TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/26 I406 2221848-2

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Veröffentlicht am 26.08.2021
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Entscheidungsdatum

26.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I406 2221848-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Libyan Arab Jamahiriya, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird dem Antrag des Beschwerdeführers vom 27.10.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte um zwei weitere Jahre verlängert.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkte II. bis VIII. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und diese behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein libyscher Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundegebiet ein und stellte am 22.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 21.06.2019, Zl. XXXX , hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Libyen ausgesprochen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

3.       Am 20.12.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer seine Beschwerde hinsichtlich der Nicht-Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zurückzog. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom selben Tag, I417 2221848-1/7E, wurde der Beschwerde hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte stattgegeben und dem Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Libyen der Status des subsidiär Schutzberechtigten für die Dauer von einem Jahr erteilt.

Begründend verwies das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf Seiten 20f der „UNHCR Position on Returns to Libya“.

4.       Am 27.10.2020 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.

5.       Mit Parteiengehör vom 22.12.2020 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit, dass eine Aberkennung seines subsidiären Schutzstatus beabsichtigt sei und übermittelte ihm einen Fragenkatalog zu seinem Privat- und Familienleben. Am 18.01.2021 übermittelte der Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme.

6.        Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 07.06.2021, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 27.10.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der dem Beschwerdeführer mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 20.12.2019 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt II.) und dem Beschwerdeführer die ihm mit Erkenntnis vom 20.12.2019 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 1 AsylG entzogen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt IV.) Gleichzeitig wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt V.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Libyen gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Es wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VII.) und gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz offensichtlich unbegründet gestellt und Libyen aus rein wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Ihm sei lediglich eine subsidiäre Schutzberechtigung zuerkannt worden, weil sich das Bundesverwaltungsgericht einzig und allein auf das UNHCR Dokument „UNHCR Position on Returns to Libya“ gestützt habe. Am 23.10.2020 sei in Libyen ein Waffenstillstand eingetreten und die Gründe für die Gewährung der befristeten Aufenthaltsberechtigung würden nicht mehr vorliegen.

7.       Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 12.07.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige, ledige und kinderlose Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Libyens, bekennt sich zum muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein, wo er sich seit (spätestens) 22.08.2015 aufhält.

Er wurde in Tripolis geboren und lebte in XXXX , wo er zwölf Jahre lang die Schule besuchte und diese mit Matura abschloss. Seinen Lebensunterhalt bestritt er durch die Arbeit in einem XXXX . In Libyen leben die Eltern und zwei Geschwister des Beschwerdeführers.

Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers namens XXXX , geb. am XXXX , lebt in Österreich. Ihm wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019, I417 2129399-1/23E, in zweiter Instanz der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und dieser Status mit Bescheid des BFA vom 16.12.2020, Zl. 1083948804/151158357 für zwei Jahre verlängert.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Gründen für die Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter:

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019, Zl. I417 2221848-1/7E, wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von einem Jahr erteilt.

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers sowie der humanitären Lage bzw. Sicherheits- und Versorgunglage in Libyen kann nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019 wesentlich verändert oder nachhaltig verbessert haben.

1.3. Zur entscheidungsrelevanten Lagen im Libyen:

Zur aktuellen Situation im Libyen werden auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation folgende Feststellungen getroffen:
1.         Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

Kl vom 28.10.2020, relevant für Abschnitte 2 und 3: Historischer Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien

Am 21.10.2020 einigten sich Militärvertreter der rivalisierenden Lager des international anerkannten Ministerpräsidenten Fayez Serraj und des ostlibyschen Warlords Khalifa Haftar bei Gesprächen in Genf unter Vermittlung der UNO darauf, Straßen und Flugverbindungen zwischen den beiden auseinander driftenden Regionen wieder zu öffnen (DS 23.10.2020, vgl. DW 23.10.2020). Die Unterhändler hatten sich in den Tagen davor ebenfalls auf Modalitäten für die Ölförderung geeinigt, um die Produktion wieder ausweiten zu können (DW 23.10.2020).

Die rivalisierenden Lager in dem nordafrikanischen Bürgerkriegsland haben sich anschließend auf einen Waffenstillstand geeinigt (DS 23.10.2020; vgl. Spiegel 27.10.2020, DW 23.10.2020, BBC 24.10.2020). Am 23.10.2020 wurde in Genf eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet (DS 23.10.2020, DW 23.10.2020); der Waffenstillstand soll dauerhaft sein (DW 23.10.2020). Die UNO spricht von einem "historischen Erfolg" (DW 23.10.2020; vgl. DS 23.10.2020).

Politische Gespräche unter Beteiligung von Minderheiten, Frauen und jungen Menschen sollen am 9.11.2020 in Tunesien beginnen (DS 23.10.2020; vgl. Spiegel 27.10.2020, DW 23.10.2020). 75 Vertreter aus der libyschen Politik, dem Militär, der Zivilgesellschaft sollen dann, so will es die UNO, über die Zukunft des Landes verhandeln (Spiegel 27.10.2020). Sobald ein Waffenstillstand erreicht sei, müssten ausländische Kämpfer innerhalb von 90 Tagen unter UNO-Aufsicht das Land verlassen (DS 23.10.2020; vgl. Spiegel 27.10.2020, BBC 24.10.2020). Weiters sollen alle militärischen Einheiten und bewaffnete Gruppen an den Fronten in ihre Basen zurückkehren (BBC 24.10.2020).

Quellen:

- BBC News (24.10.20202): Libya rivals sign ceasefire deal in Geneva, https://www.bbc.com/news/world-africa-54660039, Zugriff 28.10.2020

- DS - Der Standard (23.10.2020): "Historischer" Waffenstillstand im Bürgerkriegsland Libyen, https://www.derstandard.at/storv/2000121158599/uno-beschliesst-waffenstillstand-in-libyen, Zugriff 28.10.2020

- DW - Deutsche Welle (23.10.2020): Waffenstillstand für Libyen unterzeichnet, https://www.dw.com/de/waffenstillstand-f%C3%Bcr-libyen-unterzeichnet/a-55371565, Zugriff 28.10.2020

- Spiegel (27.10.2020): Waffenstillstand in Libyen Der lange Weg zum Frieden, https://www.spieQel.de/Dolitik/ausland/libven-und-der-waffenstillstand-der-lanQe-weQ-zumfrieden-a-f686ef98-39eb-4d53-b766-b91dc41f96ff, Zugriff 28.10.2020

Aktuelle innenpolitische Lage

Libyen bleibt vor dem 10. Jahrestag der Revolution gegen das Gaddafi-Regime ein fragmentiertes, fragiles Land mit eingeschränkter Staatlichkeit und gespaltenen Institutionen.

