Entscheidungsdatum
14.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
I407 2222081-2/11E
I407 2222081-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
I. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. ÄGYPTEN, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des BFA, RD Wien Außenstelle Wien (BFA-W-ASt-Wien) vom 16.12.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.04.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. ÄGYPTEN, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich (BFA-O) vom 04.07.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.04.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer hatte seit 13.09.2005 eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Seit 19.09.2005 ist er in Österreich gemeldet. Seine Aufenthaltserlaubnis wurde mehrfach verlängert.
2. Mit Bescheid des Magistrat XXXX vom 12.07.2011 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis „Studierender“ abgewiesen, da er nicht am Verfahren mitwirkte. In weiterer Folge wurde dem Beschwerdeführer am 19.11.2013 eine schriftliche Aufforderung zur Ausreise wegen illegalem Aufenthalt zugestellt. Diese wurde bei der Post hinterlegt, vom Beschwerdeführer jedoch nicht behoben.
3. Am 04.06.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht XXXX unter der Aktenzahl XXXX wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Dieses Urteil erwuchs am 19.12.2018 in Rechtskraft.
4. Mit verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 04.07.2019 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt III.). Zudem wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
5. Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 25.07.2019 Beschwerde. Diese wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 12.08.2019 zur Entscheidung vorgelegt.
6. Der Beschwerdeführer stellte in weiterer Folge am 30.10.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte vor, dass er in Österreich fälschlicherweise strafrechtlich verurteilt worden wäre und die belangte Behörde diese Verurteilung der ägyptischen Botschaft mitgeteilt hätte. Daher würde ihm in Ägypten eine Gefängnisstrafe, Folter und allenfalls die Todesstrafe drohen.
7. Mit dem Bescheid vom 16.12.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Weiter wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 19.12.2018 verloren hat (Spruchpunkt III.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.).
8. Auch gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 27.01.2021 Beschwerde. Diese wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 01.02.2021 zur Entscheidung vorgelegt.
9. Am 12.04.2021 fand in weiterer Folge eine Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Ägypten und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht fest. Er ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer reiste legal mit dem Flugzeug aus seinem Herkunftsstaat nach Österreich ein. Er hatte seit 13.09.2005 eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Seit 19.09.2005 ist er in Österreich gemeldet. Seine Aufenthaltserlaubnis wurde zunächst mehrfach verlängert. Seit dem Jahr 2011 ist der Beschwerdeführer in Österreich illegal aufhältig.
Die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seiner Mutter und einer seiner Schwestern, lebt in Ägypten. Eine weitere Schwester des Beschwerdeführers lebt mit ihrer Familie in Österreich. Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigen Kontakt mit seinen in Österreich lebenden Verwandten. Zu seiner Familie in Ägypten hat er sporadisch telefonischen Kontakt.
Der Beschwerdeführer besuchte in Ägypten 8 Jahre lang die Grundschule und 3 Jahre die Hauptschule. Danach studierte er Informatik und Rechtswissenschaften. Neben dem Studium betrieb der Beschwerdeführer ein Computergeschäft. Dabei wurde er von seinem Vater finanziell unterstützt. In Österreich begann er Deutsch und Rechtswissenschaften zu studieren, brach diese Studien aber ab. In Österreich ist der Beschwerdeführer diversen Beschäftigungen nachgegangen. Er war dabei meist geringfügig, vereinzelt auch in Vollzeit beschäftigt. Zudem spricht der Beschwerdeführer gut Deutsch.
Derzeit arbeitet der Beschwerdeführer in Teilzeit bei einer Transportfirma und lebt ansonsten von seinem Ersparten. Er bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich vorbestraft. Er wurde am 04.06.2018 (rechtskräftig ab 19.12.2018) vom Landesgericht XXXX unter der Aktenzahl XXXX wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Dabei wertete das Gericht die bisherige gerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers mildernd. Erschwerend wurde das Zusammentreffen mehrerer Delikte (§ 83 Abs 1 StGB und § 201 Abs 1 StGB), die beim Opfer eingetretene psychische Belastung und die Tatsache, dass die Tat an einer im gemeinsamen Haushalt lebenden Person begangen wurde, gewertet.
Der Beschwerdeführer wurde am 26.09.2020 unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt aus der Haft entlassen.
1.2. Zu den Fluchtmotiven und der Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer verlies seinen Heimatstaat, um in Österreich zu studieren. Eine asylrelevante persönliche Verfolgung zum Zeitpunkt seiner Ausreise oder im Falle seiner Rückkehr konnte nicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr nach Ägypten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes
1.3. Zur Lage in Ägypten:
Im angefochtenen Bescheid wurde das damals aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Ägypten aus dem Jahr 2019 zitiert. Trotz der verstrichenen Zeit sind hinsichtlich der Lage im Herkunftsstaat keine wesentlichen Änderungen eingetreten. Es liegt aber inzwischen ein aktualisiertes (Stand 01.02.2021) „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Ägypten vor und sind deshalb die folgenden Feststellungen zu treffen:
Politische Lage
Die 2014 in Kraft getretene Verfassung sieht für das Land das Regierungssystem eines demokratischen Rechtsstaats vor. Viele der darin garantierten Grundrechte finden jedoch keine Anwendung, die Verfassung wird zunehmend ausgehöhlt (AA 13.6.2020). Präsident Abdel Fatah Al-Sisi regiert Ägypten seit seiner Machtübernahme auf eine immer autoritärere Weise (FH 4.3.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Die Lage in Ägypten unter Staatspräsident Al-Sisi ist durch ein hohes Maß an staatlicher Repression und eine Politik geprägt, die – dominiert durch Militär und Sicherheitsbehörden und vermeintlich im übergeordneten Interesse der Stabilität – für oppositionspolitische Betätigungen und die Entfaltung bürgerlicher Freiheiten kaum noch Raum lässt (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020).
