TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/7 W183 2211549-1

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Entscheidungsdatum

07.10.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W183 2211462-1/11E

W183 2211463-1/12E

W183 2211549-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX geb. XXXX und 3) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Iran, alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2018, Zl. XXXX , Zl. XXXX und Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.06.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführer verließen Anfang 2016 Iran und stellten am 20.04.2016 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweit- und Drittbeschwerdeführer, die zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig waren. Die Erstbeschwerdeführerin wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die Beschwerdeführer bereits am 07.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Ungarn stellten. Die nunmehr belangte Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), richtete daher am 23.05.2016 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Ungarn.

Am 16.07.2016 wurde die Erstbeschwerdeführerin von der belangten Behörde zu ihren Fluchtgründen sowie jenen der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer niederschriftlich einvernommen.

2.       Mit den Bescheiden der belangten Behörde vom 16.07.2016, Zl. XXXX , Zl. XXXX und Zl. XXXX wurden die Anträge der Beschwerdeführer als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Ungarn zur Prüfung der Anträge zuständig sei. Es wurde die Außerlandesbringung der Antragsteller angeordnet und festgestellt, dass deren Abschiebung nach Ungarn zulässig sei.

Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.01.2017, Zl. XXXX , Zl. XXXX und Zl. XXXX als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionen der Beschwerdeführer wurden vom Verwaltungsgerichtshof, Zl. XXXX , zurückgewiesen.

3.       Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 07.11.2017, Zl. XXXX , wurde die Obsorge über den Drittbeschwerdeführer aufgrund einer Gefährdung des Kindeswohls vorläufig dem Kinder- und Jugendwohlfahrtsträger der Stadt Wien (Magistratsabteilung 11) übertragen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin die Zweit- und Drittbeschwerdeführer stark emotional und physisch vernachlässige. Sie habe sie etwa aus dem Zimmer der Unterkunft gesperrt und hätten die Zweit- und Drittbeschwerdeführer in dieser Zeit keinen Zugang zur Nahrungsversorgung gehabt. Zwischenzeitig habe der Drittbeschwerdeführer sogar in einem Aufenthaltsraum als Notschlafstätte unterkommen müssen. Die Erstbeschwerdeführerin habe alle Gespräche betreffend die Situation abgelehnt und sei auch der gerichtlichen Ladung nicht nachgekommen.

4.       Am 17.01.2018 stellte der Drittbeschwerdeführer durch den Kinder- und Jugendwohlfahrtsträger der Stadt Wien als seine gesetzliche Vertretung einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer stellten am 30.01.2018 einen Folgeantrag (der Zweitbeschwerdeführer durch die Erstbeschwerdeführerin als seine gesetzliche Vertreterin). Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer waren zum Zeitpunkt ihrer Folgeanträge nach wie vor minderjährig. Die Beschwerdeführer wurden am Tag ihrer Antragstellung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 09.10.2018 wurden die Erst- und Zweitbeschwerdeführer von der nunmehr belangten Behörde zu ihren Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen. Der Drittbeschwerdeführer wurde am 11.10.2018 einvernommen.

Im behördlichen Verfahren gab die Erstbeschwerdeführerin als Fluchtgrund im Wesentlichen an, ohne Konfession zu sein und in Iran wegen Nichttragens eines Kopftuches und lackierter Fingernägel zu Peitschenhieben verurteilt worden zu sein. Auch habe man ihr das Auto wegnehmen wollen und sei sie von ihrem Ex-Mann bedroht worden.

Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer gaben als Fluchtgrund im Wesentlichen an, von ihrem Vater geschlagen und schlecht behandelt worden zu sein. Sie seien weiters ohne Konfession.

5.       Mit den angefochtenen Bescheiden (der Erstbeschwerdeführerin zugestellt am 22.11.2018, dem Zweitbeschwerdeführer am 04.12.2018 und dem Drittbeschwerdeführer am 22.11.2018) wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen und den Beschwerdeführern der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.11.2019 erteilt.

