Entscheidungsdatum
07.10.2021Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W129 2237867-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter DDr. Markus GERHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 27.11.2020, Zahl: XXXX , betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 07.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Wesentlichen an, dass er ständig Schwierigkeiten gehabt habe, weil sein Sohn nicht zum Militärdienst bei der syrischen Armee erschienen sei. Schließlich sei er sogar aufgefordert worden, den Militärdienst statt seinem Sohn zu leisten.
2. Am 19.08.2020 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt), bei der er zu seinen Fluchtgründen zusammenfassend vorbrachte, dass er gesucht würde, weil er rebelliert habe. Ferner verwies er auf die Unsicherheit im Land und erklärte, dass sie in Syrien keine Zukunft hätten. Bezüglich des vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes noch vorgebrachten Ersatzwehrdienstes an Stelle seines Sohnes machte er Vergessen geltend und erklärte, dass es sich im Jahr 2013 nicht um eine Einberufung seiner Person, sondern eigentlich um eine drohende Inhaftierung gehandelt habe. Schließlich berichtete er von einer möglichen Gefährdung aufgrund seiner Teilnahme an einer friedlichen Demonstration für die Rechte.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkte I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkte II. und III.).
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF am 13.12.2020 Beschwerde. Die Beschwerde wurde, samt bezugshabenden Verwaltungsakt, dem Bundesverwaltungsgericht (in Folge: BVwG) am 18.12.2020 vorgelegt.
5. Am 29.07.2021 führte das BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, bei der der BF im Beisein seines rechtsfreundlichen Vertreters und unter Zuhilfenahme einer Dolmetscherin für Arabisch ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der BF führt den im Spruch genannten Namen und ist an dem oben genannten Datum geboren. Seine Identität steht fest. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Arabisch.
Der BF ist in XXXX , Bezirk Aleppo, geboren und hatte dort seinen Lebensmittelpunkt. Sechs Monate vor seiner Ausreise lebte er in einem Camp an der syrisch-türkischen Grenze. Er besuchte neun Jahre die Grundschule, war bis zu seiner Ausreise als Fliesenleger tätig und bestritt so seinen Lebensunterhalt.
Der BF ist verheiratet und hat neun Kinder. Eine Tochter lebt in Norwegen und ein Sohn im Bundesgebiet, dieser ist seit 10.10.2014 anerkannter Flüchtling und nahm an der mündlichen Verhandlung als Zeuge teil. Seine anderen Kinder (fünf Töchter und zwei Söhne), seine Frau und seine Eltern leben in syrischen Camps an der Grenze zur Türkei. Zwei Brüder und zwei Schwestern leben noch in Syrien und zwei Brüder und zwei Schwestern leben in Jordanien. Der BF verfügt über einen syrischen Personalausweis (ID-Card), ausgestellt am XXXX , Nr. XXXX .
Der BF verließ seine Heimat am XXXX illegal mit dem Auto in Richtung Türkei und reiste mit einem LKW über ihm unbekannte Länder schließlich am 30.12.2019 illegal ins Bundesgebiet ein. Am 07.01.2020 stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 27.11.2020 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz durch den BF in Österreich ist dem syrischen Regime bzw. den syrischen Behörden nicht bekannt geworden.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF hat das Land hauptsächlich wegen des herrschenden Krieges verlassen.
Der BF hat seinen verpflichtenden syrischen Wehrdienst als einfacher Soldat bereits von XXXX bis etwa Mitte XXXX abgeleistet (vgl. Verhandlung vom 29.07.2021). Er ist mittlerweile bald XXXX Jahre alt und somit grundsätzlich nicht mehr im wehrfähigen Alter. Es konnte auch weder das Vorliegen eines Einberufungsbefehls noch die Gefahr, als Reservist zur syrischen Armee eingezogen zu werden, festgestellt werden. Folglich wird auch eine Gefahr, durch das syrische Regime wegen einer Wehr- oder Reservedienstverweigerung als oppositionell eingestuft zu werden, nicht festgestellt. Ebenso wird eine Gefährdung, im Fall einer Rückkehr nach Syrien durch andere Gruppierungen zwangsrekrutiert zu werden, nicht festgestellt.
Auch eine Verfolgung bzw. Gefährdung des BF aufgrund der einmaligen Teilnahme an einer Demonstration bzw. wegen seiner angeblich regimekritischen Einstellung konnte nicht festgestellt werden.
