ebenfalls auf ihren Angaben sowie insbesondere auf den im Laufe des Verfahrens vorgelegten unbedenklichen Unterlagen. Dass sie mit ihrem Lebensgefährten (ebenfalls einem äthiopischen Staatsangehörigen) ein Kind erwartet, erhellt aus dem vorgelegten Mutter-Kind-Pass sowie den Angaben des Lebensfährten in dem ihn betreffenden Verfahren in der ebenfalls am 26.11.2021 durchgeführten mündlichen Verhandlung.

2.2. Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, insbesondere den aktuellen Entwicklungen im Tigray-Konflikt, beruhen im Wesentlichen auf dem unter Pkt. II.1.2. auszugsweise wiedergegebenen Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation zu Äthiopien vom 08.01.2019 samt zuletzt eingefügter Kurzinformation vom 04.11.2021. Dieses fußt auf aktuellen, themenspezifisch umfassenden und ausgewogenen Länderberichten zur Lage in Äthiopien (welche ebenso unter Pkt. II.1.2. zitiert werden). Dem Bundesverwaltungsgericht liegen keine Berichte bzw. Länderdokumente vor, die ein anderes Bild der Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zeichnen würden. Der Beschwerdeführerin wurde das Länderinformationsblatt in der Verhandlung vorgehalten und sie trat den darin enthaltenen Informationen und Aussagen nicht entgegen.

Die generell gehaltenen Feststellungen zum Tigray-Konflikt stützen sich auf den umfassenden Bericht „Ethiopia: The Situation in Tigray“ des Asylum Research Centre (ARC) vom November 2021 und entsprechen der allgemein bekannten Medienberichtslage zu diesem Krieg. Was die aktuelle Situation der Tigray in Äthiopien im November 2021 betrifft, basieren die getroffenen Feststellungen auf dem genannten Bericht des ARC sowie auf den zitierten, jüngsten Medienberichten, die in Zusammenschau mit dem ARC-Bericht und dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ein stimmiges Bild ergeben. Sämtliche Quellen wurden im Rahmen der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführt, wobei die Verfahrensparteien die Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde nahm diese Gelegenheit mangels Anwesenheit in der Verhandlung nicht wahr. Den in den Berichten und Artikeln enthaltenen Informationen und Aussagen wurde nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Der angefochtene Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 01.08.2018 durch Hinterlegung zugestellt. Die am 28.08.2018 an die belangte Behörde übermittelte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG rechtzeitig.

Zu A.)

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheid- bzw. Erkenntniserlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.2. Aus den unter Pkt. II.1.2., insbesondere Unterabschnitt „Aktuelle Situation der Tigray“, angeführten Feststellungen ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tigray im Entscheidungszeitpunkt vor dem Hintergrund des in den letzten Monaten völlig eskalierten Konflikts um die Tigray-Region nicht nur ebendort, sondern auch in anderen Landesteilen Äthiopiens, insbesondere in der Hauptstadt Addis Abeba, der hohen Gefahr von gezielten Verhaftungen, der Verschleppung und/oder Misshandlungen unterläge. Dabei handelte es sich um Verfolgungshandlungen, die entweder von staatlichen Sicherheitskräften selbst ausgingen oder von diesen im Rahmen des Konflikts zumindest gebilligt werden würden.

Die die Beschwerdeführerin treffende Verfolgungsgefahr findet Deckung in einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, weil die ihr drohende Verfolgung auf ihrer Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Tigray gründet (vgl. auch Art. 10 Abs. 1 lit. a Status-RL). Soweit die Beschwerdeführerin in der Verhandlung ausführte, dass es „zwei Arten von Tigrinya“ gebe – nämlich jene äthiopischer und jene eritreischer Abstammung –, wobei sie zur eritreischen Abstammungslinie gehöre, ist festzuhalten, dass aus den Feststellungen derzeit kein Unterschied in der Verfolgungsgefahr zwischen diesen Abstammungslinien zu entnehmen ist.

3.3. Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Beschwerdeführerin schon deshalb nicht, weil zum Entscheidungszeitpunkt auf Basis der getroffenen Feststellungen im gesamten Staatsgebiet, insbesondere in der Hauptstadt Addis Abeba, von Verfolgungshandlungen gegen Angehörige der Tigray-Volksgruppe auszugehen ist. Eine relevante innerstaatliche Fluchtalternative ist somit nicht erkennbar und wurde auch von der belangten Behörde im Verfahren nicht aufgezeigt.

Schließlich kamen keine Hinweise hervor, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte.

3.4. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalem Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Beschwerdeführerin kommt damit eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigte gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kraft Gesetzes unmittelbar zu, ohne dass Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung zu erfolgen hätte (vgl. VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373).

3.5. Der Spruch und die (nachfolgende) Rechtsmittelbelehrung sind nicht in die Muttersprache der Beschwerdeführerin zu übersetzen, weil sie die deutsche Sprache beherrscht (§ 12 Abs. 1 BFA-VG).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung ethnische Zugehörigkeit Flüchtlingseigenschaft schriftliche Ausfertigung Volksgruppenzugehörigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W237.2205347.1.00

Im RIS seit

24.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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