TE Vfgh Erkenntnis 2021/12/16 E1999/2021

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Veröffentlicht am 16.12.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
Genfer Flüchtlingskonvention Art1 Abschnitt A
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander durch Abweisung des Asylantrags eines aus Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Angehörigen der Rohingya; Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auf Grund der staatlichen Bedrohung wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya geboten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer stellte am 8. November 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, wie seine Eltern Angehöriger der Volksgruppe der Rohingya zu sein. Seine Eltern seien im Jahr 1992 von Myanmar nach Bangladesch geflohen, wo er in Cox's Bazar im Flüchtlingslager zur Welt gekommen sei. Bis zu seiner Ausreise habe er in einem Zoo Nüsse verkauft und leere Flaschen gesammelt. Auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit habe der Beschwerdeführer der Polizei täglich Schutzgeld zahlen müssen, um nicht nach Myanmar abgeschoben zu werden. Im Zuge einer Razzia seien er und andere Personen (darunter fünf Angehörige der Volksgruppe der Rohingya) festgenommen, auf eine Polizeistation gebracht und mehrmals misshandelt worden. Die Polizei habe von ihm und weiteren Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya verlangt, dass sie 300.000 Taka zahlen sollten, um freigelassen und nicht abgeschoben zu werden. Da sie nicht zahlen hätten können, sei von ihnen alternativ verlangt worden, sich im Rahmen einer Veranstaltung der regierenden Awami League als Demonstranten auszugeben, dabei Parolen der Oppositionspartei zu rufen und eine Bombe zu werfen. Auch das habe der Beschwerdeführer abgelehnt, sodass er erneut geschlagen worden sei, bis er schließlich angeboten habe, das Geld zu zahlen. Vor seiner Freilassung hätten die Polizisten ein Foto von ihm gemacht. Nach der Freilassung habe der Beschwerdeführer Bangladesch verlassen.

2. Mit Bescheid vom 20. März 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17. August 2020 im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab, weil es das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, im Wesentlichen auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya von der Polizei misshandelt und erpresst worden zu sein, für unglaubwürdig erachtete.

Der Verfassungsgerichtshof hob diese Entscheidung mit Erkenntnis vom 23. Februar 2021, E3215/2020, auf. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes verletzte den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), weil das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers zwar für unglaubwürdig erachtet, sich aber weder näher mit der Frage der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya noch mit den vorgebrachten Misshandlungen und Erpressungen auseinandergesetzt und damit in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hatte. Dieser Umstand wog umso schwerer, als es das Bundesverwaltungsgericht auch unterlassen hatte, sich mit den Länderberichten zur Situation von (aus Myanmar geflüchteten) Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya sowie ihrer bereits in Bangladesch geborenen Kinder auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang hielt der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich fest, dass sich das Bundesverwaltungsgericht "im fortgesetzten Verfahren daher nicht nur mit der Frage zu befassen haben [wird], inwieweit dem Beschwerdeführer eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sondern auch, ob die Zugehörigkeit zur Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat (vgl zur Asylrelevanz von Gruppenverfolgungen im Allgemeinen zuletzt VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407 mit Verweis ua auf VwGH 29.4.2015, Ra 2014/20/0151)."

3. Mit dem nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wiederum als unbegründet abgewiesen, dem Beschwerdeführer aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Die Rückkehrentscheidung und die daran anknüpfenden Spruchpunkte des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hat das Bundesverwaltungsgericht ersatzlos behoben.

Die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass der Beschwerdeführer eine individuelle asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen habe können. Mit Verweis darauf, dass der Beschwerdeführer ein Angehöriger der Volksgruppe der Rohingya sei und deswegen nicht ausgeschlossen werden könne, dass diesem ein "real risk" einer Verletzung seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat Bangladesch drohe, erkennt das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu:

"Es konnte keine allgemein lebensbedrohliche Situation bzw landesweite (Bürger-)Kriegslage in Bangladesch, dem Herkunftsstaat des BF, festgestellt werden. Die Grundversorgung der Bevölkerung ist in […] Bangladesch zudem gewährleistet. Der BF erstattete in diesem Zusammenhang auch kein anderslautendes Vorbringen, weshalb eine Gewährung subsidiären Schutzes aufgrund der allgemeinen Sicherheits- bzw Versorgungslage in seinem Herkunftsstaat nicht in Betracht kommt.

Der Beschwerdeführer ist jedoch Angehöriger der Volksgruppe der Rohingyas.

Dem BF ist [es] sohin im konkreten Einzelfall gelungen, im Entscheidungszeitpunkt ein 'real risk' einer Verletzung seiner Rechte im Falle einer Rückführung in seinem Herkunftsstaat Bangladesch aufzuzeigen.

[…]

Dem Vorbringen des BF, in Bangladesch aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Rohingyas einer – faktischen - Verfolgung durch die Mehrheitsbevölkerung bzw durch Ignoranz der inländischen Behörden einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, kann unter Zugrundelegung der aktuellen Länderberichte nicht entgegengetreten werden."

Dieser Entscheidung legt das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

"Der BF ist ein Rohingya.

[…]

Es wird festgestellt, dass im Falle einer Rückkehr der BF einer unmittelbaren Bedrohung bzw Belästigung durch staatliche Autoritäten wegen seiner Zugehörigkeit zu den Rohingya ausgesetzt ist."

Beweiswürdigend führt das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang auszugsweise aus:

"[…] Eine über die (allgemein gesellschaftliche) Verachtung der durchschnittlichen Bevölkerung gegenüber den Rohingyas hinausgehende persönliche Verfolgung brachte der BF nicht vor.

