TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/18 W211 2217966-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.10.2021
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Entscheidungsdatum

18.10.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W211 2217966-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der beschwerdeführenden Partei gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei ist ein Staatsangehöriger Syriens. Sie stellte am XXXX 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei ihrer Erstbefragung am selben Tag gab die beschwerdeführende Partei an, sie stamme aus XXXX im Gouvernement Deir ez-Zor und sei im November des Jahres 2017 illegal zu Fuß in die Türkei ausgereist. Dort würden sich ihre Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern aufhalten. Zu ihrem Fluchtgrund befragt gab die beschwerdeführende Partei an, sie habe Syrien aus Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) und den ständigen Bombardements durch die syrische Regierung verlassen. Auch suche die syrische Regierung nach ihr, da sie den Wehrdienst verweigert habe.

3. Am XXXX 2018 fand eine Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, in deren Zuge die beschwerdeführende Partei soweit wesentlich angab, ihr syrischer Reisepass befinde sich in der Türkei. In Österreich habe die beschwerdeführende Partei keine Angehörigen. Ihre Eltern und Geschwister würden sich nach wie vor in der Türkei aufhalten. Mehrere Onkel und Tanten würden in Syrien leben. In Syrien habe sie sechs Jahre die Volkschule und drei Jahre die Mittelschule besucht. Dann habe sie in Saudi-Arabien drei Jahre lang ein Gymnasium besucht, welches sie mit Matura abgeschlossen habe. Danach sei sie nach Syrien zurückgekehrt und habe Gelegenheitsarbeiten verrichtet. Im Jahr 2017 habe sie einen Einberufungsbefehl zum syrischen Militär für Oktober desselben Jahres erhalten. Weiter befinde sich XXXX immer noch unter der Kontrolle des IS und die syrische Regierung bombardiere die Stadt.

4. Am XXXX 2018 legte die beschwerdeführende Partei dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Kopien von Auszügen ihres syrischen Militärbuchs, ihres syrischen Familienbuchs und ihres syrischen Reisepasses vor.

5. Am XXXX 2019 fand eine weitere Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, bei der die beschwerdeführende Partei ua die Kopie eines saudi-arabischen Schulzeugnisses samt Übersetzung und eine syrische Geburtsurkunde im Original vorlegte. Die beschwerdeführende Partei erklärte weiter, gesund und sunnitischen Glaubens zu sein sowie der arabischen Volksgruppe anzugehören. Sie sei ledig und habe keine Kinder. Sie habe sich darum bemüht, dass ihr ihr syrischer Reisepass, der sich noch in der Türkei befinde, per Post zugeschickt werde, jedoch sei dies nicht gelungen. Enge Familienangehörige würden sich nicht mehr in Syrien aufhalten. Mehrere Onkel und Tanten sowie deren Familien würden sich noch dort aufhalten. Die letzten drei Jahre ihrer Schulzeit habe sie in Riad in Saudi-Arabien verbracht, da ihr Vater in Saudi-Arabien als Lehrer, gearbeitet habe. Sie spreche Englisch, Russisch und Arabisch. Im Jahr 2011 sei die beschwerdeführende Partei nach Syrien zurückgekehrt, da sie dort ihr Studium beginnen habe wollen. Weiter sei ihr Vater krank geworden und habe in Syrien behandelt werden müssen. Die beschwerdeführende Partei stehe in regelmäßigem Kontakt mit ihren in der Türkei lebenden Verwandten. Ihre Familie verfüge in Syrien über mehrere Immobilien. Ihr Heimatort sei vom IS eingenommen worden und es habe immer wieder Bombardements durch die syrische Regierung gegeben. Im Oktober des Jahres 2017 habe die beschwerdeführende Partei und ihre Familie sodann beschlossen, Syrien über die Grenze zur Türkei zu verlassen, da die beschwerdeführende Partei im wehrdienstfähigen Alter gewesen sei. Weiter behauptete die beschwerdeführende Partei zunächst, im Jahr 2013 einen Einberufungsbefehl zum syrischen Militär erhalten zu haben. Wenig später erklärte die beschwerdeführende Partei, doch keinen Einberufungsbefehl erhalten zu haben, jedoch würden in Syrien alle Männer vom 18. bis zum 40. Lebensjahr vom Militär gesucht. Ihre Militärtauglichkeit sei nicht festgestellt worden. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchte die beschwerdeführende Partei wegen der Nichtableistung des Wehrdienstes bestraft zu werden bzw. am bewaffneten Konflikt teilnehmen zu müssen.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III).

