Entscheidungsdatum
30.08.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W168 2215642-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2019, Zl. 1208209102/180928407, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.07.2021 zu Recht erkannt,
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und Herrn XXXX gemäß § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 i.d.g.F. (AsylG 2005) der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass Herrn XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stammt aus der Provinz Xinjiang, ist chinesischer Staatsangehöriger und gehört der uigurischen Volksgruppe sowie der moslemischen Religionszugehörigkeit an.
In einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.10.2018 führte der BF aus, dass er im Herkunftsstaat nach dem Schulabschluss als Koch tätig gewesen sei. In China würden sich nach wie vor seine Mutter, zwei Brüder sowie drei Schwestern aufhalten, seine Ehefrau und seine fünf Kinder würden in der Türkei leben. Zum Fluchtgrund befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er nach der Geburt seiner Zwillinge 30.000 Yuan Strafe zahlen habe müssen, da seine Kinder ansonsten keine offizielle Registrierung erhalten hätten. Überdies habe er seine Kinder nach seinem Glauben erziehen wollen, weshalb zahlreiche Uiguren bereits verhaftet und umgebracht worden seien. Er sei daher gezwungen worden, aus China zu flüchten. In der Türkei hätten sie durch die damalige Chefin seines Bruders von der Festnahme mehrerer Angehörigen erfahren. Seitdem sich die Beziehungen zwischen der Türkei und China verbessert hätten, würden Uiguren auch in der Türkei verfolgt werden. Aufgrund der Gefährdung in der Türkei hätten sie nur die Möglichkeit gehabt, das Land zu verlassen.
1.2. In Rahmen seiner Einvernahme am 19.12.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) gab der BF zu Protokoll, dass er Diabetiker sei und Medikamente einnehmen müsse. Neben seiner Muttersprache Uigurisch beherrsche er keine weiteren Sprachen. Auf Aufforderung, einen Lebenslauf anzugeben, gab der BF an, dass er nach dem Abschluss der Hauptschule als Koch gearbeitet habe. Danach sei er als Elektriker im Außendienst beschäftigt gewesen und habe im Jahr 2000 mit seinem Bruder eine Mehlfabrik gegründet. In weiterer Folge habe er von 2011 bis 2015 ein eigenes Restaurant gehabt, sei umgezogen und habe schließlich einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses beantragt. Im Jahr 2016 habe er China verlassen und sei in die Türkei gezogen. In der Türkei sei er von Oktober 2016 bis zum März 2017 arbeitslos gewesen und habe in dieser Zeit einen Türkischkurs besucht. Er gehöre der Volksgruppe der Uiguren an und sei sunnitischer Moslem.
Zu seinen Reisekosten befragt, erklärte der BF, für die gesamte Reise etwa 3.000 US-Dollar ausgegeben zu haben. Befragt, welche Angehörigen noch im Heimatland leben würden, entgegnete der BF, dass sich nach wie vor seine Mutter, seine beiden Brüder sowie drei Schwestern in der Provinz Xinjang aufhältig seien, er habe jedoch vernommen, dass eine seiner Schwestern verhaftet worden sei. Seine Ehefrau und seine fünf Kinder würden in der Türkei wohnhaft seien.
In Österreich habe er einen Bruder, ansonsten würden keine familiären oder privaten Bindungen zu Österreich bestehen. Er beziehe im Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung und besuche derzeit einen Deutschkurs. Zur Frage, ob er in seinem Heimatland, in Österreich oder einem anderen Land strafbare Handlungen begangen habe bzw. bereits einmal inhaftiert gewesen sei, erwiderte der BF, dass er in China bereits zweimal festgenommen worden sei, das erste Mal, weil er den Besuch seines Cousins entgegen den Vorschriften nicht gemeldet habe, das zweite Mal aufgrund einer Befragung seiner Tochter nach Unruhen im Zuge von Kontrollen. Da sein Bruder beim Finanzamt tätig sei, habe er ihn jedoch mithilfe von Schmiergeld freikaufen können. Die finanzielle Lage seiner Familie im Herkunftsstaat sei gut gewesen und er sei im Heimatland nie politisch tätig oder Mitglied einer Partei gewesen.
Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass die allgemeine Lage nach den Unruhen in Yeken schlecht gewesen sei, da es zahlreiche Kontrollen durch die Polizei gegeben habe und er seine Kultur nicht an seine Kinder weitegeben habe können. Da sowohl Handys als auch Wohnungen kontrolliert worden seien, hätten sie sich nicht mehr frei gefühlt und letztendlich den Entschluss gefasst, das Land zu verlassen. 2016 seien seine Ehefrau und Kinder in die Türkei geflogen, was von Polizisten genau beleuchtet und hinterfragt worden sei. Der BF habe diesen versichert, dass seine Angehörigen wieder zurückkehren würden und habe selbst das Land im selben Jahr verlassen. Zu Beginn seines Aufenthalts habe er in der Türkei in Ruhe leben können, da sich die Beziehungen zu Europa im Jahr 2017 jedoch verschlechtert hätten, habe sich die Türkei wieder an China angenähert, weshalb zahlreiche Uiguren festgenommen worden seien. Sie hätten vernommen, dass einige Uiguren nach China zurückgeschickt worden seien, weshalb sie in Angst gelebt hätten. Aufgrund von Recherchen hätten sie herausgefunden, dass es sich bei Österreich um ein sicheres Land handle. Zur Frage, wie oft er von der chinesischen Polizei kontrolliert worden sei, erwiderte der BF, dass die Kontrollen immer unerwartet gewesen seien und sie ihn etwa sechs oder sieben Mal aufgesucht hätten. Die Frage, ob er nach dem März 2015 ein weiteres Mal festgenommen worden sei, wurde vom BF verneint, sie hätten ihn jedoch telefonisch verständigt, ihn persönlich getroffen und ihn an seine Meldeverpflichtung erinnert. Der Polizist, welcher ihn kontaktiert habe, sei ein Uigure gewesen und habe den BF gefunden, da er den Umzug nach XXXX angegeben habe. Seine Ehegattin und seine Kinder würden nach wie vor in der Türkei leben, da er bei seiner Ausreise Angst gehabt habe, in Bosnien zurückgeschickt zu werden. Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat befürchte der BF, in China umgebracht zu werden, da bereits Uiguren in Umerziehungslager gebracht worden seien.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurde vom BF eine Kursbesuchsbestätigung vom 18.12.2018 in Vorlage gebracht.
Mit Schreiben vom 19.12.2018 wurde der BF vom BFA aufgefordert, binnen einer Woche ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme zu den ihm übermittelten Länderinformationen einzubringen.
Der BF übermittelte der Behörde in weiterer Folge mehrere Fotos über seine Teilnahme an Demonstrationen von Uiguren in Wien.
