TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/13 W131 2007351-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2021
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Entscheidungsdatum

13.10.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W131 2007351-2/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer (in Folge: Bf) am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab der Bf an, dass er am XXXX , in der Provinz XXXX , in Afghanistan geboren worden sei. Er gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei sunnitischer Moslem. Er sei verheiratet und seine Ehefrau, XXXX , lebe als anerkannter Flüchtling in Österreich. Betreffend seinen „Folgeantrag Dublin“ nach AsylG führte er aus, dass er bereits einen Antrag auf Asyl in Österreich gestellt habe, jedoch gemäß dem Dublin-System nach Rumänien abgeschoben worden sei. Aus Rumänien sei er dann freiwillig in den Iran ausgereist, nachdem dort alle Asylverfahren negativ verlaufen seien. Nunmehr stelle er einen weiteren Asylantrag in Österreich. Er gab an, dass er wegen einer Feindschaft und wegen seiner Tätigkeit für eine holländische Firma nicht nach Afghanistan zurückkehren könne. Zudem seien die Taliban in seiner Gegend sehr aktiv und dementsprechend herrsche dort eine schlechte Sicherheitslage. Diese habe sich seit seiner ersten Asylantragstellung in Österreich noch mehr verschlechtert. Dies stelle einen bereits bekannten und immer noch bestehenden Grund dar.

2. Am XXXX wurde der Bf von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren: BFA) und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen und gab dabei an, der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören und sunnitischer Moslem zu sein. Er stamme aus der Provinz XXXX und habe zuletzt in der Provinz XXXX , XXXX , XXXX , XXXX gewohnt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der Bf aus, dass er in Afghanistan zwei Probleme gehabt habe. Sein Cousin mütterlicherseits sei Anführer der politischen Gruppe XXXX gewesen. Der Cousin habe viele Feinde gehabt, und da auch er zu dessen Familie gehöre, seien diese Feinde automatisch auch seine Feinde gewesen. Deshalb habe er auch ständig Angst gehabt, dass ihm etwas passiert. Die Taliban hätten versucht die niederländische Firma zu erpressen und verlangten 20.000 Euro. Sie hätten den Verantwortlichen der Firma mitgeteilt, dass sie im Falle der Verweigerung der Zahlung des Geldes, den Angestellten etwas angetan werden würde. Er sei von den Taliban entführt worden und drei bis vier Tage als Geisel gehalten worden. Er Freund des Bf habe damals mit den Taliban zusammengearbeitet und ihn befreien können. Der Bf sei anschließend nach XXXX und danach nach Kabul gegangen. Dort sei er bei seinem Onkel mütterlicherseits gewesen, der ihm geholfen habe, aus Afghanistan zu flüchten. Zudem sei sein Cousin auch von den Taliban getötet worden.

3. Mit Bescheid vom XXXX zu der im Spruch genannten Zl., wurde der Antrag des Bf auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Für die behörde ausweislich der OZ 9 des gerichtsakts unstrittig, wurde im angefochtenen Bescheid ein Schutzantrag vom XXXX abgewiesen

Weitere Spruchpunkte sind dem Bescheid nicht zu entnehmen.

Die Abweisung des Asylantrages begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass nicht nachvollziehbar sei, dass die Taliban einen einfachen Mitarbeiter und nicht den Leiter des Unternehmens entführen würden. Auch sei nicht verständlich, warum eine XXXX von den Taliban bedroht werden solle, da die Taliban hauptsächlich staatliche Unternehmen bedrohen würden. Aus seinem vorgelegten Arbeitszeugnis ergebe sich, dass der Bf zu der Zeit der Entführung nicht mehr im betreffenden Unternehmen tätig gewesen sei. Auch die Angst des Bf aufgrund der politischen Zugehörigkeit seines Cousins zu einer Gruppierung namens XXXX verfolgt zu werden, könne vom BFA nicht nachvollzogen werden, da unklar sei, in welchem Zusammenhang er mit dieser Tätigkeit stehe. Der Bf habe seine Fluchtgründe nicht glaubhaft machen können. Es drohe dem Bf auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch nehmen.

