Entscheidungsdatum
28.09.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W128 2239534-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 13.01.2021, Zl. 1265065302-200456341, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden, stellte am 04.06.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am selben Tag stattfindenden Erstbefragung nannte er als seine Fluchtgründe, Angst vor dem Krieg in Syrien zu haben und nicht an die Front geschickt und getötet werden zu wollen.
2. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA am 30.12.2020 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er von 2009 bis April 2011 seinen Militärdienst in der syrischen Armee abgeleistet hätte und im Jahr 2012 von der syrischen Armee (schriftlich) als Reservist einberufen worden sei. Seine Heimatregion sei momentan unter der Kontrolle der Kurden, weshalb die syrische Armee dort keine Macht habe. Jedoch habe die YPG ihn mehrmals aufgesucht und versucht zu rekrutieren. Auch sei er von der Wehrpflicht nicht ausgenommen, da seine Brüder zwar in den Irak geflohen seien, er jedoch kein Einzelkind sei.
Im Zuge der Einvernahme übersetzte der anwesende Dolmetscher die vorgelegte Kopie des Einberufungsbefehls: Dieser sei mit 15.10.2012 datiert und an den Beschwerdeführer gerichtet. Dieser hätte sich bis zum 17.10.2012 bei der syrischen Militärbehörde in XXXX als Reservist zu melden.
3. Mit Bescheid vom 13.01.2021 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß
§ 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8
Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, die Angst des Beschwerdeführers vor einer Rekrutierung durch die syrische Armee sei nicht glaubhaft, da sich der Beschwerdeführer nach der (vermeintlichen) Einberufung durch die syrische Armee noch etwa sieben Jahre lang in Syrien aufgehalten habe und diese in seiner Herkunftsregion darüber hinaus keine Kontrolle ausüben würde. Auch habe der Beschwerdeführer den Einberufungsbefehl nur in Kopie vorgelegt, welche jeder Art von Manipulation unterliege und keiner Echtheitsüberprüfung unterzogen werden könne. Zudem seien die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich der Rekrutierungsversuche durch die YPG sehr vage und unkonkret, da dieser nicht einmal deren Zeitpunkt habe benennen können.
5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher er zusammengefasst vorbringt, er habe in einem Dorf gelebt, in welchem er vor der syrischen Armee sicher gewesen sei. Da dieses jedoch unter der Kontrolle der YPG gestanden habe, habe er befürchtet, zwangsrekrutiert zu werden, weshalb er Syrien verlassen habe. Die YPG sei vor seiner Ausreise etwa alle zwei bis drei Monate in seinem Haus gewesen. Auch habe die syrische Armee zwar keine Macht in seinem Herkunftsdorf, in der nächstgelegenen Stadt jedoch schon. Zudem habe sich der Beschwerdeführer der erfolgten Einberufung widersetzt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zum Beschwerdeführer
Der am XXXX geborene Beschwerdeführer XXXX ist syrischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum muslimischen Glauben, gehört der Volksgruppe der Kurden an und spricht Kurdisch-Kurmanci als seine Muttersprache.
Der Beschwerdeführer ist im Distrikt XXXX , im syrischen Gouvernement al-Hasaka, geboren und aufgewachsen, besuchte sechs Jahre die Schule und lebte ebendort bis zu seiner Ausreise im Jahr 2019.
Seine Eltern, seine Ehefrau, sein Sohn sowie seine vier Schwestern leben nach wie vor in XXXX . Seine fünf Brüder leben seit etwa 2012 im Irak.
Der Beschwerdeführer reiste Anfang Juni 2020 in Österreich ein und stellte am 04.06.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Festgestellt wird, dass in Syrien ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren besteht. Weiter werden aufgrund von Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten auch Reservisten (neuerlich) zum Militärdienst eingezogen und es kommt zurzeit sogar zur Aufhebung von Militärdienstaufschüben. Schließlich kommt es bei der Vollziehung des Wehrgesetzes zu einem bestimmten Maß an Willkür.
Der Beschwerdeführer hat seinen Militärdienst in der syrischen Armee zwischen 2009 und April 2011 abgeleistet, befindet sich jedoch nach wie vor im wehrfähigen Alter.
