TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/19 I414 2245318-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.08.2021
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Entscheidungsdatum

19.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
StGB §125
StGB §127
StGB §128 Abs1
StGB §130 ersterFall
StGB §229
StGB §241e Abs1
StGB §83 Abs1
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I414 2245318-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Algerien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.06.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides wird insofern stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbots auf fünf Jahre herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 25.03.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit der fehlenden Zukunftsaussicht in Algerien begründete. Er habe in Algerien nie eine Schule besuchen dürfen. Zudem sei sein Vater Alkoholiker gewesen. Er habe sein Land verlassen, damit er sich in Österreich eine Zukunft aufbauen könne. Der Beschwerdeführer habe außerdem Probleme mit der Polizei und würde von dieser verfolgt werden, jedoch wisse er nicht, weshalb er Probleme mit der Polizei habe (AS 32).

Mit Aktenvermerk vom 02.06.2020 erfolgte gemäß § 24 Abs. 2 AsylG die Einstellung des Asylverfahrens durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) aufgrund des unbekannten Aufenthaltes des Beschwerdeführers. Zugleich erließ das BFA einen Festnahmeauftrag gegen den Beschwerdeführer.

Am 22.07.2020 erfolgte die Festnahme des Beschwerdeführers aufgrund des vom BFA erlassenen Festnahmeauftrags.

Am 24.07.2020 erfolgte die Einvernahme des Beschwerdeführers durch das BFA in welcher er im Wesentlichen seine Fluchtgründe, welche er in der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes angab, wiederholte. Er habe keine Zukunft in Algerien. Er habe in Algerien nur eine Schwester und die sei verheiratet. Er habe zu seinen Eltern schon länger keinen Kontakt und wisse nicht wo diese leben. Außer der Perspektivlosigkeit habe er keine anderen Probleme in seinem Heimatland gehabt (AS 127, 128).

Mit Aktenvermerk vom 30.07.2020 erfolgte gemäß § 24 Abs. 2 AsylG erneut die Einstellung des Asylverfahrens durch das BFA aufgrund des neuerlichen unbekannten Aufenthaltes des Beschwerdeführers. Zugleich erließ das BFA erneut einen Festnahmeauftrag gegen den Beschwerdeführer.

Am 28.11.2020 erfolgte durch die LPD Wien, aufgrund des Verdachts auf Verkauf von Marihuana an einen Abnehmer und des Festnahmeauftrags des BFA, die Festnahme des Beschwerdeführers.

Am 01.12.2020 hielt das BFA in einem Aktenvermerk fest, dass der Beschwerdeführer am 01.12.2020 von dem BFA befragt worden sei und dieser angab, dass er sich nach seinem erneuten Untertauchen in der Schweiz bei einer Freundin aufgehalten habe.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15.04.2021, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch §§ 127, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 1 1. Fall; 12 3. Fall, 15 StGB; den Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 2a SMG, 15 StGB; des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 1. Und 2. Fall, Abs 2 SMG; den Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB; den Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e ABs 1 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, davon 6 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt.

Mit Verfahrensanordnung vom 09.06.2021 wurde dem Beschwerdeführer vom BFA mitgeteilt, dass sein Verfahren gemäß § 28 AsylG zugelassen werde. Im komme gemäß §13 Abs 1 und 2 AsylG 2005 kein Aufenthaltsrecht zu, weshalb ihm keine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG zustehe.

Am 18.06.2021 wurde der Beschwerdeführer erneut von dem BFA einvernommen an und gab befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass er aus wirtschaftlichen Gründen aus Algerien ausgereist sei und er Arbeit suche. Weitere Gründe habe er nicht gehabt (AS 364).

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.06.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 25.03.2020 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1a FPG beseht für den Beschwerdeführer keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Zuletzt wurde Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 7 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 02.08.2021, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 ABs 1 Z1 achter Fall, Abs 2a und 3 SMG; des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Am 05.08.2021 erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend führte er aus, dass er die Erlassung des Einreiseverbots für die Dauer von sieben Jahren als unrechtmäßig erachte. Im Ergebnis erweise sich die Erlassung des Einreiseverbotes aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers als nicht erforderlich, jedenfalls aber als unverhältnismäßig hoch. Der Beschwerdeführer beantragt daher, dass das Bundeverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes durchführen möge und den Bescheid hinsichtlich des unbefristeten Einreiseverbotes (Spruchteil VIII.) ersatzlos beheben möge; in eventu werde moniert und beantragt, dass das auf sieben Jahre befristete Einreiseverbot (Spruchteil VIII.) auf ein angemessenes befristetes Einreiseverbot herabgesetzt werde; den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde und zur neuerlichen Durchführung eines Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an die I. Instanz zurückzuverweisen; falls nicht alle zu Lasten der Beschwerdeführer gehenden Rechtswidrigkeiten in den angefochtenen Bescheiden in der Beschwerde geltend gemacht worden seien, diese amtswegig aufzugreifen beziehungsweise allenfalls den Beschwerdeführern einen Verbesserungsauftrag zu erteilen, um die nicht mit der Beschwerde geltend gemachten Beschwerdepunkte ausführen zu können.