7. In der gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides gerichteten und rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wurde ausgeführt, dass die beschwerdeführende Partei die Gründe für das Verlassen Syriens ausführlich dargelegt habe. Aufgrund ihrer oppositionell-politischen Gesinnung in Form der Verweigerung des bewaffneten Kampfes sowie der Zugehörigkeit zur Gruppe der Männer im wehrdienstfähigen Alter sei die beschwerdeführende Partei als Flüchtling im Sinne der GFK anzusehen. Außerdem würde die beschwerdeführende Partei in Syrien von oppositionellen Gruppierungen als Verräter angesehen werden, da sie die Teilnahme am Kampf gegen die syrische Regierung verweigere. Auch wenn die beschwerdeführende Partei keinen Einberufungsbefehl erhalten habe, zähle sie doch gemäß den Länderberichten zu den von einer Zwangsrekrutierung durch die syrische Regierung bedrohten Personen. Um einer drohenden Zwangsrekrutierung durch die syrische Regierung zu entgehen, habe die beschwerdeführende Partei Syrien auch verlassen.

8. Am XXXX 2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die arabische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die beschwerdeführende Partei im Detail zu ihren Fluchtgründen befragt wurde. Die belangte Behörde entschuldigte sich mit Schreiben vom XXXX 2021 für die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der Verhandlung wurden außerdem aktuelle Länderinformationen, unter anderem zur Passausstellung in Syrien, ins Verfahren eingeführt. Die beschwerdeführende Partei legte in der mündlichen Verhandlung die Kopie eines Studienzeugnisses der Universität in XXXX (Ukraine) und einen ukrainischen Ausweis für einen Sprachkurs vor.

9. Mit schriftlicher Stellungnahme der Vertretung der beschwerdeführenden Partei vom XXXX 2021 wurde zur Ausstellung des syrischen Reisepasses ausgeführt, dass sich die beschwerdeführende Partei im Jahr 2018 in der Türkei aufgehalten habe. Ihr Onkel in Syrien habe für sie den Reisepass beantragt. Nicht alle syrischen Botschaften und Konsulate könnten Reisepässe ausstellen. Es bestehe hinsichtlich der beschwerdeführenden Partei das reale Risiko, dass ihr im Fall einer Rückkehr, die legal und hinsichtlich des Reisewegs zumutbar nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen möglich sei, eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellt werde und sie zum Wehrdienst bei der syrischen Armee zwangsweise eingezogen werden würde bzw. als Wehrdienstleistender im Rahmen der Aufstandsbekämpfung zu menschen- und völkerrechtswidrigen Handlungen gezwungen und im Falle einer Weigerung allenfalls mit Exekution, jedenfalls einer Gefängnisstrafe unter unmenschlichen Bedingungen, bestraft werden würde. Der beschwerdeführenden Partei sei somit der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, da eine Verfolgung durch das syrische Regime maßgeblich wahrscheinlich sei. Der Stellungnahme beigefügt waren Kopien der Reisepässe der beschwerdeführenden Partei mit Ausstellungsdatum vom XXXX 2012 bzw. vom XXXX 2018.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:

1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist ein Staatsangehöriger Syriens, die am XXXX 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.

Die beschwerdeführende Partei stammt aus XXXX im Gouvernement Deir ez-Zor in der Nähe zur Grenze zum Irak.

Es wird festgestellt, dass sich XXXX unter der Kontrolle der syrischen Regierung befindet.

1.1.2. Die beschwerdeführende Partei gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischen Glaubens.

Sie besuchte insgesamt 12 Jahre lang die Schule. In den Jahren 2009 bis 2012 lebte die beschwerdeführende Partei in Riad in Saudi-Arabien und absolvierte dort die Matura. Danach kehrte die beschwerdeführende Partei nach Syrien zurück, zog kurz drauf im November des Jahres 2012 in die Ukraine und studierte dort bis Juni des Jahres 2016 Zahnmedizin. Sodann kehrte die beschwerdeführende Partei wieder nach Syrien zurück.

Die beschwerdeführende Partei hat Syrien im November des Jahres 2017 illegal über die Grenze zur Türkei verlassen.

1.1.3. Die beschwerdeführende Partei ist strafrechtlich unbescholten und gesund.

Die Eltern und vier Geschwister (zwei Brüder und zwei Schwestern) der beschwerdeführenden Partei leben in der Türkei. Mehrere Onkel und Tanten der beschwerdeführenden Partei leben in Syrien.

1.2. Die beschwerdeführende Partei leistete ihren Wehrdienst noch nicht ab, sondern erhielt bis Ende des Jahres 2016 einen Aufschub vom Militärdienst als Student. Nach ihrer Rückkehr nach Syrien versuchte die beschwerdeführende Partei nicht mehr, einen Aufschub zu bekommen.

