TE Vfgh Beschluss 2021/12/15 G83/2021

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit
25/02 Strafvollzug

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StVG §17, §152, §152a, §163, §167
ZPO §530, §531, §534
VfGG §7 Abs1, §34, §35

Leitsatz

Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens und Aufhebung eines Beschlusses des VfGH; Ablehnung der Behandlung eines Parteiantrags gegen Bestimmungen des StrafvollzugsG betreffend eine mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahmen von Untergebrachten im fortgesetzten Anlassverfahren

Spruch

I. Das mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. November 2020, G354/2020, abgeschlossene Verfahren über den Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG, näher bezeichnete Bestimmungen des StVG, in eventu das gesamte StVG, als verfassungswidrig aufzuheben, wird wiederaufgenommen.

II. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. November 2020, G354/2020, wird aufgehoben.

III. Die Behandlung des Antrages wird abgelehnt.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Der Antragsteller begehrt in seinem auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag, "§167 Abs1, §152 Abs2 und §152a §163 und §17 Abs1 Ziff. 3", in eventu "§167, §152a, §152, §163, §17", in eventu "§167, §§20 bis 129, 31 bis 135, 146 bis 150, 152, 152a, 163, §§11 bis 15, §§17 bis 19" des Bundesgesetzes vom 26. März 1969 über den Vollzug der Freiheitsstrafen und der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen (Strafvollzugsgesetz – StVG), BGBl 144/1969 idgF, in eventu "das gesamte Strafvollzugsgesetz", BGBl 144/1969 idgF, als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. §34 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG), BGBl 85/1953 idF BGBl I 33/2013, lautet:

"§34. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur in den Fällen der Art137, 143 und 144 B-VG stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung."

2. §35 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG), BGBl 85/1953 idF BGBl I 92/2014, lautet:

"§35. (1) Soweit in diesem Gesetz nicht anderes bestimmt ist, ist auf das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof die Zivilprozessordnung – ZPO, RGBl. Nr 113/1895, sinngemäß anzuwenden.

(2) Insbesondere finden die Bestimmungen dieses Gesetzes auch auf die Berechnung von Fristen Anwendung; die Tage des Postlaufs werden in die Fristen nicht eingerechnet."

3. Die maßgeblichen Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO), RGBl. 113/1895 idF BGBl 135/1983, lauten:

"§530. (1) Ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, kann auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden,

1. wenn eine Urkunde, auf welche die Entscheidung gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht ist;

2. wenn sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder der Gegner bei seiner Vernehmung einer falschen Beweisaussage (§288 StGB) schuldig gemacht hat und die Entscheidung auf diese Aussage gegründet ist;

3. wenn die Entscheidung durch eine als Täuschung (§108 StGB), als Unterschlagung (§134 StGB), als Betrug (§146 StGB), als Urkundenfälschung (§223 StGB), als Fälschung besonders geschützter Urkunden (§224 StGB) oder öffentlicher Beglaubigungszeichen (§225 StGB), als mittelbare unrichtige Beurkundung oder Beglaubigung (§228 StGB), als Urkundenunterdrückung (§229 StGB), oder als Versetzung von Grenzzeichen (§230 StGB) gerichtlich strafbare Handlung des Vertreters der Partei, ihres Gegners oder dessen Vertreters erwirkt wurde;

4. wenn sich der Richter bei der Erlassung der Entscheidung oder einer der Entscheidung zugrunde liegenden früheren Entscheidung in Beziehung auf den Rechtsstreit zum Nachteil der Partei einer nach dem Strafgesetzbuch zu ahndenden Verletzung seiner Amtspflicht schuldig gemacht hat;

5. wenn ein strafgerichtliches Erkenntnis, auf welches die Entscheidung gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist;

6. wenn die Partei eine über denselben Anspruch oder über dasselbe Rechtsverhältnis früher ergangene, bereits rechtskräftig gewordene Entscheidung auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, welche zwischen den Parteien des wiederaufnehmenden Verfahrens Recht schafft;

7. wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.

(2) Wegen der in Z6 und 7 angegebenen Umstände ist die Wiederaufnahme nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die Rechtskraft der Entscheidung oder die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen.