Die Beschwerde und der Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 12.08.2021 vorgelegt.

Am 16.08.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht der Abschlussbericht der LPD Wien ein, in welchem der Beschwerdeführer dringend verdächtig wird, an einem öffentlichen Ort „3 x Alufolie Marihuana zu gesamt 4,2 Gramm bto“ verkauft zu haben, und dadurch widerrechtlich Suchtmittel in den Verkehr gesetzt zu haben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Algeriens. Er ist ledig und Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitischen moslemischen Glauben.

Die Identität des Beschwerdeführers steht in Ermangelung identitätsbezeugender Dokumente nicht fest.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Beeinträchtigungen seines Gesundheitszustandes, welcher einer Rückkehr entgegenstehen.

Der Beschwerdeführer spricht Arabisch.

In Algerien hat der Beschwerdeführer als Maler gearbeitet (AS 363).

Der Beschwerdeführer verfügt in Algerien über Anknüpfungspunkte und steht mit seinen Familienangehörigen in Kontakt.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten über keine familiären Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein Familienleben. Besondere Aspekte einer nachhaltigen Integration kamen nicht hervor, vielmehr verbrachte der Beschwerdeführer den Großteil seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet in Strafhaft oder im Verborgenen. Weiters verfügt er über keine nachweislichen Deutschkenntnisse, hat an keinen beruflichen Aus- oder Weiterbildungen teilgenommen, und ist nicht Mitglied eines Vereines oder einer sonstigen integrationsbegründenden Institution.

Derzeit befindet sich der Beschwerdeführer in Strafhaft.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich bereits strafgerichtlich verurteilt:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15.04.2021, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch §§ 127, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 1 1. Fall; 12 3. Fall, 15 StGB; den Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 2a SMG, 15 StGB; des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 1. Und 2. Fall, Abs 2 SMG; den Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB; den Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e ABs 1 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, davon 6 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt.

Erschwerend wirkte sich bei der gegenständlichen Verurteilung das Zusammentreffen mehrerer Strafbarer Handlungen aus. Mildernd wirkte sich hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel, das reumütige Geständnis des Beschwerdeführers und, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, aus.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 02.08.2021, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 ABs 1 Z1 achter Fall, Abs 2a und 3 SMG; des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Erschwerend wirkte sich bei der gegenständlichen Verurteilung der sofortige Rückfall innerhalb der Probezeit, die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen aus. Mildernd wirkte sich hingegen für den Beschwerdeführer das teilweise Geständnis und die Sicherstellung des Suchtgiftes aus.

1.2 Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Algerien einer persönlichen Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt war.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus Algerien einer individuellen Gefährdung durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war.

Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Rückkehr nach Algerien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner, wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde.

1.3 Zur Situation in Algerien:

Gemäß § 1 Z 10 der HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 145/2019) gilt Algerien als sicherer Herkunftsstaat.

Hinsichtlich der aktuellen Lage in Algerien sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 21.06.2021 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen anschließt und auch zu den seinen erhebt. Soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.03.2021

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik (AA 28.10.2020). Die Verfassung wurde am 7.3.2016 in Teilen geändert. Der direkt vom Volk und seit der Verfassungsreform von 2016 wieder mit Begrenzung auf zwei Amtszeiten von je fünf Jahren gewählte Präsident verfügt über eine überaus starke Stellung (AA 11.7.2020). Die 2020 erfolgte Verfassungsreform bringt eine weitere Verstärkung der Rolle des Staatspräsidenten und – noch problematischer - verankert stärker als bisher eine Rolle des Militärs als Staats- und Verfassungsgarant (ÖB 11.2020). Aufgabe des vom Präsidenten (nach Konsultation der Parlamentsmehrheit) ernannten Premierministers ist lediglich die Umsetzung des Programms des Staatspräsidenten und die Koordinierung der Arbeit der Regierung (AA 11.7.2020; vgl. ÖB 11.2020). Der Präsident ist Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber des Heeres und Verteidigungsminister. Er garantiert die Einheit des Staates und ist die höchste Instanz der Rechtsprechung. Er ernennt den Premierminister nach Konsultation des Parlaments und nach Befassung des Premierministers die Minister und sitzt dem Ministerrat vor. Er ernennt die Funktionäre der Verwaltung und des Militärs, den Gouverneur der Nationalbank, die 48 Wilaya(Provinz)präfekten und die Richter des Landes (ÖB 11.2020).