Die Lage ist in weiten Teilen des Landes sehr unübersichtlich und unsicher. Seit April 2019 kam es im Großraum Tripolis und einigen weiteren Städten im Nordwesten Libyens vermehrt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Kräften der international anerkannten Regierung des Nationalen Einvernehmens und Einheiten der sogenannten Libyschen Nationalen Armee (LNA). Seit dem Rückzug der LNA aus der Hauptstadtregion im Juni 2020 hat sich die Sicherheitslage dort beruhigt. Nach Fortschritten im VN-geführten, aus dem Berliner Prozess hervorgegangenen innerlibyschen Dialog scheint eine politische Lösung des Konflikts möglich. Gleichzeitig bleiben diese Fortschritte fragil, solange maßgebliche Teile der Waffenstillstandsvereinbarung nicht umgesetzt sind. Eine erneute militärische Eskalation oder ein Einfrieren des Konflikts mit dauerhafter militärischer Präsenz regionaler Akteure ist jederzeit möglich.

Die Regierung des Nationalen Einvernehmens (RNE) unter Premierminister Sarraj ist nur eingeschränkt handlungsfähig. Insbesondere ist es ihr nicht gelungen, das staatliche Gewaltmonopol wiederherzustellen. Vom ost-libyschen Benghazi aus agiert eine dem General Haftar nahestehende Parallelregierung. Viele Regionen und Städte werden von bewaffneten Gruppen kontrolliert, die sich einer staatlichen Aufsicht verweigern.

Auch in anderen Landesteilen kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, von denen auch Ausländer betroffen sein können. In den vergangenen Monaten kam es zu Kampfhandlungen u.a. im Süden Libyens in der Region Sabha. Es besteht vielerorts auch nach Ende von Kampfhandlungen eine Gefahr von Landminen.

Die Folgen des Konflikts und der eingeschränkten Handlungsfähigkeit der RNE wirken sich weiter auf Schutz und Versorgung großer Bevölkerungsgruppen aus: Laut Vereinten Nationen (VN) bedurften 2020 ca. 900.000 Menschen in Libyen humanitärer Hilfe. Vorläufigen Angaben der VN zufolge wird die Zahl im Jahr 2021 u. a. aufgrund der Folgen der bewaffneten Auseinandersetzungen und der COVID-19-Pandemie bei etwa 1,3 Millionen Personen liegen.

- Deutsches Auswärtiges Amt: Libyen, Reisewarnung (Abschnitt „Innenpolitische Lage“), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/libyen-node/libyensicherheit/219624, abgerufen am 25.08.2021.

- Deutsches Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045864/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libyen_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_11.02.2021.pdf, abgerufen am 25.08.2021.
2.         Politische Lage

Der Sturz des langjährigen Staatschefs Muammar Gaddafi im Jahr 2011 führte zu einem Machtvakuum und zu Instabilität. Das Land ist zersplittert und seit 2014 in konkurrierende politische und militärische Fraktionen mit Sitz in Tripolis und im Osten des Landes geteilt (BBC 8.6.2020; vgl. ZDF 16.2.2020, USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020).

Zu den wichtigsten Führungspersönlichkeiten gehören Premierminister Fayez Sarraj, Chef der international anerkannten Regierung (Einheitsregierung, Government of National Accord, GNA) in Tripolis; Khalifa Haftar, Führer der Libyschen Nationalarmee (LNA), die einen Großteil des östlichen Libyens kontrolliert; Aghela Saleh, Sprecher des Repräsentantenhauses mit Sitz in der östlichen Stadt Tobruk; und Khaled Mishri, der gewählte Chef des Hohen Staatsrates in Tripolis (BBC 8.6.2020).

Libyen ist eine parlamentarische Republik (AA 16.3.2020). Die GNA hält Gebiete um die Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes. Gegen sie kämpft General Haftar mit Verbündeten, die weite Teile des ölreichen Landes beherrschen (ZDF 16.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020) [Anm.: Details siehe Anschnitt 3. Sicherheitslage]. Libyen verfügt somit über zwei Zentren der Macht: den Präsidialrat unter al-Sarraj und die Behörden in Tobruk und al-Bayda, unter der Führung von General Khalifa Haftar, Kommandeur der LNA und selbsternannter Anti-Islamist (BS 2020). Weder die GNA noch Haftar wurden durch Wahlen legitimiert. Die De-facto-Behörden haben im östlichen Teil des Landes beispielsweise eine parallele Zentralbank und eine staatliche Ölgesellschaft eingerichtet (FH 4.3.2020).

Seit dem 3.8.2011 gilt eine übergangsmäßige „Verfassungserklärung“ bis zu einem Referendum über eine neue Verfassung. Mit dem am 17.12.2015 in Skhirat/Marokko unterzeichneten „Libyschen Politischen Abkommen“ wurde ein Präsidialrat als kollektives Staatsoberhaupt geschaffen, bestehend aus dem Vorsitzenden des Präsidialrats, fünf Stellvertretern und drei Ministern. Nach dem „Libyschen Politischen Abkommen“ ist der Vorsitzende des Präsidialrates Fayez Al Sarraj gleichzeitig als Premierminister Regierungschef (AA 16.3.2020).

Im Juli 2017 vereinbarten die rivalisierenden Seiten einen Waffenstillstand und die Abhaltung von Wahlen im Jahr 2018. Im Mai 2018 trafen sich die beiden Seiten in Paris, um einen Fahrplan für den Frieden zu unterzeichnen. Das Abkommen hat den Konflikt jedoch nicht gelöst, sondern stattdessen rekonfiguriert. Während der Konflikt im Jahr 2015 zwischen zwei rivalisierenden Regierungen ausgetragen wurde, verläuft er jetzt in erster Linie zwischen Befürwortern und Gegnern des von den Vereinten Nationen vermittelten Abkommens (BS 2020).