Es wird festgestellt, dass sich die beschwerdeführende Partei im wehrpflichtigen Alter befindet und ihren verpflichtenden Wehrdienst in Syrien noch nicht abgeleistet hat.

Festgestellt wird, dass in Syrien ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren besteht. Weiter werden aufgrund von Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten auch Reservisten (neuerlich) zum Militärdienst eingezogen und es kommt zurzeit sogar zur Aufhebung von Militärdienstaufschüben. Schließlich kommt es bei der Vollziehung des Wehrgesetzes zu einem bestimmten Maß an Willkür.

Der beschwerdeführenden Partei droht in Syrien bei einer nunmehrigen Rückkehr daher die reale Gefahr, als Mann im wehrfähigen Alter zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden, und sie ist im Zusammenhang mit der Einziehung, der Ableistung und der Verweigerung des Militärdienstes der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Die Regierung betrachtet Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Die beschwerdeführende Partei hat Syrien unter anderem verlassen, damit sie sich ihrer Wehrdienstverpflichtung in Syrien entziehen kann.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

a) Länderinformationsblatt Syrien:

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 12.8.2020; vgl. FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Nach dem Ausbruch des Konfliktes stellte die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten, welche den verpflichtenden Wehrdienst geleistet hatten, ein (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). 2018 wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch auch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020).

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (STDOK 8.2017).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt unverändert hoch, und seit Dezember 2018 haben sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch verstärkt (AA 4.12.2020). Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt (DIS 5.2020).

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020).

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020). Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). So errichtet die Militärpolizei beispielsweise in Homs stichprobenartig und nicht vorhersehbar Straßenkontrollen. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Weiters rekrutieren die syrischen Streitkräfte in Lagern für Binnenvertriebene (DIS 5.2020).

Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).

Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Befreiung und Aufschub

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020).

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, mittlerweile wird der Status der Studenten jedoch aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren (STDOK 8.2017). Einem Bericht zufolge wurden gelegentlich Studenten trotz einer Befreiung bei Checkpoints rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern im Militärdienstalter (18-42 Jahre), einschließlich registrierter Palästinenser aus Syrien, eine Gebühr zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Diese Option gilt jedoch nur für Personen mit Wohnsitz im Ausland. Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, können einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (DIS 5.2020; vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS 5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).

Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).

Es gibt kein Gesetz, welches eine Befreiungsgebühr für Reservisten vorsieht. Einer Quelle zufolge kann ein Reservist den Militärdienst umgehen, indem er den verantwortlichen Offizier besticht, der dann registriert, dass der Reservist bereits dient (DIS 5.2020).

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 12.5.2021). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018).

Wehrdienstverweigerung/Desertation

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an oder tauchte unter (DIS 5.2020).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft [Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort]. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 4.12.2020). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018), was von einer Quelle mit dem Bedarf der syrischen Regierung nach Verstärkung in Verbindung gebracht wird. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020).

Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020).

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017). Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) and Wehrdienstverweigerer Ziel der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020).

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (STDOK 8.2017).

Unterschiedliche Quellen berichten von unterschiedlichen Konsequenzen für Deserteure und Überläufer. Während eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, habe die syrische Regierung jedoch ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an Kräften an der Front festgenommene Deserteure unter Umständen vor dem Militärgericht zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Eine andere Quelle berichtet jedoch, dass Deserteure üblicherweise von Einheiten des syrischen Geheimdienstes inhaftiert würden, womit sie dem Risiko von Folter und Verschwindenlassen ausgesetzt sein können. Auch berichtet eine weitere Quelle, dass Tötungen und Exekutionen von Deserteuren weiterhin stattfinden, zum Beispiel während der Offensive in Idlib im Jahr 2020 (DIS 5.2020).

Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen (STDOK 8.2017; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 4.12.2020; vgl. FIS 14.12.2018, DIS 5.2020). Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).

b) Zur Passausstellung - Country of Origin Information Report Syria – Documents - des Außenministeriums des Königreiches der Niederlande (Ministerie van Buitenlandse) aus Dezember 2019 (Übersetzung aus dem Englischen):