1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei. (Spruchpunkt V.) Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. (Spruchpunkt VI)
Begründend wurde ausgeführt, dass eine aktuelle, konkrete, gegen den BF gerichtete asylrelevante Verfolgung habe weder im gesamten Verfahren festgestellt werden können noch seien im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine dergestaltige Verfolgung für wahrscheinlich erscheinen hätte lassen. In seiner Erstbefragung bei der Polizei habe der BF angegeben, China verlassen zu haben, weil er aufgrund der Zwei-Kind-Politik Strafe bezahlen habe müssen, da er ansonsten keine staatliche Registrierung bekommen hätte und seinen Kindern weder Sprache noch Religion hätte lehren dürfen. Eine Festnahme durch die Polizei habe der BF mit keinem Wort erwähnt. Es sei daher davon auszugehen, dass er diesen Umstand bereits bei seiner Erstbefragung vor der Polizei zu Protokoll gegeben hätte, wenn er tatsächlich von den chinesischen Behörden verfolgt worden wäre. Insgesamt habe der BF bei seiner Einvernahme am 19.12.2018 nur vage, ausweichende und oberflächliche Angaben gemacht. Trotz Nachfragens habe er vermieden, auf Details einzugehen. Ebenfalls habe er mit keinem Wort erwähnt, dass er an einer Demonstration teilgenommen habe. Ebenfalls spreche gegen eine Verfolgung durch die Behörden seines Heimatlandes, dass es ihm ohne Probleme möglich gewesen sei, für sich und seine Familie Reisepässe zu erhalten und anstandslos in die Türkei ausreisen zu können. Der BF habe abgesehen von einer unglaubwürdigen Festnahme durch die chinesischen Behörden nichts vorgebracht, was auf eine Verfolgung im Sinne der GFK schließen lassen würde. Allein seine allgemein gehaltene Schilderung über die schlechte Situation der Uiguren in China rechtfertige nicht die Annahme, dass er im Speziellen davon betroffen wäre. Weshalb er die Beweismittel nicht gleich in der Einvernahme dargebracht habe, sondern erst einige Wochen später per Post gesendet habe, sei nicht nachvollziehbar. Im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei es dem BF während des gesamten Verfahrens nicht gelungen, eine konkret, gegen ihn persönlich in China drohende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen. Die Behörde verkenne nicht, dass Personen, die illegal, etwa unter Verletzung der Grenzübertrittsbestimmungen verlassen hätten, bestraft werden könnten, was aber im Fall des BF nicht zutreffe, da er legal aus China in die Türkei ausgereist sei. Auch Aktivitäten der uigurischen Exilorganisationen würden unter besonderer Beobachtung der chinesischen Behörden stehen, insbesondere der Weltverband der Uiguren und dies könnte bei einer Einreise nach China mit Schwierigkeiten behaftet sein, in diese Kategorie falle der BF jedoch nicht.
1.4. In der durch den bevollmächtigten Rechtsberater fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde ihre Feststellungen zur Situation der uigurischen Minderheit in China auf unvollständige Länderberichte stütze. Zur Situation der uigurischen Minderheit würden sich kaum Informationen finden und gehe aus diesen lediglich hervor, dass die Religionsausübung seit April 2017 noch stärker als bisher reglementiert werde. Im Hinblick darauf, dass in sämtlichen Medien über die dramatischen Entwicklungen seit 2017, insbesondere die Entwicklung von Internierungslagern, berichtet werde, seien diese Ausführungen als grob mangelhaft anzusehen und würden die Entwicklungen der letzten zwei Jahre nicht einmal annähernd wiedergeben. Im Hinblick auf die grob mangelhaften Länderberichte, die dem Bescheid zugrunde gelegt worden seien, gehe aus mehreren Berichten die willkürliche Internierung der uigurischen Minderheit in Lagern hervor. Die Behörde habe ihre Ermittlungspflicht also nicht voll wahrgenommen und das Verfahren damit mit groben Mängeln belastet, weshalb der Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet sei. Wie aus Länderberichten klar ersichtlich sei, sei es ständige Vorgangsweise der chinesischen Behörden, Angehörige von im Ausland aufhältigen Uiguren zu inhaftieren. Der belangten Behörde könne somit nicht gefolgt werden, zumal sich das Vorbringen der BF klar mit aktuellen Länderberichten decke. Auch in der Beweiswürdigung nehme die belangte Behörde großteils auf vermeintliche Widersprüche zwischen der Ersteinvernahme und der Einvernahme vor der belangten Behörde Bezug. Sie lasse daher völlig außer Acht, dass Asylwerber im Rahmen der Ersteinvernahme dazu angehalten seien, lediglich knappe Angaben zu den Gründen für ihre Asylantragstellung zu machen. Die Entwicklungen der letzten beiden Jahre würden einerseits die Befürchtungen des BF bestätigen und andererseits belegen, dass ihm eine Rückkehr nach China nicht mehr möglich sei. Betreffend die vom BF vorgelegten Fotos seien die Ausführungen der belangten Behörde ebenso wenig nachvollziehbar, zumal auf diesen klar ersichtlich sei, dass der BF gegen die Politik Chinas betreffend die uigurische Minderheit demonstriere. Weshalb die belangte Behörde vermeine, den Zweck der Demonstration anhand der eindeutigen Aufschriften auf den Transparenten nur erahnen zu können, sei völlig unverständlich. Die Fotos würden eindeutig belegen, dass der BF gegen die Politik Chinas auftrete und daher noch größere Gefährdung als anderen Angehörigen seiner Volksgruppe drohe. Wie aus angeführten Länderberichten ersichtlich sei, verfolge der chinesische Staat die uigurische Minderheit vehement und sei diese in den Internierungslagern oftmals unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Die Länderberichte würden weiters belegen, dass potenziell alle Mitglieder der uigurischen Minderheit gefährdet seien, unmenschliche Behandlung zu erfahren. Es bestehe somit im gesamten chinesischen Staatsgebiet das reale Risiko einer Verletzung nach Art. 2 und 3 EMRK. Der BF sei strafgerichtlich unbescholten und gefährde durch seinen Aufenthalt in Österreich weder die öffentliche Ruhe oder Ordnung noch die nationale Sicherheit oder das wirtschaftliche Wohl. Der Eingriff in das schützenswerte Privatleben des BF sei somit als unverhältnismäßig zu qualifizieren und daher auf Dauer unzulässig. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
1.5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.07.2021 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Uigurisch und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Hierbei wurde dem BF ausführlich Gelegenheit eingeräumt sämtliche Gründe für die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz in Österreich, sowie der Ereignisse, die zum Verlassen des Herkunftsstaates geführt haben, ausführlich darzulegen. Der BF wurde ferner hinsichtlich seiner Motive und den Gründen, als auch hinsichtlich seiner hierdurch beabsichtigten Ziele für die wiederholte Teilnahme an Demonstrationen für die Rechte der Uiguren betreffend befragt. Auch wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt umfassend auszuführen, welche ihn konkret und unmittelbar betreffenden Befürchtungen dieser hinsichtlich einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat hat. Abschließend wurden dem BF die Gelegenheit geboten hinsichtlich der übermittelten Länderinformationen, dies insbesondere fallgegenständlich besonders bezogen auf die aktuelle Situation der Minderheit der Uiguren in China, Stellung zu nehmen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Der Beschwerdeführer trägt die im Spruch angeführte Identität, ist Staatsangehöriger der VR - China, moslemischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Uiguren. Der BF lebte bis zu seiner Ausreise mit seiner Familie in der chinesischen Provinz XINJIANG in XXXX .
Es konnte nicht festgestellt werden, bzw. hat der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen können, dass dieser die VR - China aufgrund einer ihn unmittelbar und konkret betreffenden asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung verlassen hat.
Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer seit seinem Verlassen der VR – China aufgrund seiner glaubhaften inneren Überzeugung wiederholt öffentlich exilpolitisch in Erscheinung getreten ist, indem dieser dokumentiert auch in Österreich an Demonstrationen (unter anderem auch vor der chinesischen Botschaft in WIEN) betreffend die Situation der Uiguren im Herkunftsstaat teilgenommen hat und sich hierbei für die Freiheit und Unabhängigkeit der Uiguren ausgesprochen hat.
Im Fall des Beschwerdeführers besteht aus diesem Grund aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in die VR – China die asylrelevante Gefahr, dass dieser als Angehöriger der muslimischen Minderheit der Uiguren und aus XINJIANG stammend aufgrund der Unterstellung einer separatistischen oder oppositionellen (feindlichen) Gesinnung eine den Beschwerdeführer unmittelbar und konkret betreffende asylrelevante Bedrohung von staatlicher Seite zu befürchten hat.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Beschwerdeführer nicht zur Verfügung.
Es liegen keine Asylausschließungsgründe vor.
Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird festgestellt:
Politische Lage
Die Volksrepublik China ist mit geschätzt 1.4 Milliarden Einwohnern der bevölkerungsreichste Staat der Welt bei einer Fläche von 9 596 961 km2 (CIA 4.12.2013).
Sie ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", der der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrechterhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 11.2013a). Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 11.2013a).
Die Volksrepublik China ist keine Wahldemokratie.
Sie ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Regierungs-, Polizei- und Militärposten werden von Mitgliedern der Kommunistische Partei innegehalten, sowie auch jene in vielen wirtschaftlichen Einrichtungen und sozialen Organisationen (USDOS 27.2.2013). Die KPCh ist somit entscheidender Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 11.2013a, vgl. USDOS 27.2.2013). An der Spitze der Volksrepublik stehen der Staatspräsident sowie der Ministerpräsident. Dem Ministerpräsidenten obliegt die Leitung des Staatsrats, d.h. der Regierung. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt. Die Zentrale Militärkommission der Partei leitet die Streitkräfte des Landes. Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 11.2013a). Gemäß der Verfassung ist der Nationale Volkskongress (NVK) formal das höchste Organ der Staatsmacht (AA 11.2013a). Der 3.000 Mitglieder zählende NVK wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird. Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2.2013). Eine Opposition gibt es nicht. Die in der "Politischen Konsultativkonferenz" organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KPCh zusammengeschlossen und haben eine beratende Funktion ohne eigene politische Gestaltungsmöglichkeiten (AA 11.2013a). Beim 18. Kongress der Kommunistischen Partei China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Für die nächsten fünf Jahre wurde ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt. Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KPCh und zum Leiter der Zentralen Militärkommission gekürt. Mit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 gilt dieser Führungswechsel als abgeschlossen. Seitdem ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 11.2013a, vgl. FH 1.2.2013). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 27.2.2014). Die Vergabe der Posten war bereits am Kongress der Partei beschlossen worden. Die Wahl beim Volkskongress war daher reine Formsache (Die Zeit 14.3.2013). Die delikate Phase des Führungsüwechels wurde im Februar 2012 gestört, als ein von Bo Xilai (damals Politbüromitglied und Parteichef der 30-Millionen-Metropole Chongqing) entlassener Polizeioffizier mit belastenden Dokumenten in einem US-Konsulat um Asyl ansuchte (FH 1.2.2013). Die Spannungen des Führungsübergangs entluden sich daraufhin in einer Politaffäre, wie sie das Land seit 20 Jahren nicht erlebt hat. Bo Xilai, Anwärter auf einen Sitz im Ständigen Ausschuss des Politbüros, wurde gestürzt. Im Volk war Bo populär, weil er gegen die Kluft zwischen Reich und Arm wetterte; und weil er gnadenlos die chinesische Mafia bekämpfte. Er tat dies allerdings mit einer solchen Gleichgültigkeit gegenüber den Gesetzen, dass es der Führung in Peking unbehaglich wurde. Der tiefe Fall des vielleicht beliebtesten Politikers Chinas erschütterte die Partei bis ins Mark (Die Zeit 25.5.2012). Die Entwicklungen wurden begleitet von einem landesweiten, rigorosen Durchgreifen gegen Aktivisten (FH 1.2.2013). Die neue Staatsführung soll zehn Jahre im Amt bleiben, wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt, mit der Möglichkeit zur Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode (Die Zeit 14.3.2013). Konservative machen die Mehrheit des neuen Ständigen Ausschusses des Politbüros aus (FH 1.2.2013). Vorrangige Ziele der Regierung sind die weitere Entwicklung Chinas und die Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch den Machterhalt der Kommunistischen Partei Chinas. Politische Stabilität wird als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen angesehen. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkumg der Partei. Prioritäten sind der Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, der Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, die Schaffung eines nachhaltigeren Wachstums, die verstärkte Förderung der Landbevölkerung, der Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere der Umweltschutz und die Nahrungsmittelsicherheit. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber auch noch einmal deutlich aufgezeigt. Die neue Führung hat ihren Willen zur Kontinuität der bisher betriebenen Politik betont (AA 11.2013a). Gleichzeitig wurde mit dem Parteitag eine striktere Zensur und Kontrolle des Internets eingesetzt (FH 1.2.2013).
