TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/22 I412 2244531-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.07.2021
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Entscheidungsdatum

22.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I412 2244531-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. ALGERIEN, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 29.06.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VII. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. wird stattgegeben und das Einreiseverbot ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text



Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, wurde am 26.06.2021 vorläufig festgenommen und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 28.06.2021 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt. Er gab zusammenfassend an, seinen Herkunftsstaat habe er verlassen, weil er in Algerien keine Zukunft habe, weil er dort keine Beziehungen habe und kein Schmiergeld bezahle, sodass er keine Arbeit bekomme. Er werde politisch nicht verfolgt, müsse nicht zum Militär und habe keine juristischen Probleme. Er suche lediglich nach Sicherheit um seine Zukunft aufbauen zu können.

Am 28.06.2021 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er kein Geld mehr gehabt habe, um sein Studium fertig zu machen. Die Wirtschaftslage in Algerien sei sehr schlecht. Er möchte seine Familie finanzieren und unterstützen, sowie eine bessere Zukunft. Er könne in seinem Heimatland keine Familie gründen und nicht heiraten. In Algerien gebe es keine Gerechtigkeit und keine Zukunft.

Am 29.06.2021 wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal von der belangten Behörde einvernommen und gab an, dass er aufgrund einer ehemaligen Beziehung mit einer Frau durch die Brüder der Frau Gewalt erlebt habe. Er bekomme ab und zu Drohungen zu seinem Familienhaus geschickt. Auch gebe es Erbschaftsprobleme in seiner Familie.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 29.06.2021 lehnte die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz (Spruchpunkt I.) und den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz (Spruchpunkt IV.). Zugleich wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.) Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Gegen gegenständlichen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 07.07.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Inhaltlich wurden im Wesentlichen Fehler aufgrund inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 15.07.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist algerischer Staatsangehöriger. Er gehört der arabischen Volksgruppe an, spricht muttersprachlich arabisch und bekennt sich zum islamischen, sunnitischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Sein Familienstand ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt XXXX in Algerien geboren. Er wohnte bis zu seiner Ausreise aus Algerien in seinem Geburtsort in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Familie. Der Beschwerdeführer besuchte in seinem Herkunftsstaat sechs Jahre lang die Grundschule, absolvierte dann nach weiteren sechs Jahren die höhere Schule mit Maturaabschluss sowie besuchte er zwei Jahre lang die Universität in Algier mit dem Ziel Dolmetscher zu werden. Er verfügt über ein Diplom für Qualitätskontrolle von Gasleitungen und absolvierte einen Schnellkurs zum Installateur. Zuletzt ging er diversen Beschäftigungen, unter anderem als Schweißer, nach.

Im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers leben noch seine Mutter, sein Vater und seine Geschwister. Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandten in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, somit auch nicht im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer stellte am 26.06.2021 vor den Organen der Landespolizeidirektion einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer ist melderechtlich nicht erfasst.

In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte. Eine private Anbindung des Beschwerdeführers zu Österreich ist ebenfalls nicht gegeben und liegt auch keinerlei integrative Verfestigung in sprachlicher, sozialer oder beruflicher Hinsicht vor.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtmotiv des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer unterliegt in seinem Herkunftsstaat keiner Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, Staatsangehörigkeit oder politischen Gesinnung. Der Beschwerdeführer machte lediglich eine Privatverfolgung durch ihn bedrohende Brüder einer ehemaligen Partnerin des Beschwerdeführers geltend.

Seine Ausreise aus seinem Herkunftsstaat begründete der Beschwerdeführer zudem mit wirtschaftlichen Motiven und einer Erbstreitigkeit.

1.3. Zur Rückkehrsituation:

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Algerien ist möglich, zumutbar und führt nicht dazu, dass er dort in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten würde. Es ist ihm zumutbar wieder in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren, sich dort eine Unterkunft zu nehmen, am Erwerbsleben teilzunehmen und sich daraus sein Einkommen zu sichern und sein Leben in seinem Herkunftsstaat wieder fortzuführen.

Der Beschwerdeführer hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

1.4. Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Länderspezifische Anmerkungen