Eine nationale Identifizierungsnummer (al-raqm al watani) oder ein Eintrag im zentralen Passregister reichen nicht aus, um einen neuen Reisepass zu erlangen. Der Antragsteller muss hierzu zusätzlichen Bedingungen erfüllen. Bei jedem Antrag auf Ausstellung eines Dokuments bei den syrischen Behörden, so auch bei einem Antrag auf Reisepassausstellung, nimmt das syrische Innenministerium eine Sicherheitsüberprüfung vor. Gemäß den Angaben des syrischen Innenministeriums muss jeder Antragsteller einen Personalausweis oder einen Auszug aus dem Zivilregister mit Passfoto und einen Stempel des mukhtar (entspricht Bürgermeister) vorlegen. Auch werden ein ausgefülltes Antragsformular und zwei Passfotos in Farbe verlangt. Der Prozess der Erlangung eines syrischen Reisepasses im Ausland unterscheidet sich hiervon dadurch, dass bei einer Antragstellung bei einer Botschaft der vorgelegte Zivilregisterauszug zusätzlich vom syrischen Außenministerium bestätigt werden muss. Gewisse Personengruppen müssen überdies zusätzliche Dokumente einbringen. Männer müssen eine Bestätigung der Militärbehörde beischaffen, außer sie sind vom Militärdienst ausgenommen. Derzeit ist in Syrien eine Wehrpflicht aller Männer zwischen 18 und 42 Jahren vorgesehen. Folgende Personenkategorien müssen keine Bestätigung eines Rekrutierungsbüros vorlegen: einzige Söhne, die vom Militärdienst ausgenommen sind; Männer, die aus medizinischen Gründen vom Militärdienst ausgenommen sind; Männer, die aufgrund der Ableistung des Militärdienstes für eine anderen Staat vom Militärdienst ausgenommen sind; Männer, die sich offiziell vom Militärdienst freigekauft haben; alle Männer über 42 Jahre; Mitglieder des Parlaments; Regierungsbeamte, die im Ausland arbeiten; Männer, die im Ausland studieren. Genannte Personen müssen ihr Militärbuch dem Antrag auf Passausstellung beilegen. Ein Wehrpflichtiger, der einen Aufschub des Militärdienstes aufgrund seines Studiums erlangt hat, bekommt einen für zwei Jahre gültigen Reisepass.

Es befinden sich syrische Reisepässe im Umlauf, die weder die Fingerabdrücke, noch die Unterschrift des Passinhabers beinhalten. Gemäß den syrischen Behörden kommen derartige Abweichungen bei folgenden Personengruppen vor: Kinder, Invalide und Syrer, die sich im Ausland aufhalten und einen Reisepass bei einer Botschaft oder in Syrien über einen Stellvertreter („proxy“) beantragt haben. Auch sind syrische Reisepässe im Umlauf, bei denen die nationale Identifikationsnummer des Inhabers fehlt. Das syrische Innenministerium informierte, dass solche Irregularitäten bei Neugeborenen und Kleinkindern in Gebieten, die sich nicht unter Kontrolle der syrischen Regierung befinden, auftreten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Identität der beschwerdeführenden Partei und ihrer Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei sowie auf die im Verfahren vorgelegten Dokumente (Kopien syrischer Reisepässe, Auszüge aus dem syrischen Familienbuch (AS 75 - 87, Stellungnahme vom XXXX 2021), syrische Geburtsurkunde im Original (AS 261)).

2.2. Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.3. Die Feststellungen zum Religionsbekenntnis, zur Volksgruppenzugehörigkeit, zur Herkunft sowie dass die beschwerdeführende Partei ledig und kinderlos ist, zum Aufenthalt ihrer Eltern und Geschwister in der Türkei sowie weiterer Verwandter in Syrien basieren auf den diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2021.

Die Feststellungen zum Umzug nach Saudi-Arabien, zum dortigen Besuch einer Schule samt Maturaabschluss und zur anschließenden Rückkehr nach Saudi-Arabien basieren auf den glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2021 und der vorgelegten Kopie eines saudi-arabischen Schulzeugnisses samt Übersetzung (AS 259).

Die Feststellungen, dass die beschwerdeführende Partei im November des Jahres 2012 in die Ukraine zog und dort bis Juni des Jahres 2016 Zahnmedizin studierte sowie, dass sie danach wieder nach Syrien zurückkehrte, basieren ebenfalls auf den glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2021 und den dabei vorgelegten Kopie eines Studienzeugnisses der Universität in XXXX (Ukraine) und eines ukrainischen Ausweises für einen Sprachkurs.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei basiert auf ihren Angaben im Laufe des Verfahrens. Die Feststellung zu ihrer strafrechtlichen Unbescholtenheit fußt auf einem Strafregisterauszug vom XXXX 2021.

2.4. Die Feststellung, dass die Stadt XXXX an der irakischen Grenze derzeit unter der Kontrolle der syrischen Regierung steht, ergibt sich durch die Nachschau auf einer Website betreffend die Kontrolllage in Syrien (https://syria.liveuamap.com/) und wird auch durch die beschwerdeführende Partei so bestätigt (Seiten 5f des Verhandlungsprotokolls).