Quellen: AA - Auswärtiges Amt (11.2013a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 20.11.2013. AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China, http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 20.11.2013, CIA The World Factbook (4.12.2013): https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 27.6.2013; FH - Freedom House (1.2.2013): Freedom in the World 2013 - China, http://www.freedomhouse.org/report/freedom-world/2013/china, Zugriff 20.11.2013; KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (5.2011): Zwischen Kontinuität und Wandel, http://www.kas.de/wf/doc/kas_23388-1522-1-30.pdf?110713074034, Zugriff 20.11.2013; USDOS (27.2.2014): Country Reports on Human Rights Practices for 2014 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm#wrapper, Zugriff 20.11.2013; Die Zeit (14.3.2013): Xi Jinping ist Chinas neuer Staatschef, www.zeit.de/politik/ausland/2013-03/chinapraesident-xi-jinping, Zugriff 20.11.2013; Die Zeit (25.5.2012): Fast wie bei Mao, http://www.zeit.de/2012/13/01-China/seite-1, Zugriff 19.11.2013: Die Zeit (14.3.2013) Xi Jinping ist Chinas neuer Staatschef, www.zeit.de/politik/ausland/2013-03/chinapraesident-xi-jinping, Zugriff 20.11.2013
Sicherheitslage
Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Grundstücken oder die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen. Die Anzahl sog. "Massenzwischenfälle" - nach chinesischer Definition nicht genehmigte Demonstrationen und Proteste, an denen sich mehr als 100 Personen beteiligen - soll 2011 über 180.000 gelegen haben und schnell zunehmen. Wie verlässlich die Zahlen sind, bleibt offen (AA 18.6.2013). Anhand von offiziellen und akademischen Statistiken wird die Zahl der Protest auf 250-500 pro Tag geschätzt, mit Teilnehmerzahlen von zehn bis Tausenden (HRW 31.1.2013). Einige Beobachter sehen die Reluktanz der KP repressive Politiken zu beenden und fundamentale Reformen durchzuführen um den Unmut der Bevölkerung entgegenzukommen als destabilisierend (FH 1.2.2013). Mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung soll das öffentliche Sicherheitssystem gestärkt und die bewaffnete Volkspolizei modernisiert werden. Nach Maßgabe des 12. Fünfjahresplans soll zur effektiveren Bewältigung von Unruhen ein neues "Rapid Response-System" aus Kräften der Polizei, der bewaffneten Volkspolizei und des Militärs, unterstützt durch Spezialisten für Sicherheit, sicherheitsrelevante Unternehmen und Freiwilligen aufgebaut werden (AA 18.6.2013). In der Unruheprovinz Xinjiang ist es am 22.05.2014 zu einem Anschlag gekommen, bei dem 31 Menschen getötet und 94 verletzt wurden. Einem Bericht der der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge rasten zwei Geländewagen in eine Menschenmenge auf einem Markt in der Provinzhauptstadt Urumqi, eines der Fahrzeuge explodierte (APA 22.05.2014)
Quellen: AA - Auswärtiges Amt (18.6.2013): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China. HRW - Human Rights Watch (31.1.2013): Human Rights Watch World Report 2013 - China, www.hrw.org/world-report/2013/country-chapters/china?page=2, Zugriff 28.11.2013, FH - Freedom House (1.2.2013): Freedom in the World 2013 - China, http://www.freedomhouse.org/report/freedom-world/2013/china, Zugriff 20.11.2013, APA - APA0047 3 AA 0097: "Nach Anschlag in Xinjiang 31 Tote bestätigt - 94 Verletzte", 22.05.2014
Sicherheitsbehörden und Dokumente
Zivile Behörden hatten im Allgemeinen effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 27.2.2014). Die Sicherheitskräfte arbeiten auf allen Ebenen eng mit der KP zusammen. 2012 dehnte die Partei ihren Apparat zur "Stabilitätserhaltung" aus, mit dem Recht und Ordnung erhalten werden soll, allerdings auch friedlicher Protest unterdrückt und die Bevölkerung überwacht wird (FH 1.2.2013). Die Zentrale Militärkommission der Partei führt die Streitkräfte des Landes. Für die innere Sicherheit sind insgesamt sieben Organe zuständig, drei davon widmen sich im Wesentlichen der Verfolgung von Rechtsverstößen: (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen; (2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet; (3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die für Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind (AA 18.6.2013).
Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Im Bereich geheimer, nachrichtendienstlicher Aufklärung sind das Ministerium für Staatssicherheit als Regierungsinstitution sowie der sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst der Streitkräfte - die 2. und 3. Hauptverwaltung im Generalstab der Volksbefreiungsarmee - tätig (AA 18.6.2013). Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit ist für den gesamten Bereich der "inneren Sicherheit" zuständig. Es unterhält beispielsweise Büros und Personal für den Schutz von Regierung und politischer Führung, lebenswichtiger Wirtschaftsanlagen sowie der See- und Landgrenzen, für das Nachrichtenwesen, für die Administrativhaft und für die Koordination mit anderen Sicherheitsinstanzen. Auf der Provinzebene unterstehen dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit die "Sicherheitsämter", auf Kreis- und Gemeindeebene die "Sicherheitsbüros" mit ihrem jeweiligen Polizeistab (AA 18.6.2013).Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden können, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet. Die Polizei ist nicht nur für kriminalstrafrechtliche, sondern auch für Ermittlungen so genannter "Verwaltungsstraftaten" sowie die Verhängung der Sanktionen zuständig (AA 18.6.2013). Seit einigen Jahren ist die Regierung bemüht, die Polizei zu reformieren und ihre Machtausübung zu begrenzen. Mit dem im März 2012 verabschiedeten und ab 1.1.2013 in Kraft tretenden neuen Strafprozessgesetz werden die Rechte von Beschuldigten auch in dem maßgeblich von Polizei und Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren gestärkt, es verbleiben jedoch Ausnahmen (AA 18.6.2013).Neben der dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit unterstehenden Polizei gibt es noch Volkspolizeien des Ministerium für Staatssicherheit, der Gefängnisse, der Behörden für Arbeitserziehung und die Justizpolizei der Volksgerichte und Volksstaatsanwaltschaften (AA 18.6.2013).Das Ministerium für Staatssicherheit ist u. a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Zudem sind viele Arbeitseinheiten in Kommissionen, Ministerien und beim Militär parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Auf Seite der Partei werden die meisten dieser Organe durch die Abteilung für Politik und Recht des Zentralkomitees "angeleitet". Die Überwachung chinesischer Staatsangehöriger im Ausland sowie Gruppierungen, deren Handeln für die Sicherheit der VR China relevant ist, erfolgt hauptsächlich über informelle Mitarbeiter des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit und des Ministeriums für Staatssicherheit (AA 18.6.2013).
In ganz China ist die Herstellung oder Beschaffung falscher oder formal echter, aber inhaltlich unwahrer Dokumente ohne besondere Schwierigkeiten möglich. Nach Einschätzung internationaler Dokumentenexperten arbeiten in China die meisten und besten Fälscherwerkstätten weltweit. Viele verfügen über neueste Technik. Von falschen oder gefälschten Dokumenten wird zu vielfältigen Zwecken Gebrauch gemacht (AA 18.6.2013).
Quellen: AA - Auswärtiges Amt (18.6.2013): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China. FH - Freedom House (1.2.2013): Freedom in the World 2013 - China, http://www.freedomhouse.org/report/freedom-world/2013/china, Zugriff 20.11.2013, USDOS - US Department of State (27.2.2014): Country Report on Human Rights Practices 2013 - China,http://www.ecoi.net/local_link/270629/399171_de.html (Zugriff am 03. März 2014)
Folter und unmenschliche Behandlung
China ratifizierte 1988 die VN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit einer Strafe von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 18.6.2013).
In den letzten Jahren wurden einige Verordnungen erlassen, die formell einen besseren Schutz vor Folter für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren bieten sollen. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente, die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum (ÖB 9.2013). Das bisherige Strafprozessgesetz untersagte die Beweiserhebung durch Ermittlungsbeamte und Richter im Strafprozess mittels Drohung, Versprechungen, Täuschungen oder sonstiger rechtswidriger Methoden. Das zum 1. Januar 2013 in Kraft getretene revidierte Strafprozessgesetz schließt künftig die Verwendung unter Folter oder anderweitig mit illegalen Mitteln zustande gekommener Geständnisse und Zeugenaussagen (neuer § 53) und illegal erlangter Beweismittel (§ 54) im Strafprozess ausdrücklich aus. Am 1. März 2012 erließ der Staatsrat zudem neue Vorschriften für Verwaltungsgefängnisse. Diese verbieten u. a. die Heranziehung von Inhaftierten zu Zwangsarbeit und den Missbrauch von Inhaftierten. Beides kommt jedoch weiterhin in großem Maße vor (AA 18.6.2013). Auch die Anwendung von Folter zur Erzwingung von Geständnissen ist nach wie vor weit verbreitet (AI 23.5.2013; vgl. FH 1.2.2013). Den verantwortlichen Angehörigen der Justizbehörden drohen bei Verstoß gegen die Bestimmungen der Strafprozessordnung zur Untersuchungshaft und bei Anordnung/ Durchführung von Foltermaßnahmen (Art. 43 chinesische StPO) disziplinarische und sogar strafrechtliche Konsequenzen. Dennoch berichten Menschenrechtsorganisationen immer wieder über die deutliche Überschreitung der gesetzlich vorgesehenen Zeitgrenzen und Misshandlungen Gefangener (AA 18.6.2013) Straflosigkeit ist die Normalität, auch für verdächtige Todesfälle in Gefängnissen (FH 1.2.2013). Soweit die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse Folterfälle einräumen, stellen sie diese als vereinzelte Übergriffe "unterer Amtsträger" dar, gegen die man energisch vorgehe. Einige Beamte wurden wegen Anwendung von Folter teilweise zu Freiheitsstrafen verurteilt (AA 18.6.2013).