Darüber hinaus konnte er auch eine Verfolgung oder Bedrohung seiner Person wegen der Wehrdienstverweigerung seines im Bundesgebiet lebenden Sohnes nicht glaubhaft machen.
Das Herkunftsgebiet des BF ist in der Hand kurdischer Kräfte bzw. oppositioneller Gruppierungen (vgl. https://syria.liveuamap.com/), dem BF droht weder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung durch kurdische Milizen oder andere Gruppierungen, noch eine Verfolgung durch das Regime, die syrische Armee oder andere Organe des Regimes.
Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der BF einer konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Syrien aus anderen in der Genfer Flüchtlingskonvention enthaltenen Gründen ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.
In diesem Zusammenhang ist aber auch darauf hinzuweisen, dass es sich vor dem Hintergrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzes an den BF dabei ohnehin lediglich um eine hypothetische Beurteilung der Rückkehrsituation handelt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsland:
Auszüge aus der Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien:
Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
Letzte Änderung: 16.12.2020
Mit großer militärischer Unterstützung der russischen Luftwaffe und iranischer Bodentruppen hat das Assad-Regime mittlerweile etwa zwei Drittel des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht (KAS 8.2020).
Der Westen des Landes, insbesondere Tartous und Lattakia, war im Verlauf des Konflikts vergleichsweise weniger von aktiven Kampfhandlungen betroffen (AA 19.5.2020; vgl. ÖB 29.9.2020). In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Homs und Hama stellt sich die Sicherheitslage im September 2020 als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der sogenannte Islamische Staat (IS) aktiv. Es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee (ÖB 29.9.2020). Aktuell kommt es in westlichen Landesteilen nur sehr vereinzelt zu militärischen Auseinandersetzungen (AA 19.5.2020).
Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist (DIS/DRC 2.2019). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, wie im Westen Syriens und in Damaskus, besteht laut deutschem Auswärtigen Amt weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 19.5.2020). Dies betrifft u.a. Verschwindenlassen, Entführungen und willkürliche Verhaftungen durch Sicherheitsdienste oder Milizen (AA 19.5.2020; vgl. UNHRC 14.8.2020).
In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges (DP 1.4.2018). Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt (DS 15.4.2018; vgl. SD 12.4.2018). Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen (Spiegel 21.5.2018; vgl. ISW 1.6.2018). Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert (DIS/DRC 2.2019). Anfang des Jahres 2020 kam es in Damaskus und Damaskus-Umland zu wiederholten Anschlägen, bei denen bestimmte Personen (Zivilisten oder Militärpersonal) mittels Autobomben ins Visier genommen wurden (TSO 10.3.2020).
Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch. Diese wurden 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet (ÖB 29.9.2020). Im August 2020 griffen israelische Flugzeuge wieder militärische Ziele im Süden Syriens an, als Vergeltung für einen Angriff auf die israelisch besetzten syrischen Golanhöhen (BBC 4.8.2020; vgl. FAZ 4.8.2020). Auch Anfang September wurde über Angriffe der israelischen Luftwaffe auf Posten der Armee sowie pro-iranischer Milizen in Damaskus und im Süden des Landes berichtet (DS 1.9.2020). Das israelische Militär führt weiterhin regelmäßige Luftschläge auf iranische Stellungen und Stellungen iranischer Milizen in Syrien durch (AA 19.5.2020; vgl. UNHCR 14.8.2020).
Nordwestsyrien
Letzte Änderung: 16.12.2020
Die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz (CRS 2.1.2019).
Anfang Januar 2019 drängte die Jihadistenallianz Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) die pro-türkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZ 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019). Laut Schätzungen befinden sich mit Stand April 2020 insgesamt etwa 70.000 oppositionelle Kämpfer in Idlib. Auch al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat (IS) sollen dort Netzwerke unterhalten (KAS 4.2020). Die De-Eskalationszone Idlib ist das letzte Gebiet unter Kontrolle der bewaffneten Opposition (AA 19.5.2020).
Im Mai 2017 wurde durch eine Vereinbarung zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, eine Deeskalationszone eingerichtet, die ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte dieser Deeskalationszone zurück (CRS 2.1.2019). Mitte September 2018 einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019).