Das BFA stellte den Beschwerdeführern amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

6.       Mit Schriftsatz vom 14.12.2018 erhoben die Erst- und Zweitbeschwerdeführer (der Drittbeschwerdeführer mit Schriftsatz vom 18.12.2018) durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde jeweils gegen den Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide. Die Spruchpunkte II. und III. blieben unangefochten.

7.       Mit Schriftsatz vom 18.12.2018 hinsichtlich der Erst- und Zweitbeschwerdeführer (eingelangt am 19.12.2018) und hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers mit Schriftsatz vom 19.12.2018 (eingelangt am 20.12.2018) legte die belangte Behörde die Beschwerden samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 17.07.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bislang zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nun zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen (eingelangt am 22.07.2020).

8.       Der Zweitbeschwerdeführer ist laut Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Wien vom 07.10.2020, GZ XXXX , Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren wegen falscher Beweisaussage und zum Sachverhalt nicht geständig.

9.       Mit Schreiben vom 06.05.2021 wurden die Beschwerdeführer sowie das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.06.2021 geladen und wurde in den Ladungen darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigt, die Länderberichte gemäß dem „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, generiert am 24.03.2021, Version 2“ als Grundlage für die Feststellungen zur Situation in Iran heranzuziehen. Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben. Das BFA entschuldigte sich für die Nichtteilnahme an der Verhandlung. Schriftliche Stellungnahmen wurden von keiner der Parteien dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

10.      Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.06.2021 unter Beiziehung eines Dolmetschs für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer sowie deren Rechtsvertretung teilnahmen. Die Beschwerdeführer wurden ausführlich zu ihrer Person und ihren Fluchtgründen befragt. Es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, alle Gründe umfassend darzulegen und zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung zu nehmen. Das BFA nahm an dieser Verhandlung nicht teil und gab keine schriftliche Stellungnahme zu der Situation im Herkunftsland ab.

Eine Strafregisterabfrage wurde am Tag vor der Verhandlung durchgeführt. Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wurde dem BFA zur Kenntnis gebracht.

11.      Das Bundesverwaltungsgericht führte zuletzt am 30.09.2021 eine Strafregisterabfrage durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer sind volljährige iranische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Perser an. Sie tragen den im Erkenntniskopf genannten Namen und sind am dort angeführten Datum geboren. Ihre Identität steht fest.

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweit- und Drittbeschwerdeführer und vom Kindesvater geschieden.

Die Beschwerdeführer reisten gemeinsam legal aus Iran aus und illegal nach Österreich ein. Nach rechtskräftiger Zurückweisung ihrer Erstanträge auf internationalen Schutz vom 20.04.2016 stellten die Erst- und Zweitbeschwerdeführer am 30.01.2018 und der Drittbeschwerdeführer am 17.01.2018 in Österreich einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer waren zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung noch minderjährig. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht besteht nicht.

Die Erstbeschwerdeführerin ist in Zahedan geboren und lebte in Mashhad sowie zuletzt in Teheran. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer sind in Mashhad geboren und lebten dort bis zu ihrer Ausreise.

Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über einen Schulabschluss (Matura). Der Zweitbeschwerdeführer besuchte in Iran acht Jahre die Schule und schloss in Österreich die Pflichtschule ab. Der Drittbeschwerdeführer hat in Iran die Volksschule abgeschlossen.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2.    Zum Fluchtvorbringen

Den Beschwerdeführern droht im Falle einer Rückkehr nach Iran keine Verfolgung durch den Ex-Mann der Erstbeschwerdeführerin bzw. den Vater der Zweit- und Drittbeschwerdeführer oder dessen Familie.

Die Beschwerdeführer wuchsen in Iran als Moslems auf. Nun bezeichnen sie sich als konfessionslos.

Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer meldeten am 05.10.2018 ihren Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

Die Beschwerdeführer treten nicht spezifisch gegen den Islam oder Religion generell auf. Sie haben keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die bei einer Rückkehr nach Iran als Glaubensabfall gewertet werden würden. Den iranischen Behörden ist ein Glaubensabfall nicht bekannt.