Der Islamische Staat (IS), der bis 2014 die Kontrolle über Al-Bayda und Benghazi, Sirte, al-Khums und sogar die Hauptstadt Tripolis übernommen hatte, wurde bis Ende 2016 erheblich geschwächt. Nach einem siebenmonatigen Kampf konnten Truppen der Einheitsregierung im Dezember 2016 Sirte als letzte Hochburg des IS räumen. Der IS ist jedoch weiterhin in Libyen aktiv, insbesondere aus „sicheren Häfen“ im unkontrollierten Süden des Landes (BS 2020; vgl. BBC 8.6.2020).

Ausländische Akteure sind in Libyen involviert. Eine Gruppe überwiegend westlicher Länder und der Türkei, unter Führung der Vereinigten Staaten setzt sich für die bedingungslose Unterstützung des Präsidialrats und der GNA ein, wobei sie dem Kampf gegen den IS und der Eindämmung der Ströme von Migranten, Flüchtlingen und Asylsuchenden über das Mittelmeer Vorrang einräumt. Eine zweite Gruppe, angeführt von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland, räumt der Einheit der verbleibenden Armee - insbesondere der LNA von General Haftar - Priorität ein (BS 2020). Das zunehmende Maß an ausländischer Einmischung, Militärinterventionen und konkurrierenden Interessen hat zu einem Stillstand im politischen Prozess geführt. Russland und die Türkei sind nun die Hauptentscheidungsträger in Libyen, eine Dynamik, die die Bemühungen der EU und der UNO um eine Deeskalation des Konflikts und eine Annäherung zwischen den rivalisierenden politischen Einheiten Libyens an den Rand gedrängt und geschwächt hat (Garda 23.8.2020).

Im September 2020 kündigte der Premierminister der GNA Fajis al-Sarradsch seinen bevorstehenden Rücktritt an. Nur wenige Tage zuvor hatte der Regierungschef der Gegenregierung im Osten des Landes, Abdullah al-Thenni, seinen Rückzug erklärt. Zum Rückzug der beiden konkurrierenden Regierungschefs haben ähnliche Dynamiken beigetragen: In beider Einflussbereiche kam es in den Wochen davor immer wieder zu Protesten wegen steigenden Lebenshaltungskosten, den häufigen Unterbrechungen der Stromversorgung und der Treibstoffknappheit (SZ 17.9.2020)

Russland und die Türkei, die in Libyen jeweils Schutzmacht der rivalisierenden Kräfte sind, sind ihrerseits auf einem guten Weg zu einem Übereinkommen. Bereits im August hatten sowohl Serraj in Tripolis als auch der Sprecher des Parlaments im Osten des Landes einen Waffenstillstand ausgehandelt und zu Verhandlungen aufgerufen, daraufhin tagten Verhandlungsteams in Bouznika (Marokko) und Montreux (Schweiz). Sie einigten sich darauf, einen neuen Präsidialrat zu schaffen, der die Regierung über das gesamte Land übernehmen soll, und binnen 18 Monaten Neuwahlen abzuhalten. Gelingt es, bei weiteren Verhandlungen im Oktober die komplizierten Details dieser Einigung auszuhandeln, will Serraj noch im selben Monat abtreten (SZ 17.9.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (16.3.2020): Libyen: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/libyen-node/steckbrief/219608, Zugriff 24.9.2020

- BBC News (8.6.2020): Libya country profile, https://www.bbc.com/news/world-africa-13754897, Zugriff 24.9.2020

- BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

- Garda World (23.8.2020): Libya Country Report – Overview, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/libya, Zugriff 24.9.2020

- SZ - Süddeutsche Zeitung (17.9.2020): Keiner will regieren, https://www.sueddeutsche.de/politik/libyen-keiner-will-regieren-1.5035159, Zugriff 24.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

- ZDF - Zweites Deutsches Fernsehen (16.2.2020): Münchner Sicherheitskonferenz - "Europa muss zu Interventionen bereit sein", https://www.zdf.de/nachrichten/politik/aussenministertreffen-sicherheitskonferenz-libyen-100.html, Zugriff 24.9.2020
3.         Sicherheitslage

Libyen ist seit der Revolution vom 17.2.2011 von einem Bürgerkrieg betroffen und hat einen beispiellosen Prozess des gewaltsamen Staatszerfalls erlebt (BS 2020). Die Lage ist in weiten Teilen des Landes sehr unübersichtlich und unsicher (AA 31.3.2020).

Ab April 2019 kam es im Großraum Tripolis und einigen weiteren Städten im Nordwesten Libyens vermehrt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Kräften der international anerkannten Regierung des Nationalen Einvernehmens und Einheiten der sogenannten Libyschen Nationalen Armee. Auch in anderen Landesteilen kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen (AA 31.3.2020; vgl. MEAÉ 11.5.2020), insbesondere im Zentrum und im Süden des Landes (MEAÉ 11.5.2020). Mit türkischer Unterstützung konnte die GNA im Juni 2020 die LNA aus dem Großraum Tripolis vertreiben und die Kontrolle der LNA über Sirte und das Zentrum des Landes bedrohen (Garda 23.8.2020).

Im Bürgerkrieg zwischen Milizkoalitionen, die lose mit zwei großen konkurrierenden Regierungspolen verbunden sind (Garda 3.9.2020) wird mit wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung operiert. Verschiedene bewaffnete Gruppen beschießen willkürlich Wohngebiete und üben auch kriminelle Aktivitäten aus, darunter Erpressung und andere Formen der Ausbeutung der Zivilbevölkerung (FH 4.3.2020; vgl. AA 31.3.2020).

Sporadische Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppen können zu Kämpfen mit schweren Waffen führen, auch in städtischen Gebieten (MEAÉ 11.5.2020). Nichtstaatliche bewaffnete Gruppen, kriminelle Banden und terroristische Organisationen verüben gezielte Tötungen und Bombenanschläge sowohl gegen Regierungsbeamte als auch gegen Zivilisten (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020). Es gibt viele Berichte über Opfer unter der Zivilbevölkerung als Folge der anhaltenden Feindseligkeiten. Durch Beschuss, Feuergefechte, Luftangriffe und nicht explodierte Sprengkörper kamen im Laufe des Jahres 2019 mehr als tausend Menschen, darunter auch Zivilisten, ums Leben (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020).

Karte: Gebiete unter Kontrolle der Einheitsregierung, unterstützt durch die Türkei (grün); unter Kontrolle der Libyschen Nationalarmee unter Khalifa Haftar, unterstützt durch Russland (blau); und unter Kontrolle durch südliche Stämme (gelb); jeweils Stand August 2020. Die roten Kreise geben die Zahl der Todesopfer bei Kämpfen im Zeitraum 1.1. bis 5.8.2020 an. Quellen: US Energy Information Administration, libya.liveuamap.com, Acled (MD 9.2020).