Abdel Fatah Al-Sisi ist seit dem 8.6.2014 Präsident Ägyptens. Ende März 2014 gab er seine Kandidatur um das ägyptische Präsidentenamt bekannt. Er musste aus dem Militärdienst ausscheiden, um bei den Wahlen antreten zu können. Der Verfassung zufolge ist eine Kandidatur nur einem Zivilisten erlaubt. Al-Sisi war seit dem 12.8.2012 Minister für Verteidigung und Militärproduktion unter dem Ministerpräsidenten Hesham Kandil in der Regierung von Mohamed Mursi. Am 3.7.2013 war die Absetzung von Mursi durch das Militär erfolgt, mit Unterstützung der Bevölkerung, nachdem dieser versucht hatte, dem Präsidentenamt große Machtbefugnisse zuzuteilen, und das Land zu islamisieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgte die de-facto Machtübernahme Al-Sisis (GIZ 6.2020a; vgl. ÖB 25.11.2020).
Der Präsident wird durch Volksabstimmung für bis zu zwei Amtszeiten gewählt. Bei den Präsidentschaftswahlen 2014 und 2018 gewann Präsident Al-Sisi mit jeweils 97% der Stimmen (FH 4.3.2020). Die Präsidentschaftswahlen im März 2018 waren weder frei noch fair. Eine politische Debatte wurde rigoros unterbunden und eine Opposition nicht zugelassen. Der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat, der ehemalige Stabschef der ägyptischen Streitkräfte Sami Anan, wurde nur wenige Tage nach der Ankündigung seiner Kandidatur verhaftet und blieb bis Dezember 2019 in Haft (AA 13.6.2020). Die anderen Kandidaten wurden durch Druck und unfaire Wettbewerbsbedingungen aus dem Rennen gedrängt (AA 13.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahl wurde durch eine geringe Wahlbeteiligung, die Nutzung staatlicher Ressourcen und Medien zur Unterstützung der Kandidatur von Al-Sisi, Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt. Die Wahlkommission drohte Nichtwählern mit Geldstrafen, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen (FH 4.3.2020).
Der Großteil der Abgeordneten des von etwa 25% der ägyptischen Wahlberechtigten gewählten und im Jänner 2016 konstituierten ägyptischen Parlaments ist regierungstreu. Das Parlament führt kaum kritische Debatten und nimmt im Grunde die Rolle einer Legitimierungsinstitution für Regierungshandeln ein. Eine vergleichsweise kleine Gruppe von kritischen oppositionellen Abgeordneten erfährt immer wieder Restriktionen bis hin zu Ausschlüssen (AA 13.6.2020).
Im April 2019 trat nach einem Referendum eine Verfassungsänderung in Kraft, die dem Staatspräsidenten die Möglichkeit bietet, über die gegenwärtig festgelegten zwei Amtsperioden hinaus bis 2030 im Amt zu bleiben. Der Präsident erhielt des Weiteren mehr Macht über den Justizapparat und es kam zu einer Stärkung der Kontrolle des Militärs über das zivile Leben (DP 23.4.2019; vgl. ÖB 25.11.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- DP - Die Presse (23.4.2019): Ägypten: Referendum ermöglicht al-Sisi, bis 2030 Präsident zu bleiben, https://www.diepresse.com/5617070/agypten-referendum-ermoglicht-al-sisi-bis-2030-prasident-zu-bleiben, Zugriff 18.1.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025912.html, Zugriff 18.1.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/, Zugriff 18.1.2020
- HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043578.html, Zugriff 18.1.2021
- ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht Ägypten 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%Bcr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf, Zugriff 21.1.2021
Sicherheitslage
Die Bedrohung durch Terrorismus ist hoch. Anfällig für Angriffe sind z.B. religiöse Stätten, Touristenattraktionen und Regierungsgebäude (MSZ o.D.; vgl. MEAE/FD 15.1.2021, AA 21.1.2021). Der Ausnahmezustand wurde 2017 zunächst nach der Explosion mehrerer Bomben gegen Kirchen in den Gouvernements Kairo und Alexandria verhängt und in Folge immer wieder verlängert (MAE 16.1.2021; vgl. MSZ o.D., ÖB 25.11.2020, MEAE/FD 15.1.2021, AA 22.1.2021).
Die Lage auf der Sinai-Halbinsel ist sehr angespannt (MAE 16.1.2021; vgl. ÖB 25.11.2020). Der Einsatz der Sicherheitskräfte im Kampf gegen den Terrorismus hat vielfach dazu beigetragen, die Spannungen zwischen Beduinen und den staatlichen Institutionen zu verschärfen (AA 13.6.2020). Beduinenstämme sind für Einschüchterungsversuche und Gewalttaten verantwortlich (MAE 16.1.2021).
Terroristische Organisationen sind vor allem, aber nicht ausschließlich, in den nordöstlichen Teilen des Gouvernements Sinai aktiv (OSAC 30.4.2020; vgl. MAE 16.1.2021). Die meisten Anschläge im Nordsinai richten sich gegen militärische Einrichtungen und Personal (OSAC 30.4.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Sowohl Terroranschläge als auch Militäroperationen führen immer wieder zu zivilen Opfern (FH 4.3.2020; vgl. OSAC 30.4.2020, ACLED 14.5.2020).