§. 531. Die Wiederaufnahme kann auch zur Ausführung der im Sinne des §. 279 Absatz 2 von der Verhandlung ausgeschlossenen Beweise bewilligt werden, wenn die Benützung dieser Beweise im früheren Verfahren offenbar eine der Partei günstigere Entscheidung zur Folge gehabt haben würde."

"§. 534 (1) Die Klage ist binnen der Notfrist von vier Wochen zu erheben.

(2) Diese Frist ist zu berechnen:

1. im Falle des §. 529 Z1 von dem Tage, an welchem die Partei von dem Ausschließungsgrunde Kenntnis erhalten hat, oder wenn dies vor Eintritt der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung geschehen, vom letzteren Tage;

2. im Falle des §. 529 Z2 von dem Tage, an welchem die Entscheidung der Partei, und wenn diese nicht processfähig ist, dem gesetzlichen Vertreter derselben zugestellt wurde, jedoch gleichfalls nicht vor eingetretener Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung;

3. in den Fällen des §. 530 Z1 bis 5 von dem Tage, an welchem das strafgerichtliche Urtheil oder der die Einstellung eines strafgerichtlichen Verfahrens aussprechende Beschluss in Rechtskraft erwachsen ist;

4. im Falle des §. 530 Z6 und 7 von dem Tage, an welchem die Partei imstande war, die rechtskräftige Entscheidung zu benützen oder die ihr bekannt gewordenen Thatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen;

5. im Falle des §. 531 von der Zustellung der Entscheidung erster Instanz.

(3) Nach Ablauf von zehn Jahren nach dem Eintritte der Rechtskraft der Entscheidung kann die Klage, mit Ausnahme des in Z2 erwähnten Falles, nicht mehr erhoben werden."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Unterbrechungsbeschluss

1. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Dezember 2017 wurde der Antragsteller wegen mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach §107 Abs1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem wurde gemäß §21 Abs2 StGB die Einweisung des Antragstellers in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

1.1. Mit Beschluss des Vollzugsgerichtes (Landesgericht Krems an der Donau) vom 26. August 2020 wurde der Antrag des im Maßnahmenvollzug der Justizanstalt Stein an der Donau angehaltenen Antragstellers auf bedingte Entlassung aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abgewiesen und nach §25 Abs3 StGB festgestellt, dass dessen weitere Unterbringung notwendig sei. Dieser Beschluss wurde dem Antragsteller persönlich am 2. September 2020 zugestellt.

1.2. Mit am 11. September 2020 in der Direktion der Justizanstalt Stein an der Donau eingebrachtem Schreiben erhob der Antragsteller Beschwerde gegen diesen Beschluss und beantragte zudem dessen Zustellung an seinen Rechtsvertreter (Verteidiger), der am selben Tag seine Vollmacht bekanntgab und ebenfalls die Zustellung des Beschlusses beantragte.

1.3. Nach Übersendung des Aktes an das Oberlandesgericht Wien mit Vorlagebericht vom 16. September 2020 betreffend die Beschwerde des Antragstellers vom 11. September 2020 stellte das Landesgericht Krems an der Donau mit Verfügung vom 30. September 2020 den Beschluss vom 26. August 2020 dem Verteidiger des Antragstellers zu und verständigte davon das Oberlandesgericht Wien.

1.4. Das Oberlandesgericht Wien gab mit Beschluss vom 2. Oktober 2020 der Beschwerde des Antragstellers vom 11. September 2020 nicht Folge.

1.5. Am 13. Oktober 2020 brachte der Verteidiger des Antragstellers eine Beschwerdeausführung gegen den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 ein.

2. Aus Anlass dieser Beschwerdeausführung stellte der Antragsteller am 14. Oktober 2020 beim Verfassungsgerichtshof (G 354/2020) einen auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag und begehrte darin, näher bezeichnete Bestimmungen des StVG, in eventu das gesamte StVG, als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Mit Beschluss vom 2. November 2020 wies das Oberlandesgericht Wien die Beschwerde des Antragstellers vom 13. Oktober 2020 als unzulässig zurück, weil sie verspätet sei und zudem ihrer Behandlung wegen des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. Oktober 2020 das Prozesshindernis der res iudicata entgegenstehe.