General Haftar und die Libysche Nationalarmee (LNA) haben sich in den Süden ausgedehnt, angeblich zum Schutz der Ölfelder, was zu einer Eskalation der Gewalt im bisher relativ ruhigen Fezzan geführt hat. Als Reaktion darauf haben die Tebu- und Tuareg-Stämme ein Bündnis unter der Einheitsregierung (GNA) geschlossen, um den Vormarsch der LNA zu stoppen (BS 2020). Vorübergehende Allianzen zwischen Regierungselementen, nichtstaatlichen Akteuren und ehemaligen oder aktiven Offizieren der Streitkräfte, die sich an extralegalen Kampagnen beteiligten, machen es schwierig, die Rolle der Regierung bei Angriffen bewaffneter Gruppen zu ermitteln (USDOS 11.3.2020).

Der Islamische Staat (IS) wurde bis Ende 2016 erheblich geschwächt, ist jedoch weiterhin in Libyen aktiv. Er operiert insbesondere aus „sicheren Häfen“ im unkontrollierten Süden des Landes (BS 2020; vgl. Garda 3.9.2020). Der IS bekannte sich im Laufe des Jahres 2019 zu verschiedenen Angriffen auf zivile und militärische Gebiete (USDOS 11.3.2020). In einigen Fällen operieren ausländische Söldner mit Unterstützung ihrer Heimatregierungen. Beispielsweise soll die Wagner-Gruppe Berichten zufolge bei der Offensive der LNA auf Tripolis Kommando- und Kontrollunterstützung geleistet haben, wobei es bei Scharfschützenbeschuss durch Wagner-Personal zu mehreren Opfern kam (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (31.3.2020): Libyen: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libyensicherheit/219624, Zugriff 22.9.2020

- BBC News (8.6.2020): Libya country profile, https://www.bbc.com/news/world-africa-13754897, Zugriff 24.9.2020

- BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

- Garda World (23.8.2020): Libya Country Report – Overview, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/libya, Zugriff 24.9.2020

- Garda World (3.9.2020): Libya Country Report – War Risks, Terrorism, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/libya, Zugriff 24.9.2020

- MD - Monde Diplomatique, le / Céline Marin (9.2020): Libya divided, https://mondediplo.com/maps/libya-divided, Zugriff 24.9.2020

- MEAÉ - Ministère de l’Europe et des Affaires Étrangères [Außenministerium der Republik Frankreich] (11.5.2020): Conseils par pays - Libye, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/libye/, Zugriff 23.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020
4.         Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassungserklärung sieht ein unabhängiges Justizwesen vor und legt fest, dass jede Person das Recht hat, sich an das Justizsystem zu wenden. Die Verfassungserklärung sieht die Unschuldsvermutung und das Recht auf einen Rechtsbeistand vor, der dem Beschuldigten auf öffentliche Kosten zur Verfügung gestellt wird. Diese Standards werden weder von der Einheitsregierung (GNA) noch von nichtstaatlichen Akteuren erfüllt (USDOS 11.3.2020).

Das Justizsystem ist im Wesentlichen zusammengebrochen; die Gerichte sind in weiten Teilen des Landes nicht mehr funktionsfähig. In einigen Fällen haben informelle Streitbeilegungsmechanismen die Lücke gefüllt (FH 4.3.2020; vgl. BS 2020). Richter, Anwälte und Staatsanwälte sehen sich häufigen Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, BS 2020). Seit der Revolution von 2011 wird das Recht der Bürger auf einen fairen Prozess und ein ordnungsgemäßes Verfahren durch die anhaltende Einmischung bewaffneter Gruppen und die Unfähigkeit, Zugang zu Anwälten und Gerichtsdokumenten zu erhalten, infrage gestellt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Milizen und halboffizielle Sicherheitskräfte führen regelmäßig ungestraft willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen und Einschüchterungen durch (FH 4.3.2020; vgl. BS 2020).Tausende Gefangene haben keinen Zugang zu Anwälten und Informationen über die gegen sie erhobenen Anklagen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, AI 18.2.2020). Die insgesamt mangelnde Sicherheitslage behindert die Rechtsstaatlichkeit weiter. Zivil- und Militärgerichte arbeiteten, je nach örtlicher Sicherheitslage, sporadisch; insbesondere in den von anhaltenden Feindseligkeiten betroffenen Gebieten und im Süden des Landes (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2025836.html, Zugriff 24.9.2020

- BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020
5.         Sicherheitsbehörden

Milizen, bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte, die der von den Vereinten Nationen unterstützten Einheitsregierung (Govermnent of National Accord – GNA) unter Führung von Premierminister Fayez al-Sarraj mit Sitz in Tripolis bzw. der selbsternannten Libyschen Nationalarmee (LNA) unter Führung von General Khalifa Haftar, die der Übergangsregierung im Osten Libyens angeschlossen sind, operieren weiterhin außerhalb der Rechtsstaatlichkeit (AI 18.2.2020).

Die GNA hat nur eine begrenzte effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte, die aus einer Mischung aus semi-regulären Einheiten, nichtstaatlichen bewaffneten Stammesgruppen und zivilen Freiwilligen bestehen. Die nationale Polizei, die dem Innenministerium untersteht, ist offiziell für die innere Sicherheit zuständig. Für die Außenverteidigung sind hauptsächlich die dem Verteidigungsministerium unterstellten Streitkräfte zuständig, aber sie unterstützen auch die Kräfte des Innenministeriums in Fragen der inneren Sicherheit. Zivile Behörden haben nur eine nominelle Kontrolle über die Polizei und den Sicherheitsapparat und die Polizeiarbeit fällt im Allgemeinen in den Zuständigkeitsbereich verschiedener informeller bewaffneter Gruppen, die Gehälter von der Regierung erhalten und die Strafverfolgung ohne formelle Ausbildung oder Aufsicht und mit unterschiedlichem Grad von Rechenschaftspflicht ausüben (USDOS 11.3.2020).