In Folge der Massenproteste seit Februar 2019 und auf Druck der Armee reichte Präsident Bouteflika am 2.4.2019 seinen Rücktritt ein. Bei den Präsidentschaftswahlen am 12.12.2019 gewannder ehemalige Premierminister Abdelmadjid Tebboune (AA 11.7.2020; vgl. HRW 13.1.2021, CIA 3.3.2021, FH 2021, ÖB 11.2020), Favorit der Militärführung um den mittlerweile verstorbenen Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah, die Wahl für sich (AA 11.7.2020). Die Wahlbeteiligung hatte einen historischen Tiefstpunkt erreicht (HRW 13.1.2021; vgl. FH 2021). Tebboune verkörpert für viele Algerier das Streben der Elite nach System- und Machterhalt. Der „Hirak“ [Anmerkung: Bezeichnung der Protestbewegung in Algerien] hatte gegen die Wahl protestiert und hält an der Forderung nach einem kompletten Systemwechsel fest. Anfängliche Dialogbemühungen des Staatspräsidenten sind seit März 2020 ins Stocken geraten. Doch auch auf Seiten der Protestbewegung ist die Dialogbereitschaft gering. Wenige dialogbereite Stimmen innerhalb des „Hirak“ wurden medienwirksam von der Protestbewegung diskreditiert. Die aktuelle Herausforderung durch die Covid-19-Pandemie lässt den Graben zwischen Regierung und Teilen der Bevölkerung vorerst in den Hintergrund treten. Die Covid-19-Maßnahmen der Regierung, wie zum Beispiel die landesweite partielle Ausgangssperre, werden von der Bevölkerung mitgetragen (AA 11.7.2020).

Die Gesetzgebung basiert mehrheitlich auf präsidentiellen Dekreten (ÖB 11.2020). Die Nationalversammlung („Assemblée Populaire Nationale“, APN) und der Senat („Conseil de la Nation“) bilden die beiden Kammern des Parlaments. Die 462 Mitglieder der Nationalversammlung werden alle fünf Jahre in allgemeiner, direkter und geheimer Wahl gewählt. Die 144 Mitglieder des Senats werden zu einem Drittel durch den Präsidenten ernannt und zu zwei Dritteln von Gemeindevertretern gewählt (AA 11.7.2020; vgl. FH 2021). Die Rolle der beiden Parlamentskammern im Staats- und Machtgefüge bleibt vor allem aufgrund der klaren Regierungsmehrheit schwach (AA 11.7.2020). Die letzten Wahlen zur Nationalversammlung fanden am 4.5.2017 statt (AA 11.7.2020; vgl. ÖB 11.2020).

Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Massenbewegung, welche sich mit dem arabischen Wort für Bewegung „Hirak“ beschreibt. Die Proteste begannen, nachdem der damals amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika seine fünfte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ankündigte. Zunächst forderten die Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten, welcher dieser Forderung schließlich nachkam. Die Proteste endeten jedoch nicht mit dem Rücktritt Bouteflikas. Bis Ende März 2020 wurde jeden Freitag auf den Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo demonstriert und die Veränderung des gesamten politischen Systems gefordert (IPB 12.6.2020; vgl. ÖB 11.2020). Die algerischen Behörden unterdrücken weiterhin Anhänger des „Hirak“. Entgegen der Versprechungen Präsident Tebbounes für einen Dialog, verhaften die algerischen Behörden weiterhin Protestierende, Aktivisten und Journalisten, die dem „Hirak“ angehören (HRW 13.1.2021).

