Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Musger und Dr. Nowotny, die Hofrätin Mag. Malesich und den Hofrat MMag. Sloboda als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der betroffenen Person R* S*, vertreten durch Mag. Werner-Felix Diebald, Rechtsanwalt in Köflach, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 30. Juni 2021, GZ 2 R 174/21d-64, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der Betroffene lebt im eigenen Haus, verfügt derzeit noch über einen geschützten Arbeitsplatz und steht kurz vor der Alterspension. Aufgrund einer psychischen Erkrankung wird er von einer Nachbarin betreut. Für die Vertretung im Verlassverfahren nach seiner Mutter wurde eine Rechtsanwältin zur gerichtlichen Erwachsenenvertreterin bestellt. In der Folge erweiterte das Erstgericht den Wirkungsbereich der Erwachsenenvertreterin auf die Verwaltung des gesamten, teils im Erbweg, teils zuvor durch Schenkung erworbenen Vermögens. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[2] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig:
[3] 1. Das zur Frage der Erweiterung des Wirkungskreises eingeholte Gutachten wurde der Erwachsenenvertreterin, die nach § 128 Abs 2 AußStrG die Stellung des Rechtsbeistands iSv § 119 AußStrG hatte, und auch dem Betroffenen zur Äußerung zugestellt. Gründe für die Unwirksamkeit der letztgenannten Zustellung führt der nun durch einen Anwalt vertretene Betroffene nicht an. Eine materielle Kollision zwischen den Interessen der Erwachsenenvertreterin und jenen des Betroffenen, die die Bestellung eines (weiteren) Rechtsbeistands erforderlich gemacht hätte (dazu 1 Ob 155/16z), ist nicht zu erkennen. Der in diesem Zusammenhang geltend gemachte Revisionsrekursgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG) liegt daher nicht vor.
[4] 2. Auch sonst zeigt das Rechtsmittel keine erhebliche Rechtsfrage auf:
[5] Ob ausreichend Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters (früher Sachwalters) vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0106166; RS0087091 [T2]). Gleiches gilt für die Frage, in welchem Umfang ein solcher zu bestellen ist (RS0106744). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt daher nur vor, wenn das Rekursgericht seinen der Natur der Sache nach bestehenden Beurteilungsspielraum überschritten hat. Das trifft hier nicht zu:
[6] Zwar besteht nach der Aktenlage kein Zweifel, dass der Betreuerin am Wohlergehen des Betroffenen gelegen ist und dass der Betroffene keine Änderung der Betreuungsverhältnisse wünscht. Ebenso ist aber die Annahme der Vorinstanzen vertretbar, dass ein (finanzieller) Interessengegensatz zwischen der Betreuerin und dem Betroffenen bestehen könnte. Das gilt insbesondere aufgrund einer außergewöhnlich weit formulierten „Generalvollmacht“, die der Betroffene der Betreuerin erteilt hat, und ihres Drängens auf Ausfolgung des Nachlasses.
[7] Die Gründe, die zur Bestellung einer Erwachsenenvertreterin für das Verlassverfahren geführt haben, treffen daher auch für die Vermögensverwaltung zu. Der Betroffene wäre damit aufgrund seiner Erkrankung überfordert. Unterstützung durch die Betreuerin (§ 240 Abs 2 ABGB) reicht nach der vertretbaren Ansicht des Rekursgerichts nicht aus. Ob der Betroffene für die ihr erteilte „Generalvollmacht“ ausreichend geschäftsfähig war, ist nach den Ergebnissen des im Erwachsenenschutzverfahren eingeholten Gutachtens zweifelhaft. Jedenfalls wäre er aber aufgrund seiner offenkundigen emotionalen Abhängigkeit nicht in der Lage, die Vertretungshandlungen zu überwachen. Da beträchtliches Vermögen vorhanden ist, das für den Betreuungs- und allenfalls Pflegeaufwand des Betroffenen gesichert werden muss, unterscheidet sich der Sachverhalt wesentlich von jenem, der der im Revisionsrekurs zitierten Entscheidung 4 Ob 75/20p zugrunde lag. Dort war nur ein geringes Einkommen zu verwalten, sodass nahe lag, dass die Unterstützung durch einen Angehörigen ausreichen könnte. Das trifft hier, zumal angesichts des in vertretbarer Weise angenommenen Interessengegensatzes, nicht zu.
[8] 3. Aus diesen Gründen ist der Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen. Zur Klarstellung ist allerdings festzuhalten, dass die Erweiterung des Wirkungsbereichs die nach § 566 ABGB zu beurteilende Testierfähigkeit des Betroffenen nicht berührt und dass eine Vereinbarung über die Abgeltung von Betreuungsleistungen durchaus möglich ist.
Textnummer
E133599European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00159.21B.1125.000Im RIS seit
24.01.2022Zuletzt aktualisiert am
24.01.2022