TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/20 I419 2210302-1

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Veröffentlicht am 20.08.2021
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Entscheidungsdatum

20.08.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z3
AsylG-DV 2005 §4 Abs2
AsylG-DV 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG-DV 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §55 Abs2
FPG §59 Abs5
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I419 2210302-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX alias XXXX , XXXX , XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX ), StA. MAROKKO, vertreten durch RA Dr. Franz UNTERASINGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19.10.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides wird als unbegründet abgewiesen. Die Spruchpunkte II, III und IV des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist den Spruchpunkt I betreffend gem. Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig. Die Revision, die Spruchpunkte II, III und IV betreffend, ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer befand sich in Schubhaft, deren Verhältnismäßigkeit dieses Gericht am 12.04.2018 bestätigte (W197 2178054-3/2E). Am folgenden Tag beantragte er anwaltlich vertreten die Erteilung „eines humanitären Aufenthaltstitels oder eines Aufenthaltstitels aufgrund der Familienangehörigkeit“.

Das BFA erteilte ihm einen Verbesserungsauftrag, in dem es ihn unter anderem aufforderte, Originale der Dokumente nach § 8 AsylG-DV vorzulegen, da ansonsten der Antrag abzuweisen sei. Er replizierte, dies sei ihm wegen seiner Anhaltung im Polizeianhaltezentrum nicht möglich und legte nach einem neuerlichen Verbesserungsauftrag vom 23.07.2018 mit dem Zusatz, nach der Frist werde anhand der Aktenlage entschieden, Kopien einer Heiratsurkunde und eines handschriftlich ausgefüllten Lichtbildausweises sowie weiterer Schriftstücke vor. Einen weiteren Verbesserungsauftrag ließ er unbeantwortet.

2. Mit dem bekämpften Bescheid wies das BFA den Antrag gemäß § 58 Abs. 11 Z. 2 AsylG 2005 zurück (Spruchpunk I), erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko sowie die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest Spruchpunkte II bis IV).

3. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer habe auf seine Heirat und die Anerkennung der Vaterschaft der zwei Kinder der Gattin hingewiesen. Die Rückkehrentscheidung widerspreche der Achtung des Privat- und Familienlebens, ebenso die Zulässigerklärung der Abschiebung, und zwar ungeachtet der Delinquenz des Beschwerdeführers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise 2010, ferner 2014 und 2017 erfolglos Anträge auf internationalen Schutz. Die Italienische Republik hat gegen ihn 2013 ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Schengen-Raum erlassen.

Das BFA hat ihm am 18.01.2018 keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt, wider ihn eine Rückkehrentscheidung samt fünfjährigem Einreiseverbot erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung nach Marokko festgestellt und keine Frist für die Ausreise gewährt. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am selben Tag ausgehändigt und blieb unbekämpft.

Der Beschwerdeführer ist mit einer Österreicherin verheiratet, die er bereits 2017 als seine Lebensgefährtin angab (und bei der er ab Anfang 2017 schon gewohnt hatte). Er hat die Vaterschaft zu zwei Kindern der Gattin anerkannt, die 2016 und 2017 geboren wurden.

Den jüngsten Asylfolgeantrag des Beschwerdeführers hat das BFA am 12.06.2018 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, ihm keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt, wieder eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung für zulässig erklärt sowie keine Ausreisefrist gewährt. Auch dieser Bescheid wurde ihm am selben Tag ausgehändigt und blieb unbekämpft. Am 03.07.2018 wurde der Beschwerdeführer aus der Schubhaft entlassen und war anschließend bis 28.06.2019 in der Unterkunft seiner Gattin gemeldet (wobei er von 19.09. bis 05.12.2018 in Untersuchungshaft war), dann untergetaucht.

Der Beschwerdeführer hat mehrmals gegen verwaltungsrechtliche Verbote verstoßen und wurde fünfmal strafgerichtlich verurteilt, zuletzt (a) am 16.10.2018 nach dem SMG zu fünf Monaten unbedingter Freiheitsstrafe, die im am 03.03.2021 bedingt nachgesehen wurden, und (b) am 26.09.2019 wegen Unterschlagung zu zwei Monaten unbedingter Freiheitsstrafe, die er von 10.08.2020 bis 09.10.2020 verbüßte. Seither ist er wieder untergetaucht und in Österreich unter keiner seiner bisher verwendeten Identitäten mehr gemeldet.