4. Mit Beschluss vom 26. November 2020 wies der Verfassungsgerichtshof den auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag des Antragstellers mit der Begründung zurück, dass die Beschwerde, aus deren Anlass der Antrag gestellt worden sei, unzulässig gewesen sei.

5. Auf Grund einer von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§23 StPO) hob der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 25. März 2021 (Z12 Os 139/20p [12 Os 22/21h, 12 Os 23/21f]) die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. Oktober und vom 2. November 2020 auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Antragstellers einschließlich des Vorbringens seines Verteidigers gegen den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 auf. In seiner Begründung führte der Oberste Gerichtshof aus, dass §17 Abs1 Z3 letzter Satz StVG vorsehe, dass ein Beschluss des Vollzugsgerichtes – ungeachtet der subsidiären Anwendung der Bestimmungen der StPO – dem Verurteilten stets selbst bekanntzumachen sei. Auf Verlangen des Verurteilten sei jedoch eine Ausfertigung des Beschlusses auch seinem Verteidiger zuzustellen, wodurch für diesen die Frist zur Erhebung einer Beschwerde (§88 Abs1 StPO) ausgelöst werde. Gleiches gelte auch, wenn der Verteidiger die Zustellung einer Beschlussausfertigung verlange. Somit sei das Oberlandesgericht Wien in seiner Entscheidung vom 2. Oktober 2020 fälschlich von Beginn und Ablauf aller möglichen Rechtsmittelfristen in Bezug auf den Beschluss des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 26. August 2020 ausgegangen, obwohl die dem Verteidiger des Antragstellers zur Ausführung des Rechtsmittels (das in weiterer Folge mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. November 2020 zurückgewiesen wurde) zustehende Frist noch offen gewesen sei. Damit seien dem Antragsteller die ihm durch §17 Abs1 Z3 letzter Satz StVG und §7 Abs1 StPO eingeräumten Verteidigungsrechte genommen worden, zumal das Gesetz bei der Beschwerde keine "Einmaligkeit" in dem Sinn kenne, dass Beschwerdevorbringen nur in einer einzigen Schrift erstattet werden dürften.

6. Am 30. März 2021 stellte der Antragsteller beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Es liege nunmehr auf Grund des Urteiles des Obersten Gerichtshofes vom 25. März 2021 und der Aufhebung des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. November 2020 eine geänderte Vorfrageentscheidung vor, aus der sich die Zulässigkeit und Rechtzeitigkeit der Beschwerdeausführung vom 13. Oktober 2020 ergebe, aus dessen Anlass wiederum der auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützte Antrag an den Verfassungsgerichtshof (G 354/2020) gestellt worden sei. Zudem regte der Antragsteller in Bezug auf §34 VfGG eine amtswegige Gesetzesprüfung an.

7. Bei der Behandlung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken über die Verfassungsmäßigkeit des §34 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG, BGBl 85/1953 idF BGBl I 33/2013, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof beschloss daher am 14. Juni 2021 (G 83/2021-6), diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

IV. Erwägungen

1. Zum Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens

1.1. Mit Erkenntnis vom 15. Dezember 2021, G229/2021-10, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass §34 VfGG, BGBl 85/1953 idF BGBl I 33/2013, mit Ablauf des 31. Dezember 2022 als verfassungswidrig aufgehoben wird.

1.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist das Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden.

1.3. Auf den vorliegenden Fall ist somit auf Grund des §35 Abs1 VfGG die Zivilprozessordnung sinngemäß anzuwenden.

1.4. Die Bewilligung der Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens wegen des Vorliegens des – hier alleine in Frage kommenden – Wiederaufnahmegrundes gemäß §530 Abs1 Z5 ZPO setzt voraus, dass ein strafgerichtliches Erkenntnis, auf das die Entscheidung gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben (worden) ist.

Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. November 2020, G354/2020, gründete auf dem Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. November 2020, mit dem das Rechtsmittel des Antragstellers im Anlassverfahren, nämlich seine Beschwerde vom 13. Oktober 2020, zurückgewiesen worden war. Mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 25. März 2021 wurde dieser Beschluss aufgehoben.