Im Laufe des Jahres 2019 verschärften sich die Konflikte zwischen bewaffneten nichtstaatlichen Gruppen, die mit der GNA verbündet sind, und anderen nichtstaatlichen Akteuren. Die LNA übt in wechselndem Umfang Kontrolle über den größten Teil des libyschen Territoriums aus. Informelle nichtstaatliche bewaffnete Gruppen füllen das Sicherheitsvakuum im ganzen Land. Einige dieser Gruppen schlossen sich im Westen des Landes der GNA an, um Zugang zu staatlichen Ressourcen zu erhalten (USDOS 11.3.2020).

Milizen, bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte begehen schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, einschließlich Kriegsverbrechen (AI 18.2.2020). Die Fähigkeit und Bereitschaft der Regierung, Missbräuche zu untersuchen oder strafrechtlich zu verfolgen, ist stark eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2025836.html, Zugriff 24.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020
6.         Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassungserklärung und nach-revolutionäre Gesetzgebung verbietet Folter (USDOS 11.3.2020). Folter und andere Misshandlungen sind in Gefängnissen, Haftanstalten und inoffiziellen Haftanstalten jedoch weit verbreitet (AI 18.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Bewaffnete Gruppen, von denen sich einige der Einheitsregierung (GNA) oder der Übergangsregierung angeschlossen haben, führen außergerichtliche Hinrichtungen, Entführungen, Folter und erzwungenes Verschwindenlassen durch (HRW 14.1.2020). Es gibt Berichte über grausame und erniedrigende Behandlung in staatlichen und extralegalen Haftanstalten, darunter Schläge, Verabreichung von Elektroschocks, Verbrennungen und Vergewaltigungen (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Quellen:

- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2025836.html, Zugriff 24.9.2020

- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2022716.html, Zugriff 23.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020
7.         Korruption

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Beamte wegen Korruption vor (USDOS 11.3.2020). Der Inlandskonflikt und die Schwäche der öffentlichen Institutionen untergraben die Umsetzung des Gesetzes (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Korruption ist weit verbreitet (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Es fehlen grundlegende Mechanismen zur Verfolgung von Korruption bei Polizei und Sicherheitskräften (USDOS 11.3.2020).

Im Index der Korruptionswahrnehmung (CPI, Corruptions Perception Index) von Transparency International für das Jahr 2019 liegt Libyen auf Rang 168 von 180 untersuchten Staaten (TI 23.1.2020). Instabilität, Terrorismus, Krieg und Konflikte sind Gründe, warum Libyen am unteren Ende des Index’ verbleibt (TI 29.1.2019).

Quellen:

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

- TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://images.transparencycdn.org/images/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 24.9.2020

- TI - Transparency International (29.1.2019): Middle East & North Africa: corruption continues as institutions and political rights weaken, https://www.transparency.org/en/news/regional-analysis-mena, Zugriff 24.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020
8.         Wehrdienst und Rekrutierungen

Die Regierung der Nationalen Einheit (GNA) hat verschiedene Boden-, Luft-, See- und Küstenwachkräfte unter ihrem Kommando; die Streitkräfte bestehen aus einer Mischung aus halbregulären Militäreinheiten, Stammesmilizen, zivilen Freiwilligen sowie ausländischen Truppen und Söldnern. Zu den Streitkräften unter Khalifa Haftar, bekannt als die Libysche Nationalarmee (LNA), gehören ebenfalls verschiedene Boden-, Luft- und Marineeinheiten, die sich aus halbregulären Militärangehörigen, Stammesmilizen sowie ausländischen Truppen und Söldnern zusammensetzen. Die Größe der Streitkräfte sowohl der Regierung der Nationalen Einheit als auch der Libyschen Nationalarmee ist unbekannt (CIA 10.9.2020).

Das Mindestalter für den verpflichtenden oder freiwilligen Militärdienst liegt bei 18 Jahren (BI 10.10.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Es gibt Berichte über vermehrte Rekrutierung von Kindern durch nichtstaatliche bewaffnete Gruppen, die nicht über formale Altersgrenzen verfügen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

- BI - Brookings Institution (10.10.2019): APPENDIX 1: Public Opinion and National Service, https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2019/10/National-Service_APPENDICES-1.pdf, Zugriff 24.9.2020

- CIA - Central Intelligence Agency (10.9.2020): The World Factbook – Libya, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ly.html, Zugriff 23.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020
9.         Allgemeine Menschenrechtslage

Libyen wird seit einem bewaffneten Volksaufstand im Jahr 2011, bei dem der langjährige Diktator Mu'ammar al-Qaddafi abgesetzt wurde, von internen Spaltungen und zeitweiligen Bürgerkriegen heimgesucht. Internationale Bemühungen, rivalisierende Verwaltungen in einer Einheitsregierung zusammenzuführen, sind gescheitert, und die Einmischung regionaler Mächte hat die jüngsten Kämpfe verschärft. Die Verbreitung von Waffen und autonomen Milizen, blühende kriminelle Netzwerke und die Präsenz extremistischer Gruppen haben allesamt zur mangelnden physischen Sicherheit im Lande beigetragen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die anhaltende Gewalt hat Hunderttausende von Menschen vertrieben und die Menschenrechtslage hat sich stetig verschlechtert (FH 4.3.2020; vgl. BS 2020). Milizen, bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte begehen schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, darunter auch Kriegsverbrechen (AI 18.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Nach 2011 erlebte Libyen ein Wiederaufleben zivilgesellschaftlicher Aktivitäten, die 42 Jahre lang unterdrückt wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind weiterhin präsent und konzentrieren sich in erster Linie auf humanitäre Hilfe. Ihre Zahl ist seit 2014 zurückgegangen. Aufgrund gezielter Angriffe auf Aktivisten der Zivilgesellschaft sind jedoch viele von ihnen geflohen und operieren aus dem Ausland (BS 2020).

Milizen, bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte unterdrücken die Meinungsfreiheit, indem sie Politiker, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und andere Aktivisten schikanieren, entführen und angreifen. Die libyschen Behörden schützen Frauen nicht vor geschlechtsspezifischer Gewalt durch Milizen und bewaffnete Gruppen (AI 18.2.2020; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Gemäß Strafgesetzbuch wird die sexuelle Betätigung zwischen Angehörigen des gleichen Geschlechts mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Sexuelle Minderheiten sind mit schwerer Diskriminierung und Belästigung konfrontiert und wurden von militanten Gruppen ins Visier genommen (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020, USDOS 11.3.2020).