Dem Beschwerdeführer droht in Syrien bei einer nunmehrigen Rückkehr daher die reale Gefahr, als Mann im wehrfähigen Alter zum Reservistendienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Die Regierung betrachtet Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen.
Eine Einreise in die Herkunftsregion des Beschwerdeführers auf dem Luftweg ist derzeit ausschließlich nach (eingehender) Kontrolle durch die syrische Regierung möglich.
Der Beschwerdeführer ist gesund und strafgerichtlich unbescholten (siehe Strafregisterauskunft).
1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien
Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf der nachstehenden Quelle:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 30.06.2021
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen vom März 2021
1.2.1. Wehr- und Reservedienst sowie Rekrutierung
Die syrischen Streitkräfte
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit. b gilt dies vom 1. Jänner des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten. Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee. Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert.
Nach dem Ausbruch des Konfliktes stellte die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten, welche den verpflichtenden Wehrdienst geleistet hatten, ein. 2018 wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch auch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab.
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird.
Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt unverändert hoch, und seit Dezember 2018 haben sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch verstärkt. Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt.
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet.
Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt. Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. So errichtet die Militärpolizei beispielsweise in Homs stichprobenartig und nicht vorhersehbar Straßenkontrollen. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden. Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden. Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden, berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Weiters rekrutieren die syrischen Streitkräfte in Lagern für Binnenvertriebene.
Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte.
Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln.
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden.
Befreiung und Aufschub
Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche, manche Regierungsangestellte und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert. Das Risiko der Willkür ist immer gegeben.
Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden.
Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, mittlerweile wird der Status der Studenten jedoch aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Einem Bericht zufolge wurden gelegentlich Studenten trotz einer Befreiung bei Checkpoints rekrutiert.
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern im Militärdienstalter (18-42 Jahre), einschließlich registrierter Palästinenser aus Syrien, eine Gebühr zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Diese Option gilt jedoch nur für Personen mit Wohnsitz im Ausland. Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, können einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden, wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen. Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD. Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können. Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen. Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind.
Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden. Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten.
Es gibt kein Gesetz, welches eine Befreiungsgebühr für Reservisten vorsieht. Einer Quelle zufolge kann ein Reservist den Militärdienst umgehen, indem er den verantwortlichen Offizier besticht, der dann registriert, dass der Reservist bereits dient.
Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen. Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen.
Wehrdienstverweigerung / Desertion
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an oder tauchte unter.
Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden, was von einer Quelle mit dem Bedarf der syrischen Regierung nach Verstärkung in Verbindung gebracht wird. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab.
Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen.
Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure und Wehrdienstverweigerer Ziel der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung.
Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt.
Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt.
Unterschiedliche Quellen berichten von unterschiedlichen Konsequenzen für Deserteure und Überläufer. Während eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, habe die syrische Regierung jedoch ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an Kräften an der Front festgenommene Deserteure unter Umständen vor dem Militärgericht zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Eine andere Quelle berichtet jedoch, dass Deserteure üblicherweise von Einheiten des syrischen Geheimdienstes inhaftiert würden, womit sie dem Risiko von Folter und Verschwindenlassen ausgesetzt sein können. Auch berichtet eine weitere Quelle, dass Tötungen und Exekutionen von Deserteuren weiterhin stattfinden, zum Beispiel während der Offensive in Idlib im Jahr 2020.
Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie.
In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen. Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten. In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft.
(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 30.06.2021, S. 44 ff)
1.2.2. Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen
Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geographischen Gebiet, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen. Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer.
Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden. Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu verbieten.
Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab.
Infolge der COVID-19-Pandemie wurden sowohl der Flughafen Damaskus als auch die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen. Innerhalb des Landes wurden mehrere Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung umgesetzt, darunter Ausgangssperren. Reisen zwischen den Provinzen wurde weitestgehend untersagt. Es gab jedoch bereits wieder Lockerungen, sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der Einreise nach Syrien. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen. Es kommt jedoch zu verstärkten Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen und Einreisesperren. Die Reise-beschränkungen zwischen Städten und Umland wurden wieder aufgehoben.