Im Februar 2019 kam es zu erneuten Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 erstmals seit September 2018 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Im Dezember 2019 intensivierten das Regime und seine Unterstützer die Militäroffensive deutlich. Luftangriffe auf zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser, Märkte und Flüchtlingslager führten laut den Vereinten Nationen (UN) zur größten humanitären Katastrophe im Verlauf des Syrien-Konflikts. Im Februar 2020 begann die Türkei die sogenannte Militäroperation „Spring Shield“ mit Vergeltungsschlägen gegen das syrische Regime. Anfang März vereinbarten Russland und die Türkei dann ein zeitlich unbegrenztes Zusatzprotokoll zu dem in Kraft bleibenden Abkommen über die Deeskalationszone Idlib von 2018, das unter anderem eine Waffenruhe in Idlib, die Einrichtung eines Sicherheitskorridors nördlich und südlich der Fernstraße M4 sowie russisch-türkische Patrouillen vorsieht. Auch wenn die Waffenruhe bisher weitgehend eingehalten wird, kommt es immer wieder zu einzelnen Gefechten. Die vollständige Umsetzung des Zusatzprotokolls steht ebenso wie die vollständige Umsetzung der ursprünglichen Vereinbarung über die sogenannte Deeskalationszone Idlib weiterhin aus. Auch daher gilt die Waffenruhe weiterhin als fragil (AA 19.5.2020).
Laut Angaben der UN vom Februar 2020 flohen seit Dezember 2019 beinahe 900.000 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, vor den Kampfhandlungen in Idlib (UN News 21.2.2020; vgl. KAS 4.2020). Die syrische Armee konnte im Verlauf der Offensive weite Teile der Provinz zurückerobern, darunter die M5 Fernstraße (KAS 4.2020). Im September 2020 kam es erneut zu schweren Angriffen russischer Kampfflugzeuge in Idlib, den schwersten seit der russischtürkischen Zusatzvereinbarung von März 2020 (Reuters 20.9.2020).
Türkische Militäroperationen in Nordsyrien
Letzte Änderung: 16.12.2020
Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation „Euphrates Shield“ in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom sogenannten Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten, ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit (CRS 2.1.2019).
Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) im Rahmen der Operation „Olive Branch“ die zuvor kurdisch kontrollierte Stadt Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen (UN) die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind (Bellingcat 1.3.2019). Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der UN warnte, dass die Menschenrechtssituation in Orten wie Afrin, Ra’s al-’Ain und Tel Abyad düster, und Gewalt und Kriminalität weit verbreitet seien (UN News 18.9.2020).
Nachdem US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9.10.2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits wollte die Türkei mit Hilfe der Offensive die YPG und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits war das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund zwei der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Der UN zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen zivilen Todesopfern (UN News 14.10.2019).
Es gab Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) kommt (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager ’Ain Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht (DZ 10.10.2019).
Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14.10.2019 in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der „türkischen Aggression“ entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein (TWP 15.10.2019). Das Regime ist jedenfalls in allen größeren Städten im Nordosten präsent (AA 19.5.2020).
Nach Vereinbarungen zwischen der Türkei, den USA und Russland richtete die Türkei eine „Sicherheitszone“ in dem Gebiet zwischen Tal Abyad und Ra’s al-’Ain ein (SWP 1.1.2020; vgl. AA 19.5.2020), die 120 Kilometer lang und bis zu 14 Kilometer breit ist (AA 19.5.2020).
Auch seit Ende der türkischen Militäroperation „Peace Spring“ im Oktober 2019 kommt es weiterhin vereinzelt zu Kampfhandlungen und Anschlägen (AA 19.5.2020). Im August 2020 wurde im Nordosten Syriens eine steigende Zahl von Übergriffen nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen, syrischer Regierungskräfte und der SDF im Süden der Kontaktlinie des Gebiets zwischen Tal Abyad und Ra’s al-’Ain gemeldet. Sowohl die SDF als auch die pro-Regime-Kräfte erlebten einen Anstieg der Zahl der Angriffe des IS. Haftanstalten, in denen IS-Kämpfer festgehalten werden, berichten von zunehmenden Unruhen mit immer wiederkehrenden Aufständen und versuchten Ausbrüchen (UN SC 20.8.2020).
Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 16.12.2020
Anm.: In den folgenden Kapiteln kann aufgrund der Vielzahl an bewaffneten Gruppen nur auf die Rekrutierungspraxis eines Teils der Organisationen eingegangen werden.
Darin wird der Begriff „Militärdienst“ als Überbegriff für Wehr- und Reservedienst verwendet. Wo es die Quellen zulassen, wird versucht klar zwischen Wehr- und Reservedienst bzw. zwischen Desertion und Wehrdienstverweigerung zu unterscheiden.