1.2 Zum Vorbringen:

Der Beschwerdeführer hat dem BFA keine Originalurkunden vorgelegt. Er hat dem BFA insbesondere keinen Reisepass und keine Geburtsurkunde im Original vorgelegt. Seine Identität steht nicht fest. Ferner hat er weder beim BFA noch im Beschwerdeverfahren nachgewiesen, dass es ihm unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, sich ein Reisedokument seines Herkunftsstaates zu beschaffen.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich zunächst aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie der Beschwerde. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

Ferner wurden die Entscheidungen der Schubhaft- bzw. Beschwerdeverfahren dieses Gerichts W171 2178054-2, W197 2178054-3 und I414 2182059-1 eingesehen.

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer nicht nachgewiesen hat, dass es ihm unmöglich oder unzumutbar wäre, sich ein Reisedokument des Herkunftsstaates zu beschaffen, beruht auf dem Vorbringen, wonach er das nicht könne, weil er in Schubhaft sei, und den getroffenen Feststellungen zur Anhaltung des Beschwerdeführers.

Es ist nicht zu sehen, warum es dem Beschwerdeführer – von der Möglichkeit abgesehen, während der Schubhaft zur Botschaft ausgeführt zu werden – seit seiner Entlassung im Juli 2018 nicht möglich gewesen wäre, bis zur Entscheidung des BFA im Oktober die Urkunden zu beschaffen, zumal er den zweiten und den dritten Verbesserungsauftrag erst nach der Schubhaft und rund zwei Monate vor der Untersuchungshaft erhielt und somit wusste, dass er dafür noch Gelegenheit hatte. Erklärungen dafür sind weder dem Vorbringen im Verwaltungsverfahren noch der Beschwerde zu entnehmen (noch hat der Beschwerdeführer erklärt, warum er im Beschwerdeverfahren keine Urkunden nachgereicht hat). Von einem Nachweis der Unmöglichkeit oder Nichtzumutbarkeit kann somit nicht die Rede sein.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde und Teilaufhebung:

3.1 Zur Zurückweisung des Antrags auf einen Aufenthaltstitel (Spruchpunkt I):

3.1.1 Nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z. 1), und dazu noch in Z. 2 genannte Integrationsmerkmale vorliegen. Wenn nur die Voraussetzung der Z. 1 erfüllt ist, dann gebührt gemäß Abs. 2 eine „Aufenthaltsberechtigung“.

3.1.2 Dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sind gemäß § 8 Abs. 1 AsylG-DV 2005 (u. a.) (Z. 1) ein gültiges Reisedokument und (Z. 2) eine Geburtsurkunde oder ein ihr gleichzuhaltendes Dokument anzuschließen. Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht nicht im erforderlichen Ausmaß nach, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, ist nach § 58 Abs. 11 AsylG 2005 (Z. 1) das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels ohne weiteres einzustellen oder (Z. 2) der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen. Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

Wenn das BFA nach den Feststellungen vorliegend statt der Zurückweisung für den Fall der Erfolglosigkeit des Verbesserungsauftrags fälschlich angekündigt hat, dass der Antrag abgewiesen würde, war diese Belehrung – noch dazu dem Rechtsanwalt gegenüber – jedenfalls dem Sinn nach insofern hinreichend, als sie ausdrückt, dass mit einem positiven Verfahrensausgang nicht gerechnet werden kann.

3.1.3 Nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 kann die Behörde auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung (u. a.) eines Mangels nach § 8 AsylG-DV 2005 zulassen, und zwar im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war (Z. 3). In Abs. 2 ist zudem angeordnet, dass die Behörde, wenn sie beabsichtigt, den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen hat.

Der Beschwerdeführer eine solche Heilung nicht ausdrücklich beantragt, inhaltlich aber vorgebracht, dass es ihm nicht möglich sei, Originalurkunden vorzulegen. Dieses Vorbringen hat das BFA rechtlich als Heilungsantrag qualifiziert, wie sich aus der rechtlichen Beurteilung im bekämpften Bescheid ergibt, wo es ausführt: „Die Behörde kann [...] die Heilung [...] über begründeten Antrag zulassen. Sie haben Ihren Reisepass im Original [...] nicht vorgelegt [...]. Der von Ihnen gestellte Mängelheilungsantrag wurde abgewiesen. Dementsprechend ist Ihr Antrag [...] zurückzuweisen.“

Einen Nachweis für seine Behauptung hat der Beschwerdeführer den Feststellungen nach nicht erbracht. Das BFA hat daher die Zurückweisung des Antrags auf Erteilung des Aufenthaltstitels ausgesprochen, aber ohne über das als Heilungsantrag angesehene Vorbringen ausdrücklich abzusprechen.