Die atheistische Überzeugung der Beschwerdeführer ist aktuell nicht derart ernsthaft, sodass sie Bestandteil ihrer Identität wurde. Es wird davon ausgegangen, dass sie sich im Falle ihrer Rückkehr nach Iran nicht privat oder öffentlich zu einer atheistischen Überzeugung bekennen werden. Den Beschwerdeführern wird dies auch nicht von iranischen Behörden oder Privatpersonen unterstellt.

Die Beschwerdeführer waren in Iran nicht regimekritisch aktiv und üben in Österreich keine hochrangigen exilpolitischen Tätigkeiten aus. Ihnen droht in Iran keine Verfolgung aufgrund (unterstellter) politisch-oppositioneller Gesinnung.

Von nicht-staatlichen Personen geht für die Beschwerdeführer keine Bedrohung aus.

Eine grundlegende und verfestigte Änderung der Lebensführung der Erstbeschwerdeführerin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei einer Rückkehr nach Iran nicht gelebt werden könnte, liegt nicht vor.

Die Beschwerdeführer brachten keine weiteren Gründe, warum sie eine Rückkehr in den Heimatstaat fürchten, vor.

1.3.     Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, generiert am 24.03.2021, Version 2, ergibt sich wie folgt:

Zur Religionsfreiheit:

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2020). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2020). Selbst anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden also diskriminiert. Vertreter dieser religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 10.2020). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020, BAMF 3.2019) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 4.3.2020). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (AI 18.2.2020).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Open Doors 2021). Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha'i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 10.2020).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 18.2.2020).

Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt. Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ befanden sich 2019 mindestens 109 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion in Haft (USDOS 10.7.2020).

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 18.2.2020). In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 18.12.2020

?        BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (23.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf, Zugriff 17.4.2020

?        DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 17.4.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 3.12.2020

?        Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran, Zugriff 19.1.2021

?        USDOS – US Department of State [USA] (10.7.2020): 2019 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031370.html, Zugriff 16.12.2020

Zu Apostasie und Konversion:

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2020). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS/DRC 23.2.2018).

Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2020; vgl. AA 26.2.2020). Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 26.2.2020). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (zehn und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019). Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden auch 2018 und 2019 viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2020).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 26.2.2020). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf (ÖB Teheran 10.2020).

Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 10.2020).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich „konvertierte“ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 10.2020).

Die Versammlung in – meist evangelischen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden „kontrolliert“, de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2019). Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind (DIS/DRC 23.2.2018). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen, und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet. Im Frühling und Sommer 2017 wurden mehrere evangelikale und assyrische Christen verhaftet und wegen „illegaler Kirchenaktivität“ zu langen Haftstrafen verurteilt. Nach 16 festgenommenen Christen im Jahr 2017, stieg diese Zahl im Jahr 2018 dramatisch. Im November und Dezember 2018 wurden ca. 150 Christen – die meisten kurzzeitig – festgenommen und anschließend angewiesen, sich von anderen Christen fernzuhalten. Über die genauen Zahlen der Verhaftungen/Verurteilungen gibt es keine detaillierten Informationen. Fakt ist aber, dass die Zahl der Verhaftung von Konvertierten seit einer Ansprache des obersten Führers vor einigen Jahren, als er vor der steigenden Zahl der sogenannten häuslichen Kirchen gewarnt hatte, extrem angestiegen ist. Allein im August 2020 sind 35 neu Konvertierte verhaftet worden, und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen, wie „Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen“, „Verbreitung vom zionistischen Christentum“ und „Gefährdung der inneren Sicherheit“ zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden. Einem Bericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte zufolge haben Beamte des Geheimdienstministeriums im Juli 2019 das Haus einer christlichen Familie in der Stadt Bushehr im Süden Irans gestürmt und viele Angehörige dieser Familie verhaftet (ÖB Teheran 10.2010).

Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen „Verbrechen gegen Gott“ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch „low-profile“ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen wäre, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen, vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Landinfo 16.10.2019). Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden (ÖB Teheran 10.2020), bzw. um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen (Open Doors 2020). Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen (ÖB Teheran 10.2020).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. Landinfo 16.10.2019).