4. Gegen den angeführten Bescheid erhob der Bf mit Schreiben vom XXXX wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von wesentlichen Verfahrensvorschriften, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Er brachte im Wesentlichen vor, dass das Ermittlungsverfahren und die Länderfeststellungen mangelhaft seien. Der Bf habe in der Erstbefragung zum ersten Asylantrag sehr wohl angegeben, dass es sich um ein holländisches Unternehmen handle, dies sei jedoch nicht protokolliert worden. Der Bf sei entführt worden, weil die Taliban bereits über die Tätigkeit des Bf für dieses Unternehmen Bescheid gewusst hätten. Auch habe er sich nicht spontan ein Arbeitszeugnis ausstellen lassen, vielmehr sei es deutlich vor der Flucht ausgestellt worden. Betreffend die innerstaatliche Fluchtalternative wies der Bf darauf hin, dass die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ohne die Unterstützung der Familie oder eine effektive Gemeinschaft nicht wirksam und vernünftig sei. Abschließend verwies der Bf auf zahlreiche Länderberichte und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

5. Mit Schreiben vom XXXX wurden dem Bf und dem BFA das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, mit Kurzinformationen vom 21.07.2020 sowie die Analyse der Staatendokumentation zur Provinz Balkh vom 21.07.2020 zum Parteiengehör übermittelt

6. An der am XXXX durch das Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung nahm der Bf teil. Auch eine bevollmächtigte Rechtsvertreterin der Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH ARGE Rechtsberatung nahm an der Verhandlung teil. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete bereits mit Beschwerdevorlage auf die Teilnahme an einer Verhandlung.

7. Mit Maileingabe vom XXXX stellte die belangte Behörde klar, dass der angefochtene Bescheid den Asylantrag vom XXXX , nicht den (im Dublinverfahren bereits erledigten) Antrag vom XXXX abschließend erledigt.

8. Mit Eingabe vom XXXX übermittelte der Bf eine Vollmacht, der zu entnehmen ist, dass er nunmehr von der BBU GmbH vertreten wird.

9. Mit Schreiben vom XXXX wurden dem Bf und der belangten Behörde die Kurzinformation der Staatendokumentation vom 20.08.2021 und das Positionspapier des UNHCR betreffend die Rückkehr nach Afghanistan vom August 2021 zum Parteiengehör übermittelt. Zudem wurde ihnen frei gestellt zur aktuellen Lage in Afghanistan binnen vierzehn Tage Stellung zu nehmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Bf führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er spricht zudem Paschtu. Er ist verheiratet und hat einen fünfjährigen Sohn. Seine Ehefrau, die er im Jahr XXXX in Österreich geheiratet hat, ist der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden. Diese lebt ebenfalls in Österreich.

Der Bf wurde in der Provinz XXXX geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen zwei Geschwistern auf. Die Eltern des Bf leben nunmehr in Pakistan. Der Bf besuchte zehn Jahre lang die Schule. Der Bf erlernte einen IT Beruf. Der Bf arbeitete als Angestellter in der Marketing Abteilung einer niederländischen Firma namens XXXX in Afghanistan.

Der Bf ist gesund.

Der Bf ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Bf hat zwischen XXXX und XXXX für das XXXX gearbeitet. Die Taliban haben versucht das Unternehmen zu erpressen. Aus diesem Grund wurde der Bf, der zu einer Zusammenarbeit gezwungen werden sollte, von den Taliban bedroht, entführt und körperlich schwer misshandelt, bevor ihm die Flucht aus deren Gefangenschaft gelang und er sich somit dem Zugriff der Taliban entzog.

Er hat auch ausweislich einer Angaben in der Verhandlung vor dem BVwG - hier die Beweiswürdigung vorwegnehmend - eine glaubhafte Einstellung wider die Zielsetzungen der Taliban, wo der Bf überzeugend die Todesstrafe für die Beleidigung des Propheten oder das Handabschneiden gemäß Scharia bei Diebstahl abgelehnt hat.