Die Feststellungen zur relevanten Situation in Syrien unter 1.3. beruhen auf:

Zu a): Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien mit Stand September 2021, und darin wiederum auf den folgenden Einzelquellen:

-        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt;_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020);_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2 , Zugriff 18.1.2021

-        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-berichtueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf , Zugriff 18.8.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (12.8.2020): The World Factbook: Syria - People and Society, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html , Zugriff 21.8.2020

-        CMEC – Carnegie Middle East Center (14.4.2020): Syria and Coronavirus, https://carnegie-mec.org/2020/04/14/syria-and-coronavirus-pub-81547 , Zugriff 24.8.2020

-        DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 22.7.2020

-        DRC/DIS – Danish Refugee Council [Dänemark]/ The Danish Immigration Service (8.2017): Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/SyrienFFMrapportaugust2017.pdf?la=da&hash=D5C8D2AB61039CB67C560C07AE47C7F02F16708D, Zugriff 25.8.2020

-        EB – Enab Baladi (9.2.2019): Military Service Exemption Fee: Expensive Return Ticket To Homeland, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/09/military-service-exemption-fee-expensive-return-ticket-to-homeland/, Zugriff 25.8.2020

-        EB – Enab Baladi (3.6.2020): Fear of forced military conscription looms over northern rural Homsagain, https://english.enabbaladi.net/archives/2020/03/fear-of-forced-military-conscription-looms-over-northern-rural-homs-again/ , Zugriff 24.8.2020

-        FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020

-        ICG – International Crisis Group (13.2.2020): Easing Syrian Refugees‘ Plight in Lebanon, https: //d2071andvip0wj.cloudfront.net/211-easing-syrian-refugees-plight-in-lebanon.pdf , Zugriff 24.8.2020

-        Landinfo [Norwegen] (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf, Zugriff 7.9.2020

-        ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020

-        ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Report_2019_07.pdf , Zugriff 17.8.2020

-        PAR – Webseite des Parlaments [Syrien] ( ??????? ???????? 30 ???? 2007 ????? ???? ????? :( 12.5.2007 [Legislativdekret Nr. 30 von 2007 Militärdienstgesetz], http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?nod e=201&nid=4921& , Zugriff 24.8.2020

-        SANA – Syrian Arab News Agency ( ???? ????? ??? ????? ????? ????? ??? ????? ?? ??????? ?????? :( 8.11.2017??? ????????? ???? ??? ????? ????? ???????? ?? ?????? ?????? ??????? ?????? ?? [Die Volksversammlung verabschiedet einen Gesetzesentwurf bezüglich der Personen, die das Wehrdienstalter überschritten haben, und einen weiteren über die Verknüpfung des öffentlichen Arbeitnehmerverzeichnisses im Land mit dem Ministerium für Verwaltungsentwicklung], http://www.sana.sy/?p=656572 , Zugriff 24.8.2020

-        SLJ – Syrian Law Journal via Twitter (10.11.2017): Newsflash of 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320 , Zugriff 24.8.2020

-        STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

-        TIMEP – The Tahrir Institute for Middle East Policy (22.8.2019): TIMEP Brief: Conscription Law,

-        https://timep.org/reports-briefings/timep-brief-conscription-law/ , Zugriff 24.8.2020

TIMEP – The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree 18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf , Zugriff 24.8.2020

-        USDOS – United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html, Zugriff 10.6.2021

Zu b): Country of Origin Information Report Syria – Documents - des Außenministeriums des Königreiches der Niederlande (Ministerie van Buitenlandse) aus Dezember 2019 (abrufbar unter: https://www.government.nl/documents/reports/2019/12/31/country-of-origin-information-report-syria-december-2019)

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit und Verlässlichkeit der Länderinformationen zu zweifeln.

2.5. Das fluchtauslösenden Vorbringen der beschwerdeführenden Partei betrifft die Furcht im Falle einer Rückkehr nach Syrien zur syrischen Armee eingezogen zu werden.

Bezüglich des im Laufe der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2021 vorgebrachten Erhalt eines Einberufungsbefehls zum syrischen Militär im Jahr 2013 ist auszuführen, dass dieses Vorbringen nicht glaubhaft erscheint. Dies deshalb, da die beschwerdeführende Partei einerseits in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am XXXX 2018 erklärte, erst im Jahr 2017 einen Einberufungsbefehl erhalten zu haben (siehe AS 43). In ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am XXXX 2019 behauptete die beschwerdeführende Partei wiederum zunächst, ihr sei bereits im Jahr 2013 ein solcher zugekommen, um wenig später anzugeben, sie habe nie einen Einberufungsbefehl erhalten (siehe AS 277f). Aufgrund der gravierenden Widersprüche im Vorbringen der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich des Erhalts eines Einberufungsbefehls konnte daher diesbezüglich keine Feststellung getroffen werden.

