Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Boris Knirsch und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, wegen Rehabilitationsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. August 2021, GZ 10 Rs 66/21f-19, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Höhe des dem Kläger gebührenden Rehabilitationsgeldes.
[2] Der als Arbeiter erwerbstätige Kläger war ab 14. 9. 2017 infolge Krankheit arbeitsunfähig. Bis 23. 12. 2017 hatte er gegenüber seinem Arbeitgeber Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Ab 24. 12. 2017 bezog er von der Beklagten zur Auszahlung gebrachtes Krankengeld. Sein Arbeitsverhältnis endete am 19. 1. 2018. Für einen (offenen) Urlaubsanspruch von 44 Kalendertagen erhielt der Kläger Urlaubsersatzleistung in Höhe von 3.121,92 EUR brutto (zuzüglich Sonderzahlungen). Aufgrund des Bezugs von Urlaubsersatzleistung war er von 20. 1. 2018 bis 4. 3. 2018 zur Sozialversicherung gemeldet. Wie sich aus seiner Lohnabrechnung für Februar 2018 ergibt, wurden für den Monat Februar 2018 1.986,67 EUR brutto (an Urlaubsersatzleistung) abgerechnet.
[3] Mit dem vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien abgeschlossenen Vergleich vom 2. 10. 2019 wurde zwischen den Streitteilen festgestellt, dass beim Kläger keine dauernde Invalidität, sondern eine vorübergehende Invalidität im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten ab 1. 1. 2019 vorliegt und dass ab dem 1. 1. 2019 für die Dauer der vorübergehenden Invalidität Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung besteht.
[4] Mit Bescheid vom 5. 5. 2020 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung eines höheren Rehabilitationsgeldes als 46,49 EUR brutto täglich anlässlich des am 1. 1. 2019 eingetretenen Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit ab.
[5] Dagegen richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren, ein Rehabilitationsgeld in höherem Ausmaß als 46,49 EUR brutto täglich zu gewähren.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, aufgrund der Anwendung des § 44 Abs 2 ASVG, auf welchen § 125 Abs 1 ASVG verweise, sei für die Ermittlung des auf den Kalendertag entfallenden Verdienstanteils für den Monat Februar 2018 (der 28 Tage hatte) im Sinn einer offensichtlich bezweckten Pauschalierung eine Anzahl von 30 Tagen zu fingieren. Diese pauschalierende Betrachtung sei infolge des Verweises in § 143a Abs 1 ASVG auf § 141 Abs 1, 2 ASVG (iVm § 125 ASVG) bei der Bemessung des Krankengeldes heranzuziehen. Mangels einer entsprechenden gesetzlichen Differenzierung sei anzunehmen, dass diese Betrachtungsweise auch zum Tragen komme, wenn der Arbeitsverdienst durch eine Urlaubsersatzleistung gebildet werde, unabhängig von der Tatsache, dass der Kalendermonat, auf den die Urlaubsersatzleistung entfalle, weniger als 30 Tage habe. Das Entgelt des Klägers für den Kalendermonat Februar 2018 (von 1. 2. bis 28. 2. 2018) in Höhe von 1.986,67 EUR sei daher durch die Anzahl von 30 Tagen (Beitragszeitraum gemäß § 44 Abs 2 ASVG) zu dividieren, der so errechnete Betrag von 66,22 EUR sei um den Sonderzahlungszuschlag von 17 % zu erhöhen (§ 125 Abs 3 ASVG) = 77,48 EUR, davon ergeben 50 % 38,74 EUR und 60 % 46,49 EUR. Dem Kläger komme daher das Rehabilitationsgeld in Höhe von täglich 46,49 EUR brutto zu.
[8] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[10] 1. Das Rehabilitationsgeld ist als eine dem Krankengeld ähnliche Leistung konzipiert. Die Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld orientiert sich an der Bemessung des Krankengeldes.
[11] 2. § 143a Abs 2 ASVG verweist zum Ausmaß des Rehabilitationsgeldes auf § 141 Abs 1 und 2 ASVG, worin die Gewährung von Krankengeld im Ausmaß von 50 % bzw 60 % der Bemessungsgrundlage für einen Kalendertag geregelt ist.
[12] 3.1 Die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld regelt § 125 ASVG. Nach § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG ist Bemessungsgrundlage für das Krankengeld der für die Beitragsermittlung heranzuziehende und auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst (Bruttoentgelt), der dem/der Versicherten in jenem Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2 ASVG) gebührte, der dem Ende des vollen Entgeltanspruchs voranging. § 125 Abs 1 ASVG stellt daher für die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld auf die letzte volle, also nicht durch Krankengeldbezug geschmälerte Beitragsgrundlage ab (10 ObS 198/16h SSV-NF 30/81 mwN).
[13] 3.2 Gemäß § 44 Abs 2 ASVG ist als Beitragszeitraum der Kalendermonat definiert, der einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist (Pfeil, SV-Komm § 44 ASVG [278. Lfg] Rz 4; ders in SV-Komm § 141 ASVG [248. Lfg] Rz 6).
[14] 3.3 Dass der Begriff „Kalendermonat“ in § 44 Abs 2 ASVG abweichend von seinem Wortlaut nicht das Monat in seinem konkreten zeitlichen Ausmaß umfasst, sondern einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist, hat – so wie andere, großteils das Beitragsrecht betreffende gleichlautende Bestimmungen – den Zweck, Berechnungen zu erleichtern und zu vereinheitlichen (10 ObS 85/14v SSV-NF 28/49).