Ausländische Staatsangehörige, die auf dem Weg nach Europa als Asylsuchende und Migranten durch Libyen reisen, sind Erpressung, Folter, Entführung und sexueller Gewalt durch kriminelle Banden ausgesetzt, die in Schmuggel und Menschenhandel verwickelt sind (BS 2020; vgl. AI 18.2.2020, USDOS 11.3.2020).

Quellen:

- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2025836.html, Zugriff 24.9.2020

- BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020
10.         Haftbedingungen

Überbelegte Gefängnisse, in denen harte und lebensbedrohende Haftbedingungen herrschen, entsprechen nicht internationalen Standards. Viele Gefängnisse befinden sich nicht unter der Kontrolle der Regierung. Berichten zufolge gibt es keine Jugendstrafanstalten im Land und die Behörden halten Jugendliche in Gefängnissen für Erwachsene fest, wenn auch manchmal in getrennten Abschnitten. Oft gibt es getrennte Einrichtungen für Männer und Frauen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Die Strafvollzugsbehörden, die oft nur nominell der einen oder anderen rivalisierenden Regierung unterstellt sind, halten weiterhin Tausende von Gefangenen ohne Anklage in langfristiger willkürlicher Haft (HRW 14.1.2020).

Quellen:

- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2022716.html, Zugriff 23.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020
11.         Todesstrafe

Im Strafgesetz bestehen 30 Paragraphen, welche die Todesstrafe vorsehen. Seit 2010 wurde kein Todesurteil vollstreckt (HRW 12.1.2017; vgl. DPW 17.9.2020). Im Jahr 2019 wurden keine Todesurteile verhängt; im Jahr davor 45 (AI 21.4.2020).

Quellen:

- AI - Amnesty International (21.4.2020): Death sentences and executions 2019, https://www.amnesty.org/download/Documents/ACT5018472020ENGLISH.PDF, Zugriff 23.9.2020

- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2022716.html, Zugriff 23.9.2020

- DPW - Death Penalty Worldwide (17.9.2020): Death Penalty Database – Libya; Annual Number of Reported Executions, https://dpw.pointjupiter.co/country-search-post.cfm?country=Libya, Zugriff 23.9.2020
12.         Bewegungsfreiheit

Die Verfassung gewährleistet Bewegungsfreiheit, inklusive Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Gesetzlich ist die Regierung dazu befugt, die Bewegungsfreiheit einer Person einzuschränken, wenn diese nach Ansicht der Behörde eine „Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Stabilität“ darstellt, basierend auf „früheren Handlungen oder Verbindungen zum ehemaligen Regime“ der betreffenden Person. Es gibt Berichte, dass bewaffnete Gruppen, die Flughäfen innerhalb des Landes kontrollierten, stichprobenartige Kontrollen von abfliegenden nationalen und internationalen Reisenden durchführen, da das Land kein einheitliches Zoll- und Einwanderungssystem besitzt (USDOS 11.3.2020).

Die Reisefreiheit im Inland ist eingeschränkt (BS 2020). Reisen im Land ist durch Kampfhandlungen vielerorts weiterhin sehr gefährlich, dazu kommen schlechte bzw. unbefestigte Straßen und mangelnde Sicherheitsstandards von Fahrzeugen, die zu einer hohen Unfallrate führen (AA 31.3.2020; vgl. MAE 7.8.2020, Garda 5.4.2019). Die Infrastruktur im Land hat unter den Kriegswirren erheblich gelitten. In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen wie insbesondere die wichtigste Verbindungsstrecke von West nach Ost entlang der Küste gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig willkürliche Kontrollen durchführen. Überlandstraßen und Autobahnen wie auch Grenzübergänge sind zeitweise gesperrt (AA 31.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die wichtigsten Flughäfen (z.B. der internationale Flughafen von Tripolis, der derzeit wiederaufgebaut wird) wurden in den letzten Jahren durch Kämpfe schwer beschädigt. Es gibt Verbesserungen bei den Inlands- und internationalen Flügen, die jetzt vom internationalen Flughafen Benina in Benghazi aus durchgeführt werden. Der Hauptzugang nach Tripolis erfolgt über Flüge von Tunesien zum Flughafen Mitiga mit begrenzter Kapazität. Die Kämpfe in diesem Gebiet haben jedoch wiederholt zur zeitweiligen Schließung des Flughafens geführt (Garda 5.4.2019; vgl. MAE 7.8.2020, MEAÉ 11.5.2020, AA 31.3.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (31.3.2020): Libyen: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libyensicherheit/219624, Zugriff 22.9.2020

- BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

- Garda World (5.4.2019): Libya Country Report – Transportation, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/libya, Zugriff 23.9.2020

- MAE - Ministerio degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale [Außenministerium der Republik Italien] (7.8.2020): Viaggiare Sicuri Informatevi – Libia, http://www.viaggiaresicuri.it/country/LBY, Zugriff 23.9.2020

- MEAÉ - Ministère de l’Europe et des Affaires Étrangères [Außenministerium der Republik Frankreich] (11.5.2020): Conseils par pays - Libye, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/libye/, Zugriff 23.9.2020

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020
13.         Grundversorgung

Libyen hat die größten bestätigten Erdölreserven Afrikas (48 Mio. Barrel). Libyen ist unter den nordafrikanischen Staaten aber auch mit Abstand am meisten vom Ölexport abhängig, denn 62 % der staatlichen Einnahmen (lt. Budget 2015), 60 % des Bruttoinlandsprodukts (Stand 2014) und ca. 72% der Exportumsätze werden mit Erdöl und Erdgas erwirtschaftet (2014 waren es noch knapp 95%) (WKO 15.6.2020).

Positive Trendwenden in Libyen sind weiterhin nur Teil der bekannt volatilen Gesamtsituation. Ende 2017 - Anfang 2018 konnte man von einer gewissen Stabilität sprechen (WKO 15.6.2020). Der Rückfall Libyens in den Bürgerkrieg im April 2019 hat die wirtschaftlichen Aktivitäten eingeschränkt und die Schwierigkeiten, denen die Bevölkerung ausgesetzt ist, noch verschärft. Die anhaltende politische Unsicherheit macht eine wirtschaftliche Stabilisierung, geschweige denn eine Erholung, unwahrscheinlich. Das Wachstum bleibt inmitten einer Deflation gedämpft, das Haushaltsdefizit bleibt hoch, obwohl die unterdrückten Importe zu Leistungsbilanzüberschüssen beitragen und den Druck auf die Währungsreserven mindern (WB 1.5.2020; vgl. WKO 15.6.2020).