Diese Länderinformationen gehen nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID19-Pandemie ein, so auf eventuelle Maßnahmen gegen diese, wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur Selbst-Quarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit nicht absehbar sind. COVID-19 Letzte Änderung: 18.03.2021 Die Ausbreitung von Covid-19 führt weiterhin zu Einschränkungen des internationalen Luft- und Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens (AA 1.3.2021; vgl. BMEIA 10.3.2021). Algerien ist weiterhin von COVID-19 betroffen. Regionale Schwerpunkte sind der Großraum Algier sowie die Provinzen Blida und Oran. Algerien gilt als Risikogebiet. Die Landgrenzen sind geschlossen. Der internationale Personenflugverkehr aus und nach Algerien und der Fährverkehr sind seit Mitte März 2020 eingestellt. Es finden jedoch regelmäßig Sonderflüge von Algier nach Frankfurt und in einige französische Städte statt (AA 1.3.2021). Die Einreise nach Algerien ist verboten; Ausnahmen ausschließlich mit Sondergenehmigung des algerischen Innenministeriums – vollständige Einreisesperre im März 2021 (BMEIA 10.3.2021). Aufgrund der epidemiologischen Entwicklung gelten derzeit folgende Restriktionen, welche strikt zu beachten sind: - landesweite Ausgangssperre von 22:00 Uhr bis 05:00 Uhr. - unbedingt erforderliche Fahrten während der Ausgangssperre sind zu begründen. - generelle Mund-Nasenschutzpflicht sowie Distanzpflicht im öffentlichen Raum, insbesondere auch in Geschäften (BMEIA 10.3.2021).

Politische Lage

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik (AA 28.10.2020). Die Verfassung wurde am 7.3.2016 in Teilen geändert. Der direkt vom Volk und seit der Verfassungsreform von 2016 wieder mit Begrenzung auf zwei Amtszeiten von je fünf Jahren gewählte Präsident verfügt über eine überaus starke Stellung (AA 11.7.2020). Die 2020 erfolgte Verfassungsreform bringt eine weitere Verstärkung der Rolle des Staatspräsidenten und - noch problematischer - verankert stärker als bisher eine Rolle des Militärs als Staats- und Verfassungsgarant (ÖB 11.2020). Aufgabe des vom Präsidenten (nach Konsultation der Parlamentsmehrheit) ernannten Premierministers ist lediglich die Umsetzung des Programms des Staatspräsidenten und die Koordinierung der Arbeit der Regierung (AA 11.7.2020; vgl. ÖB 11.2020). Der Präsident ist Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber des Heeres und Verteidigungsminister. Er garantiert die Einheit des Staates und ist die höchste Instanz der Rechtsprechung. Er ernennt den Premierminister nach Konsultation des Parlaments und nach Befassung des Premierministers die Minister und sitzt dem Ministerrat vor. Er ernennt die Funktionäre der Verwaltung und des Militärs, den Gouverneur der Nationalbank, die 48 Wilaya(Provinz)präfekten und die Richter des Landes (ÖB 11.2020). In Folge der Massenproteste seit Februar 2019 und auf Druck der Armee reichte Präsident Bouteflika am 2.4.2019 seinen Rücktritt ein. Bei den Präsidentschaftswahlen am 12.12.2019 gewann der ehemalige Premierminister Abdelmadjid Tebboune (AA 11.7.2020; vgl. HRW 13.1.2021, CIA 3.3.2021, FH 2021, ÖB 11.2020), Favorit der Militärführung um den mittlerweile verstorbenen Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah, die Wahl für sich (AA 11.7.2020). Die Wahlbeteiligung hatte einen historischen Tiefstpunkt erreicht (HRW 13.1.2021; vgl. FH 2021). Tebboune verkörpert für viele Algerier das Streben der Elite nach System- und Machterhalt. Der „Hirak“ [Anmerkung: Bezeichnung der Protestbewegung in Algerien] hatte gegen die Wahl protestiert und hält an der Forderung nach einem kompletten Systemwechsel fest. Anfängliche Dialogbemühungen des Staatspräsidenten sind seit März 2020 ins Stocken geraten. Doch auch auf Seiten der Protestbewegung ist die Dialogbereitschaft gering. Wenige dialogbereite Stimmen innerhalb des „Hirak“ wurden medienwirksam von der Protestbewegung diskreditiert. Die aktuelle Herausforderung durch die Covid-19-Pandemie lässt den Graben zwischen Regierung und Teilen der Bevölkerung vorerst in den Hintergrund treten. Die Covid-19-Maßnahmen der Regierung, wie zum Beispiel die landesweite partielle Ausgangssperre, werden von der Bevölkerung mitgetragen (AA 11.7.2020). Die Gesetzgebung basiert mehrheitlich auf präsidentiellen Dekreten (ÖB 11.2020). Die Nationalversammlung („Assemblée Populaire Nationale“, APN) und der Senat („Conseil de la Nation“) bilden die beiden Kammern des Parlaments. Die 462 Mitglieder der Nationalversammlung werden alle fünf Jahre in allgemeiner, direkter und geheimer Wahl gewählt. Die 144 Mitglieder des Senats werden zu einem Drittel durch den Präsidenten ernannt und zu zwei Dritteln von Gemeindevertretern gewählt (AA 11.7.2020; vgl. FH 2021). Die Rolle der beiden Parlamentskammern im Staats- und Machtgefüge bleibt vor allem aufgrund der klaren Regierungsmehrheit schwach 6(AA 11.7.2020). Die letzten Wahlen zur Nationalversammlung fanden am 4.5.2017 statt (AA 11.7.2020; vgl. ÖB 11.2020). Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Massenbewegung, welche sich mit dem arabischen Wort für Bewegung „Hirak“ beschreibt. Die Proteste begannen, nachdem der damals amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika seine fünfte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ankündigte. Zunächst forderten die Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten, welcher dieser Forderung schließlich nachkam. Die Proteste endeten jedoch nicht mit dem Rücktritt Bouteflikas. Bis Ende März 2020 wurde jeden Freitag auf den Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo demonstriert und die Veränderung des gesamten politischen Systems gefordert (IPB 12.6.2020; vgl. ÖB 11.2020). Die algerischen Behörden unterdrücken weiterhin Anhänger des „Hirak“. Entgegen der Versprechungen Präsident Tebbounes für einen Dialog, verhaften die algerischen Behörden weiterhin Protestierende, Aktivisten und Journalisten, die dem „Hirak“ angehören (HRW 13.1.2021). Anlässlich des zweiten Jahrestages des Beginns der friedlichen Protestbewegung gingen am 22.2.2021 mehrere Tausend Demonstranten auf die Straßen und erneuerten ihre Forderungen nach einem umfassenden Politik- und Systemwechsel. Auch am 26.2.2021 wurde demonstriert, obwohl die Regierung aufgrund der Covid-19-Pandemie Zusammenkünfte verboten hat. Das Militär reagierte auf die überwiegend gewaltfreien Demonstrationen mit dem Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken (BAMF 1.3.2021). Auch weiterhin versammeln sich Tausende Bürgerinnen und Bürger jeden Freitag auf den Straßen und demonstrieren für einen umfassenden Politik- und Systemwechsel. Die UN warnen vor einer Verschlechterung der Menschenrechtslage, da die Sicherheitskräfte gegen Teilnehmer an den friedlichen Protesten zunehmend Gewalt eingesetzt und in den vergangenen zwei Wochen wieder Hunderte Menschen willkürlich festgenommen haben. Ferner gibt es Berichte über Einschränkungen der Pressefreiheit und drohende Haftstrafen für Aktivisten, ebenso Vorwürfe über Folter und sexuelle Gewalt im Gefängnis (BAMF 8.3.2021).