Im Jahr 2018 führte die „Operation Sinai 2018“ zu einer deutlichen Intensivierung der militärischen Aktivitäten im Nordsinai (OSAC 30.4.2020; vgl. MAE 16.1.2021, MEAE/FD 15.1.2021, ÖB 25.11.2020). Die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Anhängern des Islamischen Staates (IS) in der Region Nordsinai dauern weiterhin an (FH 4.3.2020; vgl. OSAC 30.4.2020, MEAE/FD 15.1.2021, AI 18.2.2020, ÖB 25.11.2020), wenn auch deren Häufigkeit reduziert wurde (AI 18.2.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Im Sog der Gesundheitskrise und öffentlichen Unordnung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie konnte der Islamische Staat seine Aktivitäten auf der Halbinsel Sinai jedoch wieder verstärken (ACLED 14.5.2020, 9.4.2020).
Das Wüstengebiet von der libyschen Grenze im Westen bis zur sudanesischen Grenze im Süden ist ein Risikogebiet, in dem die Streitkräfte regelmäßig Operationen gegen Schlepper durchführen (MEAE/FD 15.1.2021; vgl. ÖB 25.11.2020) und Terroristen Anschläge verüben (OSAC 30.4.2020). Die Infiltration von terroristischen Elementen aus Libyen kann nicht ausgeschlossen werden (MEAE/FD 15.1.2021).
Es kommt gelegentlich zu Attentaten in den Großstädten (ÖB 25.11.2020).
In Ägypten sind folgende terroristische Organisationen aktiv. Der Islamischer Staat - Wilayat Sinai (auch: Ansar Bayt al-Maqdis - ABM) ist die aktivste Terrorgruppe in Ägypten (OSAC 30.4.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Darüber hinaus gibt es den Islamischen Staat in Ägypten, Harakat Sawa'd Misr (HASM), Liwa al-Thawra, mit al-Qaida verbundene Gruppen, Harket Elmokawma Elsha'biya alias "Volkswiderstand" und andere verschiedene kleinere Terrorgruppen (OSAC 30.4.2020). Seit Mitte 2016 sind die neuen Terrorgruppen HASM und „Liwaa al-Thawra“ mit islamistisch-nationalistischer Ausrichtung im ägyptischen Kernland für mehrere schwere Anschläge, v.a. gegen Sicherheitskräfte u. Justiz, verantwortlich. Anschläge haben seit 2019 etwas abgenommen aber nicht aufgehört (ÖB 25.11.2020).
Das Antiterrorismusgesetz von 2015 sieht für Journalisten empfindliche Geldstrafen für das Abweichen von der offiziellen Linie der Berichterstattung, etwa über Terroranschläge, vor (AA 13.6.2020; vgl. RSF 2020) und gelegentlich wird die Berichterstattung vollständig untersagt (ACLED 14.5.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.1.2019): Ägypten - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/aegyptensicherheit/212622, Zugriff 29.1.2021
- ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (14.5.2020): CDT Spotlight: Egypt, https://acleddata.com/2020/05/14/cdt-spotlight-egypt/, Zugriff 29.1.2021
- ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (9.4.2020): CDT Spotlight: Islamic State Attacks, https://acleddata.com/2020/04/09/cdt-spotlight-renewed-attacks-by-the-islamic-state/, Zugriff 29.1.2021
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (18.12.2020): Reiseinformation, Ägypten - Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aegypten/, Zugriff 22.1.2021
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025912.html, Zugriff 18.1.2020
- MAE - Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale [Außenministerium Italien] (16.1.2021): Viaggiare Sicuri informatevi – Egitto, http://www.viaggiaresicuri.it/country/EGY, Zugriff 29.1.2021
- MEAE/FD - Ministère de l’Europe et des Affaires Étrangères / France diplomatique [Außenministerium Frankreich] (15.1.2021): Egypte - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/egypte/#securite, Zugriff 29.1.2021
- MSZ - Ministerstwo Spraw Zagranicznych / Außenministerium Polen (o.D.): Informacje dla podró?uj?cych – Egipt, https://www.gov.pl/web/dyplomacja/egipt, Zugriff 20.1.2021
- ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht Ägypten 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%Bcr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf, Zugriff 21.1.2021
- OSAC - Overseas Security Advisory Council (30.4.2020): Egypt 2020 Crime & Safety Report, https://www.osac.gov/Country/Egypt/Content/Detail/Report/d1dea62c-57dd-4b34-bbb1-189224fb1423, Zugriff 29.1.2021
- RSF - Reporters sans frontières / Reporter ohne Grenzen (2020): Ägypten, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/aegypten, Zugriff 28.1.2021
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit und Immunität der Richter vor. Einzelnen Gerichten fehlt es manchmal an Unparteilichkeit und diese gelangen zu politisch motivierten Ergebnissen. Die Regierung respektiert in der Regel Gerichtsbeschlüsse (USDOS 11.3.2020). Die Unabhängigkeit der Justiz ist vor allem im Bereich der äußerst weit verstandenen Terrorismusbekämpfung erheblich beeinträchtigt. Willkürliche Verhaftungen, Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen von Personen durch die Staatssicherheit und politisch motivierte Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung. Folter und Misshandlungen in Haft sind verbreitet. Die Sicherheitsdienste genießen de facto Straffreiheit. Sie agieren zunehmend außerhalb jedweder rechtlicher Vorgaben und entziehen sich der Kontrolle durch Justiz und Politik (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Im April 2019 führten Verfassungsänderungen zur Ausweitung der Befugnisse von Militärgerichten bei der Verfolgung von Zivilisten. Sie unterminierten die Unabhängigkeit der Justiz durch die Ausstattung des Präsidenten mit der Befugnis, Vorsitzende von Körperschaften der Justiz zu ernennen (AI 18.2.2020).
