Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisiongericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G* und 2. Mag. V*, beide vertreten durch Markl Rechtsanwälte OG in Innsbruck, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch Dr. Christian Margreiter, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, wegen Feststellung (Streitwert 5.000 EUR) und Unterlassung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 26. März 2021, GZ 3 R 284/20s-17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 28. September 2020, GZ 3 C 823/19p-12, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Die Kläger sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft, ob der aufgrund eines Vertrags vom 6. 3. 1967 zugunsten der benachbarten Liegenschaft der Beklagten ein Geh- und Fahrrecht über eine Breite von 3 Metern einverleibt ist.
[2] Im Jahr 1970 wurde das herrschende Grundstück bebaut. Im Zug der Bauarbeiten vereinbarten die Rechtsvorgänger der Streitteile die trichterförmige Erweiterung des Servitutswegs im Bereich der Einfahrt auf etwa 4,2 Meter. Seit 1973 wurde die erweiterte Zufahrt genutzt. Die Beklagte lagerte den vom Servitutsweg geräumten Schnee auf dem herrschenden Grundstück.
[3] Die Kläger begehren in ihrer Klage 1. die Feststellung der Beschränkung des Geh- und Fahrrechts auf eine Breite von 3 Metern auch im Bereich der Zufahrt zum herrschenden Grundstück und 2. die Verpflichtung, die Ablagerung von Schnee auf dem Grundstück der Kläger zu unterlassen.
[4] Das Erstgericht wies beide Begehren ab.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zusammengerechnet 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Über Antrag der Kläger, die nur mehr die Abweisung des Unterlassungsbegehrens bekämpfen, ließ es die Revision nachträglich zu.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die – beantwortete – Revision der Kläger ist jedenfalls unzulässig.
[7] 1.1 Die Revision ist jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat (Entscheidungsgegenstand), an Geld oder Geldeswert insgesamt 5.000 EUR nicht übersteigt (§ 502 Abs 2 ZPO). Die Revision ist zudem – außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat (§ 502 Abs 3 ZPO).
[8] 1.2 Das Berufungsgericht hat, wenn der Entscheidungsgegenstand – wie hier – nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, über den Wert des Entscheidungsgegenstands abzusprechen (§ 500 Abs 2 Z 1 ZPO). Diese Bewertung ist grundsätzlich für den Obersten Gerichtshof bindend, es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende gesetzliche Bewertungsvorschriften verletzt oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (5 Ob 166/19a mwN).
[9] 1.3 Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, hat eine Zusammenrechnung nur zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RIS-Justiz RS0042741; RS0053096). Demnach sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn 1. sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen oder 2. sie von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Ist in einem Verfahren objektive Klagehäufung (Anspruchshäufung) und gleichzeitig subjektive Klagehäufung (Parteienhäufung) gegeben, sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 JN zwar die gehäuften Ansprüche der betreffenden Partei zusammenzurechnen, nicht jedoch diese Ansprüche mit jenen der übrigen formellen Streitgenossen (RS0131473; RS0053096 [T21]). Findet keine Zusammenrechnung statt, ist die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (RS0130936; RS0042642; RS0042741 [T18]).
[10] 1.4 Die Zusammenrechnung der Werte mehrerer Ansprüche (objektive Klagehäufung) setzt nach § 55 Abs 1 Z 1 JN einen tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang voraus. Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn allen Ansprüchen der selbe Klagegrund zugrunde liegt und keiner der Ansprüche die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts erfordert. Ein rechtlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche aus dem selben Vertrag oder aus der selben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Er ist dann nicht anzunehmen, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (5 Ob 166/19a mwN). Bei der Beurteilung dieser Frage ist vom Klagevorbringen auszugehen (RS0042741).
