TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/11 W128 2234332-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.2021
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Entscheidungsdatum

11.10.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W128 2234332-1/9E
W128 2234329-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN als Einzelrichter über die Beschwerden der syrischen Staatsangehörigen 1.) XXXX , geboren am XXXX , und 2.) XXXX , geboren am XXXX , gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10.07.2020, Zlen. 1.) 1252602401/191174599 sowie 2.) 1252602205/191174556, zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und 1.) XXXX sowie 2.) XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass 1.) XXXX und 2.) XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer (Erst- und Zweitbeschwerdeführer sind Brüder), zwei syrische Staatsangehörige sunnitisch-muslimischen Glaubens und Angehörige der Volksgruppe der Araber, stellten am 16.11.2019 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Bei ihrer Erstbefragung nannten sie als Fluchtgründe, die Angst vor ihrer Rekrutierung durch das syrische Militär.

2. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 03.06.2020 gaben die Beschwerdeführer zusammengefasst an, der Erstbeschwerdeführer sei der ältere Bruder des Zweitbeschwerdeführers. Beide seien in Aleppo geboren, der Erstbeschwerdeführer habe dort 12 Jahre, der Zweitbeschwerdeführer 6 Jahre lang die Schule besucht bevor diese, ebenso wie ihr Wohnhaus, durch einen Bombenangriff zerstört worden sei. Daraufhin hätten sie Syrien im August 2014 gemeinsam mit ihrer Mutter in Richtung der Türkei verlassen. Ihr Vater sei bereits 2011 verstorben. In Syrien würden derzeit zwei Tanten und ein Onkel väterlicherseits sowie zwei Onkel mütterlicherseits leben. Bei einer Rückkehr nach Syrien drohe den Beschwerdeführern die Zwangsrekrutierung durch das syrische Militär.

3. Mit den (hier) angefochtenen Bescheiden vom 10.07.2020 wies das BFA die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine auf die Dauer von einem Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführer seien in Syrien keiner staatlichen Verfolgung bzw. Gefahr einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt. Die Angaben des Erstbeschwerdeführers seien widersprüchlich, da er in der Erstbefragung angegeben habe, vom syrischen Militär einberufen worden zu sein, sich bei seiner Einvernahme vor dem BFA jedoch herausgestellt hätte, dass er persönlich keinen Einberufungsbefehl erhalten habe. Die vom Zweitbeschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe bezüglich einer Zwangsrekrutierung durch das syrische Militär würden zudem nur auf Vermutungen beruhen. Da der Zweitbeschwerdeführer bereits vor seinem 17. Geburtstag aus Syrien geflohen sei, hätte somit bis dato keine Möglichkeit einer Einberufung bestanden. Überdies würden „wichtige militärische Operationen durch spezielle Truppen“ ausgeführt werden und den Beschwerdeführern bei einer allfälligen Einziehung zum Militärdienst somit keine Beteiligung an derartigen Operationen drohen. Zudem würden keine Berichte über die Beteiligung von Wehrpflichtigen an den von der syrischen Armee begangenen Kriegsverbrechen bestehen. Vielmehr würde die Berichtslage darauf hindeuten, dass Wehrpflichtige ausschließlich Aufgaben, welche nicht mit Angriffen auf die Zivilbevölkerung zusammenhängen, durchführen würden.

4. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher sie zusammengefasst vorbringen, die Beschwerdeführer verließen Syrien aufgrund des Krieges und der drohenden Einziehung des (damals bereits siebzehnjährigen) Erstbeschwerdeführers zum Militärdienst. Bei den zwei männlichen Beschwerdeführern handle es sich um volljährige und wehrfähige syrische Staatsangehörige, welche bei einer Rückkehr jederzeit zum Militärdienst eingezogen werden könnten. Die Beschwerdeführer würden das syrische Militär sowie die politische Ausrichtung der syrischen Regierung jedoch ablehnen, weshalb ihnen in Syrien eine politisch-oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde und somit – aufgrund der drohenden Strafen – asylrelevante Verfolgung drohen würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zu den Beschwerdeführern

Der Erstbeschwerdeführer XXXX , geboren am XXXX , und der Zweitbeschwerdeführer XXXX , geboren am XXXX , sind syrische Staatsangehörige, bekennen sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben, gehören der Volksgruppe der Araber an und sprechen Arabisch als ihre Muttersprache.

Erst- und Zweitbeschwerdeführer sind Brüder und in XXXX , im syrischen Gouvernement Aleppo, geboren und aufgewachsen. Der Erstbeschwerdeführer besuchte dort 12 Jahre, der Zweitbeschwerdeführer sechs Jahre lang die Schule. Im Jahr 2013 übersiedelten die Beschwerdeführer gemeinsam mit ihrer Mutter in das Gouvernement Latakia, aus welchem sie Syrien in Richtung der Türkei im Sommer 2014 verließen.

Die Beschwerdeführer reisten am 15.11.2019 nach Österreich ein, wo sie am 16.11.2019 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Festgestellt wird, dass in Syrien ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren besteht. Weiter werden aufgrund von Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten auch Reservisten (neuerlich) zum Militärdienst eingezogen und es kam in der Vergangenheit sogar zur Aufhebung von Militärdienstaufschüben. Schließlich herrscht bei der Vollziehung des Wehrgesetzes in Syrien zu einem bestimmten Maße Willkür.