Die ägyptische Justiz ist in Zivil- und Strafgerichte einerseits und Verwaltungsgerichte andererseits unterteilt. Jeweils höchste Instanz ist das Kassationsgericht bzw. das Hohe Verwaltungsgericht. Darüber hinaus existieren Sonder- und Militärgerichte. Seit 1969 ist das Oberste Verfassungsgericht das höchste Gericht. Obwohl die Gerichte in Ägypten - mit gewissen Einschränkungen - als relativ unabhängig gelten und sich Richter immer wieder offen gegen den Präsidenten stellten, gab es immer wieder Vorwürfe gegen Richter, Prozesse im Sinn des Regimes zu manipulieren. Solche Vorwürfe werden auch heute noch in Bezug auf die Prozessführung gegen die angeklagten Spitzen des alten Regimes sowie hohe Offiziere der Sicherheitskräfte erhoben. Das Mubarak-Regime bediente sich immer wieder der durch den Ausnahmezustand legitimierten Militärgerichte, um politische Urteile durchzusetzen. Auch nach der Revolution wurden zahlreiche Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt (GIZ 6.2020a).
In Ägypten existieren Straftatbestände, die als solche oder in ihrer konkreten Anwendung, eine Diskriminierung aufgrund bestimmter Merkmale darstellen. So wird der Blasphemieparagraph überproportional gegen Christen und Atheisten angewendet. Der Unzuchtparagraph wird nahezu ausschließlich auf homosexuelle Männer angewendet. Harte Strafen gegen Angehörige der Muslimbruderschaft und oppositionspolitische Aktivisten sind häufig Ausdruck einer politisierten Justiz, die nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verfährt. Anlässlich ägyptischer Feiertage und Großereignisse werden immer wieder Gefangene amnestiert bzw. im formellen Sinne begnadigt. Allerdings profitieren hiervon in der Regel keine politischen Gefangenen, sondern ausschließlich„normale“Strafgefangene. Allgemeine Voraussetzungen sind in der Regel die Verbüßung von mindestens der Hälfte der Haftzeit und gute Führung in Haft. Das Parlament hat im März 2020 Gesetzesänderungen verabschiedet, die eine vorzeitige Haftentlassung von Personen ausschließen, die aufgrund der Straftatbestände Terrorismus, Geldwäsche, Drogenhandel und illegales Demonstrieren verurteilt sind (AA 13.6.2020).
Gesetzlich ist das Recht auf ein faires Verfahren vorgesehen, aber die Justiz kann dieses Recht oft nicht gewährleisten. Das Gesetz geht von einer Unschuld der Angeklagten aus und die Behörden informieren sie in der Regel unverzüglich und im Detail über die Anklagen gegen sie. Die Angeklagten haben das Recht, bei den Verfahren anwesend zu sein. Die Teilnahme ist verpflichtend für Personen, die eines Verbrechens angeklagt werden, und fakultativ für diejenigen, die wegen Vergehen angeklagt sind. Zivilverhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Angeklagten haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, und die Regierung ist zuständig für den Rechtsbeistand, wenn der Angeklagte sich keinen Rechtsanwalt leisten kann. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Verhandlungen vor dem Militärgericht sind nicht öffentlich (USDOS 11.3.2020). Die weitgehende Nutzung von außerordentlichen Gerichten, darunter Terrorismusgerichte [orig. terrorism circuits], Militärgerichte und Staatssicherheitsgerichte, führt zu unfairen Verfahren. Es kommt bei Verfahren der Terrorismusgerichte zu Vorwürfen von zwangsweisem Verschwindenlassen und Folter (AI 18.2.2020).
Auch lang andauernde Haft ohne Anklage aufgrund Veranlassung der Sicherheitsbehörden ist verbreitet, die Zahl solcher Haftfälle steigt. Urteile in politisch motivierten Verfahren basieren in der Regel nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen (AA 13.6.2020).
Besonders in Oberägypten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, deren Ursache häufig in Streitigkeiten auf lokaler Ebene liegen. Traditionelle Vorstellungen von (Blut-)Rache und (kollektiver) Vergeltung sind in den ländlichen Gebieten Oberägyptens nach wie vor vorherrschend. Traditionelle Streitschlichtungsmechanismen spielen auch aufgrund der Abwesenheit funktionierender staatlicher Institutionen eine große Rolle. Dabei kommt es regelmäßig zu strukturellen Benachteiligungen der Christen (AA 13.6.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/, Zugriff 18.1.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht Ägypten 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%Bcr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf, Zugriff 21.1.2021
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021
Sicherheitsbehörden
Das Innenministerium ist zuständig für die Durchsetzung der Gesetze und innere Sicherheit, ihm unterstehen die Polizei (Public Police), die Zentralen Sicherheitkräfte (Central Security Force – CSF), der Nationale Sicherheitssektor (National Security Sector – NSS) sowie Zoll und Immigration. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und führen Einsätze bei Demonstrationen durch. Der NSS ist bei Bedrohungen der inneren Sicherheit zuständig sowie für die Bekämpfung des Terrorismus, gemeinsam mit anderen ägyptischen Sicherheitskräften. Zivile Behörden haben eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).
Militär und Sicherheitsbehörden nehmen im Staatsgefüge eine dominierende Position ein und verfügen über weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten. Gerade auf dem Gebiet der begrifflich sehr weit verstandenen Terrorismusbekämpfung sind die Sicherheitsbehörden der Kontrolle durch die Justiz und anderen Verfassungsorganen weitgehend entzogen. Polizei und Staatsschutz (National Security Services) sind formal getrennt, unterstehen jedoch gemeinsam dem Innenministerium (AA 13.6.2020). Der nach einem Terroranschlag im April 2017 verhängte landesweite Ausnahmezustand dauert weiterhin an und geht mit erhöhten Eingriffsbefugnissen für Sicherheitskräfte und Militär einher (AA 22.1.2021).
