TE Bvwg Beschluss 2021/12/20 W216 2248590-1

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Veröffentlicht am 20.12.2021
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Entscheidungsdatum

20.12.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W216 2248590-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 05.10.2021, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführerin wurde vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge: belangte Behörde) im Februar 2018 ein bis 31.05.2021 befristeter Behindertenpass mit einem eingetragenen Gesamtgrad der Behinderung von 50 vom Hundert (v.H.) ausgestellt. Für Februar 2021 wurde eine Nachuntersuchung vorgesehen, da es zu einer Besserung des Leidens 1 kommen könnte.

2. Die Beschwerdeführerin stellte am 08.06.2021 (einlangend) bei der belangten Behörde unter Vorlage medizinischer Unterlagen einen Antrag auf (Neu-)Ausstellung eines Behindertenpass.

2.1. Zur Überprüfung des Antrages wurden seitens der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 21.07.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. bewertet wurde.

Die Funktionseinschränkungen wurden folgendermaßen beurteilt:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

systemischer Lupus erythematodes

Unterer Rahmensatz, da unter Therapie niedrige Krankheitsaktivität dokumentiert.

02.02.02

30 v.H.

02

Depressio

Unterer Rahmensatz, da medikamentös stabilisierbar.

03.06.01

10 v.H.

Gesamtgrad der Behinderung

30 v.H.

2.2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde mit Schreiben vom 12.08.2021 gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs zum Ergebnis der Beweisaufnahme erhob die Beschwerdeführerin – unter Vorlage medizinischer Befunde – Einwendungen und legte ihre gesundheitlichen Beschwerden dar. So leide sie bspw. unter Schmerzen im Rahmen der Grunderkrankung und bestehe dadurch ein sozialer Rückzug, zusätzlich leide sie unter Erschöpfungszuständen, Depressionen, Psoriasis und einer Lactoseintoleranz.

2.3. In der zur Überprüfung der Einwendungen sowie der neu vorgelegten Befunde eingeholten medizinischen Stellungnahme der bereits befassten Fachärztin für Innere Medizin vom 04.10.2021 wurde festgehalten, dass eine behinderungsrelevante Psoriasis oder eine maßgebliche Depression mit stationären Therapieaufenthalten nicht befundbelegt seien. Eine Sinustachykardie sei keine behinderungsrelevante Herzrhythmusstörung. Insgesamt ergebe sich durch die vorgebrachten Argumente keine Änderung des Begutachtungsergebnisses, sodass daran festgehalten werde.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.10.2021 wies die belangte Behörde aufgrund des in Höhe von 30 v.H. festgestellten Grades der Behinderung den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG ab.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung von 30 v.H. ergeben habe, womit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses (Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H.) nicht vorliegen würden. Das Ergebnis des ärztlichen Begutachtungsverfahrens werde als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt. In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des BBG.

4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 22.11.2021 – fristgerecht – das Rechtsmittel der Beschwerde, in der sie erneut ausführlich ihre (auch psychischen) Leiden und Diagnosen darlegte.

5. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 24.11.2021 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stellte am 08.06.2021 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.10.2021 wurde festgestellt, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 30 v.H. betrage und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt seien.

Im erstinstanzlichen Verfahren wurden ein Sachverständigengutachten sowie eine Stellungnahme einer Fachärztin für Innere Medizin eingeholt und in der Folge der Antrag mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin wurde trotz offensichtlichen Erfordernisses keiner weiteren persönlichen Begutachtung durch einen Facharzt / eine Fachärztin für Psychiatrie unterzogen. Das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin geht auf die Leiden der Beschwerdeführerin nicht in ausreichendem Maße ein.

Die belangte Behörde hat die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen.

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht nicht fest.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Akteninhalt.

Dass die belangte Behörde die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen und der entscheidungswesentliche Sachverhalt somit nicht feststeht, ergibt sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt. Das seitens der belangten Behörde eingeholte medizinische Gutachten (und die ergänzende medizinische Stellungnahme) waren zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpass nicht geeignet.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichts (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990, idF BGBl. I. Nr. 57/2015, (BBG), hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Behebung und Zurückverweisung:

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1.       wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus (vgl. u.a. 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).

Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. (§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010 auszugsweise)

Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten. (§ 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Gesundheitsschädigungen, sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.