Die Rückkehr von Konvertiten in den Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr nach Iran weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 10.2020).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 21.6.2019). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der „Katholischen Jerusalem Bibel“ ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den „Katechismus der Katholischen Kirche“ ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

?        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 4.1.2021

?        DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 20.4.2020

?        Landinfo [Norwegen] (16.10.2019): Iran: Kristne konvertitter – en oppdatering om arrestasjoner og straffeforfølgelse, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019853/Respons-Iran-Kristne-konvertitter-en-oppdatering-om-arrestasjoner-og-straffeforf%C3%B8lgelse-AVA-16102019.pdf, Zugriff 5.1.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 7.1.2021

?        Open Doors (2020): Weltverfolgungsindex 2020 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum: 1. November 2018 – 31. Oktober 2019), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran, Zugriff 20.4.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011176.html, Zugriff 20.4.2020

Allgemeine Menschenrechtslage:

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene „Hohe Rat für

Menschenrechte“ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten „Pariser Prinzipien“ (AA 26.2.2020).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

• Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

• Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

• Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

• Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem

Recht)

• Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf

von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie

• Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

• Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

• UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

• Konvention über die Rechte behinderter Menschen

• UN-Apartheid-Konvention

• Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 26.2.2020)

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

• Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende

Behandlung oder Strafe

• Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention

• Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte

zur Abschaffung der Todesstrafe

• Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

• Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen

• Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (AA 26.2.2020).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die

jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer (ÖB Teheran 10.2020). Der iranische

Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch

immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 9.2020a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören: Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der „schwersten Verbrechen“ entsprechen und ohne einen fairen Prozess; rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, wie z.B. die restriktiven Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGO); Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen LGBTI-Personen beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (USDOS 11.3.2020).

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden (AA 26.2.2020). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 10.2020). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (HRW 14.1.2020; vgl. BS 2020, ÖB Teheran 10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

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?        BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 1.4.2020

?        GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (9.2020a): Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/#c4398, Zugriff 3.12.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022677.html, Zugriff 14.4.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 3.12.2020

?        USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 14.4.2020

Verbotene Organisationen:

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020).

Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 26.2.2020). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 10.2020) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018).

Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nordwesten des Iran durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um dadurch Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).

Hinsichtlich des Risikos, für politische Aktivitäten verhaftet zu werden, ist die Art der Aktivität entscheidend. Andauernde politische Aktivitäten werden eher in einer Anklage enden. Auch Personen, die mit politischem Material oder beim Anbringen politischer Slogans an Wänden erwischt werden, laufen Gefahr, verhaftet zu werden. Eine Person, die nur eine einzige politische Aktivität auf niedrigem Niveau setzt - z.B. Verteilen von Flugblättern - läuft kaum Gefahr, deswegen angeklagt zu werden (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 4.5.2020

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?        AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International’s written statement to the 40thsessionoftheHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english.pdf, Zugriff 4.5.2020

?        DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of politicalactivities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 14.5.2020

?        DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran:Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 4.5.2020

?        ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf, Zugriff 2.12.2020

Meinungs- und Pressefreiheit:

Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Pressefreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht "schädlich" für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die "Rechte der Öffentlichkeit" sind (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 26.2.2020; vgl. BS 2020, AI 18.2.2020, USDOS 11.3.2020). Die Justiz- und Sicherheitsbehörden verwenden weiterhin vage definierte Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, um Aktivisten wegen freier Meinungsäußerung zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen (HRW 14.1.2020), bzw. nutzen Behörden Gesetze, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschenrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen. Die Behörden dulden es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren (USDOS 11.3.2020).

Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert (FH 4.3.2020). Insgesamt spiegelt die iranische Presselandschaft eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider, geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter „roter Linien“ des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß auch zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen gegen ungeschriebene Regeln drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen „Propaganda gegen das System“ bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten als auch von konservativen Zeitungen (AA 26.2.2020). „Propaganda gegen den Staat“ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei „Propaganda“ nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei regierungskritischer oder für hohe Regimevertreter unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 10.2020). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung sowie Einschüchterung ihrer Familienmitglieder konfrontiert (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020, FH 4.3.2020). Insbesondere im Zusammenhang mit politischen Ereignissen, wie z.B. Wahlen, war in den letzten Jahren immer wieder ein verstärktes Vorgehen gegen Journalisten zu beobachten. Meist werden dabei unverhältnismäßig hohe Strafen wegen ungenau definierter Anschuldigungen wie etwa „regimefeindliche Propaganda“ verhängt (ÖB Teheran 10.2020).