Sicherheitslage

Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (IPB 12.6.2020). Seit Februar 2021 versammeln sich Tausende Bürgerinnen und Bürger jeden Freitag auf den Straßen und demonstrieren für einen umfassenden Politik- und Systemwechsel (BAMF 1.3.2021; vgl. BAMF 8.3.2021). Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, geführt hat. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara vorhanden. Gruppen, wie die Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al-Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’Unité pour je Jihad en Afrique Occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine [Anm.: im Jänner 2013] zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des sogenannten Islamischen Staates (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2020). 2017 gab es (mindestens) vier Anschläge mit eindeutig islamistischem Hintergrund, und zwar in Blida, Constantine, Oued Djemaa (Wilaya Blida), Ferkane (Wilaya Tebessa) und Tiaret. Im selben Jahr wurden 91 Terroristen getötet und 70 verhaftet. Dazu kommen noch 214 verhaftete Sympathisanten. 2019 und 2020 wurden keine terroristischen Angriffe verzeichnet, bei Razzien und Aktionen gegen Terroristen und deren Unterstützer kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften mit tödlichem Ausgang. Im 1 Halbjahr 2020 beliefen sich die Zahlen nach den nicht überprüfbaren Angaben des Verteidigungsministeriums auf zwölf getötete, drei sich ergebende und fünf festgenommene Terroristen. Algerische Behörden verfolgen einen relativ holistischen Ansatz des Kampfes gegen den Terrorismus und binden in ihre Bemühungen zur Deradikalisierung auch Moscheen, Frauen und Familien ein (ÖB 11.2020).