[15] 4. Demnach ist bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage auf jenen Kalendermonat abzustellen, der vor dem Zeitpunkt lag, zu dem ein bis dahin bestehender Anspruch auf 100%ige Entgelt-(fort-)zahlung gegen den Dienstgeber endete; dieser Monat ist einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen.
[16] 5. Auch eine Urlaubsersatzleistung (als finanzielle Abgeltung des während des Dienstverhältnisses nicht konsumierten Urlaubs) ist als ein – bei der Anwendung des § 125 Abs 1 ASVG (und damit auch bei der Bemessung des Rehabilitationsgeldes) relevanter Arbeitsverdienst anzusehen. Auch sie stellt Entgelt im sozialversicherungsrechtlichen dar (§ 49 Abs 1 ASVG), dessen Bezug gemäß § 11 Abs 2 ASVG zu einer Verlängerung der Pflichtversicherung über das Dienstverhältnis hinaus führt. Sie gilt als Erwerbseinkommen iSd § 91 Abs 1 Z 1 ASVG und als Arbeitsverdienst iSd § 44 Abs 1 Z 1 ASVG, ungeachtet dessen, dass die aus diesem Anspruchsgrund gebührenden Entgelte nicht während der unselbständigen Erwerbstätigkeit geleistet wurden (RS0107809; RS0110088).
[17] 6.1 Von dieser Rechtslage und Rechtsprechung weicht die – in der außerordentlichen Revision nicht mehr angezweifelte – Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht ab, die dem Kläger gebührende Urlaubsersatzleistung von 3.121,92 EUR für 44 Tage sei – soweit dieser Anspruch dem Kalendermonat Februar 2018 als zeitlich letzter (voller) Entgeltanspruch vor dem Stichtag 1. 1. 2019 zuzuordnen ist –als Bemessungsrundlage für das Krankengeld und damit für das Rehabilitationsgeld heranzuziehen (§ 125 Abs 1 ASVG).
[18] 6.2 In einem weiteren Schritt ist das Ausmaß zu ermitteln, in dem die Urlaubsersatzleistung für 44 Kalendertage dem Monat Februar 2018 zuzuordnen ist. Auch die Ansicht der Vorinstanzen, als das iSd § 125 Abs 1 ASVG relevante Erwerbseinkommen sei der laut der Lohnabrechnung für den Monat Februar 2018 gebührende bzw der auf diesen Monat entfallende Teil der Urlaubsentschädigung in Höhe von 1.986,67 EUR anzusehen, hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtslage und Rechtsprechung; ebenso die Ansicht, dieser Betrag sei durch die Anzahl von 30 Tagen (Beitragszeitraum gemäß § 44 Abs 2 ASVG) zu dividieren.
[19] 7.1 Dagegen bringt der Kläger in seiner Revision nur mehr vor, da der Kalendermonat Februar 2018 lediglich 28 Tage umfasst habe, hätten die 1.986,67 EUR nicht auf 30 Tage umgelegt werden dürfen. Richtigerweise wäre die ihm für 44 Tage zustehende Urlaubsersatzleistung von 3.121,90 EUR brutto durch 44 zu dividieren (= 70,95 EUR brutto) und dieser Betrag gemäß § 44 Abs 2 ASVG mit 30 zu multiplizieren gewesen, was ein monatliches Entgelt von 2.128,50 EUR ergeben hätte. Dieser Betrag – und nicht nur der Betrag von 1.986,67 EUR – hätte als Berechnungsbasis für das Rehabilitationsgeld herangezogen werden müssen.
[20] 7.2 Wie die Vorinstanzen bereits ausgeführt haben, ist im vorliegenden Fall der tageweisen Berechnung der Urlaubsersatzleistung der dem Kalendermonat Februar 2018 zuzuordnende Teil von 1.986,67 EUR einem Erwerbseinkommen iSd § 91 Abs 1 Z 1 ASVG und einem Arbeitsverdienst iSd § 44 Abs 1 Z 1 ASVG gleichzuhalten und bildet die maßgebliche monatliche Bemessungsgrundlage. Infolge des Verweises in § 125 Abs 1 ASVG auf § 44 Abs 2 ASVG ist als Bemessungsgrundlage für das Krankengeld jeweils einheitlich eine Anzahl von 30 Tagen im betreffenden Kalendermonat anzunehmen bzw zu fingieren. Mag § 44 Abs 2 ASVG auch auf den Regelfall eines Pflichtversicherten abstellen, dessen Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird (siehe die Stammfassung des § 44 ASVG BGBl I 1955/189), findet sich keine Rechtsgrundlage dafür, in Fällen wie dem vorliegenden von dieser (pauschalierenden) Durchschnittsbetrachtung abzusehen und von einer anderen Berechnungsmethode auszugehen. Zudem liegt der vom Revisionswerber angewandten Berechnungsmethode – entgegen dem Wortlaut des § 125 Abs 1 ASVG – nicht jener Beitragszeitraum (Kalendermonat) zugrunde, der dem Ende des vollen Entgeltanspruchs vorausging, sondern führt zu einer Ausdehnung des als Bemessungsgrundlage heranzuziehenden Beitragszeitraums auf 44 Tage. Eine ausgedehnte (aus dem Durchschnitt der drei letzten Beitragszeiträume zu bildende) Bemessungsgrundlage sieht das Gesetz aber ausschließlich für freie Dienstnehmer vor (§ 125 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz ASVG).
[21] 8. Da es dem Revisionswerber mit seinen Ausführungen zu der von ihm gewünschten Berechnungsmethode somit nicht gelingt, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, ist seine außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen.
Textnummer
E133586European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00159.21M.1116.000Im RIS seit
21.01.2022Zuletzt aktualisiert am
21.01.2022