Soweit die beschwerdeführende Partei im Laufe der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2021 vorbrachte, sie habe aufgrund ihres Studiums in der Ukraine einen bis Ende des Jahres 2016 gültigen Aufschub vom Militärdienst erhalten, wirkt dies im Zusammenhang mit der vorgelegten Kopie eines Studienzeugnisses der Universität in XXXX (Ukraine), auf dem als Studienzeitraum XXXX 2013 bis XXXX 2016 vermerkt ist, plausibel, und es konnte daher eine entsprechende Feststellung erfolgen.

Die Feststellungen, dass der beschwerdeführenden Partei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Syrien die Einziehung zum Dienst bei der syrischen Armee bzw. dabei die Pflicht zur Teilnahme an menschenrechtswidrigen Handlungen oder für ihre Weigerung eine Bestrafung droht, deren Ausmaß aufgrund der derzeitigen Ausnahmesituation bis zur extralegalen Tötung reichen kann, stützen sich maßgeblich auf die Länderfeststellungen. Wie sich aus diesen Berichten ergibt, hat die syrische Regierung Schwierigkeiten neue Rekruten auszuheben. Ferner kann es während des Militärdienstes zur zwangsweisen Mitwirkung an schweren Menschenrechtsverletzungen und bei deren Verweigerung zu einer Verhaftung und Bestrafung von asylrelevanter Intensität kommen. Weiter ist aufgrund der besonderen Situation in Syrien die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als „oppositionell“ betrachtet zu werden, relativ niedrig, und werden vor allem Personen einer oppositionellen Gesinnung bzw. einer Regimegegnerschaft verdächtigt, die während des staatlichen Ausnahmezustandes ihre Heimat verlassen und im Ausland einen Asylantrag gestellt haben.

Vermeint das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, eine drohende Einberufung der beschwerdeführenden Partei zum Militärdienst im Falle einer Rückkehr sei nicht anzunehmen, da diese in der Lage gewesen sei, sich im September des Jahres 2018, somit kurz vor Asylantragstellung, einen bis Ende des Jahres 2020 gültigen Reisepass ausstellen zu lassen, was wiederum ein fehlendes Interesse der syrischen Behörden an einer Zwangsrekrutierung indiziere, ist Folgendes auszuführen:

Im vorliegenden Fall gab die beschwerdeführende Partei im Laufe der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2021 an, sie habe sich im Jahr 2018 in der Türkei aufgehalten; ein Onkel habe den Reisepass für sie beantragt. Die vorgelegten Kopie des besagten Reisepasses, in dem weder die Unterschrift, noch die Fingerabrücke der beschwerdeführenden Partei aufscheinen (siehe Seite 11ff der Stellungnahme vom XXXX 2021), stimmt mit den Ausführungen im oben angeführten Country of Origin Information Report Syria – Documents - des Außenministeriums des Königreiches der Niederlande (Ministerie van Buitenlandse) aus Dezember 2019 überein, wonach Syrer, die sich im Ausland aufhalten und einen Reisepass in Syrien über einen Stellvertreter („proxy“) beantragt haben, Reisepässe erhalten, in denen eben jene Merkmale fehlen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Angaben der beschwerdeführenden Partei dazu plausibel.

Den Länderberichten ist zu entnehmen, dass die syrische Regierung die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert, verweigern kann. Daraus ergibt sich demnach nicht zwingend, dass die syrische Regierung jeder Person, die sie als politischen Gegner betrachtet bzw. dem sie eine politisch-oppositionelle Gesinnung unterstellt, automatisch die Ausstellung eines Reisepasses verweigert. In der Reisepassausstellung kann zwar ein Indiz erblickt werden, dass die syrische Regierung keine feindselige Haltung gegenüber dem Antragsteller pflegt; mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kann dies jedoch nicht angenommen werden.