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Letzte Änderung: 16.12.2020
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 12.8.2020; vgl. AA 20.11.2019, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Nach dem Ausbruch des Konfliktes stellte die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten, welche den verpflichtenden Wehrdienst geleistet hatten, ein (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). 2018 wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch auch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020).
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (STDOK 8.2017).
Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Unter anderem besteht aufgrund der Kämpfe in Idlib ein hoher Bedarf an Rekruten und Reservisten. Nach Gebietsgewinnen im Sommer 2018 rekrutieren die syrischen Streitkräfte nun vermehrt in diesen Gebieten. Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt (DIS 5.2020) [Anm.: zum Wehrdienst bei Einheiten der SDF siehe Kapitel „Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)“.
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020).
Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020). Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). So errichtet die Militärpolizei beispielsweise in Homs stichprobenartig und nicht vorhersehbar Straßenkontrollen. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Weiters rekrutieren die syrischen Streitkräfte in Lagern für Binnenvertriebene (DIS 5.2020).
Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).
Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020).
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).
Wehrdienstverweigerung / Desertion
Letzte Änderung: 16.12.2020
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an oder tauchte unter (DIS 5.2020).
Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft [Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort]. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 20.11.2019). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018), was von einer Quelle mit dem Bedarf der syrischen Regierung nach Verstärkung in Verbindung gebracht wird. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020).
Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8,000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020).
Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017). Neben anderen Personengruppen sind insbesondere auch Wehrdienstverweigerer bzw. Deserteure Ziel der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 19.5.2020; vgl. DIS 5.2020).
Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).
Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (STDOK 8.2017).
Unterschiedliche Quellen berichten von unterschiedlichen Konsequenzen für Deserteure und Überläufer. Während eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, habe die syrische Regierung jedoch ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an Kräften an der Front festgenommene Deserteure unter Umständen vor dem Militärgericht zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Eine andere Quelle berichtet jedoch, dass Deserteure üblicherweise von Einheiten des syrischen Geheimdienstes inhaftiert würden, womit sie dem Risiko von Folter und Verschwindenlassen ausgesetzt sein können. Auch berichtet eine weitere Quelle, dass Tötungen und Exekutionen von Deserteuren weiterhin stattfinden, zum Beispiel während der Offensive in Idlib im Jahr 2020 (DIS 5.2020).
Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020).
In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen (STDOK 8.2017; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 20.11.2019; vgl. FIS 14.12.2018, DIS 5.2020). Auch in den „versöhnten Gebieten“ sind Männer im entsprechenden Altermit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 18.12.2020
In dem seit mehr als neun Jahren andauernden Bürgerkrieg gab es nach Schätzungen bereits rund eine halbe Million Tote (Welt 30.6.2020; vgl. BBC 12.7.2020). Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich in der Abwesenheit freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit. Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).
Es gibt krasse Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, eine schwache Unterscheidung zwischen Staat und Wirtschaftseliten und einen geschlossenen Kreis wirtschaftlicher Möglichkeiten. Die Bürger werden ungleich behandelt. Ihnen werden aufgrund konfessioneller Zugehörigkeit, des Herkunftsortes, ethnischer Zugehörigkeit und des familiären Hintergrundes grundlegende staatsbürgerliche Rechte vorenthalten bzw. Privilegien gewährt oder verweigert. Grundlegende Aspekte der Staatsbürgerschaft werden großen Teilen der Bevölkerung verwehrt. Diese ungerechte Behandlung hat sich im Laufe der Konfliktjahre vertieft (BS 29.4.2020).
Die Verfassung bestimmt die Ba’ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit der Ba’ath-Partei in der National Progressive Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Drangsalierung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden. Diese reichen von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, Verschwindenlassen und Folter (USDOS 11.3.2020).
Laut Human Rights Watch bekräftigen die Ereignisse im Jahr 2019 die Schlussfolgerung, dass die Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen, die für den Konflikt charakteristisch sind, weiterhin die Regel und nicht die Ausnahme sind (HRW 14.1.2020; vgl. AA 19.5.2020). Jedoch hat die Intensität dieser Übergriffe im Vergleich zu den Vorjahren aufgrund des Endes der aktiven Kampfhandlungen in den meisten Regionen des Landes 2019 abgenommen (SHRC 7.1.2020).
Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile, insbesondere im äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020).