Die Beschwerdeführerin hat bereits mit dem Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht, welche auch dem psychiatrischen Formenkreis betreffen und zudem in ihrem Antrag sowie in weiterer Folge in ihrer im Rahmen des ihr eingeräumten Parteiengehörs erstatteten Stellungnahme und ihrer Beschwerdeschrift – begründend – angeführt, an dementsprechenden Einschränkungen zu leiden.

Die belangte Behörde hat zur Überprüfung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin jedoch lediglich ein Sachverständigengutachten sowie eine ergänzende medizinische Stellungnahme aus dem Fachbereich Innere Medizin eingeholt.

Zwar besteht kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch ist das im vorliegenden Fall von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten in Verbindung mit der ergänzenden medizinischen Stellungnahme zur Beurteilung des bei der Beschwerdeführerin vorliegenden psychologischen Beschwerdebildes nicht geeignet. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen sowie des hierzu von der Beschwerdeführerin erstatteten Vorbringens liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass zusätzlich zur erfolgten Einholung von Sachverständigengutachten der Fachrichtung Innere Medizin auch die Einholung zumindest eines Gutachtens der Fachrichtung Psychiatrie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin (auch im Hinblick auf eine mögliche wechselseitige Leidensbeeinflussung der festgestellten Gesundheitsschädigungen) zu gewährleisten.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, ein Gutachten der Fachrichtung Psychiatrie einzuholen.

Darüber hinaus ist das durch die belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten sowie die ergänzende medizinische Stellungnahme hinsichtlich der Beurteilung der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden psychiatrischen Leidenszustände und somit auch bezüglich der Beurteilung des Gesamtleidenszustandes nicht ausreichend begründet. Das eingeholte Sachverständigengutachten enthält zwar eine Zusammenfassung relevanter von der Beschwerdeführerin vorgelegter medizinischer Beweismittel unter auszugsweiser Zitierung der Inhalte, der von der Beschwerdeführerin vorgelegte Medikamentenplan sowie die – Diagnosen enthaltende – Honorarnote einer Fachärztin für Neurologie vom April 2020 fand jedoch keinen Eingang in diese Zusammenfassung und die Sachverständige hat sich mit den Inhalten auch nicht weiter bzw. umfassend auseinandergesetzt. Es ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, in welcher Form bzw. welchem Ausmaß diese bei der Beurteilung des Grades der Behinderung berücksichtigt wurden. So ist dem eingeholten Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin lediglich zu entnehmen, dass das psychische Leiden der Beschwerdeführerin als Leiden 2 "Depressio" mit dem unteren Rahmensatz der Positionsnummer 03.06.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 v.H. eingestuft wurde, da die Depressio medikamentös stabilisierbar sei. Die Sachverständige hält in ihrem Gutachten unter "Status psychicus" auch lediglich fest: "allseits orientiert, Ductus kohärent."

In der ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen wird diesbezüglich darüber hinaus nur ausgeführt, dass eine behinderungsrelevante Psoriasis oder eine maßgebliche Depression mit stationären Therapieaufenthalten nicht befundbelegt seien.

Die eingeholten medizinischen Sachverständigenbeweise vermögen daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich.

Das Sachverständigengutachten hätte daher von der belangten Behörde nicht ohne Ergänzung seiner Entscheidung zugrunde gelegt werden dürfen. (VwGH vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036)

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und der vorgelegten Beweismittel unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen zusätzlich zu dem bereits eingeholten Sachverständigengutachten ein fachärztliches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, einzuholen und dieses mit den bereits eingeholten Gutachten zusammenzufassen haben, wobei die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG – nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen – nicht ersichtlich.

Da Entscheidungen im Bereich des Behindertenrechts in höchstem Maße von ärztlichen Sachverständigengutachten abhängig sind, müsste das Bundesverwaltungsgericht neue Sachverständigengutachten einholen, welche durch die dafür nötige Untersuchung der Beschwerdeführerin zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen würden, welche jedenfalls nicht im Sinne einer raschen und kostengünstigen Verfahrensführung liegen würden. Aus diesem Grund erscheint nach Ansicht des erkennenden Senats gegenständlich die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde jedenfalls gerechtfertigt.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG zweckmäßig.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.

Schlagworte

Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W216.2248590.1.00

Im RIS seit

21.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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