Anlässlich des zweiten Jahrestages des Beginns der friedlichen Protestbewegung gingen am 22.2.2021 mehrere Tausend Demonstranten auf die Straßen und erneuerten ihre Forderungen nach einem umfassenden Politik- und Systemwechsel. Auch am 26.2.2021 wurde demonstriert, obwohl die Regierung aufgrund der Covid-19-Pandemie Zusammenkünfte verboten hat. Das Militär reagierte auf die überwiegend gewaltfreien Demonstrationen mit dem Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken (BAMF 1.3.2021). Auch weiterhin versammeln sich Tausende Bürgerinnen und Bürger jeden Freitag auf den Straßen und demonstrieren für einen umfassenden Politik- und Systemwechsel. Die UN warnen vor einer Verschlechterung der Menschenrechtslage, da die Sicherheitskräfte gegen Teilnehmer an den friedlichen Protesten zunehmend Gewalt eingesetzt und in den vergangenen zwei Wochen wieder Hunderte Menschen willkürlich festgenommen haben. Ferner gibt es Berichte über Einschränkungen der Pressefreiheit und drohende Haftstrafen für Aktivisten, ebenso Vorwürfe über Folter und sexuelle Gewalt im Gefängnis (BAMF 8.3.2021).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2020): Algerien - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160 , Zugriff 12.3.2021

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020% 29%2C_11.07.2020.pdf , Zugriff 12.3.2021

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (8.3.2021): Briefing Notes, Quelleliegt bei der Staatendokumentation auf

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw09-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 16.3.2021

• CIA - Central Intelligence Agency [USA] (3.3.2021): The World Factbook - Algeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/algeria/ , Zugriff 12.3.2021

• FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021 , Zugriff 15.3.2021

• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043512.html , Zugriff 12.3.2021

• IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak – Bewegung in Algerien,https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/ , Zugriff 17.6.2020

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 18.03.2021

Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (IPB 12.6.2020). Seit Februar 2021 versammeln sich Tausende Bürgerinnen und Bürger jeden Freitag auf den Straßen und demonstrieren für einen umfassenden Politik- und Systemwechsel(BAMF 1.3.2021; vgl. BAMF 8.3.2021).

Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, geführt hat. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara vorhanden. Gruppen, wie die Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’Unité pour je Jihad en Afrique Occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine [Anm.: im Jänner 2013] zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des sogenannten Islamischen Staates (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2020).

2017 gab es (mindestens) vier Anschläge mit eindeutig islamistischem Hintergrund, und zwar in Blida, Constantine, Oued Djemaa (Wilaya Blida), Ferkane (Wilaya Tebessa) und Tiaret. Im selben Jahr wurden 91 Terroristen getötet und 70 verhaftet. Dazu kommen noch 214 verhaftete Sympathisanten. 2019 und 2020 wurden keine terroristischen Angriffe verzeichnet, bei Razzien und Aktionen gegen Terroristen und deren Unterstützer kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften mit tödlichem Ausgang. Im 1 Halbjahr 2020 beliefen sich die Zahlen nach den nicht überprüfbaren Angaben des Verteidigungsministeriums auf zwölf getötete, drei sich ergebende und fünf festgenommene Terroristen. Algerische Behörden verfolgen einen relativ holistischen Ansatz des Kampfes gegen den Terrorismus und binden in ihre Bemühungen zur Deradikalisierung auch Moscheen, Frauen und Familien ein (ÖB 11.2020).

Spezifische regionale Risiken

Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt (AA 1.3.2021; vgl. ÖB 11.2020). Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2020; vgl. BS 29.4.2020). Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali (ÖB 11.2020). In den Grenzgebieten mit den Nachbarländern Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Westsahara besteht große Gefahr von terroristischen Anschlägen oder Entführungsversuchen (BMEIA 10.3.2021; vgl. AA 1.3.2021), ebenso wie in den algerischen Saharagebieten und außerhalb der Bezirke der größeren Städte im nördlichen Landesteil von Algerien, in ländlichen Gebieten und Bergregionen. Terroristische Aktivitäten richten sich in erster Linie gegen die staatliche Sicherheitskräfte (AA 1.3.2021).

Immer wieder versuchen kriminelle, terroristische bzw. bewaffnete Gruppen Algeriens Grenzgebiete für ihre Zwecke zu nutzen bzw. diese zu durchqueren. Die auf Grund politischer Gegebenheiten bzw. mangelnder Ressourcen nicht vorhandene oder zu schwache Präsenz von Sicherheitskräften in den angrenzenden Staaten erleichtert dies. Die algerische Armee hat daher generell die Kontrolle der Grenzregionen verstärkt und angesichts der aktuellen Situation in Libyen und Tunesien auch die Streifen- und Übungstätigkeit in Grenznähe (BMEIA 10.3.2021).

Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistsche Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.3.2021): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilresewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/algeriensicherheit/219044#content_1 , Zugriff 17.3.2021

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (8.3.2021): Briefing Notes, Quelleliegt bei der Staatendokumentation auf

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw09-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 16.3.2021

• BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres [Österreich] (10.3.2021): Reiseinformationen Algerien, Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/ , Zugriff 17.3.2021

• BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf , Zugriff 23.6.2020

• IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak - Bewegung in Algerien,https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/ , Zugriff 17.6.2020

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 18.03.2021

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 11.7.2020). Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen. NGOs kritisieren jedoch weiterhin vor allem Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Einzelne unabhängige Journalisten und Blogger sowie politische Aktivisten werden strafrechtlich verfolgt (AA 28.10.2020). Meinungsund Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020, AI 18.2.2020), die Unabhängigkeit der Justiz ist mangelhaft. Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, inklusive Foltervorwürfe (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020), sowie die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu wählen. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020). Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 13.1.2021, BS 29.4.2020, FH 2021). NGOs kritisieren diese Einschränkungen. Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend. Alle Medienanbieter - auch private - stehen unter Beobachtung (USDOS 11.3.2020). Obwohl manche Zeitungen in Privatbesitz sind, und einige Journalisten eine aggressive Berichterstattung in Bezug auf Regierungsangelegenheiten an den Tag legen, so sind die meisten Zeitungen auf Regierungsbehörden zur Drucklegung und für Werbung angewiesen, was Selbstzensur fördert. Behörden verwenden rechtliche Mechanismen, um Medien zu belästigen und zu zensurieren oder sie bestrafen kontroverse Berichterstattung (FH 2021).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden durch die algerische Verfassung garantiert, dennoch werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 11.7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Folglich sind die Möglichkeiten oppositioneller politscher Tätigkeit weiterhin eng begrenzt: Versammlungen müssen angemeldet sein, Demonstrationen in der Hauptstadt sind theoretisch weiterhin verboten, fanden aber vor der COVID-Pandemie mehrmals wöchentlich statt. Eine Parteigründung ist schwierig, politische Veranstaltungen sind engen Regeln unterworfen und im Grunde auf die dreiwöchigen Kampagnen vor Wahlen beschränkt (ÖB 11.2020). Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 11.7.2020).

Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag demonstrierten Algerier in den Straßen der Hauptstadt Algier und anderswo. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste, zerstreuten die Behörden friedliche Demonstrationen, hielten willkürlich Protestierende fest, blockierten von politischen und Menschenrechtsgruppen organisierte Treffen und inhaftierten Kritiker (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020). Hunderte Hirak-Demonstranten wurden während Protesten Anfang 2020 verhaftet (HRW 13.1.2021). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die regelmäßigen Demonstrationen ab Ende März 2020 ausgesetzt. Ab 17.3.2020 wurden die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit weiter verschärft (IPB 12.6.2020). Die Hirak-Proteste, die im Februar 2019 begannen, wurden von den Behörden zeitweise toleriert, zeitweise wurde mit Tränengas, Wasserwerfern, willkürlichen Verhaftungen und exzessiver Gewaltanwendung gegen die Demonstranten vorgegangen (FH 2021).

Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden (USDOS 11.3.2020). Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte die Gründung von politischen Parteien (BS 29.4.2020), wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Es gibt jedoch islamistisch ausgerichtete Parteien, v.a. jene der Grünen Allianz (USDOS 11.3.2020). Seit Verabschiedung des Parteigesetzes 2012 nahm die Anzahl der Parteien deutlich zu. Dies führte jedoch auch zu einer Zersplitterung der Opposition (BS 29.4.2020). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und – in sehr viel geringerem Umfang – staatlichen Medien. Jedoch haben einzelne Parteien kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind (AA 11.7.2020).

Die CNDH als staatliche Menschenrechtsorganisation (Ombudsstelle) hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land (USDOS 11.3.2020). Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion einer echten Ombudsstelle gegenüber der Verwaltung fehlt [Anm.: die Effektivität der Ombudsstelle ist nur gering] (ÖB 11.2020).

Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen sind aktiv und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2020): Algerien - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160 , Zugriff 12.3.2021

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_11.07.2020.pdf , Zugriff 12.3.2021

• AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/ , Zugriff 26.2.2020

• BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf , Zugriff 23.6.2020

• FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021 , Zugriff 15.3.2021

• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043512.html , Zugriff 12.3.2021

• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Algeria, https://www.hrw.org/worldreport/2020/country-chapters/algeria , Zugriff 15.1.2020

• IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak - Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/ , Zugriff 17.6.2020

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

• USDOS - U.S. Department of State [USA] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 17.3.2020

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung: 18.03.2021

Algeriens ethnische Zusammensetzung ist eine Mischung aus Arabern und Berbern, wobei die große Mehrheit der Algerier berberischen Ursprungs ist. Nur eine Minderheit von etwa 15% identifiziert sich selbst jedoch Berber (CIA 3.3.2021). Keine spezifische ethnische Gruppe dominiert die staatlichen Institutionen, dort sind sowohl Araber als auch ethnische Berber vertreten (FH 2021).