Insoweit der zuvor genannte Bericht besagt, dass Männer im wehrdienstfähigen Alter zur Erlangung eines syrischen Reisepasses eine Bestätigung eines Rekrutierungsbüros vorlegen müssen, wird darauf hingewiesen, dass die Gültigkeit dieses Reisepasses nur zwei Jahre betrug, was nach der Berichtslage den Schluss nahelegt, dass die beschwerdeführende Partei im Zuge der Passausstellung wieder als Person mit Aufschub, zB wegen eines Studiums, geführt wurde. Im Lichte dessen, dass die beschwerdeführende Partei im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärte, ihr Onkel habe Bestechungsgelder für den Pass bezahlen müssen, was von der Berichtslage über das Maß an Korruption in Syrien gedeckt zu sein scheint, sind die Angaben der beschwerdeführenden Partei zur Ausstellung des Reisepasses im Jahr 2018 nicht unplausibel.

Darüberhinaus ist anzuerkennen, dass die Gültigkeit des Passes nunmehr abgelaufen ist. Ob die beschwerdeführende Partei erneut einen Reisepass in Syrien über Stellvertretung erhalten würde und wenn ja, mit welcher Gültigkeitsdauer, muss Spekulation bleiben.

Daher kann nur auf Basis der Reisepassausstellung im Jahr 2018 der Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, dass eine drohende Einberufung der beschwerdeführenden Partei zum Militärdienst im Falle einer Rückkehr nicht anzunehmen sei, nicht gefolgt werden.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass es für eine Bedrohung oder Verfolgung durch das syrische Regime nicht (unbedingt) darauf ankommt, ob eine Einberufung zum Militärdienst vor der Ausreise bereits erfolgt ist, ob eine behördliche Suche (wegen des Militärdienstes) bereits (vor der Ausreise) stattgefunden hat oder ob die Ausreise legal erfolgen konnte, sondern vielmehr darauf, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einem Einsatz beim Militär (im Falle einer nunmehrigen Rückkehr/Wiedereinreise in den Herkunftsstaat) auszugehen ist, was anhand der Situation (hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst) im Herkunftsstaat und anhand des Profils der betroffenen Person zu beurteilen ist. Aus den – diesbezüglich unwidersprochen gebliebenen – Feststellungen zu den Voraussetzungen/Kriterien einer Wehrdiensteinberufung in Syrien (diesen Feststellungen zufolge besteht in Syrien ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren; alle Männer zwischen 18 und 42 Jahren kommen für den Militärdienst in Frage; es kommt aufgrund der angespannten Situation in Syrien und der Schwierigkeiten für die syrische Regierung, neue Rekruten auszuheben, auch zur Aufhebung von Militärdienstaufschüben) und dem persönlichen Profil der beschwerdeführenden Partei (als gesunder Staatsbürger im wehrpflichtigen Alter) ergibt sich, dass eine Person mit diesen formellen Voraussetzungen in Syrien angesichts des dortigen innerstaatlichen Konfliktes und des Mangels an Soldaten, die sich zum Dienst melden, mit erheblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, zum Militärdienst eingezogen zu werden und dabei – wie sich auch aus den Länderfeststellungen ergibt – u.a. gegen Protestierende und gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt zu werden.

Weiter ist es bereits notorisch, dass es im Bürgerkrieg in Syrien zu durch staatliche Stellen zu verantwortende Menschenrechtsverletzungen kommt. Mitglieder aller Konfliktparteien in Syrien haben schwere Verletzungen im Bereich Menschenrechte und humanitäres Recht begangen.

Vor diesem Hintergrund erscheint eine Rekrutierung der beschwerdeführenden Partei durch das syrische Regime, entgegen der Ansicht der belangten Behörde, maßgeblich wahrscheinlich.

Die beschwerdeführende Partei würde also als gesunder Mann im wehrfähigen Alter mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zum Militärdienst eingezogen und unter anderem zur Mitwirkung an schweren Menschenrechtsverletzungen gezwungen werden. Durch ihren Auslandsaufenthalt entzieht sich die beschwerdeführende Partei jedoch dem Militärdienst und wäre daher im Fall einer Rückkehr der Gefahr der Verhaftung und Bestrafung bis hin zu Misshandlungen und Folter ausgesetzt. Bei der Rückkehr nach Syrien kommt es schließlich zu einer Befragung an der Grenze. Es kann daher angenommen werden, dass gegenständlich in der Wehrdienstentziehung eine kritische Haltung der beschwerdeführenden Partei erblickt wird.

Die Rückkehrbefürchtungen der beschwerdeführenden Partei stellen sich daher – vor dem Hintergrund der dem gegenständlichen Verfahren zugrunde gelegten Länderfeststellungen –als plausibel dar.