Die Regierung bestraft oder verfolgt Beamte, die Vergehen begehen, nur inkonsistent. Dies gilt sowohl für die Sicherheitskräfte als auch andere Regierungsstellen. Die nicht umfassende Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen, vor allem innerhalb der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straffreiheit bei (USDOS 11.3.2020).
Nicht zu unterschätzen ist die Rolle des Militärs auch im wirtschaftlichen Umfeld. Die traditionell starke Verflechtung des Militärs in sämtlichen ägyptischen Strukturen ist laut Schätzungen für bis zu 45% des BIP verantwortlich, auch wenn es dazu aus Gründen der Geheimhaltung keine offiziellen/verlässlichen Zahlen gibt (Präsident Al-Sisi spricht von knapp 2%). Das Militär ist in sämtlichen Infrastrukturbereichen ebenso tätig wie beispielsweise beim Abfüllen von Wasser oder der Produktion von Pasta und beim Import von Babymilchpulver (WKO 9.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.1.2019): Ägypten - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/aegyptensicherheit/212622, Zugriff 29.1.2021
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021
- WKO - Wirtschaftskammer Österreich | AußenwirtschaftsCenter Kairo (22.9.2020): Außenwirtschaftsbericht Ägypten, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/aegypten-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 21.1.2021
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Verfassung besagt, dass einer Person, die die Behörden inhaftiert oder festgenommen haben, keine Folter, Einschüchterung, Nötigung oder körperlicher oder moralischer Schaden zugefügt werden darf. Das Strafgesetzbuch verbietet Folter zur Erlangung eines Geständnisses, berücksichtigt aber keinen psychischen Missbrauch (USDOS 11.3.2020). Folter ist in offiziellen und inoffiziellen Haftanstalten weit verbreitet und nur in einzelnen Fällen werden Polizeibeamte strafrechtlich verfolgt (AI 18.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Folter wird durch ägyptische Sicherheitsbehörden in unterschiedlichen Formen und Abstufungen praktiziert. In Polizeigewahrsam sind Folter und Misshandlungen weit verbreitet. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu Todesfällen in Haft. Menschenrechtsverteidiger kritisierten, dass Beweise, die zu Verurteilungen in Strafverfahren führten, unter Folter gewonnen werden (AA 13.6.2020; USDOS 11.3.2020). Betroffen waren bisher vor allem Muslimbrüder und Islamisten. In letzter Zeit werden aber auch verstärkt Mitglieder der Zivilgesellschaft und Oppositionelle Opfer von Folter. Folter wird als Mittel zur Informationsgewinnung, Abschreckung und Einschüchterung eingesetzt (AA 13.6.2020). Regierungsbeamte leugnen, dass die Anwendung von Folter systematisch sei. Der Bericht des UN-Ausschusses gegen Folter von 2017 kam hingegen zu dem Schluss, dass Folter eine systematische Praxis ist (USDOS 11.3.2020).
Extralegale Tötungen werden im Zusammenhang mit dem staatlichen Vorgehen gegen Islamisten verübt. Willkürliche Festnahmen und erzwungenes Verschwindenlassen, Inhaftierungen durch die Sicherheitsbehörden über längere Zeiträume ohne Anklage und Benachrichtigung von Angehörigen und Rechtsbeiständen sind verbreitet und üblich. Die Zahl solcher Fälle ist zuletzt im Zuge der verstärkten Repression gegen die politische Opposition stark angestiegen (AA 13.6.2020; vgl. HRW 13.1.2021).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021
- HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043578.html, Zugriff 18.1.2021
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021
Korruption
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht konsequent um, und Beamte üben manchmal ungestraft korrupte Praktiken aus (USDOS 11.3.2020).
Korruption ist auf allen Ebenen der Regierung weit verbreitet. Offizielle Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung korrupter Aktivitäten sind nach wie vor schwach und ineffektiv. Nach einer Änderung des Strafgesetzbuches im Jahr 2015 können Angeklagte in Fällen finanzieller Veruntreuung die Inhaftierung durch Zahlung von Entschädigung vermeiden; die Strafen sind meist gering. Die Administrative Control Authority (ACA), die für die meisten Antikorruptionsinitiativen zuständige Stelle, verfolgt oft politisch motivierte Korruptionsfälle, operiert allerdings undurchsichtig (FH 4.3.2020).
Die Anti-Korruptionsbehörde der Regierung (Central Agency for Auditing and Accounting) legt dem Präsidenten und dem Premierminister Berichte vor, die der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung stehen (USDOS 11.3.2020).
Laut Corruption Perceptions Index 2020 befindet sich Ägypten auf Platz 117 von 180 Ländern; das ist eine Verschlechterung um 11 Plätze im Vergleich zum Jahr davor (TI 28.1.2021).
Quellen:
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Egypt, https://www.ecoi.net/en/document/2025912.html, Zugriff 29.12.2020
- TI - Transparency International (28.1.2021): Corruption Perceptions Index - CPI Full Data Set (.zip), https://images.transparencycdn.org/images/CPI_FULL_DATA_2021-01-27-162209.zip, Zugriff 28.1.2021
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Menschenrechtslage in Ägypten hat sich – bei bereits Besorgnis erregendem Niveau – [im Zeitraum 2019/2020] in fast allen Bereichen weiter verschlechtert (AA 13.6.2020).