1.2.2. Tatsächliche oder vermeintliche Gegner der syrischen Regierung
Die syrische Regierung geht in den von ihr kontrollierten Gebieten weiterhin gewaltsam gegen tatsächlich oder vermeintlich abweichende politische Meinungen vor, um diese zu unterdrücken oder zu bestrafen. Bei der Einstufung, was als abweichende politische Meinung betrachtet wird, wendet die Regierung sehr weite Kriterien an: Jegliche Art oder Form von Kritik, Widerstand oderunzureichender Loyalität gegenüber der Regierung führen regelmäßig zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffende Person.
Zu den Personen, denen regelmäßig eine regierungsfeindliche Gesinnung unterstellt wird, zählen Zivilpersonen (insbesondere Männer und Jungen im kampffähigen Alter) aus oder in derzeit oder ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten; Wehrdienstentzieher und Deserteure; oppositionelle Mitglieder lokaler Räte; Aktivisten aus der Zivilgesellschaft und politische Aktivisten; Demonstrierende; Journalisten und Bürgerjournalisten aus der Zivilbevölkerung; Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen und Freiwillige der Zivilverteidigung; Ärzte und sonstige medizinische Fachkräfte; Verteidiger der Menschenrechte sowie Lehrer, Hochschullehrkräfte und -wissenschaftler.
Berichten zufolge setzen die Sicherheitsbehörden der Regierung Informanten ein, um vermeintliche Regierungsgegner zu identifizieren. Außerdem wird gemeldet, dass Menschen in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aufgrund falscher Anschuldigungen verhaftet werden, weil Personen, die sich rächen wollen oder der Regierung ihre Loyalität beweisen möchten, sie gegenüber den Sicherheitsbehörden beschuldigen, in oppositionelle Aktivitäten verwickelt zu sein.
Personen mit diesem Profil werden regelmäßig Opfer von willkürlicher Verhaftung und Verschwindenlassen, Inhaftierung unter lebensbedrohlichen Umständen, systematischer und weitverbreiteter Folter und sonstigen Formen der Misshandlung einschließlich sexueller Gewalt, Strafverfolgung nach der zu weit gefassten Antiterrorgesetzgebung von 2012 unter Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren vor Antiterror- und militärischen Feldgerichten sowie summarischer und außergerichtlicher Hinrichtung.
(UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen vom März 2021, S. 101 ff)
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die im Rahmen der Feststellungen jeweils in Klammer angeführten Beweismittel und im Übrigen auf nachstehende Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zum Namen, den Geburts- sowie den wesentlichen biographischen Eckdaten des Beschwerdeführers beruhen auf seiner stringenten Aussage vor dem BFA sowie den Angaben in seinem – authentischen – syrischen Personalausweis (AS 108 ff).
2.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Militärdienst in der syrischen Armee von 2009 bis 2011 abgeleistet hat, ergibt sich aus dem vorgelegten syrischen Militärausweis sowie der Aussage des Beschwerdeführers vor dem BFA, welche auch vom BFA nicht in Zweifel gezogen wurde (AS 110 und 167).
2.3. Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Einziehung zum Dienst bei der syrischen Armee droht, stützt sich maßgeblich auf die – oben angeführten – Länderfeststellungen.
Für eine Bedrohung oder Verfolgung durch das syrische Regime kommt es nicht (unbedingt) darauf an, ob eine Einberufung zum Militärdienst (bzw. Reservistendienst) vor der Ausreise bereits erfolgt ist, ob eine behördliche Suche (wegen des Militärdienstes) bereits (vor der Ausreise) stattgefunden hat oder ob die Ausreise legal erfolgen konnte, sondern vielmehr darauf, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einem Einsatz beim Militär (im Falle einer nunmehrigen Rückkehr/Wiedereinreise in den Herkunftsstaat) auszugehen ist. Dies ist anhand der Situation (hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst) im Herkunftsstaat und anhand des Profils der betroffenen Person zu beurteilen. Aus den – diesbezüglich unwidersprochen gebliebenen – Feststellungen zu den Voraussetzungen/Kriterien einer Reservistendienst-einberufung in Syrien und dem persönlichen Profil des Beschwerdeführers (als junger und gesunder Staatsbürger im wehrpflichtigen Alter) ergibt sich, dass eine Person mit diesen formellen Voraussetzungen in Syrien angesichts des dortigen innerstaatlichen Konfliktes und des Mangels an Soldaten, die sich zum Dienst melden, mit erheblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, zum Reservistendienst eingezogen zu werden.