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar. Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung existiert nicht; es liegen auch keine belastbaren Erkenntnisse über tatsächlich erfolgte Diskriminierungen vor (AA 11.7.2020).

Trotz flächendeckender Arabisierung der Bevölkerung haben sich in Gebirgsregionen und den Oasen des Südens Sprache und Traditionen der Berber erhalten; insbesondere die Bewohner der Kabylei setzten sich seit der Unabhängigkeit Algeriens für die Anerkennung ihrer Sprache (Tamazight) und ihrer Kultur ein. Durch die Verfassungsreform von 2016 wurde Tamazight neben dem Arabischen zur Amtssprache erklärt (AA 11.7.2020).

Ethnische (Berber)Minderheiten - vor allem im Süden des Landes - berichten von diskriminierendem Verhalten von Sicherheitskräften. Mozabiten [Anm.: eine muslimische Minderheit] in der Wilaya Ghardaia beklagen, dass sie von Sicherheitskräften nicht ausreichend gegen Gewalt geschützt würden. Demnach agieren Polizei und Gendarmerie parteiisch. Außerdem mache sich bemerkbar, dass Mozabiten vom verpflichtenden Militärdienst praktisch befreit seien und keine Vertreter in Polizei und Gendarmerie entsendeten. Auch in der Kabylei mit einer starken regionalen Identität gibt es immer wieder Klagen über systematische Benachteiligungen und Repressionen (ÖB 11.2020).

Im Jahr 2019 wurden 19 Berber-Aktivisten wegen des Tragens von Berberfahnen während Demonstrationen zu sechs Monaten Haft verurteilt; Tatbestand war Gefährdung der territorialen Integrität Algeriens (FH 2021).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_11.07.2020.pdf, Zugriff 12.3.2021

• CIA - Central Intelligence Agency [USA] (3.3.2021): The World Factbook - Algeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/algeria/, Zugriff 12.3.2021

• FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021, Zugriff 15.3.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 18.03.2021

Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, diese Rechte werden jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt (USDOS 11.3.2020). Nach anderen Angaben können die meisten Bürger innerhalb des Landes und ins Ausland relativ frei reisen (FH 2021). Die Regierung hält aus Gründen der Sicherheit Reiserestriktionen in die südlichen Bezirke El-Oued und Illizi, in der Nähe von Einrichtungen der Kohlenwasserstoffindustrie sowie der libyschen Grenze, aufrecht. Überlandreisen sind aufgrund von Terrorgefahr zwischen den südlichen Städten Tamanrasset, Djanet und Illizi eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2021). Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen (USDOS 11.3.2020). Verheiratete Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2021). Ehefrauen, die älter als 18 Jahre sind, sind Auslandsreisen auch ohne Erlaubnis des Ehemanns gestattet (USDOS 11.3.2020)

Quellen:

• FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021, Zugriff 16.3.2021

• USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices:Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Grundversorgung

Letzte Änderung: 18.03.2021

Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90% der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund der sinkenden Öl- und Gaspreise drastisch zurückgegangen (RLS 7.4.2020; vgl. BS 29.4.2020). Durch den Verfall der Öl- und Gaspreise befindet sich die algerische Wirtschaft seit 2014 in einer Abwärtsspirale. Öffentliche Ausgaben sind angespannt. Steuererhöhungen führten 2019 und Anfang 2020 zu Demonstrationen. Die Corona-Krise 2020 hat die wirtschaftliche Krise weiter vertieft (DI / DTDA 2020).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichketen des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Das Land hat - als eines von wenigen Ländern - in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2020). Algerien hat ein relativ gut ausgebildetes Sozialsystem, dieses ist allerdings von einigen Unausgewogenheiten geprägt, z.B. Ungleichheiten zwischen formal Angestellten und im informellen Sektor Tätigen. Eine Alterspension ist rechtlich für 100% der Bevölkerung vorgesehen, tatsächlich beziehen konnten diese im Jahr 2018 nur 59%. Arbeitslosengeld existiert im formalen Sektor, es ist aber vergleichsweise niedrig (DI / DTDA 2020).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten im Jänner 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 11.7.2020).