In Gebieten, die von der Regierung zurückerobert werden, kommt es zu Beschlagnahmungen von Eigentum, großflächigen Zerstörungen von Häusern und willkürlichen Verhaftungen (HRW 14.1.2020; vgl. SHRC 24.1.2019). Diejenigen, die sich mit der Regierung „versöhnt“ haben, werden weiterhin durch die Regierungstruppen misshandelt. Auch nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen begehen schwere Übergriffe. Das Schicksal von Tausenden, die vom sogenannten Islamischen Staat (IS) entführt wurden, bleibt unbekannt. Auch die kurdischen Behörden, die von den USA geführte Koalition oder die syrische Regierung unternehmen keine Schritte, deren Verbleib zu ermitteln. Trotz der internationalen Aufmerksamkeit, einschließlich durch den Sondergesandten und den Sicherheitsrat, die den Inhaftierten und Verschwundenen im Machtbereich der syrischen Regierung zuteil wird, wurden kaum Fortschritte erzielt (HRW 14.1.2020; vgl. SHRC 7.1.2020).
Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 20.11.2019; vgl. AA 19.5.2020). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019). Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019; vgl. UNHCR 7.5.2020).
Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 11.3.2020).
Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zögerlich dabei, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 11.3.2020). Zwangsdeportationen von Hunderttausenden Bürgern haben ganze Städte und Dörfer entvölkert (BS 29.4.2020).
Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, extremen körperlichen Missbrauch, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich (USDOS 11.3.2020). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des sogenannten IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019).
Elemente der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen an Korruption, rechtswidriger Einschränkung des Personenverkehrs und willkürlicher Verhaftung von Zivilisten sowie an Angriffen beteiligt gewesen sein, die zu zivilen Opfern führten. Es gibt vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 10.9.2018). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben (USDOS 13.3.2019).
Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 20.11.2019).
Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als „regierungsfreundlich“ oder „regierungsfeindlich“ gilt (UNHCR 11.2015).
Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen
Letzte Änderung: 16.12.2020
Mit großer militärischer Unterstützung der russischen Luftwaffe und iranischer Bodentruppen hat das Assad-Regime mittlerweile etwa zwei Drittel des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht (KAS 8.2020).
Der Westen des Landes, insbesondere Tartous und Lattakia, war im Verlauf des Konflikts vergleichsweise weniger von aktiven Kampfhandlungen betroffen (AA 19.5.2020; vgl. ÖB 29.9.2020). In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus, Homs und Hama stellt sich die Sicherheitslage im September 2020 als relativ stabil dar. Im Osten der Provinz Homs ist der sogenannte Islamische Staat (IS) aktiv. Es kommt immer wieder zu Anschlägen und Überfällen auf Einheiten/Konvois der syrischen Armee (ÖB 29.9.2020). Aktuell kommt es in westlichen Landesteilen nur sehr vereinzelt zu militärischen Auseinandersetzungen (AA 19.5.2020).
Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist (DIS/DRC 2.2019). Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, wie im Westen Syriens und in Damaskus, besteht laut deutschem Auswärtigen Amt weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 19.5.2020). Dies betrifft u.a. Verschwindenlassen, Entführungen und willkürliche Verhaftungen durch Sicherheitsdienste oder Milizen (AA 19.5.2020; vgl. UNHRC 14.8.2020).
In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges (DP 1.4.2018). Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt (DS 15.4.2018; vgl. SD 12.4.2018). Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen (Spiegel 21.5.2018; vgl. ISW 1.6.2018). Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert (DIS/DRC 2.2019). Anfang des Jahres 2020 kam es in Damaskus und Damaskus-Umland zu wiederholten Anschlägen, bei denen bestimmte Personen (Zivilisten oder Militärpersonal) mittels Autobomben ins Visier genommen wurden (TSO 10.3.2020).
Israel führt immer wieder Luftangriffe auf Militärstützpunkte, die (auch) von den iranischen Revolutionsgarden und verbündeten Milizen genützt werden, durch. Diese wurden 2020 zunehmend auf Ziele in ganz Syrien ausgeweitet (ÖB 29.9.2020). Im August 2020 griffen israelische Flugzeuge wieder militärische Ziele im Süden Syriens an, als Vergeltung für einen Angriff auf die israelisch besetzten syrischen Golanhöhen (BBC 4.8.2020; vgl. FAZ 4.8.2020). Auch Anfang September wurde über Angriffe der israelischen Luftwaffe auf Posten der Armee sowie pro-iranischer Milizen in Damaskus und im Süden des Landes berichtet (DS 1.9.2020). Das israelische Militär führt weiterhin regelmäßige Luftschläge auf iranische Stellungen und Stellungen iranischer Milizen in Syrien durch (AA 19.5.2020; vgl. UNHCR 14.8.2020).