Libyens Wirtschaft ist durch die angespannte politische Situation stark unter Druck gekommen. Aufgrund vorherrschender Kampfhandlungen etc. wird Rohöl seit 2014 sehr mangelhaft gefördert und exportiert. Dies verursachte in den Jahren 2014-2017 direkte und indirekte Verluste von USD 160 Mrd. Insgesamt sanken die Exporte seit 2012 (USD 62 Mrd.) um fast 90% auf USD 6,8 Mrd. 2016. 2017 und 2018 kam es zwar zu einem Exportzuwachs, Exporte von USD 18,8 u. 29,8 Mrd. sind jedoch für Libyen nicht ausreichend. 2019 fielen die Exporte auf USD 25,7 Mrd. und die Prognose für 2020 ist mit USD 8,4 Mrd. horrend. Zum Schutz der Devisenreserven lässt die Zentralbank kaum einen Devisenhandel zu (WKO 15.6.2020). Trotz dieses unsicheren Umfelds ist es Libyen gelungen, durchschnittlich eine Million Barrel Öl pro Tag zu fördern (WB 1.5.2020).

Im Jänner 2020 begann eine Blockade von Produktion und Export von Öl durch das Oberkommando der Libyschen Nationalarmee (LNA) unter General Khalifa Haftar, wodurch Libyen um Einnahmen in Milliardenhöhe gebracht wurde. Das Ende dieser Blockade wurde am 18.9.2020 verkündet. Die Aufhebung geschehe im Schatten der schlechten wirtschaftlichen Lebensverhältnisse, unter denen die Libyer litten (NZZ 21.9.2020).

Die libysche Bevölkerung leidet unter einer schweren humanitären Krise. Dazu gehören Armut, Unsicherheit, Vertreibung, Mangel an Nahrungsmitteln und Bargeld sowie häufige Stromausfälle (WFP 30.3.2020; vgl. BS 2020). Die Versorgung mit Lebensmitteln, die bereits eine Herausforderung darstellt, wird durch die Verbreitung von COVID-19 weiter gefährdet. In den meisten Städten gibt es einen Mangel an Grundnahrungsmitteln in Verbindung mit einem Anstieg der Preise (WHO 13.5.2020; vgl. BS 2020). Der wirtschaftliche Niedergang Libyens betrifft die gesamte Bevölkerung; jedoch sind Gruppen, die bereits vor dem Konflikt benachteiligt waren, wie Jugendliche und Frauen, am stärksten betroffen (BS 2020).

Soziale Sicherheitsnetze fehlen fast vollständig. Die Existenz von zwei parallelen Regierungen hat zu einem politischen Vakuum und in Folge zum Zusammenbruch der öffentlichen Verwaltung und der Erbringung staatlicher Leistungen geführt. Diese Aufgaben werden punktuell von Milizen und Gemeindeführern übernommen. Die einzigen verfügbaren sozialen Sicherheitsnetze sind Familie, Gemeinschaft und Stamm (BS 2020).

Etwa 897.000 Menschen (bei ca. 6,7 Millionen Einwohnern) benötigen humanitäre Hilfe, davon 317.000 Nahrungsmittelhilfe. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) übernimmt u.A. regelmäßige und dringende Verteilung von Nahrungsmitteln im ganzen Land sowie Food-for-Training zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit und zur Weiterqualifikation von Jugendlichen und Frauen (WFP 30.3.2020).

Quellen:

- BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (21.9.2020): EU verhängt Sanktionen wegen Verstössen gegen Libyen-Embargo – die neusten Entwicklungen im libyschen Bürgerkrieg, https://www.nzz.ch/international/libyen-konflikt-die-neusten-entwicklungen-und-hintergruende-ld.1477595, Zugriff 23.9.2020

- WB - The World Bank (1.5.2020): The World Bank in Libya – Overview, https://www.worldbank.org/en/country/libya/overview, Zugriff 23.9.2020

- WFP - Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (30.3.2020): Libya, https://www.wfp.org/countries/libya, Zugriff 23.9.2020

- WHO - Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (13.5.2020): Joint statement on Libya: OCHA, UNICEF, IOM, UNHCR, WFP, WHO, UNFPA, Zugriff 23.9.2020

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich, AußenwirtschaftsCenter Kairo (15.6.2020): Die libysche Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-libysche-wirtschaft.html, Zugriff 23.9.2020
14.         Medizinische Versorgung

Das libysche Gesundheitssystem steht am Rande des Zusammenbruchs. Aufgrund der anhaltenden Gewalt im ganzen Land sind 75% der Gesundheitseinrichtungen geschlossen oder nur teilweise funktionstüchtig (BS 2020; vgl. MEAÉ 11.5.2020). Die medizinische Versorgung ist insbesondere außerhalb der Hauptstadt vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 31.3.2020). Es herrscht darüber hinaus erheblicher Personalmangel im medizinischen Bereich (MEAÉ 11.5.2020; vgl. AA 31.3.2020).

Es kommt immer wieder zu Angriffen auf und Beschuss von Spitälern, Ambulanzen und Gesundheitspersonal, bei denen auch zivile Todesopfer zu beklagen sind (BS 2020; vgl. AI 22.10.2019, AnAg 20.4.2020, AJ 14.5.2020, NH 10.6.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation berichtet, dass mehr als 71% der Menschen mit chronischen Krankheiten unter Medikamentenmangel leiden (BS 2020). MedCOI kann zu Libyen keine verlässlichen Informationen zur Verfügbarkeit von Behandlungen und Medikamenten zur Verfügung stellen (MedCOI 10.8.2020a, b).

Standardmäßige medizinische Beratung in einer Privatklinik kostet ca. 20 Euro, ein Arztbesuch ca. 23-35 Euro. Preis pro Tag im Krankenhaus: 100-150 Euro exklusive Behandlungen und Medikamenten (MSZ o.D.).