Die Arbeitslosigkeit liegt [Stand 2019] bei 11,7%, die Jugendarbeitslosigkeit (15 - 24-Jährige) bei 29,5% (WKO 2.2021); nach anderen Angaben bei 17% bzw. 50% (RLS 7.4.2020). In einer weiteren Quelle wird die Jugendarbeitslosigkeit mit Stand 2020 mit 30% angegeben, v.a. unter Frauen und höher Gebildeten (DI / DTDA 2020). Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit (ÖB 11.2020). Laut Weltbank betrug die Arbeitslosigkeit Ende 2019 12,3%; dieser Wert ist jedoch im Gefolge der COVID-Pandemie sicherlich angestiegen, aktuelle verlässliche Zahlen liegen nicht vor. Schwer zu beziffern ist der informelle Sektor, der laut UN-Quellen (inoffiziell) auf bis zu 60% des Landes geschätzt wird (ÖB 11.2020), nach anderen Angaben arbeiten 38% der Algerier im informellen Sektor (DI / DTDA 2020). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM ( http://www.anem.dz/ ) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.p hppage=apropos ). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. In manchen Regionen stellt der Staat kostenlos Land, Sach- sowie Geldmittel zur Verfügung, um landwirtschaftliche Unternehmungen zu erleichtern. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020% 29%2C_11.07.2020.pdf, Zugriff 12.3.2021

• BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020

• DI / DTDA - Danish Industry / Danish Trade Union Development Agency [Dänemark] (2020): Labour Market Report Algeria - 2020, https://www.ulandssekretariatet.dk/wp-content/uploads/2020/06/LMR-Algeria-2020-final-version1.pdf, Zugriff 17.3.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

• RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (7.4.2020): Zwischen Pandemie-Bekämpfung und politischer Repression, https://www.rosalux.de/news/id/41937/zwischen-pandemie-bekaempfung-und-politischer-repression?cHash=d0f52147ae9940a356cf04f0af11b4a9, Zugriff 17.6.2020

• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.2021): Länderprofil Algerien, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-algerien.pdf, Zugriff 16.3.2021

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 18.03.2021

Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 11.7.2020). Vor allem in Algier sind Privatspitäler entstanden, die nach europäschem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960erJahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Dies soll nun auch aus Kostengründen weiter eingeschränkt werden und entsprechende medizinische Zentren im Land geschaffen werden. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 11.2020).

Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar.

Immer wieder kommt es zu Beschwerden und Protesten über den unzureichenden Zustand des Gesundheitssystems, im Zuge der COVID-Pandemie kam es auch zu tätlichen Übergriffen auf Spitalspersonal. Probleme sind auch bei der Spitalshygiene und Medikamentenversorgung (nur Billigimporte oder lokale Produktion) gegeben. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und sowie von Behinderten. Generell wird, um ein Intensivbett zu kommen oder eines behalten zu können, oft auch zu Bestechung gegriffen (ÖB 11.2020).

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich. Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert (ÖB 11.2020).

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 11.7.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_11.07.2020.pdf , Zugriff 12.3.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Rückkehr

Letzte Änderung: 18.03.2021

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen20.000 DA bis 60.000 DA [Anm.: ca. 126 - 378 Euro] vor (ÖB 11.2020). Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von zwei bis zu sechs Monaten und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 11.7.2020).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist der ÖB nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die solche Unterstützung leisten. Es gibt in Algerien 10.000 angemeldete Vereine, die meisten davon sind Wohltätigkeitsvereine- es ist allerdings nicht bekannt, ob von diesen spezielle Rückkehrhilfe geleistet wird. Generell kann davon ausgegangen werden, dass Familien zurückkehrende Mitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (1.000-2.000€) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Ähnliches gibt es in unterschiedlicher Höhe auch für andere EUStaaten (ÖB 11.2020).