Spezifische regionale Risiken

Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt (AA 1.3.2021; vgl. ÖB 11.2020). Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2020; vgl. BS 29.4.2020). Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali (ÖB 11.2020). In den Grenzgebieten mit den Nachbarländern Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Westsahara besteht große Gefahr von terroristischen Anschlägen oder Entführungsversuchen (BMEIA 10.3.2021; vgl. AA 1.3.2021), ebenso wie in den algerischen Saharagebieten und außerhalb der Bezirke der größeren Städte im nördlichen Landesteil von Algerien, in ländlichen Gebieten und Bergregionen. Terroristische Aktivitäten richten sich in erster Linie gegen die staatliche Sicherheitskraft (AA 1.3.2021). Immer wieder versuchen kriminelle, terroristische bzw. bewaffnete Gruppen Algeriens Grenzgebiete für ihre Zwecke zu nutzen bzw. diese zu durchqueren. Die auf Grund politischer Gegebenheiten bzw. mangelnder Ressourcen nicht vorhandene oder zu schwache Präsenz von Sicherheitskräften in den angrenzenden Staaten erleichtert dies. Die algerische Armee hat daher generell die Kontrolle der Grenzregionen verstärkt und angesichts der aktuellen Situation in Libyen und Tunesien auch die Streifen- und Übungstätigkeit in Grenznähe (BMEIA 10.3.2021). Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistische Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkt die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 11.7.2020, FH 2021, BS 29.4.2020, ÖB 11.2020) - diese ist nur auf einem niedrigen Niveau gegeben (FH 2021). Die Justiz ist häufig äußerer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt (USDOS 11.3.2020). Der Präsident hat den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter sowie Staatsanwälte zuständig ist (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 11.7.2020, FH 2021). Der Oberste Justizrat ist auch für die richterliche Disziplin und die Entlassung von Richtern zuständig (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020, AA 11.7.2020), praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden ebenfalls von diesem Rat getroffen (BS 29.4.2020). Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt. Die Gerichte üben in der Regel keine wirksame Kontrolle staatlichen Handelns aus. Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz (AA 11.7.2020). Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Diese Vorschriften wurden im April 2020 durch eine Novellierung des Strafgesetzbuches noch einmal verschärft. Betroffen sind insbesondere Meinungs- und Pressefreiheit, welche durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992. Für die Diffamierung staatlicher Organe und Institutionen durch Presseorgane bzw. Journalisten werden in der Regel Geldstrafen verhängt (AA 11.7.2020). Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess, aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen. Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger. Dieser wird, falls nötig, auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich (USDOS 11.3.2020). Personen mit genügend Mitteln, bzw. politischen Verbindungen können auf Gerichtsentscheidungen Einfluss nehmen. Politische Prozesse scheinen gelegentlich konstruiert zu werden. Oppositionelle politische Aktivisten beklagen, aufgrund von Anti-Terrorismus-Gesetzen und solchen zur Begrenzung der Versammlungsfreiheit oder Vergehen gegen „Würde des Staates und die Staatssicherheit“ festgenommen zu werden. Die gerichtliche Verfolgung von unliebsamen Personen oder Kritikern mit dem Mittel der Konstruktion gerichtlich belangbarer Vorwürfe kommt vor. Derartige Fälle der jüngeren Vergangenheit sind politische Aktivisten und Journalisten, die seit den Massendemonstrationen 2019 verhaftet worden sind. Im Oktober 2020 wurde die Zahl an Gesinnungshäftlingen mit ca. 70 benannt (ÖB 11.2020).