Quellen: AA - Auswärtiges Amt (18.6.2013): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, AI - Amnesty International (23.5.2013): Annual Report 2013 - China, http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 20.11.2013, FH - Freedom House (1.2.2013): Freedom in the World 2013 - China, http://www.freedomhouse.org/report/freedom-world/2013/china, Zugriff 20.11.2013., ÖB (9.2013): Asylbericht Volksrepublik China
Haftbedingungen inklusive Umerziehungslager
Es wird geschätzt, dass 3-4 Millionen Menschen in Hafteinrichtungen einsitzen. Die Haftbedingungen sind im Allgemeinen hart mit Berichten von ungenügendem Essen, regelmäßigen Misshandlungen und Entzug von medizinischer Hilfe (FH 1.2.2013). Misshandlungen von Gefangenen durch Strafvollzugs- und Sicherheitsorgane werden selbst von staatlichen Stellen eingeräumt. Ein effektiver unabhängiger Überwachungsmechanismus für die Begutachtung der Situation von Inhaftierten fehlt (AA 18.6.2013).
Neben der Freiheitsstrafe existieren verschiedene Formen freiheitsentziehender Maß- nahmen als sogenannte Administrativhaft: "Umerziehung durch Arbeit" (laojiao), "Haft zur Erziehung" (shourong jiaoyu), "Haft zur Umerziehung" und "Zwangsmäßige Drogenrehabilitation in Isolation". Administrativhaft ist eine durch die Polizeibehörden ohne gerichtliche Verhandlung verhängbare Zwangsmaßnahme, die von mehreren Tagen bis zu mehreren Jahren dauern kann. Die Umerziehung durch Arbeit kann ohne Gerichtsurteil für eine Dauer von bis zu drei Jahren mit der Möglichkeit der Verlängerung um ein Jahr verhängt werden. Es erfolgt dann die Einweisung in ein Arbeitslager. Diese Form der Administrativstrafe wird meist bei Delikten verhängt, die als nicht schwerwiegend genug erachtet werden, um strafrechtlich dagegen vorzugehen, aber auch in Fällen, wo die Beweismittel nicht ausreichen, um eine Verurteilung vor Gericht zu erwirken. Entscheidungen über die Verhängung von Laojiao werden von einem Komitee aus Vertretern der lokalen Verwaltung und der Büros für Öffentliche Sicherheit getroffen. Rechtsmittel gegen die Einweisungsentscheidung haben in den seltensten Fällen Erfolg. Die Straftatbestände, die durch "Umerziehung durch Arbeit" geahndet werden können, sind nur sehr vage definiert. Die Mehrheit der Insassen sind Drogenabhängige sowie Prostituierte und Freier. Laojiao ist aber auch Bestandteil der Anti-Falun-Gong-Kampagne (AA 18.6.2013). Die "Umerziehung durch Arbeit" Lager, werden auch systematisch als Repression und Bestrafung von Kritikern genutzt (USDOS 27.2.2014). Da die Umerziehung durch Arbeit neben anderen Administrativstrafen existiert, schwanken die Zahlen der aufgrund dieser Strafe in Arbeitslagern befindlichen Insassen. 2009 gab es laut einem Bericht des VN-Menschenrechtsrats 320 Umerziehungslager mit 190.000 Insassen. Aktuellere Zahlen wurden bislang nicht zur Verfügung gestellt. In den davor liegenden Jahren hatte die Zahl der Insassen nach Angabe des chinesischen Justizministeriums stets ca. 300.000 betragen. Der Rückgang lässt sich zurückführen auf das seit Juni 2008 in Kraft befindliche "Anti- Drogengesetz", nach welchem Drogenabhängige nicht mehr durch Laojiao, sondern durch die "Zwangsrehabilitierung in Isolation" bestraft werden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass diese Maßnahme weder Rehabilitierungs-/Entzugshilfe bietet noch der Resozialisierung der Drogenabhängigen dient. Vielmehr steht im Vordergrund der Freiheitsentzug (Minimum zwei Jahre) und die Verrichtung unbezahlter Arbeit (AA 18.6.2013). Von den Zwangsarbeitslagern profitiert die Regierung finanziell (USDOS 19.6.2013). Missbräuchliche Einweisungen politisch missliebiger Personen (vor allem Petenten) in psychiatrische Anstalten ohne faires Gerichtsverfahren oder eine unabhängige medizinische Evaluierung oder aufgrund falscher oder gefälschter medizinischer Gutachten kommen weiterhin vor. Zuverlässige Zahlen stehen dazu allerdings nicht zur Verfügung. Während unter internationalen Standards der anwendbare Rahmen des "Gefährdungs"-Kriteriums i. d. R. auf Situationen begrenzt ist, in denen psychisch Kranke für sich selbst und andere eine direkte physische Gefahr darstellen, wird es in China auch auf Personen wie z.B. Dissidenten angewendet, die die Regierung als Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung sieht. Nach glaubhaften Berichten von NROs sind mindestens 3.000 politischer Verbrechen Angeklagte in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Anstalten für "politisch Anormale" festgehalten worden; ca. 1.000 Mitglieder von Falun Gong wurden gegen ihren Willen psychiatrischer Behandlung unterzogen. Es wird von Zwangsmedikation und Gewaltanwendung (Elektroschocks) berichtet (AA 18.6.2013). Im Mai 2013 trat das neue "Mental Health Law" in Kraft. Psychiatrische Einweisungen als Bestrafung zu verwenden oder Behandlungen an Menschen ohne geistige Krankheiten sind demnach illegal und es werden für solche Praktiken auch Strafen festgelegt. Die Definitionen für die Voraussetzunge für eine Einweisung - "schwere geistige Krankheit" und "Gefahr für sich selbst oder andere" - bleiben vage, sodass die Wahrscheinlichkeit für breitere Interpretationen bleibt. Das Gesetz bringt allerdings die Debatte um unrechtmäßige Verwahrung in psychiatrischen Anstalten vorwärts (Psychiatry online 1.6.2013). Kritikpunkt von NGOS bleibt weiterhin, dass keine ausreichenden Sicherungen gegen unfreiwillige Einweisungen und Entmündigungen durch z.B. Sicherheitsbehörden oder Familienangehörige bestehen (AA 18.6.2013). Die Polizei kann in solchen Anstalten Personen nach eigenem Gutdünken ohne zeitliche Begrenzungen festhalten (ÖB 9.2013). Petenten, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern in Peking oder in den Provinzhauptstädten anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in illegal betriebenen Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens in sogenannten "black jails" ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um Unliebsame aus dem Verkehr zu ziehen. Die Regierung bestreitet die Existenz solcher Gefängnisse, Berichte hierüber finden sich jedoch immer wieder in den chinesischen Print- und Online-Medien (AA 18.6.2013). Solche neuen Arten von außerrechtlichen Haftformen wuchsen in den letzten Jahren (FH 1.2.2013). Print- und elektronische Medien greifen gelegentlich verdächtige Todesfälle in Haftanstalten auf. Offizielle Angaben über Todesfälle in chinesischen Gefängnissen gibt es in der Regel nicht. Als Ursachen werden hauptsächlich Schlägereien unter Gefangenen oder Unfälle angeführt. Soweit derartige Fälle öffentlich werden, führt zunehmend Druck der aktiven Internetöffentlichkeit dazu, dass sie durch höhere Instanzen untersucht und anschließend disziplinarische und strafrechtliche Konsequenzen gezogen werden. Einige Beamte wurden wegen Anwendung von Folter teilweise zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Vorkommnisse haben den Ruf nach weiteren Reformbemühungen besonders der Untersuchungshaftanstalten, die unter der Verantwortung des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit stehen, verstärkt. Im März 2012 veröffentlichte der Staatsrat neue Vorschriften für von der Polizei geführte Gefängnisse für Admininistrativhaft, die u. a. Zwangsarbeit und Misshandlung von Inhaftierten unter Verbot stellen (AA 18.6.2013).
