TE Vfgh Erkenntnis 1994/10/12 B1204/94, B1474/94

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Veröffentlicht am 12.10.1994
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Gegenstandslosigkeit
AVG §69 Abs1 Z2
ZivildienstG §2 Abs1 idF BGBl 187/1994
ZivildienstG §5 Abs1 idF BGBl 679/1986
ZivildienstG §76a Abs1 idF BGBl 187/1994

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung durch Zurückweisung des Antrags auf Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen mangels Tauglichkeit des Wehrpflichtigen zum Zeitpunkt der Antragstellung trotz bereits eingeleitetem Stellungsverfahren

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist durch den zu B1204/94 angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seiner Rechtsvertreter, die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

2. Das Verfahren zu B1474/94 wird eingestellt.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. A. 1.a) Die Stellungskommission des Militärkommandos Oberösterreich setzte am 23. November 1993 den Beschluß über die Eignung des Beschwerdeführers für die Erfüllung der Wehrpflicht aus. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, sich einer fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Nachdem er dieser Verpflichtung nachgekommen war, wurde ihm das Ergebnis der Untersuchung mit Schreiben des Militärkommandos vom 10. Jänner 1994 mitgeteilt ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme"); aufgrund des Untersuchungsergebnisses sei von der Stellungskommission in Aussicht genommen, ihn für "tauglich" zu erklären.

b) Daraufhin brachte der Beschwerdeführer am 17. Jänner 1994 beim Militärkommando Oberösterreich eine Zivildiensterklärung ein.

c) Mit Stellungsbeschluß des Militärkommandos Oberösterreich vom 15. Februar 1994 wurde er als "tauglich" zum Wehrdienst befunden. Eine (neuerliche) Zivildiensterklärung gab er nicht ab.

2. Der Bundesminister für Inneres (BMI) erließ an ihn folgenden, mit 15. April 1994 datierten Bescheid:

"Gem. §76a Abs1 ZDG idF BGBl. Nr. 187/94 wird Ihr Antrag auf Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen vom 17.01.1994 als unzulässig zurückgewiesen.

B e g r ü n d u n g

Gem. §76a Abs1 ZDG gelten zulässige Anträge auf Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen, die zwischen 01. Jänner 1994 und 10. März 1994 (Tag der Kundmachung des ZDG idF BGBl. Nr. 187/94) eingebracht wurden, als fristgerechte Zivildiensterklärung gem. §2 Abs1 ZDG. Die Zulässigkeit des Antrages ist nach dem im oa. Zeitraum geltenden ZDG idF BGBl. Nr. 679/86 zu beurteilen.

Gem. §5 Abs1 ZDG idF BGBl. Nr. 679/86 konnten nur Wehrpflichtige, die tauglich zum Wehrdienst befunden wurden, ihre Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen beantragen. Da Sie zum Zeitpunkt der Einbringung Ihres Antrags nicht tauglich waren, waren Sie zu diesem Zeitpunkt nicht antragsberechtigt, Ihr Antrag unzulässig und daher zurückzuweisen."

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte, unter B1204/94 protokollierte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

4. Der BMI als jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde begehrt.

B. 1. Unter Bezugnahme auf den Stellungsbeschluß des Militärkommandos Oberösterreich vom 15. Februar 1994 (s.o. I.A.1.c) brachte der Beschwerdeführer beim BMI am 10. Mai 1994 einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens über seine Zivildiensterklärung vom 17. Jänner 1994 (s.o. I.A.1.b) ein.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BMI vom 24. Mai 1994 gemäß §69 Abs1 litb AVG abgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die zu B1474/94 protokollierte Beschwerde, in der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. zu B1204/94

1. Das durch §2 Abs1 iVm Abs2 Zivildienstgesetz 1986 - ZDG, BGBl. 679, idF der Novelle BGBl. 187/1994, (wie schon zuvor durch §2 Abs1 idF der Novelle BGBl. 675/1991) verfassungsgesetzlich verbürgte Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung hat zunächst zum Inhalt, daß die in dieser Norm umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Zivildienstpflicht und die damit verbundene Ausnahme von der Wehrpflicht von der Behörde richtig beurteilt werden; das genannte Recht wird aber auch dann verletzt, wenn grobe Verfahrensfehler dazu führen, daß eine nach §2 Abs1 ZDG abgegebene Erklärung von der Behörde als nicht rechtswirksam qualifiziert wird (vgl. VfGH 1.7.1993 B2069/92, S 7 f.; 4.3.1994 B1115/93, S 8).