Algerien erklärt sich bei Treffen mit EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsbürger handle. Nachfragen bei EU-Botschaften bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert, allerdings ist der Rhythmus relativ langsam, angeblich maximal 5-10 pro Tag, bzw. auch pro Woche. Algerien behauptet, dass dies auf die insgesamt vielen Rückübernahmen aus zahlreichen Staaten zurückzuführen ist, weil die Aufnahmebehörden sonst überlastet wären. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020% 29%2C_11.07.2020.pdf , Zugriff 12.3.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

COVID-19

Letzte Änderung: 18.03.2021

Die Ausbreitung von Covid-19 führt weiterhin zu Einschränkungen des internationalen Luftund Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens (AA 1.3.2021; vgl. BMEIA 10.3.2021). Algerien ist weiterhin von COVID-19 betroffen. Regionale Schwerpunkte sind der Großraum Algier sowie die Provinzen Blida und Oran. Algerien gilt als Risikogebiet. Die Landgrenzen sind geschlossen. Der internationale Personenflugverkehr aus und nach Algerien und der Fährverkehr sind seit Mitte März 2020 eingestellt. Es finden jedoch regelmäßig Sonderflüge von Algier nach Frankfurt und in einige französische Städte statt (AA 1.3.2021). Die Einreise nach Algerien ist verboten; Ausnahmen ausschließlich mit Sondergenehmigung des algerischen Innenministeriums – vollständige Einreisesperre im März 2021 (BMEIA 10.3.2021). Aufgrund der epidemiologischen Entwicklung gelten derzeit folgende Restriktionen, welche strikt zu beachten sind: - landesweite Ausgangssperre von 22:00 Uhr bis 05:00 Uhr. - unbedingt erforderliche Fahrten während der Ausgangssperre sind zu begründen. - generelle Mund-Nasenschutzpflicht sowie Distanzpflicht im öffentlichen Raum, insbesondere auch in Geschäften (BMEIA 10.3.2021).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt Deutschland [Deutschland] (1.3.2021): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.au swaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/algeriensicherheit/219044 , Zugriff 16.3.2021

• BMEIA - Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (10.3.2021): Algerien - Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/rei seinformation/land/algerien/ , Zugriff 16.3.2021

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Algerien. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Zentralen Fremdenregister (IZR), dem Strafregister und dem zentralen Melderegister wurden ergänzend eingeholt.

Der Beschwerdeführer bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zur Person des Beschwerdeführers, zu seiner Staatsangehörigkeit ergibt sich aus seinen entsprechenden Äußerungen gegenüber dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl; so gab er an, algerischer Staatsangehöriger zu sein und am XXXX geboren zu sein.

Da der Beschwerdeführer entweder nicht im Stande oder nicht Willens war, den österreichischen Behörden identitätsbezeugende Dokumente vorzulegen, steht die Identität nicht fest.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in den bisherigen Einvernahmen vor der belangten Behörde. So gab er an, dass er in keiner dauerhaften ärztlichen Behandlung stehe und er Arbeit suche (AS 361, 364). Soweit der Beschwerdeführer im Beschwerdeschriftsatz vorbringt, dass es bei ihm nach seiner Einreise nach Österreich zu psychischen Probleme gekommen sei (AS 497), ist zu bedenken, dass er zu seinem psychischen Gesundheitszustand in der Folge, kein konkretes weiteres Vorbringen mehr erstattete und auch keinerlei Bescheinigungsmittel vorlegte. Vor diesem Hintergrund kann – zum jetzigen Zeitpunkt – eine schwere oder gar lebensbedrohliche psychische Störung ausgeschlossen werden.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer arabisch spricht, ergibt sich ebenfalls aus den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (AS 361).

Dass er arbeitsfähig ist und in Algerien Maler gewesen ist, ergibt sich aus seinen Angaben vor der belangten Behörde (AS 363, 364).

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer familiäre Anknüpfungspunkte in Algerien hat, ergibt sich aus seinen Angaben vor der belangten Behörde. So gab er an, dass seine Mutter, sein Bruder und seine Schwester in Algerien leben, er den Aufenthalt von seinen Geschwistern jedoch nicht wisse. Auch den Aufenthalt der Mutter würde er nicht wissen, jedoch ist es nicht nachvollziehbar, dass er den Aufenthalt seiner Mutter nicht kennt, da er vor der belangten Behörde angab, dass diese bei ihrer Familie wohne (AS 362). Auch geht der erkennende Richter von einem gewissen Kontakt zu den Familienmitgliedern des Beschwerdeführers aus, da er angibt, dass seine Geschwister und seine Mutter nicht arbeiten würden (AS 362). Würde er nicht in Kontakt zu ihnen stehen, dann wüsste er auch nicht, ob diese beschäftigt sind oder nicht.

Dass er keine Familienangehörige in Österreich und auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten hat, ergibt sich aus seinen Angaben vor der belangten Behörde (AS 363). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich kein Familienleben führt, ergibt sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt. Er gab an weder verheiratet zu sein noch Kinder zu haben (AS 362). Auch der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer zudem Großteils in Haft befand un

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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