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden (AA 26.2.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 4.3.2020).

Nahezu jede iranische Familie besitzt eine Satellitenantenne, auch wenn diese offiziell verboten sind. Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind (GIZ 9.2020c).

Gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr stehen unter intensiver staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten sind gesperrt. Regimefeindliche oder 'islamfeindliche' Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden. Vor allem junge Menschen, welche diese Kommunikationsmittel zum Meinungsaustausch nutzen, laufen Gefahr, wegen ihrer geäußerten regimekritischen Meinung verfolgt zu werden (ÖB Teheran 10.2020). Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden geblockt (AA 26.2.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ihr Empfang ist jedoch mithilfe von VPN (Virtual Private Networks) möglich, wird aber „gefiltert“ bzw. mitgelesen und regelmäßig auch gestört. Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jeder, der sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber-Krieg“ gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist ohne Gerichtsanordnung grundsätzlich verboten. Wenn die nationale Sicherheit bedroht zu sein scheint, wird hiervon jedoch abgesehen (AA 26.2.2020).

Präsident Rohani hatte in seiner Wahlkampagne eine Lockerung der Zensurpolitik versprochen. Zeitweise wurden einige soziale Netzwerke wieder freigegeben. Rohani bezeichnete den Zugang zum Internet als „Bürgerrecht“ und ist selbst auf Twitter und Facebook aktiv (beide aktuell in Iran gesperrt, wobei dies durch viele Iraner mittels VPN umgangen wird). Trotz seiner vielversprechenden Aussagen und einer (teils heftig geführten) öffentlichen Diskussion insbesondere zum Thema „Cyberspace“ hat sich die Situation aber nicht signifikant verbessert, im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2018 wurde die überaus beliebte Messenger App „Telegram“ gesperrt. Es gibt weiterhin Polizeiaktionen gegen auf Instagram erfolgreiche Frauen, die „unsittliche“ Inhalte (Fotos ohne Kopftuch, Make-up-Videos, Tanzvideos, usw.) teilen. Seitdem seit Februar 2020 konservative und erzkonservative Kräfte im iranischen Parlament die Mehrheit der Abgeordneten stellen, ist der Druck auf den jungen Telekom-Minister für eine Filterung der noch nicht gefilterten sozialen Medien wie Instagram und WhatsApp und die Einführung des bereits nach chinesischem Vorbild vorbereiteten internen Internet mit dem Namen „Nationales Internetnetz“ gewachsen. Der junge Minister mit seiner Vergangenheit als Beamter des Geheimdienstes konnte sich bisher gegen diesen Druck wehren. Es ist aber zu erwarten, dass sich der Zugriff der Iraner auf die virtuelle Welt in Zukunft noch weiter einschränken wird (ÖB Teheran 10.2019). Die Messenger App Telegram hatte in Iran mehr als 40 Millionen Nutzer. Auch Facebook und Twitter bleiben blockiert, genauso wie hunderte andere Webseiten (HRW 17.1.2019).

Die 1997 unter Khatami gegründete „Association of Iranian Journalists“ wurde 2009 unter Staatspräsident Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufgenommen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Farsi berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstrecken sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige werden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit für BBC Farsi hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 26.2.2020).

Ebenso unter Druck stehen Filmemacher und bildende Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als „unislamisch“ oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dazu wurde eine Genehmigungspflicht verhängt). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist "regimefeindlicher Propaganda" und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 10.2020).

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um sechs Plätze verschlechtert und liegt nun an Position 173 (2019: 170) von 180. Reporter ohne Grenzen bezeichnet Iran als eines der größten Gefängnisse für Journalisten. Verhaftungen von professionellen und nicht professionellen Journalisten, vor allem solchen, die in sozialen Netzwerken posten, haben sich im Jahr 2018 gesteigert (ROG 2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_ab

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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