1.5. Es liegt sohin ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des §35 Abs1 VfGG iVm §530 Abs1 Z5 ZPO vor.

1.6. Der Antrag auf Wiederaufnahme muss innerhalb von vier Wochen gestellt werden (§35 Abs1 VfGG iVm §534 Abs1 ZPO). Die Frist beginnt im Falle des §35 Abs1 VfGG iVm §530 Abs1 Z5 ZPO an dem Tag, an dem das Urteil in Rechtskraft erwachsen ist (§35 Abs1 VfGG iVm §534 Abs2 Z3 ZPO).

Das mündlich verkündete Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 25. März 2021 wurde an diesem Tag rechtskräftig (Art92 Abs1 B-VG; §23 iVm §§286 Abs1 bis 3, 287 bis 291 StPO). Der Antrag des Antragstellers auf Wiederaufnahme langte am 30. März 2021 beim Verfassungsgerichtshof ein. Die Frist des §534 Abs1 ZPO wurde daher eingehalten.

1.7. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiederaufnahme des mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. November 2020, G354/2020, abgeschlossenen Verfahrens über den Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG liegen somit vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag zu bewilligen war.

1.8. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. November 2020, G354/2020, ist daher – gemäß §35 Abs1 VfGG unter sinngemäßer Anwendung des §530 Abs1 Z5 ZPO – aufzuheben.

2. Zum Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG

2.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art140 Abs1b B-VG; vgl VfGH 24.2.2015, G13/2015).

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2.1. Der Antrag behauptet die Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen "§167 Abs1, §152 Abs2 und §152a §163 und §17 Abs1 Ziff. 3", in eventu "§167, §152a, §152, §163, §17", in eventu "§167, §§20 bis 129, 31 bis 135, 146 bis 150, 152, 152a, 163, §§11 bis 15, §§17 bis 19" StVG, BGBl 144/1969 idgF, in eventu des gesamten StVG, BGBl 144/1969 idgF, weil diese Bestimmungen gegen den Gleichheitssatz gemäß Art7 B-VG, Art2 StGG und ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung sowie die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK und auf Schutz der persönlichen Freiheit gemäß dem BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit und Art5 EMRK verstießen.

2.2.2. Das Vorbringen des Antrages lässt vor dem Hintergrund des Begehrens und der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat:

Art6 Abs1 EMRK ist auf ein Verfahren, in dem über die bedingte Entlassung eines Strafgefangenen entschieden wird, nicht anwendbar, weil darin nicht über die Stichhaltigkeit einer Anklage abgesprochen wird (VfSlg 16.245/2001 [zur Wiederaufnahme des Verfahrens]; Grabenwarter, in: Korinek/Holoubek et al. [Hrsg.], Art6 EMRK, 8. Lfg. 2007, Rz 38; EGMR 9.5.2007, Fall Homann,

Appl 12.788/04

). Gleiches gilt sinngemäß für im Maßnahmenvollzug Untergebrachte.

Angesichts der Unterschiede im Tatsächlichen zwischen Strafgefangenen (§§152 ff. StVG) und Untergebrachten (§167 StVG) verstößt die unterschiedliche Regelung nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art7 B-VG, Art2 StGG).

Auch eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Schutz der persönlichen Freiheit gemäß dem BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit und Art5 EMRK durch die angefochtenen Bestimmungen kann der Verfassungsgerichtshof nicht erkennen. Eine mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme bedeutet grundsätzlich keinen Verstoß gegen Art5 Abs1 EMRK (vgl zB zur Sicherungsverwahrung nach deutschem Recht EGMR 7.1.2016, Fall Bergmann, Appl 23.279/14; 4.12.2018 (GK), Fall Ilnseher, Appl 10.211/12 und 27.505/14).

Die angefochtenen Bestimmungen schließen im Verfahren, in dem über die bedingte Entlassung entschieden wird, die Durchführung einer mündlichen Anhörung eines Untergebrachten nicht aus. Ob eine mündliche Anhörung im Einzelfall geboten ist, ist eine Frage der Vollziehung.

2.2.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung des – nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formerfordernisse und Prozessvoraussetzungen geprüften – Antrages abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

3. Diese Beschlüsse konnten gemäß §35 VfGG iVm §§530 ff. ZPO und §19 Abs3 Z1 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Anlassverfahren, VfGH / Ablehnung, Strafvollzug, VfGH / Wiederaufnahme, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G83.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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