TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/14 W170 2206943-1

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Veröffentlicht am 14.10.2021
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Entscheidungsdatum

14.10.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W170 2206943-1/30E

Beantragte schriftliche Ausfertigung des am 14.09.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 31.08.2018, Zl. 1196725002-180603923, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß §§ 28 Abs. 2 VwGVG, 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigte für drei Jahre zu.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen und auf Grund des am 20.09.2021 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl rechtzeitig gestellten Antrags schriftlich ausgefertigt:

1. Feststellungen:

1.1. XXXX ist eine volljährige syrische Staatsangehörige, die der Volksgruppe der Kurden und der Konfession der Sunniten angehört. Die Identität der XXXX steht fest, sie ist in Österreich unbescholten.

1.2. XXXX , rechtswidrig nach Österreich eingereist, hat am 27.06.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt; im Rahmen des diesbezüglichen behördlichen Asylverfahrens wurde der Antrag mit im Spruch bezeichneten Bescheid zwar hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen, XXXX aber unter einem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) zuerkannt. Der Bescheid wurde am 03.09.2018 zugestellt.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die am 27.09.2018 bei der Behörde eingebrachte Beschwerde, Spruchpunkt II. blieb unbekämpft.

1.3. XXXX hat angegeben, in Syrien in der Nähe der Stadt Afrin, im Gouvernement Aleppo gelebt zu haben; dieses Vorbringen ist glaubhaft.

Im Herkunftsgebiet der XXXX lag zum Zeitpunkt von deren Ausreise und liegt derzeit und wohl auf Dauer die Macht in der Hand der Türkei und mit der Türkei verbündeten Milizen; Afrin selbst steht unter der de facto Kontrolle der Levante Front der von der Türkei unterstützten FSA, es kommt in Afrin allerdings zu Anschlägen, die kurdischen Kämpfern zugeschrieben werden.

Die durch die Türkei unterstützten Gruppierungen gehen gegen die kurdische Bevölkerung von Afrin vor. Bei der Eroberung Afrins im März 2018 durch türkische Truppen und ihre Verbündeten der Freien Syrischen Armee wurden viele KurdInnen aus dem Distrikt Afrin vertrieben. Ihre Häuser wurden geplündert und beschlagnahmt. Quellen berichten auch von der Beschlagnahmung von Geschäften und Grundstücken. Syrische Araber u.a. aus Ghouta zogen in die Häuser der geflohenen Kurden ein. Vielen Kurden wurde eine Rückkehr nach Afrin nicht erlaubt. Es kommt in Afrin weiterhin durch von der Türkei unterstützten Gruppierungen zu Verstößen wie Entführungen, Festnahmen und Plünderungen, um somit die Bürger zum Verlassen ihrer Heimat zu drängen, dies, obwohl es in Afrin eine aktive Polizeieinheit gibt, die allerdings von der Türkei ins Leben gerufen und ausgebildet wurde. Es ist zumindest nachvollziehbar, dass Kurden aus Afrin, wie auch die Beschwerdeführerin, glauben und objektiv nachvollziehbar befürchten, dass die Türkei versucht, Kurden in ehemals kurdischen Mehrheitsstädten wie u.a. Afrin zu marginalisieren, die kurdische Sprache wird aus dem Lehrplan gestrichen und aus den lokalen Regierungsinstitutionen entfernt. Die Kurden stellen nicht mehr die Mehrheit in den von der Türkei besetzten Gebieten dar; die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung ist aus Angst vor Unterdrückung geflohen. Diejenigen, die geblieben sind, erlebten Plünderungen und Unterdrückung, etwa die systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen, wie das Abbrennen von Olivenhainen, Bauernhöfen oder Lederfabriken. Es kommt zu Hunderten von Vorfällen von Misshandlungen durch von der Türkei unterstützte Gruppierungen, darunter unrechtmäßige Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen. Die UN-Untersuchungskommission für Syrien stellte fest, dass willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen und Plünderungen in ganz Afrin weit verbreitet sind.

1.4. Es sind keine durch XXXX verwirklichten Asylausschluss- oder
-endigungsgründe zu erkennen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus der im Rahmen der mündlichen Verhandlung – zu der das nunmehr die Vollausfertigung beantragende Bundesamt nicht erschienen ist – erfolgten Beweisaufnahme aufgenommenen Beweise, insbesondere aus den Aussagen der Beschwerdeführerin und aus den in das Verfahren eingeführten Länderberichten, insbesondere aus der (aus dem COI-CMS Country of Origin Information – Content Management System am 06.07.2021 generierten) Länderinformation zu Syrien, Stand: 30.06.2021 sowie der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Syrien Dorf XXXX bei Aleppo, Afrin; Vorgehen gegen die kurdische Bevölkerung; Dezember 2019.

2.2. Die Feststellungen zu 1.1. ergeben sich aus den vorgelegten Urkunden und den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin, die Feststellungen zu 1.2. aus der Aktenlage.

2.3. Hinsichtlich der Feststellungen zu 1.3. ist auf die Aussagen der Beschwerdeführerin zum Herkunftsort und ansonsten auf die Länderberichte und die eingeholte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu verweisen. Den Parteien wurde in Zusammenfassung dieser Länderberichte folgende Überlegungen zum Herkunftsort der Beschwerdeführerin unwidersprochen vorgehalten:

„Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass XXXX ein Stadtteil von Afrin ist. Afrin ist eine Stadt, sowie ein gleichnamiger Bezirk, im Gouvernement Aleppo. Afrin wird seit März 2018 von türkischen Kräften und ihren Verbündeten kontrolliert. Die Quellen erwähnen vor allem die Freie Syrische Armee (Syrian National Army), sowie die Rebellengruppe Levant Front (Jabhat al-Shamiyah), Terroristen der Al-Nusra, sowie die Soqur al-Shamal Brigade. Afrin steht unter der de facto Kontrolle der Levant Front der von der Türkei unterstützten FSA, es kommt in Afrin allerdings zu Anschlägen, die kurdischen Kämpfern zugeschrieben werden.