Die Stellung des BF auch innerhalb der Volksgruppe der Rohingyas war nicht herausragend, sodass auf Grund dieser Stellung eine besondere Verfolgung des BF hervorgekommen wäre. Die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe ist jedoch für sich allein genommen noch kein Asylgrund (VwGH 23.05.1995, 94/20/0816), es bedarf einer individuellen Verfolgung. Eine derartige Verfolgung konnte der BF auch in der Verhandlung vor dem BVwG nicht darlegen. Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen vermochte der BF im Ergebnis auch vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht glaubhaft darzulegen, dass der BF einer unmittelbaren Verfolgungsgefährdung – sei es durch die Polizei oder durch Privatpersonen – ausgesetzt gewesen sei."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Mit näherer Begründung wird dazu unter anderem ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht die Asylrelevanz der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya verkenne.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. §3 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 24/2016 lautet auszugsweise:

"Status des Asylberechtigten

§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2)-(4b) […]

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt."

2. Artikel 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), BGBl 55/1955, lautet auszugsweise:

"Artikel 1

Definition des Ausdruckes 'Flüchtling'

A. Als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens ist anzusehen, wer:

1. gemäß den Vereinbarungen vom 12. Mai 1926 und 30. Juni 1928, den Abkommen vom 28. Oktober 1933 und 10. Februar 1938, dem Protokoll vom 14. September 1939 oder der Verfassung der Internationalen Flüchtlingsorganisation als Flüchtling angesehen worden ist.

Entscheidungen, die von der Internationalen Flüchtlingsorganisation während der Zeit ihrer Tätigkeit über die Anerkennung als Flüchtling getroffen worden sind, werden nicht hindern, daß Personen, die die Bedingungen der Ziffer 2 dieses Abschnittes erfüllen, die Rechtsstellung von Flüchtlingen erhalten;

2. sich infolge von vor dem 1. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Falls jemand mehr als eine Staatsangehörigkeit hat, ist unter dem Heimatland jedes Land zu verstehen, dessen Staatsangehöriger er ist; wenn jemand ohne triftige, auf wohlbegründeter Furcht beruhende Ursache sich des Schutzes eines der Staaten, dessen Staatsangehöriger er ist, nicht bedient, soll er nicht als eine Person angesehen werden, der der Schutz des Heimatlandes versagt worden ist.

B. […]"

3. Artikel I des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 78/1974, lautet:

Artikel I

ALLGEMEINE BESTIMMUNG

(1) […]

(2) Im Sinne dieses Protokolls ist unter dem Ausdruck 'Flüchtling', außer bei der Anwendung des Absatzes 3 dieses Artikels, jede unter die Begriffsbestimmung des Artikels 1 der Konvention fallende Person zu verstehen, so als wären die Worte 'infolge von vor dem 1. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen' und die Worte 'infolge obiger Umstände' in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 nicht enthalten.

(3) […]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer groben Verkennung der Rechtslage (zB VfSlg 19.838/2013).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 GFK droht. Die Gefahr einer Verfolgung iSd §3 Abs1 AsylG 2005 iVm Art1 Abschnitt A Z2 GFK muss nicht nur auf individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen beruhen, sondern kann auch darin begründet sein, dass die Verfolgung in zielgerichteten, regelmäßigen Maßnahmen gegen eine in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannte Gruppe liegt und sohin auch der Fremde, der dieser Personengruppe angehört, Grund hat, eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes "genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe" (VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407; 12.3.2021, Ra 2020/19/0315).

Vor dem Hintergrund der Länderberichte zur Situation von (aus Myanmar geflüchteten) Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya in Bangladesch und des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Februar 2021, E3215/2020, hatte sich das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren nicht nur mit der Frage zu befassen, inwieweit dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Bangladesch eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sondern auch zu prüfen, ob die Zugehörigkeit zur Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat.

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt im fortgesetzten Verfahren fest, dass der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Rohingya angehört und auf Grund der Länderberichte "wegen seiner Zugehörigkeit zu den Rohingya" einer "unmittelbaren Bedrohung bzw Belästigung durch staatliche Autoritäten" ausgesetzt ist. Gestützt auf diese Feststellungen und die Länderberichte zur Situation von (aus Myanmar geflüchteten) Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers, im Falle seiner Rückkehr nach Bangladesch "aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Rohingyas einer – faktischen - Verfolgung durch die Mehrheitsbevölkerung bzw durch Ignoranz der inländischen Behörden einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, […] nicht entgegengetreten werden [kann]".

Wenn das Bundesverwaltungsgericht ungeachtet dieser Ausführungen dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten (und nicht den Status des Asylberechtigten) zuerkennt, verkennt es, dass eine Person, deren Leben oder Freiheit von staatlichen Behörden wegen der Zugehörigkeit zu einer in Art1 Abschnitt A Z2 GFK genannten Gruppe bedroht wird, als Flüchtling anzuerkennen und ihr gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist. Indem das Bundesverwaltungsgericht daher den Beschwerdeführer, der nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya staatlicher Bedrohung ausgesetzt ist, nicht als Flüchtling iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK anerkannt hat, hat es im Hinblick auf §3 Abs1 AsylG 2005 die Rechtslage grob verkannt. Das Erkenntnis ist daher bereits aus diesem Grund aufzuheben.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht / Vulnerabilität, Entscheidungsbegründung, Völkerrecht, Auslegung völkerrechtlicher Verträge

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E1999.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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