Quellen: AA - Auswärtiges Amt (18.6.2013): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China; FH - Freedom House (1.2.2013): Freedom in the World 2013 - China, http://www.freedomhouse.org/report/freedom-world/2013/china, Zugriff 20.11.2013; ÖB (9.2013): Asylbericht Volksrepublik China, Psychiatry online (1.6.2013) China's New Mental Health Law, Reframing Involuntary Treatment, http://ajp.psychiatryonline.org/article.aspx?articleID=1682419, Zugriff 6.12.2013, USDOS - US Department of State (27.2.2014): Country Report on Human Rights Practices 2013 - China, http://www.ecoi.net/local_link/270629/399171_de.html (Zugriff am 03. März 2014), USDOS - US Department of State (19.06.2013): Trafficking in Persons Report 2013 - China, http://www.ecoi.net/local_link/250782/374904_de.html, Zugriff 3.12.2013
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Menschenrechtslage in China bietet weiterhin ein äußerst zwiespältiges und trotz aller Fortschritte negatives Bild. 2004 wurde der Begriff "Menschenrechte" in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Die chinesische Führung erkennt die Notwendigkeit wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Reformen an. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der KPCh oberste Prämisse und rote Linie. Vor diesem Hintergrund geht die chinesische Führung kompromisslos und unverändert hart gegen jene vor, die als Bedrohung dieser obersten Prioritäten angesehen werden, wie z.B. regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc) (AA 18.6.2013).
Das Handeln staatlicher Organe richtet sich weiterhin am Rechts- und Herrschaftsverständnis der kommunistischen Gesellschaftsordnung aus, häufig verbunden mit Praktiken traditioneller Machtausübung durch Zentralregierung und regionale Amtsträger. Auch wenn gesetzliche Reformen in den letzten drei Jahrzehnten zu Verbesserungen beim Schutz der Individual- und Menschenrechte geführt haben, bleiben Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Kernbereichen, in denen es um den "Erhalt von Stabilität" - einschließlich des Machterhalts der Partei - geht, Einschränkungen unterworfen. Dem Funktionieren staatlicher und gesellschaftlicher Abläufe wird gegenüber den Rechten des Individuums Vorrang eingeräumt. Zur vermeintlichen Wahrung von Stabilität operiert der Staat weiterhin auch außerhalb der Legalität (AA 18.6.2013). Der am 12. Juni 2012 von der chinesischen Regierung vorgelegte zweite Aktionsplan für Menschenrechte für 2012-15 verweist vor allem auf Verbesserungen der wirtschaftlichen und sozialen Rechte, ermöglicht durch das anhaltende Wirtschaftswachstum, sowie auf Gesetzesreformen und neue Kodifizierungen. Letztere erreichen ihre Wirksamkeitsgrenze jedoch oft in der noch mangelhaften Durchsetzung und in der fehlenden Unabhängigkeit der Justiz (AA 18.6.2013).
Der Schutz einiger Grund- und Menschenrechte ist in Art. 33 ff. der Verfassung grundsätzlich vorgesehen. Dazu gehören u. a. die Rede-, Presse-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Demonstrationsfreiheit. Religionsfreiheit besteht nur bei "normalen" religiösen Aktivitäten. Einschränkend sind allerdings alle Bürgerinnen und Bürger nach Art. 51 verpflichtet, bei der Grundrechtsausübung u. a. nicht gegen Interessen des Staates zu verstoßen. Viele Grund- und Menschenrechtsverletzungen sind strafbar, etwa die Verletzung der Freiheit der Person (Art. 238 Abs. 4 StGB), des Rechts auf räumliche Privatsphäre (Art. 245 Abs. 2 StGB), der Menschenwürde durch im Wege der Folter erzwungene Geständnisse (Art. 247 StGB), der körperlichen Unversehrtheit (Art. 248 StGB), der Glaubensfreiheit (Art. 251 StGB), der Rechte ethnischer Minderheiten (Art. 251 StGB) etc. Von größerer Bedeutung ist aber, dass Verfahren auf Grund dieser Strafnormen gegen Staatsorgane bisher kaum bekannt geworden sind (AA 18.6.2013).
Elementare Menschenrechte werden weiterhin signifikant verletzt. Dies umfasst verwaltungsbehördliche Einweisungen in ein Lager für Umerziehung durch Arbeit oder andere Arten der Administrativhaft wie Verwahrung und Erziehung oder zwangsweise Drogenrehabilitation, Folter, polizeiliche Willkür, parteiabhängige Justiz, fehlende Meinungs-, Religions-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (AA 18.6.2013; vgl. HRW 31.1.2013).
In den Minderheitenregionen wie Tibet, Xinjiang und der Inneren Mongolei, werden stark repressive Politiken umgesetzt (HRW 31.1.2013).
Kommunalregierungen griffen weiter auf Landverkäufe zur Finanzierung von Projekten der Wirtschaftsförderung zurück, was im ganzen Land zur rechtswidrigen Zwangsräumung von Tausenden Menschen aus ihren Wohnungen oder zur Vertreibung von ihrem Land führte. Rechtswidrige Zwangsräumungen unter Anwendung von Gewalt und ohne Vorankündigung waren weit verbreitet. Ihnen gingen oftmals Drohungen und Drangsalierungen voraus. Eine Konsultierung der betroffenen Einwohner fand nur selten statt. Entschädigungen, angemessene Ersatzwohnungen und der Zugang zu Rechtsbehelfen waren stark eingeschränkt. In vielen Fällen schlossen korrupte Dorfvorsteher Verträge mit privaten Bauunternehmen und übertrugen ihnen die Nutzungsrechte für Grund und Boden, ohne dass die dortigen Bewohner darüber unterrichtet wurden. Wenn diese sich mit friedlichen Mitteln der rechtswidrigen Zwangsräumung widersetzten oder auf rechtlichem Wege versuchten, ihre Rechte durchzusetzen, liefen sie Gefahr, inhaftiert, zu Gefängnisstrafen verurteilt oder in Lager der Umerziehung durch Arbeit gesteckt zu werden. Einige ergriffen drastische Maßnahmen und setzten sich selbst in Brand oder entschieden sich für gewaltsame Formen des Protestes (AI 23.5.2013).