3.1.4 Dazu, ob über einen Antrag nach § 4 AsylG-DV 2005 explizit im Spruch abgesprochen werden müsse und eine Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 11 Z. 2 AsylG 2005 ohne einen derartigen Spruchpunkt rechtswidrig sei, hat der VwGH ausgesprochen, dass nach der insoweit ganz eindeutigen Bestimmung des § 4 Abs. 2 AsylG-DV 2005 über einen Antrag auf Zulassung der Heilung - sofern ihm nicht stattgegeben wird - in Form der Zurückweisung oder der Abweisung abzusprechen ist. Demnach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass eine derartige negative Entscheidung über einen solchen Antrag in einem eigenen Spruchpunkt des verfahrensabschließenden Bescheides zu erfolgen hat. (17.11.2016, Ra 2016/21/0314)

Davon zu trennen ist nach der zitierten Entscheidung die Frage, ob die Unterlassung der ausdrücklichen Zurück- oder Abweisung des Antrags auf Zulassung einer Mängelheilung in einem eigenen Spruchpunkt auch dann die Rechtswidrigkeit der nach § 58 Abs. 11 Z. 2 AsylG 2005 vorgenommenen Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bewirkt, wenn sich aus der Begründung des Bescheides ohne Zweifel ergibt, dass der Antrag nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 zurück- oder abgewiesen werden sollte. Der VwGH sah sich beim ihm damals vorliegenden Sachverhalt – „dass der in Rede stehende Antrag nicht nur im Spruch, sondern auch in der Begründung überhaupt nicht erwähnt wurde“ – nicht veranlasst, auf diese Frage einzugehen.

3.1.5 Das BVwG kann weder die Entscheidung über den Heilungsantrag selbst nachholen noch inhaltlich über die Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 entscheiden, weil es damit die Sache des Beschwerdeführers überschreiten würde. (Wieder VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314)

Es wäre demnach im Falle der Rechtswidrigkeit des Spruchpunkts I nur dessen ersatzlose Behebung möglich, worauf das Verfahren vom BFA mit der Maßgabe fortzusetzen sein würde, dass der Zurückweisungsgrund der mangelnden Mitwirkung jedenfalls nicht ohne damit verbundene Erledigung des Heilungsantrags herangezogen werden darf.

3.1.6 Geht man mit Blick auf die Rechtsprechung hingegen davon aus, dass auch Fälle vorkommen, bei denen sich aus der Begründung des Bescheides ohne Zweifel ergibt, dass der Antrag nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 abgewiesen werden sollte, woraus sich betreffend die Rechtswidrigkeit der Zurückweisung des „Hauptantrags“ eine andere Folge ergeben kann, so ist im vorliegenden Fall zunächst kein Zweifel an der beabsichtigten Abweisung des Mängelheilungsantrags angebracht, da diese Abweisung vom BFA in der Begründung ausdrücklich als bereits erfolgt angeführt wird.

Der VwGH hat betreffend die Mängelheilung (wieder in Ra 2016/21/0314) ferner geklärt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers über die - einer Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 11 Z. 2 AsylG 2005 vorgelagerte - Frage der mangelnden Berechtigung eines Antrags auf Zulassung der Heilung von Mängeln schon aus Rechtsschutzgründen ausdrücklich abgesprochen werden soll.

3.1.7 Daraus lässt sich aber – infolge der getroffenen Unterscheidung zwischen völlig übergangenen Heilungsanträgen und solchen, über die sich der Begründung des Bescheides eine „unzweifelhafte Antragserledigung“ entnehmen lässt – schlussfolgern, dass ein solcher Abspruch durch das Verwaltungsgericht auch dann zu prüfen ist, wenn er sich nicht im Spruch des bekämpften Bescheids findet. Da dies aber nach dem zitierten Beschluss des VwGH nicht in einer (stattgebenden) Entscheidung über den Heilungsantrag und (dann) noch inhaltlich über die Erteilung des Aufenthaltstitels durch das Verwaltungsgericht geschehen kann, bleibt nur, die vom BFA (erkennbar) getroffene Entscheidung über die „vorgelagerte“ Frage auf ihre Richtigkeit zu prüfen, und – je nach Ergebnis – die Zurückweisung zu bestätigen oder im Sinn des § 28 Abs. 3 und 5 VwGVG aufzuheben.

3.1.8 Da dem genannten Rechtsschutzinteresse durch eine nachträgliche Entscheidung des BFA über den Heilungsantrag nicht Rechnung getragen werden könnte (anders als etwa bei einer unterbliebenen Rückkehrentscheidung), weil deren Bekämpfung auf die allenfalls bereits eingetretene Rechtskraft der Zurückweisung ohne Einfluss wäre, wird ihm nur entsprochen, wenn die Beschwerde gegen die Zurückweisung als Rechtsmittel auch die Pflicht zur Prüfung einer (gegebenenfalls eindeutigen) Entscheidung über den Heilungsantrag auslöst.