Die nach 2011 angestoßene politische Konsolidierung hin zu einem auf einem Rechtsstaat basierenden demokratischen System ist zum Stillstand gekommen. Freiheitsrechte werden systematisch abgebaut. Die 2014 in Kraft getretene Verfassung sieht für das Land das Regierungssystem eines demokratischen Rechtsstaats vor. Viele der darin garantierten Grundrechte finden jedoch keine Anwendung, die Verfassung wird zunehmend ausgehöhlt. Die Präsidentschaftswahlen im März 2018 waren weder frei noch fair. Eine politische Debatte wurde rigoros unterbunden und eine Opposition nicht zugelassen. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie Meinungs- und Pressefreiheit sind erheblich eingeschränkt (AA 13.6.2020; vgl. AI 18.2.2020).
Ägypten hat einige internationale Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, wie auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-Vorbehalt) (AA 13.6.2020).
Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie viele der über 30 ägyptischen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig englisch- und arabischsprachige Berichte zur Menschenrechtslage in Ägypten, darunter die Egyptian Organization for Human Rights EOHR, das Nadim Zentrum für Gewaltopfer, die Egyptian Initiative for Personal Rights EIPR und das Budgetary and Human Rights Observatory (GIZ 6.2020a).
Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme waren der übermäßige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, Defizite in ordentlichen Gerichtsverfahren und die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten. Übermäßiger Einsatz von Gewalt umfasste rechtswidrige Tötungen und Folter. Zu den prozessbedingten Problemen gehörten die übermäßige Verwendung von präventiver Haft und Untersuchungshaft. Das Problemfeld bei den bürgerlichen Freiheiten beinhaltet gesellschaftliche und staatliche Beschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Andere Menschenrechtsprobleme beinhalteten das Verschwindenlassen, harte Gefängnisbedingungen, willkürliche Verhaftungen, eine Justiz, die in einigen Fällen zu Ergebnissen kam, die nicht durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt wurden oder die politische Motivationen zu reflektieren schienen, Straflosigkeit für Sicherheitskräfte, Begrenzung der Religionsfreiheit, Korruption, Gewalt, Belästigung und gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen und Mädchen, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Menschenhandel, gesellschaftliche Diskriminierung religiöser Minderheiten, Diskriminierung und Verhaftungen auf der Grundlage sexueller Orientierung (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 29.12.2020
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/, Zugriff 29.12.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Egypt, https://www.ecoi.net/en/document/2026355.html, Zugriff 29.12.2020
Meinungs- und Pressefreiheit
Die Verfassung sieht Meinungs- und Pressefreiheit vor, beinhaltet aber eine Klausel, wonach diese in Kriegszeiten oder anlässlich einer öffentlichen Mobilisierung einer begrenzten Zensur unterworfen werden kann. Die Regierung hat diese Rechte oft nicht respektiert (USDOS 11.3.2020) und die Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Im World Press Freedom Index 2020 belegt Ägypten Rang 166 von 180 (RSF 2020). Das Antiterrorismusgesetz von 2015 sieht für Journalisten empfindliche Geldstrafen für das Abweichen von der offiziellen Linie der Berichterstattung, etwa über Terroranschläge, vor (AA 13.6.2020; vgl. RSF 2020).
Kritische Stimmen finden in den Medien kaum Gehör – sei es in den direkt gesteuerten Staatsmedien oder in den privaten Medien, die durch Selbstzensur auf Regierungslinie berichten oder kommentieren. Nur einzelne Zeitungen und vor allem Onlineportale bieten kritischen Stimmen noch einen gewissen Raum. Auf diese Medien wird zunehmender Druck ausgeübt. Seit Mai 2017 sind über 400 Webseiten, darunter die von zahlreichen (Online-)Medien, wie u.a. Al Jazeera, Mada Masr, Daily News Egypt, ohne Angabe zu Urheber und Rechtsgrundlage gesperrt (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, ÖB 25.11.2020).
Das Anti-Terrorismusgesetz von 2015 stellt einen ebenso tiefen Einschnitt in die professionelle Arbeit von Journalisten in Ägypten dar. Durch das Gesetz sind Journalisten mit Strafen wegen „Verbreitung falscher Nachrichten“ bedroht. Es schränkt ihre Recherchemöglichkeiten erheblich ein und entzieht ihnen die freie Wahl ihrer Quellen. Das Abweichen von offiziellen Linien der Berichterstattung wird mit empfindlichen Geldstrafen sanktioniert (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, RSF 2020, ÖB 25.11.2020, ACLED 14.5.2020).
Es kommt regelmäßig zu Anhörungen und Verhaftungen von Journalisten (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, RSF 2020, ÖB 25.11.2020). Unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist Ägypten eines der Länder mit den meisten inhaftierten Journalisten geworden. Manche werden jahrelang ohne Urteil oder Anklage festgehalten, andere in Massenprozessen zu langen Haftstrafen verurteilt. Kritische Journalist*innen werden als angebliche Unterstützer der verbotenen Muslimbruderschaft gebrandmarkt. Neue Sicherheits-, Medien- und Internetgesetze legalisieren weitreichende Strafverfolgung und Zensur (RSF 2020; vgl. FH 4.3.2020, AI 18.2.2020).