Es kommen mitunter auch Übergriffe lokaler Amtsträger vor, die im Ergebnis den Zielen der Regierungspolitik entsprechen. In diesen Fällen ist der Schutz der Betroffenen vor Missbrauch staatlicher Gewalt kaum gewährleistet. Dies betrifft z.B. die Durchsetzung der staatlichen Familienplanungspolitik (Ein-Kind-Familie) oder die Überwachung politisch Andersdenkender auf lokaler Ebene. Besonders außerhalb der Großstädte werden häufig Fälle gemeldet, in denen von Behörden beauftragte Menschen gewaltsam gegen Unliebsame vorgehen. Zumeist handelt es sich um Demonstranten bei Fällen mit wirtschaftlichem Hintergrund (illegale Landnahme, Korruption etc.). Auch Journalisten sind von solchen Fällen betroffen, zum Teil werden offen Kopfgelder ausgesetzt, ohne dass dies rechtliche Konsequenzen hat (AA 18.6.2013).
Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde, z.B. Provinz- oder Zentralregierung. Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht (AA 18.6.2013; vgl. AI 23.5.2013).
Das Petitionswesen kann die Missstände allerdings nicht lösen. Dazu kommt, dass zahlreiche Petenten, aus den verschiedenen Provinzen, die die örtliche Politik bei der Pekinger Zentralregierung anprangern, über die Verbindungsbüros ihrer jeweiligen Heimatprovinzen denunziert, häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in Ihre Heimatregionen zurückgebracht oder zur Rückkehr gezwungen werden. Als Sanktion für ihr Verhalten werden viele anschließend in ein Lager für "Umerziehung durch Arbeit", eine psychiatrische Anstalt oder ein illegales Gefängnis ("black jail") eingewiesen (AA 18.6.2013; vgl. FH 1.2.2013).
Vor und während besonderer Jubiläumsfeiertage (z.B. Jahrestag des Aufstands in Tibet im März 1959, Jahrestag der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste am 4. Juni 1989), häufig auch im Umfeld der Parteikongresse, werden Menschenrechtsverteidiger regelmäßig in ihrer Freiheit eingeschänkt (AA 18.6.2013).
Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an den chinesischen Schriftsteller Liu Xiabo im Dezember 2010, der Umsturzbewegungen in Nordafrika und Aufrufen im chinesischen Internet zur "Jasminbewegung" im Frühjahr 2011 hat sich das Klima für Menschenrechtsverteidiger und regierungskritische Personen, die politische Reformen fordern, deutlich verschärft. Ein verstärkt restriktives bis repressives Vorgehen der chinesischen Behörden gegenüber Kritikern der Regierung oder der Partei (Menschenrechtsverteidiger, Bürgerrechtsanwälte, kritische Intellektuelle und Künstler, Petitionäre, Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften, Journalisten und Blogger, die sich zu Themen äußern, die die chinesische Führung als sensibel ansieht etc.) ist zu beobachten. Sie werden unter Druck gesetzt, bedroht und inhaftiert. Einschüchterungsmaßnahmen umfassen willkürliche Haft ("black jails"), Folter und Druck auf Familienangehörige; in einigen Fällen wurden lange Haftstrafen verhängt. Zahlreiche Dissidenten und Aktivisten befinden sich wegen kritischer Äußerungen in Haft unter dem Vorwurf der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" oder der "Gefährdung der Staatssicherheit". Ende 2011/ Anfang 2012 war eine Serie von Verurteilungen wegen politischer Meinungsäußerungen zu beobachten (AA 18.6.2013).
Im Vorfeld des 18. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas wurden mindestens 130 Personen in Haft genommen oder mit anderen Beschränkungen belegt, um Kritik und Proteste zu vereiteln (AI 23.5.2013).
Nicht zuletzt dank der modernen Kommunikationsmittel entsteht allerdings eine über ihre Rechte zunehmend besser informierte Öffentlichkeit, die bereit ist, diese Rechte zu verteidigen, und willkürliches Handeln der staatlichen Organe nicht länger unwidersprochen hinnehmen will. Massenproteste mit sozialpolitischem Hintergrund - insbesondere gegen illegale Landnahme, unzureichende oder vorenthaltene Kompensationen bei Umsiedlungen, gewaltsamen Abriss von Häusern, Umweltkonflikte und Korruption - nehmen zu. Dabei sind Internet und soziale Netzwerke zu machtvollen Sprachrohren von Frustrationswellen geworden, die Partei und Regierung immer stärker herausfordern. Ungeachtet der strengen und engmaschigen Kontrolle des Internet ist eine zunehmende Unterstützung der chinesischen Öffentlichkeit im Internet für soziale und politische Anliegen zu beobachten, die unter kreativer Umgehung der Zensur über Blogs und Mikroblog-Netzwerke genährt wird (AA 18.6.2013; vgl. FH 1.2.2013; HRW 31.1.2013). Trotz der Risiken, mit denen sie konfrontiert sind, wird durch Internetbenutzer und Medien Fehlverhalten aufgedeckt und nach Reformen gerufen (HRW 31.1.2013). Millionen von Menschen nehmen an diesen Protesten und Online-Kampagnen u.a. gegen Menschenrechtsverletzungen und Machtmissbräuche teil, was manchmal zu Zugeständnissen der Regierung führt. Als Reaktion erhöhte die Regierung das Budget für interne Sicherheit und erhöhte die Kontrolle über soziale Medien sowie die soziale Überwachung (FH 1.2.2013). Präsident Xi Jinping und weitere Mitglieder der neuen Führung hatten in ersten Äußerungen wiederholt die Bedeutung der Verfassung, von Rechtstaatlichkeit einschließlich der Respektierung der Menschenrechte hervorgehoben und damit eine Diskussion um die Abschaffung nicht verfassungskonformer Gesetze in Gang gesetzt. Diese Diskussion wurde inzwischen verboten und wird streng zensiert (AA 18.6.2013).
Quellen: AA - Auswärtiges Amt (18.6.2013): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, AI - Amnesty International (23.5.2013): Annual Report 2013 - China, http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 20.11.2013, FH - Freedom House (1.2.2013): Freedom in the World 2013 - China, http://www.freedomhouse.org/report/freedom-world/2013/china, Zugriff 20.11.2013, HRW - Human Rights Watch (31.1.2013): Human Rights Watch World Report 2013 - China, www.hrw.org/world-report/2013/country-chapters/china?page=2, Zugriff 28.11.2013
Meinungs- und Pressefreiheit; Neue Medien
Die in der Verfassung gewährten Rechte auf Freiheit der Rede, der Presse, auf Kritik oder Vorschläge sind jedoch für den Einzelnen nicht einklagbar und in der Praxis durch die Regierung stark eingeschränkt (AA 18.6.2013).