Letzte Änderung: 09.12.2020
Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen (USDOS 11.3.2020). Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 19.8.2020). Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängte das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer (USDOS 11.3.2020).
Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten (USDOS 11.3.2020).
Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).
Infolge der COVID-19-Pandemie wurden sowohl der Flughafen Damaskus als auch die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen. Innerhalb des Landes wurden mehrere Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung umgesetzt, darunter Ausgangssperren. Reisen zwischen den Provinzen wurde weitestgehend untersagt (AA 19.5.2020). Es gab jedoch bereits wieder Lockerungen für Reisen in das Ausland als auch bei der Einreise nach Syrien. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020). Es kommt jedoch zu verstärkten Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen und Einreisesperren (AA 19.8.2020). Die Reisebeschränkungen zwischen Städten und Umland wurden wieder aufgehoben (FES 7.2020).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt, den Gerichtsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, und das Grundversorgungs-Informationssystem.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum) des BF ergeben sich aus dem vorgelegten syrischen Personalausweis (ID-Card) Nr. XXXX , ausgestellt am XXXX .
Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie zur Muttersprache des BF gründen auf den diesbezüglich glaubhaften und stets gleichbleibenden Angaben des BF. Auch seinen Lebenslauf (Aufenthaltsorte, Schuldbildung und Berufserfahrungen) und den Verbleib seiner Angehörigen konnte der BF im Verfahren glaubwürdig und widerspruchsfrei schildern, und sieht das Gericht keinen Anlass die Angaben des BF hierzu in Zweifel zu ziehen.
Der Zeitpunkt der Antragstellung und dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, ergibt sich aus der Aktenlage. Die Antragstellung ist den syrischen Behörden nicht bekannt geworden, da es den österreichischen Behörden verboten ist, solche Informationen mit ausländischen Behörden zu teilen und kein Anzeichen für einen Bruch dieser Norm zu sehen ist, sowie der BF nicht vorgebracht hat, dass er dieses Faktum den syrischen Behörden mitgeteilt hat.
2.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF hat glaubhaft vorgebracht, dass er seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee bereits von XXXX bis Mitte XXXX als einfacher Soldat ohne nennenswerte Ausbildung abgeleistet hat. Er hat damit keine militärische Spezialausbildung erhalten und seinen Militärdienst bereits vor rund XXXX Jahren abgeleistet. Weiters befindet er sich mit seinen knapp XXXX Jahren grundsätzlich nicht mehr im wehrfähigen Alter. Es ist daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr von den syrischen Militärbehörden oder von anderen, oppositionellen Gruppierungen als Soldat herangezogen werden könnte. Insoweit er vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zunächst von einem Ersatzwehrdienst an Stelle seines Sohnes gesprochen hat, hat er dies bereits in der Einvernahme wieder unmissverständlich relativiert (vgl. Einvernahme vom 19.08.2020: „F: Somit handle es sich auch nicht um eine Einberufung, sondern eine drohende Inhaftierung? […] A: Ja, eine Inhaftierung, keine Einberufung.“) und im Zuge der mündlichen Verhandlung ebenso eindeutig negiert.