Mit dem Mediengesetz und dem Gesetz gegen Cyberkriminalität von 2018 wurden weitreichende Rechtsgrundlagen für die Kontrolle der Medien geschaffen und gleichzeitig verbleibende Freiräume in Internet und sozialen Medien eingeschränkt. Die Bestimmungen beinhalten u. a. die Unterstellung von Social-Media-Nutzern mit mehr als 5.000 Follower unter die Medienaufsicht, weitreichende Genehmigungspflichten sowie die Rechtsgrundlage für die Sperrung von Webseiten (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, ÖB 25.11.2020). Browsing von gesperrten Websites bzw. das Teilen von Inhalten gesperrter Websites wird mit Geld- und Haftstrafen bedroht (ÖB 25.11.2020). Die Repression richtet sich nicht allein gegen mutmaßliche Angehörige der verbotenen Muslimbruderschaft, sondern gegen sämtliche unabhängige zivilgesellschaftliche Akteure, Opposition und zunehmend auch Personen ohne direktes politisches Engagement (z.B. infolge von Facebook Posts oder zufälligen Handy-Durchsuchungen) (AA 13.6.2020).
Insbesondere im zeitlichen und räumlichen Umfeld von Protesten und Demonstrationen durchsucht die Polizei Mobiltelefone von Passanten ohne Rechtsgrundlage. Bei Weigerung ebenso wie beim Fund kleinster politischer Botschaften werden die Personen zur weiteren Befragung zur Polizeistation gebracht. Die meisten dieser Personen bleiben einige Tage in Gewahrsam (meo 22.2.2020; vgl. AI 2.10.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (14.5.2020): CDT Spotlight: Egypt, https://acleddata.com/2020/05/14/cdt-spotlight-egypt/, Zugriff 29.1.2021
- AI - Amnesty International (2.10.2020): Egypt: Rare protests met with unlawful force and mass arrests, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/10/egypt-rare-protests-met-with-unlawful-force-and-mass-arrests/, Zugriff 28.1.2021
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025912.html, Zugriff 18.1.2020
- meo - Middle East Online (22.2.2020): Egypt rights advocates raise alarm over privacy violations, https://middle-east-online.com/en/egypt-rights-advocates-raise-alarm-over-privacy-violations, Zugriff 28.1.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht Ägypten 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%Bcr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf, Zugriff 21.1.2021
- RSF - Reporters sans frontières / Reporter ohne Grenzen (2020): Ägypten, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/aegypten, Zugriff 28.1.2021
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Die Verfassung garantiert die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Die Versammlungsfreiheit setzt eine gesetzlich vorgeschriebene Anmeldung voraus. Die Vereinigungsfreiheit wird durch das Gesetz erheblich beschränkt (USDOS 11.3.2020).
Die in der Verfassung garantierte Versammlungsfreiheit wird durch das im November 2013 in Kraft getretene Demonstrationsgesetz weitgehend eingeschränkt. Seither müssen Demonstrationen im Vorfeld genehmigt werden. Zivilgesellschaftliche Akteure berichten von Problemen bereits bei der Antragsstellung und von Ablehnungen ohne Angaben von Gründen. In der Nähe von Militäreinrichtungen sind Versammlungen generell verboten. Bei Verstößen drohen lange Haftstrafen (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020).
Meist kleinere Proteste finden manchmal ohne Einmischung der Regierung statt. In den meisten Fällen setzt die Regierung das Gesetz zur Einschränkung von Demonstrationen rigoros durch, in einigen Fällen unter Anwendung von Gewalt; auch bei friedlichen Demonstrationen (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 2.10.2020). Tausende von Menschen sind in Untersuchungshaft, oft nur, weil sie ihr Recht auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung ausübten; viele davon über die gesetzlich vorgesehene Zweijahresfrist hinaus (HRW 13.1.2021). Im Rahmen des aktuell andauernden Ausnahmezustands wird das Recht auf Versammlungsfreiheit noch weiter eingeschränkt. Gegen die wenigen Proteste geht die Polizei weiterhin mit Härte häufig schon präventiv vor, so dass geplante Demonstrationen praktisch unmöglich geworden sind (AA 13.6.2020).
Im März, September und Oktober 2019 reagierten die Behörden auf friedliche Proteste mit unrechtmäßiger Gewaltanwendung, willkürlichen Massenverhaftungen, unverhältnismäßigen Straßensperren und Zensur (AI 18.2.2020; vgl. AA 13.6.2020, FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- AI - Amnesty International (2.10.2020): Egypt: Rare protests met with unlawful force and mass arrests, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/10/egypt-rare-protests-met-with-unlawful-force-and-mass-arrests/, Zugriff 28.1.2021
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025912.html, Zugriff 18.1.2020
- HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043578.html, Zugriff 18.1.2021
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021
Opposition
Rechtlich gesehen ist die Bildung politischer Parteien erlaubt und diese dürfen auch operieren. In der Praxis gibt es keine politischen Parteien, die der herrschenden Partei Widerstand bieten (FH 4.3.2020). Nennenswerte Handlungsspielräume für politische Opposition existieren nicht. Seit 2018 geht die Regierung gegen die Opposition zunehmend repressiv vor. In einem politischen Klima, in dem die gegenwärtige Politik unter Staatspräsident Al-Sisi als nationaler Überlebenskampf gegen Terrorismus und fremde Einflüsse legitimiert wird, steht oppositionelle Betätigung unter dem Generalverdacht der Staatsfeindlichkeit. Kritik am Präsidenten wird zunehmend strafrechtlich geahndet (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020, FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020).