Die Möglichkeiten des Bürgers zur offenen Meinungsäußerung im privaten Kreis und zu konstruktiver Kritik auch in der Öffentlichkeit sind - v.a. im Internet - gewachsen. De facto unterliegt die Meinungsfreiheit jedoch nach wie vor strenger Reglementierung. Regierungskritik - v.a. bei Verbreitung über Flugblätter oder (elektronische) Medien - wird immer wieder als Subversion oder Gefährdung der Staatssicherheit verfolgt und drakonisch bestraft. Die Privatsphäre und das Briefgeheimnis sind verfassungsrechtlich geschützt. Art. 40 der Verfassung lässt Ausnahmen jedoch in Fällen zu, in denen "aufgrund der Bedürfnisse der staatlichen Sicherheit oder zwecks Aufklärung von Straftaten die Organe für öffentliche Sicherheit oder die Organe der Staatsanwaltschaft gemäß den gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren eine Zensur der Korrespondenz vornehmen dürfen". Immer wieder gibt es Hinweise auf staatliche Eingriffe durch Telefon-, Brief-, Fax-, E-Mail-, SMS und Internet-überwachung (AA 18.6.2013; vgl. FH 1.2.2013). Die Provinzregierungen wiesen die Behörden der unteren Ebenen an, im Vorfeld des Führungswechsels in der KPCh die "kommunale Arbeit zu stärken". Dazu gehörte die Sammlung von Informationen durch mit der Überwachung auf kommunaler Ebene betraute Personen, Warnungen an Dissidenten und ihre Familien sowie die Verhängung von Gefängnisstrafen oder Hausarrest gegen Regierungskritiker, um sie durch diese Maßnahmen zum Schweigen zu bringen. Ende 2011 und Anfang 2012 wurden mehrere Menschenrechtsverteidiger, die beständig politische Reformen eingefordert hatten, wegen der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" zu langen Haftstrafen verurteilt, weil sie Artikel und Gedichte verfasst und verbreitet hatten (AI 23.5.2013). Im Vorfeld des 18. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas wurden Dutzende Blogger, Petenten und Aktivisten verhaftet. Die Repression war nicht so breit wie 2011 beim arabischen Frühling (FH 1.2.2013 vgl. AI 23.5.2013). Pressefreiheit ist in China nicht gewährleistet. Das in der chinesischen Verfassung theoretisch gewährte Recht wird durch Vorbehalte in der Verfassung selbst sowie durch zahlreiche einfachgesetzliche Regelungen und administratives Vorgehen weitgehend ausgehöhlt. Als Sprachrohr von Partei und Staat bleibt es Hauptaufgabe der Medien, die "Einheit von Volk, Staat und Partei" und die politischen Ziele der Staatsführung zu propagieren (AA 18.6.2013). Alle Medien sind im Besitz des Staates oder der KP, allerdings werden nicht alle direkt von diesen betrieben. Alle Nachrichtenkanäle müssen sich an die regelmäßig herausgegebenen Direktiven der KP halten oder von der Partei vorgegebene Formulierungen publizieren. Laut einigen Beobachtergruppen, befinden sich mindestens 67 Journalisten und Online-Aktivisten in Haft, viele davon Uiguren und Tibeter. Die tatsächliche Zahl könnte um einiges höher sein (FH 1.2.2013). Soziale Defizite werden bisweilen offen problematisiert, die Berichterstattung hierüber wird immer freier und wird geduldet, solange sie nicht als Systemkritik perzipiert wird. Demgegenüber unterstehen politische Inhalte weiterhin einer strengen staatlichen Kontrolle. Verstöße gegen die Regeln werden teilweise empfindlich bestraft, etwa mit Verlust des Arbeitsplatzes oder gar Inhaftierung. China gehört nach der Evaluierung von "Reporter ohne Grenzen" aus dem Jahr 2012 weiter zu den Ländern mit den stärksten Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Es nimmt dort den 174. Platz von 179 Ländern ein. Die neue Führung hat im Frühjahr 2013 neue, strengere Zensurregeln erlassen (AA 18.6.2013). Gleichzeitig steigt die Bedeutung des Internets und der sozialen Medien. China verfügt mit rund 520 Mio. Nutzern über die größte Internetgemeinde weltweit. Darüber hinaus haben sich rund 300 Mio. Blogs und Mikroblogs - Tendenz steigend - zu Foren der Meinungsäußerung für Chinesen entwickelt. Internet und soziale Netzwerke sind zu mächtigen Sprachrohren bei Frustrationswellen geworden. In den sozialen Netzwerken werden Gravamina aufgegriffen, die immer häufiger den Weg auch in die traditionellen Medien finden und Behörden zu Stellungnahmen und Maßnahmen zwingen (AA 18.6.2013). Die Internetkontrolle staatlicherseits wird weiter ausgebaut. 2011 wurden die Zuständigkeiten für die Kontrolle des Internets im neu geschaffenen State Internet Information Office gebündelt, zudem erfolgt sie durch eine Vielzahl von Zweigstellen staatlicher Internetanbieter in den Provinzen, Unternehmen und Organisationen. Kritische Beiträge oder Webseiten werden zensiert bzw. gesperrt. Seit März 2012 gibt es bei der Nutzung sozialer Medien zudem den Zwang zur Klarnamenregistrierung mit Identitätsnachweis (AA 18.6.2013).
Quellen: AA - Auswärtiges Amt (18.6.2013): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, AI - Amnesty International (23.5.2013): Annual Report 2013 - China, http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 20.11.2013, FH - Freedom House (1.2.2013): Freedom in the World 2013 - China, http://www.freedomhouse.org/report/freedom-world/2013/china, Zugriff 20.11.2013.
Opposition
Eine parlamentarische Opposition zur KPCh gibt es nicht. Die in der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes organisierten acht "demokratischen Parteien" sind nach sowjetischem Muster "gleichgeschaltet". Sie werden in Konsultationsprozesse z.B. in den Bereichen Wirtschaft und Gesetzgebung einbezogen, haben aber sehr begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten (AA 18.6.2013).
Politische Opposition ist in der VR China unter dem Tatbestand der "Staatsgefährdung" strafbar (ÖB 9.2013).
Personen, die in Opposition zu Regierung und herrschender Ideologie stehen, setzen sich der Gefahr von Repression durch staatliche Stellen aus, wenn sie aus Sicht der Regierung die Kommunistische Partei, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gefährden (AA 18.6.2013). Bürger, die versuchen Oppositionsparteien zu formieren oder sich für demokratische Reformen einsetzen, wurden zu langen Haftstrafen verurteilt (FH 1.2.2013).
Aus Sicht der Regierung geht von separatistischen Bestrebungen und Untergrundaktivitäten innerhalb Chinas die größte Gefahr aus, von oppositionellen Organisationen chinesischer Intellektueller im Ausland grundsätzlich eine geringere Bedrohung. Besondere Aufmerksamkeit im Ausland widmet die chinesische Führung führenden Mitgliedern der Studentenbewegung von 1989, soweit sie noch aktiv sind. Dies gilt auch für bekannte Persönlichkeiten, die öffentlich gegen die chinesische Regierung oder deren Politik Stellung beziehen und eine ernst zu nehmende