Demnach ist fallbezogen zu prüfen, ob der Antrag auf Zulassung der Heilung des Mangels der Nichtvorlage des Reisepasses zu Recht „abgewiesen“, ihm also im Spruch stillschweigend keine Folge gegeben wurde. Diese Frage ist zu bejahen, weil der rechtlich geforderte Nachweis einer Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit nicht erbracht wurde.

3.1.9 Weil der Beschwerdeführer somit der allgemeinen Mitwirkungspflicht im Sinn des § 58 Abs. 11 AsylG 2005 nicht entsprochen hat, hatte das BFA nach Z. 2 dieser Bestimmung den Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels spruchgemäß zurückzuweisen.

Die Beschwerde war also diesen Spruchpunkt I betreffend unbegründet und demnach wie geschehen abzuweisen.

3.2 Zur Aufhebung der Spruchpunkte II bis IV:

3.2.1 Nach § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG ist eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ein Drittstaatsangehöriger sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Das ist beim Beschwerdeführer der Fall. Ebenso ordnet § 52 Abs. 3 FPG an, dass das BFA „unter einem“ mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen hat, wenn ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird. Somit ist auch im vorliegenden Fall die Rückkehrentscheidung grundsätzlich vorgesehen.

Wie allerdings in 1.1 festgestellt, besteht wider den Beschwerdeführer bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vom 18.01.2018 samt einem Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat klargestellt, dass es im Hinblick auf § 59 Abs. 5 FPG dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass im Sinne der Verfahrensökonomie rechtskräftige Rückkehrentscheidungen mit Einreiseverbot gerade bei Folgeanträgen weiter als Rechtsgrundlage für die Außerlandesbringung dienen können. Für diesen Fall sind diese Rückkehrentscheidungen lediglich gemäß § 59 Abs. 6 FPG vorübergehend undurchführbar. (VwGH 31.03.2020, Ra 2019/14/0209 mwN) Im Falle einer rechtskräftigen und aufrechten, mit einem Einreiseverbot verbundenen Rückkehrentscheidung kann die Erlassung einer neuerlichen Rückkehrentscheidung unterbleiben, sofern keine neuen Tatsachen hervorkommen, die eine Neubemessung der Dauer des Einreiseverbotes erforderlich machen. (VwGH 13.02.2018, Ra 2017/18/0332)

Solche Tatsachen haben sich weder ergeben, noch wurden sie nachvollziehbar behauptet. Die in Beschwerde geltend gemachten familiären Anknüpfungen des Beschwerdeführers lagen bereits vor Erlassung des Einreiseverbots vor (wenngleich die Vaterschaftsanerkennungen erst im Monat darauf erfolgten), die erwähnte Eheschließung kurz danach mit der bisherigen Lebensgefährtin erfolgte in Kenntnis dessen und vor der nachfolgenden ebenso rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 12.06.2018. Anschließend wurde der Beschwerdeführer weitere zwei Mal strafgerichtlich verurteilt. Warum also das Einreiseverbot neu bemessen werden (oder gar entfallen) sollte, erschließt sich nicht.

3.2.2 Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dies wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich. Wie dargelegt, war die Rückkehrentscheidung aufzuheben.

Damit entfällt auch die Rechtsgrundlage für den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko in Spruchpunkt III.

3.2.3 Nach § 55 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Da keine Rückkehrentscheidung zu ergehen hatte, hat somit auch der Spruchpunkt IV keine Basis, mit dem eine solche Frist gewährt wurde.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu einer auf § 58 Abs. 11 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung eines Antrags. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer Beschwerdeverhandlung ist im vorliegenden Fall auf Basis des § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG zu beurteilen, wonach eine Verhandlung (u. a. dann) entfallen kann, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zurückzuweisen ist. (Vgl. zu § 58 Abs. 10 AsylG 2005 VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0341 mwN) In den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG liegt es im Ermessen des Verwaltungsgerichtes, trotz Parteiantrages keine Verhandlung durchzuführen.

Ein ausdrücklicher solcher Antrag lag nicht vor, die in der Beschwerde monierte Nichteinvernahme der Ehegattin durch das BFA war kein Hindernis dabei, den Sachverhalt festzustellen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass eine Verhandlung geboten wäre.

Schlagworte

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Einreiseverbot ersatzlose Teilbehebung Kassation Mängelbehebung mangelhafter Antrag Mängelheilung Mitwirkungspflicht Nachweismangel Reisedokument Revision teilweise zulässig Rückkehrentscheidung behoben Spruchpunktbehebung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I419.2210302.1.00

Im RIS seit

21.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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