[11] 1.5 Im Fall einer Parteienhäufung (subjektive Klagehäufung) sind gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN die von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhobenen Ansprüche zusammenzurechnen, wenn diese materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Es muss somit entweder eine Rechtsgemeinschaft für den Streitgegenstand bestehen oder eine Parteienmehrheit, die aus dem selben tatsächlichen Grund berechtigt oder verpflichtet ist (5 Ob 166/19a). Eine Rechtsgemeinschaft bloß bezüglich eines nur eine Vorfrage bildenden Sachanspruchs oder Rechtsanspruchs reicht nicht aus, um eine materielle Streitgenossenschaft annehmen zu können (RS0035355). Ansprüche von und gegen formelle Streitgenossen im Sinn des § 11 Z 2 ZPO sind nicht zusammenzurechnen (RS0035615), und zwar selbst dann nicht, wenn die geltend gemachten Forderungen in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RS0035615 [T26]; RS0053096 [T20]).
[12] 2.1 In diesem Verfahren ist sowohl eine subjektive als auch eine objektive Klagenhäufung gegeben. Die beiden Kläger machen jeweils zwei Ansprüche geltend. Sie begehren unter Punkt 1. als Mit- und Wohnungseigentümer der herrschenden Liegenschaft die Feststellung des Ausmaßes des einverleibten Geh- und Fahrrechts sowie unter Punkt 2. die Unterlassung der Ablagerung von Schnee auf ihrem Grundstück im Zug der Räumung des Servitutswegs. Diese Ansprüche bewerteten die Kläger jeweils mit 5.000 EUR.
[13] 2.2 Die Kläger stützten die Ansprüche auf unerlaubte Eigenmacht der Beklagten, die den Servitutsweg über die im Grundbuch eingetragene Breite befahre und ohne Rechtstitel den vom Servitutsweg geräumten Schnee auf dem herrschenden Grundstück lagere. Rechtsgrund ist demnach die Eigentumsfreiheit (§ 523 ABGB). Nach der Rechtsprechung stehen mehrere Ansprüche aus einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB, die sich auf verschiedene Eingriffshandlungen des Beklagten stützen, nicht in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang (RS0110012; 5 Ob 166/19a; 5 Ob 88/20g). Hier liegen unterschiedliche Störungshandlungen vor, weshalb das Feststellungsbegehren und das Unterlassungsbegehren (objektive Klagenhäufung) nicht nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen sind.
[14] 2.3 Jeder einzelne Wohnungseigentümer kann (auch) gegen dritte Störer im streitigen Rechtsweg mit Unterlassungs- oder Beseitigungsklage nach § 523 ABGB vorgehen (RS0012137; RS0013428 [T3]).
[15] 3.1 Die zu Punkt 2. geltend gemachten selbständigen Unterlassungsansprüche der beiden Wohnungseigentümer sind nicht zusammenzurechnen, weil sie insofern nur formelle Streitgenossen sind (5 Ob 88/20g; 5 Ob 166/19a mwN).
[16] 3.2 Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, dass die Werte seines Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt. In der Begründung dieses Ausspruchs folgte es der Bewertung der Klägers, bewertete sowohl das Unterlassungs- als auch das Feststellungsbegehren mit jeweils 5.000 EUR und kam „zusammengerechnet“ auf 10.000 EUR. Da das Feststellungsbegehren und das Unterlassungsbegehren jedoch nicht nach § 55 Abs 1 JN zusammenzurechnen und die Revisionszulässigkeit für jedes Begehren einzeln zu beurteilen ist, übersteigt der Wert des Unterlassungsbegehrens 5.000 EUR nicht. Die gegen die Abweisung des Unterlassungsbegehrens gerichtete Revision ist ungeachtet der nachträglichen Zulassung der Revision als jedenfalls unzulässig (§ 502 Abs 1 ZPO) zurückzuweisen.
[17] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung nicht auf die streitwertbedingte Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E133610European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00201.21A.1122.000Im RIS seit
24.01.2022Zuletzt aktualisiert am
24.01.2022