Es gibt Berichte, dass durch die Türkei unterstützten Gruppierungen gegen die Bevölkerung von Afrin im Norden von Aleppo vorgehen. Die von der Türkei unterstützte Soqur al-Shamal Brigade greift Dorfbewohner von Khorouz an, weil sie sich weigerten Bestechungsgelder zu bezahlen und einen Teil ihrer Olivenernte abzugeben. Es wird auch berichtet, dass die von der Türkei unterstützten Gruppierungen in Afrin weiterhin Verstöße wie Entführungen, Festnahmen und Plünderungen begehen, um somit die Bürger zum Verlassen ihrer Heimat zu drängen, dies, obwohl es in Afrin eine aktive Polizeieinheit gibt, die allerdings von der Türkei ins Leben gerufen und ausgebildet wurde.

Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass bei der Eroberung Afrins im März 2018 durch türkische Truppen und ihre Verbündeten der Freien Syrischen Armee viele KurdInnen aus dem Distrikt Afrin vertrieben wurden. Ihre Häuser wurden geplündert und beschlagnahmt. Quellen berichten auch von der Beschlagnahmung von Geschäften und Grundstücken. Syrische Araber u.a. aus Ghouta zogen in die Häuser der geflohenen Kurden ein. Vielen Kurden wurde eine Rückkehr nach Afrin nicht erlaubt. Die Türkei wird laut Quellen beschuldigt, Kurden in ehemals kurdischen Mehrheitsstädten wie u.a. Afrin zu marginalisieren. Quellen zufolge werden Kurden daran gehindert, Führungspositionen zu übernehmen, die kurdische Sprache wird aus dem Lehrplan gestrichen und aus den lokalen Regierungsinstitutionen entfernt. Die Kurden stellen nicht mehr die Mehrheit in den von der Türkei besetzten Gebieten dar; die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung ist aus Angst vor Unterdrückung geflohen. Diejenigen, die geblieben sind, erlebten Plünderungen und Unterdrückung. Menschenrechtsorganisationen meldeten systematische Zerstörung der Lebensgrundlagen wie das Abbrennen von Olivenhainen, Bauernhöfen oder Lederfabriken. Lokale Aktivisten berichten über Hunderte von Vorfällen von Misshandlungen durch von der Türkei unterstützte Gruppierungen, darunter unrechtmäßige Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen. Die UN-Untersuchungskommission für Syrien stellte fest, dass willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen und Plünderungen in ganz Afrin weit verbreitet sind.“

Aus diesen sowie insbesondere aus der oben angeführten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ergibt sich, dass Menschen kurdischer Ethnie (in der Sprache der GFK: Rasse) im von den türkischen Streitkräften bzw. mit diesen verbündeten Gruppen besetzten Teil Nordsyriens aus objektiver Sicht mit gutem Grund befürchten müssen, dass sie in diesen Gebieten alleine auf Grund der Zugehörigkeit zur Ethnie (in der Sprache der GFK: Rasse) der Kurden und Kurdinnen von den Machthabern – das sind die türkischen Streitkräften bzw. mit diesen verbündeten Gruppen – verfolgt werden, ohne dass der syrische Staat schutzwillig oder -fähig ist.

2.4. Die Feststellungen zu 1.4. ergeben sich aus der Aktenlage.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Gemäß § 3 AsylG 2005 ist Asylwerberinnen auf Antrag der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat – das ist hier im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 zweifellos Syrien – Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und der Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und diese auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem die Fremde ihren Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten der Fremden beruhen, die diese seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Auf Grund der rechtskräftigen Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin mangels hinreichender Sachverhaltsänderung eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

2. Es ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass die Fremde in ihrem Herkunftsstaat, mangels eines rechtlich nicht möglichen Verweises auf eine innerstaatliche Fluchtalternative, im Herkunftsgebiet Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199), wobei es reicht, dass die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum AsylG 1991, jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der GFK).

Es ist im Lichte der Feststellungen (seit März 2018) glaubhaft, dass sich eine Person, die der kurdischen Ethnie angehört, fürchtet, in ein in der Hand der Türkei und mit dieser verbündeten Milizen kontrolliertes Gebiet zurückzukehren, da die Feststellungen zur Lage in diesen Gebieten nur den Schluss zulassen, dass die Türkei und mit dieser verbündeten Milizen versuchen, die Kurden in diesen Gebieten unter Einsatz von Gewalt und anderen extralegalen Mitteln zu marginalisieren, um Wohn- und Lebensraum für arabische Sympathisanten zu gewinnen. Daher liegt eine glaubhafte Verfolgungsangst aus Gründen der Zugehörigkeit zur – in der Sprache der GFK – „Rasse“ (Ethnie) der Kurden in von der Türkei und mit der Türkei verbündeten Milizen besetzten Ballungszentren im Nordwesten Syrien, jedenfalls in der Umgebung von Afrin, vor.

Da Asylausschluss- oder -endigungsgründe nicht vorliegen, ist daher der Beschwerde statt zu geben, der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und auszusprechen, dass dieser eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigte für drei Jahre zukommt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat unter A) die relevante Rechtsprechung des VwGH zitiert und diese der Entscheidung unterstellt. Es ist daher keine offene Rechtsfrage zu sehen und die Revision nicht zulässig.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W170.2206943.1.00

Im RIS seit

21.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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