Vermeint die belangte Behörde überdies, dass die syrische Regierung in der Herkunftsregion nicht auf den Beschwerdeführer zugreifen könne und dass eine sichere Rückreise nach Syrien möglich sei, so muss darauf hingewiesen werden, dass eine Einreise in das Gouvernement al-Hasaka ohne Kontrolle der syrischen Regierung auf dem Luftweg nicht möglich ist, da sogar der in Qamishli befindliche Regionalflughafen (Gouvernement al-Hasaka) von syrischen Behörden betrieben und somit auch kontrolliert wird (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Syrien, Einreise in das Kurdengebiet, speziell Provinz al-Hassakah, S. 2 f).
Vor diesem Hintergrund erscheint eine Rekrutierung des Beschwerdeführers durch das syrische Regime, entgegen der Ansicht der belangten Behörde, maßgeblich wahrscheinlich.
2.4. Die Feststellungen zur Gesundheit und strafgerichtlich Unbescholtenheit des Beschwerdeführers stützen sich auf dessen Angaben vor dem BFA (AS 107) sowie auf das Strafregister.
2.5. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den oben genannten Quellen. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt A)
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (siehe zuletzt etwa VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428, m.w.N.).
3.1.3. Die Gefahr einer allen Reservedienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung kann asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt (siehe VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124; 23.01.2019, Ra 2019/19/0009; siehe auch VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548 sowie VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274). Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe eine asylrelevante Verfolgung darstellen (siehe dazu VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009; VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274, m.w.N.; EuGH 26.02.2015, C-472/13, Shepherd).
3.1.4. Für den Beschwerdeführer bedeutet dies:
Der Beschwerdeführer ist – wie bereits oben festgestellt – gesund und befindet sich mit seinen 31 Jahre (nach wie vor) im wehrdienstfähigen Alter.
Für den Beschwerdeführer besteht im Falle einer Rückkehr nach Syrien bereits aufgrund seiner Ausreise und der damit verbundenen Verweigerung des Reservistendienstes, in dessen Rahmen er zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen (wie Angriffen auf die Zivilbevölkerung) gezwungen und bei Weigerung mit Haft und Folter bedroht werden würde, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr, da maßgeblich wahrscheinlich ist, dass er als politischer Gegner des syrischen Regimes angesehen werden würde (siehe dazu VwGH 19.06.2019,
Ra 2018/18/0548, wonach es für die Frage eines möglichen Asylanspruchs entscheidend ist, ob einem Beschwerdeführer bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angesichts des in den Länderfeststellungen ausgewiesenen erhöhten Rekrutierungsdrucks der syrischen Armee und der besonderen Gefährdung von einreisenden Männern im wehrfähigen Alter mit maßgebender Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Wehrdienst droht; siehe zuletzt auch EuGH 19.11.2020, C-238/19, wonach im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien eine starke Vermutung dafür spricht, dass die Weigerung, dort Militärdienst zu leisten, mit einem Grund in Zusammenhang steht, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen kann).
Damit fällt der Beschwerdeführer in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich der „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen“ ([u.a. Wehrdienstverweigerer]“; zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen siehe etwa VwGH 11.03.2020, Ra 2019/18/0443, m.w.N.).
Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist für den Beschwerdeführer schon deswegen auszuschließen, weil die Verfolgung gerade von diesem ausgeht. Zudem besteht keine innerstaatliche Fluchtalternative. Die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum – aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien – bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. VwGH 29.06.2015, Ra 2014/18/0070).
Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Aus-schlussgründe vorliegt, ist dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
3.1.5. Da der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz nach dem
15. November 2015 gestellt hat, sind die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG i.d.F. BGBl. I Nr. 24/2016 („Asyl auf Zeit“) gemäß § 75 Abs. 24 AsylG hier anzuwenden.
3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, entspricht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Desertion Einberufung Einziehung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Militärdienst unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Wehrdienst wohlbegründete Furcht ZwangsrekrutierungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W128.2239534.1.00Im RIS seit
20.01.2022Zuletzt aktualisiert am
20.01.2022