Die epidemiologische Entwicklung der COVID-19-Pandemie ist im Vergleich zu Europa um etwa sechs Monate verzögert (MAE 7.8.2020). Im August 2020 stieg die Zahl der bestätigten Infektionen um das Vierfache und lag am 31.8.2020 bei 14.624 bestätigten Infektionen und 242 Todesfällen. In einigen Großstädten, darunter Tripolis und Sebha, kommt es zu einer unkontrollierten Übertragung (UNOCHA 15.9.2020). Es gibt einen anhaltenden und akuten Mangel an Kapazitäten bei Tests und der Kontaktverfolgung sowie an adäquaten Gesundheitseinrichtungen (UNOCHA 15.9.2020; vgl. MAE 7.8.2020). Ebenso sind, trotz Bemühungen der lokalen Behörden, die Möglichkeiten der Isolierung von Infektions- und Verdachtsfällen begrenzt (MAE 7.8.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (31.3.2020): Libyen: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libyensicherheit/219624, Zugriff 22.9.2020

- AI - Amnesty International (22.10.2019): Libya‘s Relentless Militia War - Civilians Harmed in the Battle for Tripoli, April - August 2019, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1912012019ENGLISH.PDF, Zugriff 22.9.2020

- AJ - Al Jazeera (14.5.2020): Libya: Tripoli hospital attacked by 'Haftar's missiles', https://www.aljazeera.com/news/2020/05/libya-tripoli-hospital-attacked-haftar-missiles-200514110305740.html, Zugriff 22.9.2020

- AnAg - Anadolu Agency (20.4.2020): UN: 23 health facilities shelled in Libya in year, https://www.aa.com.tr/en/africa/un-23-health-facilities-shelled-in-libya-in-year/1810990, Zugriff 22.9.2020

- BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

- MAE - Ministerio degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale [Außenministerium der Republik Italien] (7.8.2020): Viaggiare Sicuri Informatevi – Libia, http://www.viaggiaresicuri.it/country/LBY, Zugriff 23.9.2020

- MEAÉ - Ministère de l’Europe et des Affaires Étrangères [Außenministerium der Republik Frankreich] (11.5.2020): Conseils par pays - Libye, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/libye/, Zugriff 23.9.2020

- MedCOI / International SOS (10.8.2020a): BMA 13821, Zugriff 22.9.2020

- MedCOI / International SOS (10.8.2020b): BMA 13867, Zugriff 22.9.2020

- MSZ – Ministerstwo Spraw Zagranicznych [Außenministerium der Republik Polen] (o.D.): Informacje dla podró?uj?cych – Libia, https://www.gov.pl/web/dyplomacja/libia, Zugriff 23.9.2020

- NH - The New Humanitarian (10.6.2020): Libyan doctors battle on two dangerous fronts: COVID-19 and war, https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2020/06/10/Libya-war-coronavirus-hospital-doctors, Zugriff 22.9.2020

- UNOCHA - United Nations Organization for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.9.2020): Libya Situation Report, https://reports.unocha.org/en/country/libya, Zugriff 22.9.2020
15.         Rückkehr

Das Rückkehrpotenzial ist in sicheren Gebieten minimal, da die allgemeine Sicherheitslage keine Lagebeurteilung und internationale Unterstützung zulässt. Für die meisten Binnenvertriebenen - einschließlich der Menschen, die seit Ausbruch der Krise im Jahr 2011 vertrieben wurden - gibt es angesichts der herrschenden Spannungen zwischen den Gemeinschaften keine unmittelbare Aussicht auf eine Rückkehr (IOM o.D.).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie sind Linienflüge nach Libyen mit Stand Ende September 2020 ausgesetzt (IATA 23.9.2020 / 7.7.2020). Bei der Einreise muss ein PCR-Test gemacht werden. Personen mit Symptomen werden ins nächstgelegen Isolationszentrum verbracht. Auch Personen, die negativ getestet wurden, müssen zehn Tage Heimquarantäne einhalten (LO 16.9.2020).

Quellen:

- IATA - International Air Transport Association (23.9.2020) COVID-19 Travel Regulations Map* (powered by Timatic) - 23 September 2020 05:30:10 UTC – Libyia [Information veröffentlicht 7.7.2020], https://www.iatatravelcentre.com/world.php, Zugriff 23.9.2020

- IOM - International Organization for Migration (o.D.): IOM Libya Brief, https://www.iom.int/countries/libya, Zugriff 22.9.2020

- LO - The Libya Observer (16.9.2020): Covid-19 advisory committee insists on testing and quarantine restrictions for returnees, https://www.libyaobserver.ly/health/covid-19-advisory-committee-insists-testing-and-quarantine-restrictions-returnees, Zugriff 23.9.2020

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Libyen. Außerdem wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Zentralen Fremdenregister (IZR) und der Grundversorgung GVS) ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Nachdem der Beschwerdeführer im Verfahren keine unbedenklichen identitätsbezeugenden Dokumente im Original in Vorlage bringen konnte, steht seine Identität nicht fest.

Die Feststellungen zu seiner Volljährigkeit, seinem Familienstand, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Glaubenszugehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und zu seinen Lebensumständen gründen sich auf die glaubhaften und gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren.

Die Feststellungen, wonach er in Tripolis geboren ist und in XXXX aufgewachsen ist, ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Die Angaben zu seiner Schulbildung, Berufstätigkeit, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit sowie dem Verbleib seiner Familienangehörigen tätigte der Beschwerdeführer bereits vor der belangten Behörde und blieben diese auch im Beschwerdeverfahren gleichbleibend.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019 subsidiärer Schutz gewährt wurde, ergibt sich aus dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes zum Verfahren I417 2221848-1.

Die Feststellung, wonach dem Bruder des Beschwerdeführers ebenfalls mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019 subsidiärer Schutz gewährt wurde und dieser Status (im Gegensatz zum subsidiären Schutzstatus des Beschwerdeführers) mit Bescheid des BFA vom 16.12.2020 um zwei Jahre verlängert wurde, ergibt sich aus dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes zum Verfahren I417 2129399-1 sowie einer zusätzlich eingeholten Auskunft aus dem zentralen Fremdenregister.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.2      Zu den Gründen für die Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter:

Die Feststellung, wonach sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019 nicht wesentlich und nachhaltig verändert haben, konnte im Lichte eines Vergleichs der individuellen Situation des Beschwerdeführers sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Libyen zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes einerseits und zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides bzw. der vorliegenden Entscheidung andererseits getroffen werden. Dabei erfolgte insbesondere eine Gegenüberstellung des Inhalts der dem Erkenntnis vom 20.12.2019 zugrunde gelegten Länderberichte mit jener Berichtslage, die die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides herangezogen hat, sowie auch mit der zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung bestehenden Lage im Herkunftsstaat (siehe dazu wie folgt in der rechtlichen Beurteilung).

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staa

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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