Aufgrund der anhaltenden Gefahr für Leib und Leben, war der Bf gezwungen, den Herkunftsstaat zu verlassen. Für den Bf besteht im Fall seiner Rückkehr die reale Gefahr von den Taliban aufgrund der durch seine Flucht verstärkt zum Ausdruck kommenden bzw ihm naheliegend zugeschriebenen oppositionellen politischen Gesinnung wider die Zielsetzungen der Taliban getötet zu werden. Diese Bedrohung bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet.

1.3.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 20.08.2021 (LIB),

-        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-        Positionspapier des UNHCR betreffend die Rückkehr nach Afghanistan vom August 2021

-        EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019

-        EASO Bericht Netzwerke, Stand Jänner 2018.

Unter Bezugnahme das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 21.07.2020) und die Kurzinformation der Staatendokumentation (Stand 20.08.2021) werden auszugsweise folgende entscheidungsrelevanten die Person des Bf individuell betreffende Feststellungen zur Lage in Afghanistan getroffen:

1.3.1.  Aktuelle Entwicklungen

1.3.1.1. Kurzinformation der Staatendokumentation [des BFA] vom 20.08.2021 zu aktuellen Entwicklungen und Informationen in Afghanistan (Schreibfehler teilweise korrigiert):

„Aktuelle Lage

Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a). Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a).

Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.08.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b).

Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c).

Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach „Kollaborateuren“. In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens zwölf Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d). Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.08.2021).

Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es, die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (£ Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SR- Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17.09.2021 (VN 18.08.2021).

Exkurs:

Die Anführer der Taliban

Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen Taliban-Führer auch nach außen auf.

Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu‘minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des Scharia-Gerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird. Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die Taliban-Einsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht.

Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban-Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an.

Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (orf.at o.D.b; vgl. bbc.com o.D.c).

Stärke der Taliban-Kampftruppen

Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (orf.at o.D.b). [...]“

Zudem gilt auf Tatsachenebene:

Zusammenfassend ist auf Basis der Berichtslage bereits zum 20.08.2021 davon auszugehen, dass die Taliban seit 16.08.2021 im Wesentlichen in Gesamtafghanistan wiederum die Macht übernommen haben und ein Islamisches Emirat mit einem Scharia - Rechtssystem einrichten wollen. Notorisch iSv VfGH E3037/2021 zum heutigen Entscheidungszeitpunkt ist zudem, dass die Taliban mittlerweile auch das Panschir - Tal unter ihrer Kontrolle haben. Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat idZ zB ein BVwG - Erkenntnis vom 01.07.2021 aufgehoben, weil das BVwG nicht bereits am 01.07.2021 wegen eines absehbar drohenden Bürgerkriegs auf Basis des LIB vom 11.06.2021 subsidiären Schutz zuerkannt hat - VfGH E 3047/2021.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt, in den Gerichtsakt sowie aktuelle Länderinformationen und durch Einvernahme des Bf in der mündlichen Verhandlung.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Bf ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Bf gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Bf im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Bf, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation, seiner Schul- und Berufsausbildung, seiner Berufserfahrung als IT-Mitarbeiter in der niederländischen Firma gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Bf zu zweifeln. Die Feststellung zur in Österreich lebenden Ehefrau des Bf und deren gemeinsamen Sohn ergibt sich aus der vorgelegten Heiratsurkunde des Standesamtes Wien (AS 165) und der vorgelegten Geburtsurkunde des Standesamtes Wien (AS 179). Die Feststellung des Asylstatus seiner Ehefrau ergibt sich aus den Akten.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Bf in der mündlichen Verhandlung (VHS, S. 2) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.2.    Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Die Feststellung zur Entführung, Misshandlung und versuchten Rekrutierung des Bf durch die Taliban ergibt sich aus den Angaben des Bf in der Einvernahme vor der belangten Behörde vom XXXX und den Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom XXXX . Im Zuge beider Einvernahmen machte der Bf im Wesentlichen gleichlautende Angaben, die auch mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts über das Vorgehen der Taliban im Herkunftsstaat übereinstimmen und somit plausibel sind. Der Bf lässt bei der Schilderung seiner Fluchtgründe eine lineare Handlung und ein nachvollziehbares Bild der von ihm erlebten Geschehnisse erkennen. Wesentlich bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Bf war der Umstand, dass er sein Fluchtvorbringen umfangreich, schlüssig und detailliert schildern konnte. So führte der Bf auch im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung, gleichbleibend, aus, dass er von den Taliban wegen seiner (ehemaligen) Tätigkeit in der niederländischen Firma entführt worden sei und diese versucht hätten, ihn als Spion zur Zusammenarbeit mit ihnen zu rekrutieren. Er gab gleichlautend an, dass ihm nur durch einen Freund, der damals mit den Taliban zusammengearbeitet hat, die Flucht aus der Gefangenschaft gelang. Der Bf führte glaubhaft aus, dass ihm bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung durch die Taliban drohen würde (VHS S. 8).