Sofern er im Verfahren von der Teilnahme an Demonstrationen (vgl. Einvernahme vom 19.08.2020: „Ich war Teil von Demonstrationen.“) bzw. von seiner regimekritischen Gesinnung gesprochen hat, welche eine Verfolgung durch das syrische Regime zur Folge gehabt habe, hat sich bereits wenig später herausgestellt, dass es sich bloß um eine Demonstration (vgl. Einvernahme vom 19.08.2020: „Es war eine friedliche Demonstration. Betreffend der Rechte. Befragt, eine einzige.“) gehandelt hat, die zudem bereits Jahre (vgl. Einvernahme vom 19.08.2020: „Eventuell 2014 oder 2015.“) vor seiner Ausreise ( XXXX ) stattgefunden haben soll. Von allfälligen behördlichen Aktivitäten oder Maßnahmen gegenüber seiner Person hat er jedenfalls keine Erwähnung gemacht und politische Betätigungen in der mündlichen Verhandlung mit Kopfschütteln ausgeschlossen. Sein erst in der Beschwerde behauptetes Engagement als politischer Aktivist bzw. die weitläufige Bekanntheit dieses Umstandes konnte in der mündlichen Verhandlung somit nicht bestätigt werden (vgl. „R: Wie viele einzelne Personen haben Sie im Verlauf der letzten sieben oder acht Jahre von Ihrer persönlichen politischen Ansicht in Kenntnis gesetzt? BF: So ca. vier Personen.“). Vielmehr hat er nur mit Personen über seine politischen Ansichten gesprochen, denen er absolut vertraut hat. Wenn er in der Einvernahme noch von einer Suche der syrischen Behörden nach ihm berichtet hat, weil er „gegen die Regierung“ sei bzw. „rebelliert habe“, stellt sich die diesbezügliche Situation in der Verhandlung daher völlig anders dar (vgl. Verhandlung vom 29.07.2021: „R: Haben Sie sich politisch im Herkunftsstaat betätigt und/oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung? BF: Nein (BF schüttelt den Kopf). Einmal gab es eine Demo, weil ich keine Arbeit hatte.“). Obwohl er von Problemen nach der Teilnahme an der Demonstration (vgl. Verhandlung vom 29.07.2021: „R: Wann war die Demonstration? BF: Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Damals begannen die Proteste im Jahr 2013 und 2014. R: Haben Sie gleich zu Beginn mitgemacht oder eher später? BF: Gleich am Anfang.“) und davon gesprochen hat, dass er danach an einen, vom Regime nicht kontrollierten Ort gezogen sei, konnte er dazu keine näheren Angaben machen und hat sich in der Folge herausgestellt, dass er offenbar erst drei bis vier Jahre nach der Demonstration umgezogen ist (vgl. Verhandlung vom 29.07.2021: „R: Wann sind Sie denn zu einem anderen Ort gezogen? BF: Ungefähr im Jahr 2017.“), ohne dass es offenbar zu erwähnenswerten Vorfällen mit den syrischen Behörden gekommen ist. Dabei sollte aber auch nicht darauf vergessen werden, dass er sich eigentlich in einem Gebiet aufgehalten hat, das unter der Kontrolle der Opposition steht.
Soweit er in der Folge vorgebracht hat, dass er aufgrund seiner Familienangehörigen Probleme gehabt habe bzw. dass es sich bei seiner Familie um bekannte Regimegegner handeln würde, hat er dazu ebenso nichts Näheres angeben können, sondern nach konkreten Problemen bzw. Vorfällen befragt, wiederum bloß von der behaupteten Inhaftierung gesprochen, weil sich sein Sohn dem Militärdienst entzogen hat. Hinsichtlich der Suche nach ihm (vgl. Verhandlung vom 29.07.2021: „R: Ab wann hat man nach Ihnen gefragt? BF: Ungefähr im Jahr 2014 oder 2015.“), hat er einen Zeitpunkt genannt, an dem er sich seinem weiteren Vorbringen zufolge noch jahrelang an seiner Heimatadresse aufgehalten hat. Wenn er diesbezüglich also behauptet hat, dass sie oft nicht zu Hause gewesen seien bzw. anderswo übernachtet hätten, ist ihm entgegenzuhalten, dass die syrischen Behörden sicher Mittel und Wege gefunden hätten, seiner habhaft zu werden, wenn sie ihn tatsächlich gesucht hätten. Immerhin hätten sich die syrischen Militärbehörden schon im Jahr 2014 nach seinem Sohn erkundigt (vgl. Verhandlung vom 29.07.2021: „In Jahr 2014 haben sie begonnen, nach ihm zu fragen.“), während er seinen Wohnsitz erst im Jahr 2017 (vgl. Verhandlung vom 29.07.2021: „R: Wann sind Sie denn zu einem anderen Ort gezogen? BF: Ungefähr im Jahr 2017.“) aufgegeben und die Heimat überhaupt erst am XXXX verlassen habe. Auch gab es im Heimatort offenkundig Personen, die dem Regime gewogen sind und die Behörden von der auch nur vorübergehenden Anwesenheit des BF sicher unterrichtet hätten (vgl. „Bei uns, in unserer Ortschaft, gab es Leute, die darüber berichten und alles an das Regime weiterleiten.“). Außerdem war der Sohn des BF im Heimatland noch minderjährig, sodass es allein aus diesem Grund noch zu keinen Kontaktaufnahmen seitens der syrischen Militärbehörden bzw. zu Drohungen gegenüber dem BF gekommen sein kann.