2.a) Die Übergangsregelung des §76a Abs1 ZDG idF der Novelle 1994 (eine Verfassungsbestimmung) lautet:

"(1) Zulässige Anträge auf Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen, die zwischen 1. Jänner 1994 und dem Tag der Kundmachung dieses Bundesgesetzes (Anm.: das ist der 10. März 1994) bei der Stellungskommission oder dem Militärkommando eingebracht wurden, gelten als fristgerecht eingebrachte Zivildiensterklärungen (§2)."

Dem Einleitungssatz des - gleichfalls auf Verfassungsstufe stehenden - §2 Abs1 ZDG idF der Novelle 1994 zufolge kann der Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes 1990, der erstmals tauglich zum Wehrdienst befunden wurde, innerhalb eines Monats nach Abschluß des Stellungsverfahrens eine Zivildiensterklärung abgeben.

b) Personen, deren (dauernde) Untauglichkeit im Stellungsverfahren festgestellt wurde, dürfen nicht in das Bundesheer einberufen werden. Es wäre daher sinnlos, sie iS des ZDG von der Wehrpflicht auszunehmen. Aus diesen Erwägungen wäre es auch nicht sinnvoll zu erlauben, daß eine rechtswirksame Zivildiensterklärung bereits zu einem Zeitpunkt abgegeben wird, zu dem über die Erklärung noch längere Zeit nicht entschieden werden kann, weil der Betreffende noch nicht der Stellung zu unterziehen ist und daher seine (allfällige) Tauglichkeit zum Wehrdienst erst in fernerer Zukunft festgestellt werden kann.

Wenn aber - wie im vorliegenden Fall - das Stellungsverfahren zum Zeitpunkt der Abgabe einer Zivildiensterklärung bereits eingeleitet war, führt eine am Sinn des Gesetzes orientierte Auslegung zur Annahme, die Zivildiensterklärung sei - zulässigerweise - als bedingt für den Fall abgegeben anzusehen, daß das Stellungsverfahren die Tauglichkeit zum Wehrdienst ergibt (vgl. auch §5 Abs2 ZDG idF der Novelle 1994).

Diese Erwägungen gelten auch dann, wenn die Übergangsregelung des §76a Abs1 leg. cit. Anwendung gefunden hat.

c) Der BMI gelangte - ausgehend von einer anderen, verfehlten Interpretation des Gesetzes - zum Ergebnis, die vom Beschwerdeführer abgegebene Zivildiensterklärung habe nicht dessen Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung bewirkt, weil die Abgabe verfrüht erfolgt sei. Dieses Ergebnis ist nach dem zuvor Gesagten unrichtig.

d) Der Beschwerdeführer wurde also durch den bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt.

Der zu B1204/94 bekämpfte Bescheid war infolgedessen aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

Dem Beschwerdeführer waren die verzeichneten Kosten in der Höhe von 15.000 S zuzusprechen. Darin ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

B. zu B1474/94

Infolge der Aufhebung des die Zivildiensterklärung zurückweisenden Bescheides des BMI vom 15. April 1994 (s.o. II.A.2.d) ist der Antrag auf Wiederaufnahme des mit diesem Bescheid abgeschlossenen Administrativverfahrens gegenstandslos geworden und die Beschwer des Einschreiters hinsichtlich des zu B1474/94 angefochtenen Bescheides weggefallen.

Das zu B1474/94 eingeleitete Verfahren war daher einzustellen.

Kosten waren nicht zuzusprechen, weil kein Fall der Klaglosstellung iS des §88 VerfGG vorliegt.

Schlagworte

Zivildienst, VfGH / Gegenstandslosigkeit, Beschwer, Verwaltungsverfahren, Wiederaufnahme, Übergangsbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1204.1994

Dokumentnummer

JFT_10058988_94B01204_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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