Sicherheitsbehörden

Die algerischen Sicherheitskräfte bestehen aus der Armee (ANP), der Nationalen Gendarmerie und der Gemeindewache unter dem Verteidigungsministerium und der nationalen Polizei unter dem Innenministerium (CIA 3.3.2021). Angesichts der jüngeren Geschichte und der Sicherheitslage im Land ist der Sicherheitsapparat sehr groß dimensioniert. Nationale Gendarmerie (dem Verteidigungsministerium unterstellt) und Polizei (dem Innenministerium unterstellt) zählen zusammen allein fast 400.000 Mann. Hinzu kommen die zahlenmäßig nicht bekannten Angehörigen der politisch einflussreichen „Direction des Services de Sécurité“ (DSS) [Anm.: Direktion der Sicherheitskräfte] bzw. dessen Nachfolgeorganisationen, die im Bereich Terrorismus und nationale Sicherheit ebenfalls als Strafverfolgungsbehörde funktionieren (ÖB 11.2020). Die 130.000 Mann starke nationale Gendarmerie, die Polizeifunktionen außerhalb städtischer Gebiete ausübt und dem Verteidigungsministerium untersteht, sowie die ca. 200.000 Mann starke DGSN [Anm.: „Direction générale de la Sûreté Nationale“ - Generaldirektion der nationalen Sicherheit] oder nationale Polizei, die dem Innenministerium untersteht, teilen sich die Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Die Armee ist für die äußere Sicherheit zuständig, schützt die Außengrenzen des Landes und hat auch in begrenztem Ausmaß Verantwortung im Bereich der inneren Sicherheit. Zivile Behörden wahren generell eine effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption und die Regierung veröffentlicht Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte. Trotzdem bleibt Straffreiheit ein Problem (USDOS 11.3.2020). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 11.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 11.7.2020). Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen. NGOs kritisieren jedoch weiterhin vor allem Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Einzelne unabhängige Journalisten und Blogger sowie politische Aktivisten werden strafrechtlich verfolgt (AA 28.10.2020). Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020, AI 18.2.2020), die Unabhängigkeit der Justiz ist mangelhaft. Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, inklusive Foltervorwürfe (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020), sowie die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu wählen. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020). Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 13.1.2021, BS 29.4.2020, FH 2021). NGOs kritisieren diese Einschränkungen. Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend. Alle Medienanbieter - auch private - stehen unter Beobachtung (USDOS 11.3.2020). Obwohl manche Zeitungen in Privatbesitz sind, und einige Journalisten eine aggressive Berichterstattung in Bezug auf Regierungsangelegenheiten an den Tag legen, so sind die meisten Zeitungen auf Regierungsbehörden zur Drucklegung und für Werbung angewiesen, was Selbstzensur fördert. Behörden verwenden rechtliche Mechanismen, um Medien zu belästigen und zu zensurieren oder sie bestrafen kontroverse Berichterstattung (FH 2021). Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden durch die algerische Verfassung garantiert, dennoch werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 11.7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Folglich sind die Möglichkeiten oppositioneller politischer Tätigkeit weiterhin eng begrenzt: Versammlungen müssen angemeldet sein, Demonstrationen in der Hauptstadt sind theoretisch weiterhin verboten, fanden aber vor der COVID-Pandemie mehrmals wöchentlich statt. Eine Parteigründung ist schwierig, politische Veranstaltungen sind engen Regeln unterworfen und im Grunde auf die dreiwöchigen Kampagnen vor Wahlen beschränkt (ÖB 11.2020). Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 11.7.2020). Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag demonstrierten Algerier in den Straßen der Hauptstadt Algier und anderswo. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste, zerstreuten die Behörden friedliche Demonstrationen, hielten willkürlich Protestierende fest, blockierten von politischen und Menschenrechtsgruppen organisierte Treffen und inhaftierten Kritiker (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020). Hunderte Hirak-Demonstranten wurden während Protesten Anfang 2020 verhaftet (HRW 13.1.2021). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die regelmäßigen Demonstrationen ab Ende März 2020 ausgesetzt. Ab 17.3.2020 wurden die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit weiter verschärft (IPB 12.6.2020). Die Hirak-Proteste, die im Februar 2019 begannen, wurden von den Behörden zeitweise toleriert, zeitweise wurde mit Tränengas, Wasserwerfern, willkürlichen Verhaftungen und exzessiver Gewaltanwendung gegen die Demonstranten vorgegangen (FH 2021). Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden (USDOS 11.3.2020). Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte die Gründung von politischen Parteien (BS 29.4.2020), wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Es gibt jedoch islamistisch ausgerichtete Parteien, v.a. jene der Grünen Allianz (USDOS 11.3.2020). Seit Verabschiedung des Parteigesetzes 2012 nahm die Anzahl der Parteien deutlich zu. Dies führte jedoch auch zu einer Zersplitterung der Opposition (BS 29.4.2020). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und – in sehr viel geringerem Umfang – staatlichen Medien. Jedoch haben einzelne Parteien kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind (AA 11.7.2020). Die CNDH als staatliche Menschenrechtsorganisation (Ombudsstelle) hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land (USDOS 11.3.2020). Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion einer echten Ombudsstelle gegenüber der Verwaltung fehlt [Anm.: die Effektivität der Ombudsstelle ist nur gering] (ÖB 11.2020). Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen sind aktiv und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert (USDOS 11.3.2020).

Bewegungsfreiheit

Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, diese Rechte werden jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt (USDOS 11.3.2020). Nach anderen Angaben können die meisten Bürger innerhalb des Landes und ins Ausland relativ frei reisen (FH 2021). Die Regierung hält aus Gründen der Sicherheit Reiserestriktionen in die südlichen Bezirke El-Oued und Illizi, in der Nähe von Einrichtungen der Kohlenwasserstoffindustrie sowie der libyschen Grenze, aufrecht. Überlandreisen sind aufgrund von Terrorgefahr zwischen den südlichen Städten Tamanrasset, Djanet und Illizi eingeschränkt (USDOS 11.3.2020). Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2021). Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen (USDOS 11.3.2020). Verheiratete Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2021). Ehefrauen, die älter als 18 Jahre sind, sind Auslandsreisen auch ohne Erlaubnis des Ehemanns gestattet (USDOS 11.3.2020).