Eine nähere Auseinandersetzung mit ihrem weiteren Fluchtvorbringen kann letztlich unterbleiben, da die eben aufgezeigte Gefährdung für sich alleine ausreichend ist, die Flüchtlingseigenschaft der beschwerdeführenden Partei zu begründen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Spruchpunkt I.:

3.1. Rechtsgrundlagen

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

3.1.3. Der EuGH hat mit Urteil vom 26.02.2015 in der Rechtssache C-472/13, Shepherd, eine Auslegung der Bestimmungen von Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2004/83/EG dahingehend vorgenommen,

– dass sie alle Militärangehörigen einschließlich des logistischen und unterstützenden Personals erfassen, […]

– dass die Verweigerung des Militärdienstes das einzige Mittel darstellen muss, das es dem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrenden Antragsteller erlaubt, der Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen, so dass der Umstand, dass er kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, jeden Schutz nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 ausschließt, sofern der Antragsteller nicht beweist, dass ihm in seiner konkreten Situation kein derartiges Verfahren zur Verfügung stand.

Die dargestellte Judikatur des EuGH erging zwar zur Status-RL 2004/83/EG, welche mittlerweile durch die Status-RL 2011/95/EU neu gefasst wurde, jedoch blieb Art. 9 Abs. 2 lit. e dadurch inhaltlich unverändert.

3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

3.2.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch die Gefahr einer wegen „Wehrdienstverweigerung“ (allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen) drohenden Bestrafung dann zur Asylgewährung führen, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen – wie etwa bei der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Ist letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der – generellen – Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrunde liegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre (vgl. VwGH 14.12.2004, 2001/20/0692).

Dient die Geltung verschärfter Strafdrohungen bei Wehrdienstverweigerung im Wesentlichen dazu, dass Einberufene erhöhtem Druck zur Teilnahme an Handlungen ausgesetzt sind, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten (vgl. Art. 1 Abschnitt F GFK), so erfüllt dies unter der weiteren Voraussetzung, dass einem Wehrdienstverweigerer zumindest eine gegen den Staat gerichtete politische Gesinnung unterstellt wird, die Anforderungen der auf dem genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Juni 1994, VwSlg. 14089 A/1994 (verst. Senat), basierenden Rechtsprechung an die Zuerkennung von Asyl. Weiters vertritt der Verwaltungsgerichtshof nunmehr ausdrücklich die Auffassung, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen – etwa gegen die Zivilbevölkerung – auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (siehe VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009, zitiert nach Feßl/Holzschuster [Asylgesetz 2005, 117 ff]). Dies ist auch ausdrücklich in Art. 9 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2011/95/EU festgehalten. Daher ist eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 der genannten Richtlinie fallen, umfassen würde, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.

Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass der Militäreinsatz in der syrischen Armee, dem sich die beschwerdeführende Partei letztlich durch ihre Ausreise entzogen hat, im derzeitigen bewaffneten Konflikt in Syrien mit einem Zwang zur Verübung menschenrechtswidriger Handlungen und zur Teilnahme an völkerrechtswidrigen Militäraktionen (etwa Angriffe auf die Zivilbevölkerung) verbunden (und damit im Sinne des Abs. 171 des UNHCR-Handbuches über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft den „Grundregeln menschlichen Verhaltens“ widersprechend) ist und dass völlig unverhältnismäßige Bestrafungsmaßnahmen und Sanktionen bei Wehrdienstverweigerung und bei Verweigerung von Befehlen im Bereich des Militärdienstes bzw. des Militäreinsatzes (etwa Hinrichtung von Soldaten, die sich weigern, auf Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen) erfolgen. Davon ist die beschwerdeführende Partei, der maßgeblich wahrscheinlich der Wehrdiensteinsatz bei der syrischen Armee droht und die einen solchen Einsatz verweigert bzw. ablehnt, maßgeblich wahrscheinlich betroffen. Unter den besonderen Verhältnissen in Syrien kann die Anwendung dieser völlig unverhältnismäßigen Bestrafungsmaßnahmen und Sanktionen seitens der syrischen Regierung nicht anders als dahingehend beurteilt werden, als dass sie auf der generellen Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung der Betroffenen beruht. Damit liegt im Hinblick auf die der beschwerdeführenden Partei drohende Bestrafung wegen „Wehrdienstverweigerung“ als drohender Eingriff von erheblicher Intensität eine asylrelevante Verfolgung vor, weil die Bestrafung in Zusammenhang mit einem Konventionsgrund, nämlich mit dem der „politischen Gesinnung“, steht.

Es haben sich im vorliegenden Fall daher ausreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der beschwerdeführenden Partei im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht. Diese Verfolgung geht von der syrischen Regierung aus und droht der beschwerdeführenden Partei hauptsächlich aufgrund ihrer Wehrdienstverweigerung. Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass der beschwerdeführenden Partei im Rahmen einer Sanktionierung ihres Verhalte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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