Mit seinen Ausführungen vermochte der Bf dabei, ein umfassendes Bild der erlebten Geschehnisse zu zeichnen, bei welcher er eine stetig zunehmende Angst vor Verfolgung durch die Taliban darlegen konnte. Das Fluchtvorbringen war in sich stimmig und wies keine Widersprüche auf, sodass das Bundesverwaltungsgericht dieses – vor allem auch aufgrund des vom Bf in der öffentlichen mündlichen Verhandlung gewonnen persönlichen Eindrucks – als glaubwürdig erachtet.

Der Argumentation der belangten Behörde war insbesondere deswegen nicht zu folgen, weil sich aus dem Akteninhalt klar ergibt, dass das Arbeitszeugnis des Bf nicht erst im Rahmen der Flucht oder gar später ausgestellt wurde. Auch ist es für das Gericht nachvollziehbar, dass die niederländische Käsefabrik in Afghanistan als Ziel der Taliban galt, handelt es sich doch um eine der internationalen Gemeinschaft zugehörige wirtschaftliche Tätigkeit in Afghanistan.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt im Gegensatz zur belangten Behörde daher zum Ergebnis, dass die Angaben des Bf zu seinen Fluchtgründen (versuchte Zwangsrekrutierung durch die Taliban und eine in diesem Zusammenhang stattgefundene Entführung des Bf) glaubhaft sind und das Fluchtvorbringen des Bf nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl erfüllt, weshalb davon auszugehen ist, dass dem Bf im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung (zumindest) aufgrund der ihm unterstellten politischen oppositionellen Gesinnung durch die Taliban drohen würde und - die mittlerweile durch die Taliban übernommenen staatlichen Einrichtungen Afghanistans, insbesondere nach der nun erfolgten Machtübernahme durch die Taliban – nicht in der Lage sein würden, dem Bf vor dieser Verfolgung im ausreichenden Maß Schutz zu bieten.

Für das Bundesverwaltungsgericht besteht daher kein Zweifel, dass sich das vom Bf Geschilderte tatsächlich zugetragen hat.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich grundsätzlich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.

Die Machtübername der Taliban in Gesamtafghanistan ist zudem dz notorisch.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

Der angefochtene Bescheid spricht gemäß dessen Spruchpunkt I. über den Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX ab. In der Begründung wird auch auf die Einvernahme durch die belangte Behörde vom XXXX Bezug genommen. Der angeführte Antrag des Bf aus 2013 wurde bereits im Jahr XXXX im Rahmen des Dublin-Systems dahingehend erledigt, dass der Bf nach Rumänien zur Durchführung eines Asylverfahrens abgeschoben wurde. Es kann sich beim angefochtenen Bescheid daher nur um die Erledigung des Asylantrags vom XXXX handeln, was sich auch aus dem Gesamtzusammenhang, insbesondere der umfassenden Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt. Mit Maileingabe an das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die belangte Behörde diese Ansicht (siehe hierzu OZ 9).

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung droht.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (VwGH 31.07.2018, Ra 2018/20/0182). Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011).

Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Einer von Privatpersonen und privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 21.04.2011, 2011/01/0100). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; 28.10.2009, 2006/01/0793, mwN). Die Richtlinie (EU) 2011/95 (Statusrichtlinie) sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).

Abgesehen davon, dass einer derartigen, nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl etwa VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551).

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können positive Feststellungen von der Behörde nicht getroffen werden (vgl VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz 16).

Gemäß § 3 Abs 3 Z 1 und § 11 Abs 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann (vgl zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 zB VwGH 15.03.2001, 99/20/0036 und 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist – wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert – nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; VwGH 08.09.1999, 98/01/0614).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322; VwGH 09.03.1999, 98/01/0370;). Dabei reicht für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/20/0089).

Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423).

Daraus ergibt sich in der Sache:

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne von Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, gegeben. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass der Bf die versuchte Zwangsrekrutierung und die damit im Zusammenhang stattgefundene Entführung und durch seine Flucht drohende Verfolgung durch die Taliban glaubhaft machen konnte.

Den Länderinformationen war schon bisher und ist auch aktuell zu entnehmen, dass Personen, die sich den Taliban bzw deren Zielsetzungen widersetzen, mit naheliegender Wahrscheinlichkeit eine talibanfeindliche Einstellung unterstellt wird. So ist auch im vorliegenden Fall anzunehmen, dass die Familie bereits im Fokus der Taliban steht und der Bf im Falle seiner Rückkehr mit Repressalien zu rechnen haben wird, die in ihrer Gesamtheit die Gewährung von Asyl rechtfertigen.

Der Bf kann vor der Bedrohung durch die Taliban auch nicht ausreichend geschützt werden, weil die Inanspruchnahme des Schutzes durch den afghanischen Staat vor dieser Bedrohung durch die Taliban angesichts der – seit der Machtübernahme der Taliban Mitte August 2021 – nicht mehr existenten Schutzmechanismen des afghanischen Staates sowie der instabilen Sicherheitslage nicht gegeben ist. Auch nach den aktuellen Länderberichten und Kurzinformationen ist davon auszugehen, dass der Staat keine hinreichenden Vorkehrungen zu treffen vermag, um den Bf in seiner konkreten Situation Schutz vor den Taliban zu gewähren.

Somit würde der Bf im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer ihm von den Taliban naheliegend zugeschriebenen oppositionellen politischen Gesinnung (wegen seiner Tätigkeit für ein europäisches Unternehmen und seine Flucht vor den Taliban sowie seiner im manchen Punkten oben zitierten, unislamischen bzw nicht schariakonformen Einstellungen) asylrelevant verfolgt werden.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder, wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Angesichts der landesweiten Machtübernahme durch die Taliban ist aktuell nicht davon auszugehen, dass dem Bf insoweit eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stünde. Da sich der Bf der Kontrolle durch die Taliban durch seine Flucht entzogen hat, ist davon auszugehen, dass er im gesamten Staatsgebiet wegen seiner ihm naheliegend zugeschriebenen oppositionellen Einstellung wider die Taliban asylrelevant verfolgt werden würde.

Ein Asylausschlussgrund (Artikel 1 Abschnitt D und F der GFK und § 6 AsylG 2005) ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Der Beschwerde war daher stattzugeben, dem Bf gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. festzustellen, dass dem Bf damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Klarzustellen ist insoweit, dass kein weiteres Parteiengehör zum LIB der Staatendokumentation idF 16.09.2021 mehr notwendig war, da insoweit keine anderen Informationen, als eben die Machtübernahme durch die Taliban in Gesamtafghanistan, daraus erschließbar gewesen wäre - § 39 AVG iVm § 17 VwGVG.

3.2.    Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

Aus § 3 Abs 5 AsylG 2005 ergibt sich, dass die Gewährung von Asyl mittels Feststellungsbescheid erfolgt, die Asylgewährung somit auf den Tag der Antragstellung zurückwirkt. Eine Behebung von Spruchpunkt II. konnte somit entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W131.2007351.2.00

Im RIS seit

21.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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