Grundversorgung

Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90% der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund der sinkenden Öl- und Gaspreise drastisch zurückgegangen (RLS 7.4.2020; vgl. BS 29.4.2020). Durch den Verfall der Öl- und Gaspreise befindet sich die algerische Wirtschaft seit 2014 in einer Abwärtsspirale. Öffentliche Ausgaben sind angespannt. Steuererhöhungen führten 2019 und Anfang 2020 zu Demonstrationen. Die Corona-Krise 2020 hat die wirtschaftliche Krise weiter vertieft (DI / DTDA 2020). Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Das Land hat - als eines von wenigen Ländern - in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2020). Algerien hat ein relativ gut ausgebildetes Sozialsystem, dieses ist allerdings von einigen Unausgewogenheiten geprägt, z.B. Ungleichheiten zwischen formal Angestellten und im informellen Sektor tätigen. Eine Alterspension ist rechtlich für 100% der Bevölkerung vorgesehen, tatsächlich beziehen konnten diese im Jahr 2018 nur 59%. Arbeitslosengeld existiert im formalen Sektor, es ist aber vergleichsweise niedrig (DI / DTDA 2020). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten im Jänner 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 11.7.2020). Die Arbeitslosigkeit liegt [Stand 2019] bei 11,7%, die Jugendarbeitslosigkeit (15 - 24-Jährige) bei 29,5% (WKO 2.2021); nach anderen Angaben bei 17% bzw. 50% (RLS 7.4.2020). In einer weiteren Quelle wird die Jugendarbeitslosigkeit mit Stand 2020 mit 30% angegeben, v.a. unter Frauen und höher Gebildeten (DI / DTDA 2020). Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit (ÖB 11.2020). Laut Weltbank betrug die Arbeitslosigkeit Ende 2019 12,3%; dieser Wert ist jedoch im Gefolge der COVID-Pandemie sicherlich angestiegen, aktuelle verlässliche Zahlen liegen nicht vor. Schwer zu beziffern ist der informelle Sektor, der laut UN-Quellen (inoffiziell) auf bis zu 60% des Landes geschätzt wird (ÖB 11.2020), nach anderen Angaben arbeiten 38% der Algerier im informellen Sektor (DI / DTDA 2020). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.p hp?page=apropos ). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. In manchen Regionen stellt der Staat kostenlos Land, Sach- sowie Geldmittel zur Verfügung, um landwirtschaftliche Unternehmungen zu erleichtern. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2020).

Medizinische Versorgung

Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 11.7.2020). Vor allem in Algier sind Privatspitäler entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Dies soll nun auch aus Kostengründen weiter eingeschränkt werden und entsprechende medizinische Zentren im Land geschaffen werden. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 11.2020). Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Immer wieder kommt es zu Beschwerden und Protesten über den unzureichenden Zustand des Gesundheitssystems, im Zuge der COVID-Pandemie kam es auch zu tätlichen Übergriffen auf Spitalspersonal. Probleme sind auch bei der Spitalshygiene und Medikamentenversorgung (nur Billigimporte oder lokale Produktion) gegeben. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und sowie von Behinderten. Generell wird, um ein Intensivbett zu kommen oder eines behalten zu können, oft auch zu Bestechung gegriffen (ÖB 11.2020). Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich. Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert (ÖB 11.2020). In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 11.7.2020).

Rückkehr

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen20.000 DA bis 60.000 DA [Anm.: ca. 126 - 378 Euro] vor (ÖB 11.2020). Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von zwei bis zu sechs Monaten und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 11.7.2020). Eine behördliche Rückkehrhilfe ist der ÖB nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die solche Unterstützung leisten. Es gibt in Algerien 10.000 angemeldete Vereine, die meisten davon sind Wohltätigkeitsvereine- es ist allerdings nicht bekannt, ob von diesen spezielle Rückkehrhilfe geleistet wird. Generell kann davon ausgegangen werden, dass Familien zurückkehrende Mitglieder wiederaufnehmen und unterstützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (1.000-2.000€) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Ähnliches gibt es in unterschiedlicher Höhe auch für andere EU-Staaten (ÖB 11.2020). Algerien erklärt sich bei Treffen mit EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsbürger handle. Nachfragen bei EU-Botschaften bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert, allerdings ist der Rhythmus relativ langsam, angeblich maximal 5-10 pro Tag, bzw. auch pro Woche. Algerien behauptet, dass dies auf die insgesamt vielen Rückübernahmen aus zahlreichen Staaten zurückzuführen ist, weil die Aufnahmebehörden sonst überlastet wären. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2020).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Erstbefragung des Beschwerdeführers vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 26.06.2021 und der niederschriftlichen Angaben vor der belangten Behörde vom 28.06.2021 und vom 29.06.2021, in den bekämpften Bescheid und der Angaben im Beschwerdeschriftsatz. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Betreuungsinformationssystems über die Grundversorgung (GVS) und des Strafregisters eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, im Besonderen seiner Volljährigkeit, seiner Staatsangehörigkeit und seiner Volksgruppen-, Sprach- und Glaubenszugehörigkeit ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der belangten Behörde. Mangels Vorlage eines identitätsbezeugenden Dokumentes konnte seine Identität nicht abschließend geklärt werden.