Obwohl der BF vor der belangten Behörde noch eindeutig von konkreten (persönlichen) Problemen mit Behördenvertretern (vgl. Erstbefragung vom 07.01.2020: „Als er nicht erschien, bekam ich ständig Schwierigkeiten und sie forderten mich auf, den Militärdienst statt meinem Sohn zu leisten.“) gesprochen hat, hat er vor Gericht letztlich einen persönlichen Kontakt mit Regierungsbeamten unmissverständlich verneint (vgl. Verhandlung vom 29.07.2021: „Nein, es gab keinen persönlichen Kontakt.“) und plötzlich von einem Nachbarn berichtet, welchen die Behördenvertreter als Boten verwendet hätten. Das Vorbringen des BF in Bezug auf seine Wehrdienstleistung anstatt seines Sohnes hat er vor dem erkennenden Gericht letztlich als Übersetzungsfehler bzw. Missverständnis des Dolmetschers bezeichnet und die anderen Vorbringen hinsichtlich seiner Demonstrationsteilnahme, seiner regimekritischen Einstellung und wegen seiner bekannt regierungsfeindlichen Familie wirken insgesamt konstruiert und sind daher nicht glaubhaft. Auch der erst im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgelegte Strafregisterauszug wirkt in diesem Zusammenhang hinsichtlich seiner Echtheit und Richtigkeit bedenklich, da zum einen der Urkundeninhalt (wonach der BF wegen Anstiftung seines Sohnes zur Militärdienstverweigerung und wegen Beihilfe zur Flucht und wegen Verhetzung gegen den Staat und Teilnahme an Demonstrationen gesucht wird) in sich widersprüchlich ist (der BF soll wegen der vorgeworfenen Taten bereits „vorbestraft“ sein, andererseits immer noch „gesucht werden“), andererseits hinsichtlich der beurkundeten Fahndung nicht zur Urkundenbezeichnung als „Strafregisterauszug“ passt. Auch kann das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehen, dass die – angeblich wenige Tage vor der Ladung zur mündlichen Beschwerdeverhandlung ausgestellte – Urkunde im Auftrag des syrischen Anwaltes des Beschwerdeführers ausgestellt und binnen weniger Tage von mehreren syrischen Verwaltungseinrichtungen auch beglaubigt wurde, ohne dass dies in weiterer Folge dem Beschwerdeführer oder seinem in Syrien lebenden Vater seitens dieses Anwaltes mitgeteilt wurde. Angeblich soll der Vater erst bei einem zufälligen Besuch beim syrischen Anwalt von der Existenz der Urkunde erfahren haben. Aufgrund der massiven Zweifel des Bundesverwaltungsgerichtes an der Echtheit und Richtigkeit der Urkunde erging in weiterer Folge der gerichtliche Auftrag, im Wege des (syrischen) Anwaltes auch eine Beglaubigung durch die österreichische Botschaft in Syrien zu organisieren, wobei sich der Beschwerdeführer bereits in der Verhandlung auffallend gegen diesen Auftrag sträubte und diesem Auftrag in weiterer Folge auch nicht nachkam. Im Gesamtbild geht das Bundesverwaltungsgericht daher davon aus, dass die kurz vor der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegte Urkunde weder echt noch richtig ist.
Zuletzt muss erneut darauf verwiesen werden, dass die Heimatregion des BF durch kurdische Einheiten bzw. oppositionelle Gruppierungen kontrolliert wird. Eine Gefährdung des BF durch die syrische Regierung kann daher auch aus diesem Grund nicht festgestellt werden.
Das Gericht verkennt nicht, dass die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, niedrig ist sowie, dass Personen aus unterschiedlichen Gründen und teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden. Es übersieht auch nicht, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt. In Bezug auf den BF ergaben sich jedoch im Verfahren keine Hinweise darauf, dass diese allgemeinen Berichte und die darauf fußenden Möglichkeiten einer asylrelevanten Behandlung im gegenständlichen Falle auf die konkrete Situation des BF anzunehmen sind.
Er hat im gesamten Verfahren auch keine Probleme oder Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Konfession angegeben bzw. von politischen Aktivitäten gesprochen. Auch aus den sonstigen in der GFK enthaltenen Gründen konnte keine für den BF bestehende (bzw. künftig drohende) Verfolgung in der Heimat abgeleitet werden.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsland:
Die zur Situation in Syrien getroffenen Feststellungen beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, zu dem dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsberatung im behördlichen Verfahren Parteiengehör gewährt wurde. Zu dem Bericht wurden auch in der Beschwerde keine substantiierten Zweifel vorgebracht. Das Bundesverwaltungsgericht hat von sich aus keinen Grund, an der Aktualität, Relevanz und Verlässlichkeit dieser Berichte zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Gemäß § 3 AsylG 2005 ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Gemäß § 2