Die oppositionelle Muslimbruderschaft, die im Volk nach wie vor über eine eigene Anhängerschaft verfügt, ist als Terrororganisation klassifiziert und verboten. Ein Großteil der Führungskader befindet sich in Haft oder im Exil. Auch liberale Aktivisten sind zunehmend Ziel von Verfolgungsmaßnahmen und einem harten, oft willkürlichen Vorgehen seitens der Sicherheitsbehörden (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020, FH 4.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025912.html, Zugriff 18.1.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht Ägypten 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%Bcr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf, Zugriff 21.1.2021
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021
Haftbedingungen
Die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten sind hart und potenziell lebensbedrohlich (USDOS 11.3.2020). Sie entsprechen nicht internationalen Standards. Haftanstalten und Polizeistationen sind überfüllt; Folter und Misshandlungen sowie Todesfälle in Haft, meist aufgrund schlechter medizinischer Versorgung, sind verbreitet (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, HRW 13.1.2021). Gefangene, die aus politischen Gründen inhaftiert wurden, werden mit unbegrenzter oder lang andauernder Einzelhaft bestraft (AI 18.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
2019 starb der ehemalige Präsident Mohamed Mursi während eines Gerichtstermins an einem Herzinfarkt. Laut verschiedener lokaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen sei sein Tod durch medizinische Vernachlässigung während der Haft verursacht worden (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).
Das Strafgesetzbuch sieht einen angemessenen Zugang zu den Gefangenen vor. Manchmal werden Besuche von Familienmitgliedern (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020) oder Rechtsvertretern verhindert (USDOS 11.3.2020).
Nichtstaatliche Beobachter, einschließlich das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, dürfen Haftanstalten nicht besuchen. Das Gesetz erkennt die Rolle des Menschenrechtsauschusses des Parlaments (NCHR) bei der Überwachung von Gefängnissen formell an und legt fest, dass Besuche nur nach vorheriger Benachrichtigung des Generalstaatsanwalts erfolgen dürfen. NCHR führt immer wieder Besuche in Haftanstalten durch (USDOS 11.3.2020).
Der Ausbruch von COVID-19 ab Februar 2020 verschlimmerte die ohnehin schon miserablen Haftbedingungen. In den überfüllten Haftanstalten ist Abstand halten unmöglich. Die Behörden verhängten eine umfassende Informationssperre über Haftanstalten und untersagten Besuche, auch durch Anwälte, bis Ende August 2020, ohne Alternativen wie Video- oder Telefonanrufe anzubieten. Seit Ende August 2020 konnten Familien Besuche per Telefon vorbuchen, waren aber auf einen Verwandten einmal im Monat für 20 Minuten beschränkt (HRW 13.1.2021).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021
- HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043578.html, Zugriff 18.1.2021
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021
Todesstrafe
Ägyptische Gerichte verhängen die Todesstrafe für ein breites Spektrum von Verbrechen, einschließlich Fällen von angeblicher politischer Gewalt und Terrorismus (HRW 13.1.2021; vgl. AA 13.6.2020, EFHR 22.7.2020) und Besitz, Einfuhr oder Herstellung von Sprengstoff. Auch bei schweren Verbrechen ohne politischen Hintergrund wird die Todesstrafe verhängt. In der ägyptischen Gesellschaft besteht breite Zustimmung zur Verhängung der Todesstrafe (AA 13.6.2020).
Zivil- und Militärgerichte verhängen Todesurteile häufig in unfairen Massenprozessen in Fällen, die auf angeblicher politischer Gewalt oder geplanter Gewalt beruhen (AI 18.2.2020, 21.4.2020; vgl. FH 4.3.2020). Vorwürfe der Angeklagten über gewaltsames Verschwindenlassen und Folter werden fast nie von den Richtern untersucht (HRW 13.1.2021).
Öffentlichkeitswirksam wurden zahlreiche Führungskader der Muslimbrüder erstinstanzlich zum Tode verurteilt. Die Verfahren entsprachen nicht rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern sind das Instrument einer politisierten Justiz, sich an der staatlichen Repression gegen die Muslimbrüder zu beteiligen und diese unter zusätzlichen Druck zu setzen (AA 13.6.2020; vgl. AI 18.2.2020).
Im Juni 2014 wurde nach einem seit 2011 bestehenden de-facto Moratorium die Vollstreckung der Todesstrafe wieder aufgenommen. Dabei handelte es sich zunächst um Personen, die vor 2011 wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden waren. Seit Dezember 2017 ist die Zahl der Hinrichtungen drastisch gestiegen (AA 13.6.2020). Die Todesstrafe wird durch Hängen vollstreckt (AI 21.4.2020).
2019 kam es zu einem besorgniserregenden Anstieg bei den Exekutionen (je nach Quelle 38 bis 46), wobei allein im Dezember 16 Urteile vollstreckt wurden. Dieser Trend setzt sich 2020 fort (ÖB 25.11.2020; vgl. AI 21.4.2020, AA 13.6.2020). Die Zivilgesellschaft geht von mindestens 450 erstinstanzlichen Todesurteilen im Jahr 2019 aus (AA 13.6.2020; vgl. AI 21.4.2020). In der ersten Jahreshälfte 2020 verhängten Zivil- und Militärgerichte insgesamt 171 Todesurteile, vorwiegend in Kriminalfällen. Außerdem bestätigte das Berufungsgericht die Todesurteile gegen zehn Angeklagte in drei vorwiegend politischen Fällen. Im selben Zeitraum wurden 34 Personen aus elf Fällen hingerichtet, davon betrafen drei Fälle politische Gewalt (EFHR 22.7.2020).
Zu Todesurteilen und Hinrichtungen existieren keine offiziellen Zahlen, man muss von einer höheren Dunkelziffer ausgehen (AA 13.6.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021
- AI - Amnesty International (21.4.2020): Death sentences and executions 2019, https://www.amnesty.org/download/Documents/ACT5018472020ENGLISH.PDF, Zugriff 22.1.2021
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021
- EFHR - Egyptian Front for Human Rights (22.7.2020): A brief on the death penal