Glaubhaft und im gesamten Administrativverfahren gleichbleibend lauten die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Gesundheitszustand. So bestätigte er sowohl in der Erstbefragung als auch der weiteren niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde, dass er körperlich und geistig in der Lage sei den jeweiligen Einvernahmen zu folgen. Das Vorliegen einer schweren Erkrankung und die Einnahme von Medikamenten brachte der Beschwerdeführer nicht vor.

Aus der Zusammenschau seines Alters und seines Gesundheitszustandes resultiert die Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit. Ebenfalls glaubhaft erachtet das erkennende Gericht die Angaben des Beschwerdeführers im Zuge seiner Erstbefragung zu seinem Familienstand. Diese Angaben verblieben auch in der Einvernahme vor der belangten Behörde unverändert.

Die Feststellungen zu seinen Lebens-, Berufs- und Wohnumständen in seinem Herkunftsstaat und seiner Schulbildung basieren auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben bei seiner Erstbefragung und vor der belangten Behörde. Aufgrund der diesbezüglich gleichbleibenden Angaben ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer noch familiäre Anknüpfungspunkte in Algerien zumindest durch seine Mutter, seinen Vater, seine zwei Schwestern und einem Bruder hat, von denen er angegeben hat, dass diese weiterhin dort leben. Daneben verfügt der Beschwerdeführer über andere nicht näher bezeichnete Verwandte im Herkunftsstaat.

Ebenso fußt die Feststellung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer über keine Verwandten in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union verfügt auf seinen glaubhaften Ausführungen.

Auf den glaubhaften und gleichbleibenden Ausführungen des Beschwerdeführers im Erstbefragungs- und Einvernahmeprotokoll gründen die Feststellungen zu seiner Einreise.

Bei seinen Ausführungen vor der belangten Behörde vom 28.06.2021 verneinte der Beschwerdeführer die Fragen nach in Österreich aufhältigen Familienangehörigen und ob er sich in Österreich in einer aufrechten Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft befinde. Ebenso ergaben sich aus dem Verwaltungsakt auch keine Anhaltspunkte für Deutschkenntnisse. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich über keinerlei private Anbindungen verfügt und auch keine integrative Verfestigung in sprachlicher, beruflicher oder sozialer Hinsicht vorliegt, ergibt sich zunächst aus seinem äußerst kurzen Aufenthalt im Bundesgebiet von lediglich rund einen Monat und aus seinen Angaben vor der belangten Behörde. Durch Einsichtnahme in das Strafregister ist die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers belegt.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Während der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie der ersten Einvernahme vor der belangten Behörde wirtschaftliche Motive für das Verlassen seines Herkunftsstaates ins Treffen führte, steigerte er sein Vorbringen bei einer weiteren Einvernahme durch die belangte Behörde. Er brachte dabei zusammengefasst vor, in Algerien zudem von den Brüdern seiner ehemaligen Freundin verfolgt worden zu sein. Außerdem sei er im Rahmen eines Erbstreits bedroht worden.

Die belangte Behörde stellte im bekämpften Bescheid fest, der Beschwerdeführer habe keine maßgeblichen Fluchtgründe geltend gemacht. Es sei ihm nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung glaubhaft zu machen.

Im gegenständlichen Fall ist der belangten Behörde zuzustimmen, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Bedrohung durch die Familie einer Frau, mit der der Beschwerdeführer eine sexuelle Beziehung gepflegt hat, auf Grund der Steigerung des Fluchtvorbringens und der vagen und unsubstaniierten Angaben nicht glaubwürdig ist.

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 die Glaubhaftmachung ist, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abs. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (vgl. dazu etwa den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. September 2015, Zl. Ra 2015/19/0143). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0279). Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber, der bemüht ist, in einem Land Aufnahme und Schutz zu finden, in der Regel bestrebt ist, alles diesem Wunsch Dienliche vorzubringen und zumindest die Kernfluchtgeschichte möglichst umfassend und gleichbleibend schildert, sodass der Behörde erkennbar ist, welchen massiven Bedrohungen er im Herkunftsland ausgesetzt ist. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. Damit ist die Beurteilung der Fluchtgründe und die diesbezügliche Beweiswürdigung durch die belangte Behörde nicht zu beanstanden, sodass sich das Bundesverwaltungsgericht dieser anschließt

Da der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde dem bekämpften Bescheid nicht substantiiert entgegen trat und sich seine Beschwerdebegründung darin erschöpfte, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers zu wiederholen, ergeben sich auch keine Zweifel am Zutreffen der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen und ihrer Beweiswürdigung.

Selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers handelt es sich um eine Verfolgung durch Privatpersonen. Dem Beschwerdeführer wäre zuzumuten, dieser durch Inanspruchnahme von Schutz seitens der staatlichen Behörden oder durch Umzug in einen anderen Landesteil zu begegnen. Warum die staatlichen Behörden konkret ihm den Schutz verweigern sollten, wurde nicht substantiiert ausgeführt, und blieb auch in Bezug auf die Bedrohungen sein Vorbringen vage und unsubstantiiert. Der Beschwerdeführer führte weder aus, worin diese Bedrohungen lagen, noch beschrieb er eine konkrete Situation, in der die Polizei untätig geblieben ist.

Es steht dem Beschwerdeführer frei, sich an einem anderen Ort in Algerien, beispielsweise in das ca. 300km von seinem Heimatdorf gelegene Algier niederzulassen, wo er sich ohnehin schon während seiner zweijährigen Studienzeit zumindest vorübergehend aufgehalten hat. Algier ist eine Millionenstadt, wo der Beschwerdeführer für seine Verfolger schwer zu finden sein dürfte. Gründe, warum dies nicht möglich sein sollte, sind dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen.

Der belangten Behörde ist somit zuzustimmen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers - wie in der rechtlichen Beurteilung aufgezeigt - nicht geeignet ist, einen Rechtsanspruch auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zu begründen.

2.4. Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist gesund, jung und erwerbsfähig. Er sicherte sich bislang seinen Lebensunterhalt durch diverse Tätigkeiten, unter anderem als Schweißer, verfügt über eine gute Schulbildung und lebte bis zu seiner Ausreise in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Familie.

Da der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat erst vor ca. ein Jahr verlassen hat, ist nicht von einer Entwurzelung des Beschwerdeführers auszugehen. Er wuchs in seinem Herkunftsstaat auf, wurde dort hauptsozialisiert, spricht muttersprachlich arabisch. Es ist somit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer an sein bisheriges Leben in seinem Herkunftsstaat anknüpfen kann. Aus den vorgenannten Überlegungen leitet sich somit die Feststellung zur Sicherung seiner Existenz und Grundversorgung im Falle seiner Rückkehr nach Algerien ab.

Auch wenn die angespannte wirtschaftliche Lage in Algerien nicht verkannt wird, steht für das Bundesverwaltungsgericht nach Würdigung sämtlicher Umstände fest, dass Algerien ein Staat ist, der hinsichtlich seiner Bürger schutzfähig und schutzwillig ist und dass dem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Beschwerdeführer daher aufgrund der Lage im Herkunftsstaat mit höchster Wahrscheinlichkeit keine Gefahr an Leib und Leben oder einer unmenschlichen Strafe droht, wenn er nach Algerien zurückkehrt.

2.5. Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Algerien und den dort zitierten Quellen. Dieser Bericht fußt sowohl auf Berichten verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemeinanerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen, wie zum Beispiel der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln (vgl. VwGH 15.09.2020, Ra 2020/18/0145).

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung von knapp einem Monat haben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen ergeben. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher diesen Feststellungen vollinhaltlich an.

Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen weder im Administrativ- noch im Beschwerdeverfahren substantiiert entgegen, sodass die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte nicht in Zweifel zu ziehen waren. Die in der Beschwerde angeführte Anfragebeantwortung wurde in die vorliegende Entscheidung einbezogen.

Algerien wird ferner durch die Verordnung BGBl. II Nr. 177/2009 als sicherer Herkunftsstaat festgelegt.


3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm aus einem der Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention Verfolgung droht. Selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung wäre sein Vorbringen von den Brüdern seiner ehemaligen Freundin verfolgt zu werden bzw. aufgrund von Erbstreitigkeiten bedroht zu werden allerdings nicht asylrelevant, wie im Folgenden gezeigt wird:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793, mwN).

Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), die im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mit zu berücksichtigen ist, muss der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden wirksam sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn etwa der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat. Bei Prüfung (u.a.) dieser Frage berücksichtigen die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers.

Die Statusrichtlinie sieht daher einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vg. zum Ganzen VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063).

Der Beschwerdeführer hat keine Umstände aufgezeigt, die im gegenständlichen Fall gegen eine Schutzfähigkeit und -willigkeit der algerischen Behörden spezifisch ihm gegenüber sprechen würden.

Dem Beschwerdeführer ist es damit im Ergebnis nicht gelungen, substantiiert darzulegen, dass ihm der algerische Staat keinen wirksamen Schutz vor der von ihm behaupteten Verfolgung gewähren würde.

Sonstige Fluchtgründe wurden nicht vorgebracht. Somit liegen in einer Gesamtbetrachtung keine asylrelevanten Fluchtgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vor.

Aus diesen Gründen war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Ko

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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