Die Beschwerdeführer haben ihren Wehrdienst in der syrischen Armee bis hierhin nicht abgeleistet, sind gesund und befinden sich im wehrfähigen Alter.

Den Beschwerdeführern droht in Syrien bei einer nunmehrigen Rückkehr daher die reale Gefahr, als syrische Männer im wehrfähigen Alter zum Wehrdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden. Die Regierung betrachtet Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen.

Die Herkunftsregion der Beschwerdeführer befindet sich derzeit unter der Kontrolle der syrischen Regierung (siehe syria.liveuamap.com/de). Daher ist eine Rückkehr in diese derzeit ausschließlich nach (eingehender) Kontrolle durch das syrische Regime möglich.

Die Beschwerdeführer sind gesund und strafgerichtlich unbescholten (siehe Strafregisterauskunft).

1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien

Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf der nachstehenden Quelle:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 01.10.2021

-        UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen vom März 2021

1.2.1. Wehr- und Reservedienst sowie Rekrutierung

Die syrischen Streitkräfte

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit. b gilt dies vom 1. Jänner des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten. Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee. Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert. Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren, während sie gleichzeitig aktive militärische Operationen durchführt.

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet. Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.

Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit, nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte. Nachdem die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab.

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen. Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt unverändert hoch, und seit Dezember 2018 haben sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch verstärkt. Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt.

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt.

Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren. Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert.

Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. In Homs führt die Militärpolizei beispielsweise stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden. Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden. Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden, berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Weiters rekrutieren die syrischen Streitkräfte in Lagern für Binnenvertriebene.

Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln.

Befreiung und Aufschub

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche, manche Regierungsangestellte und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert. Das Risiko der Willkür ist immer gegeben.

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr („badal an-naqdi“) zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden, wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen. Im November 2020 wurde die Dauer des erforderlichen Auslandaufenthalts auf ein Jahr reduziert und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden. Wer außerhalb Syriens lebt und als Reservist einberufen wird, kann eine Befreiung erhalten, indem er 5.000 USD bezahlt. Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD. Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können. Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen. Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind. Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann.

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen. Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen. Obwohl die Wehrpflicht laut Verfassung auch für die drusische Gemeinschaft gilt, wurde sie von der Regierung im Gegenzug für die Unterstützung durch die Gemeinschaft weitgehend ausgeklammert. Seit Mai 2020 waren die syrischen Sicherheitskräfte jedoch bestrebt, diejenigen zu verfolgen, die vor dem Militärdienst geflohen waren. Im Februar 2021 wurden in Sweida schätzungsweise 20.000 Personen zum Militärdienst gesucht, die unter dem Schutz bewaffneter Gruppierungen standen.

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden.

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden. Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden. Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten.

Im November 2020 erließ die Armeeführung der syrischen Regierung zwei Verwaltungserlässe, mit denen der Militärdienst für bestimmte Kategorien von Offizieren und Ärzten, die bis Januar 2021 zwei bzw. siebeneinhalb Jahre als Reservisten gedient haben, faktisch beendet wird. Nur wenige Reservisten werden von den Erlassen profitieren, die wahrscheinlich in erster Linie dazu dienen, das Image des Regimes aufzupolieren, um Anreize für eine Rückkehr zu schaffen. Die Demobilisierung wird keine nennenswerte Wirkung erzielen.

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter. Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und relativ wenige werden derzeit deswegen verhaftet.

Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen.

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft (Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort). In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes kann mit lebenslanger Haftstrafe bestraft werden und in schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt.

Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes der syrischen Regierung.

Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie.

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen. Auch in den „versöhnten Gebieten“ sind Männer im entsprechenden Alter mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten. In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 01.10.2021, S. 50 ff)

1.2.2. Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geographischen Gebiet, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen.

Insbesondere in der Provinz Idlib ist die Lage weiterhin volatil und es kommt nach wie vor zu teils intensiven Kampfhandlungen. Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt. Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer.

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden. Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu verbieten.

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab.

Infolge der COVID-19-Pandemie wurden sowohl der Flughafen Damaskus als auch die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen. Innerhalb des Landes wurden mehrere Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung umgesetzt, darunter Ausgangssperren. Reisen zwischen den Provinzen wurde weitestgehend untersagt. Es gab jedoch bereits wieder Lockerungen, sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der Einreise nach Syrien. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen. Es kommt jedoch zu verstärkten Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen und Einreisesperren. Die Reisebeschränkungen zwischen Städten und Umland wurden wieder aufgehoben.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 01.10.2021, S. 103 f)

1.2.3. Tatsächliche oder vermeintliche Gegner der syrischen Regierung

Die syrische Regierung geht in den von ihr kontrollierten Gebieten weiterhin gewaltsam gegen tatsächlich oder vermeintlich abweichende politische Meinungen vor, um diese zu unterdrücken oder zu bestrafen. Bei der Einstufung, was als abweichende politische Meinung betrachtet wird, wendet die Regierung sehr weite Kriterien an: Jegliche Art oder Form von Kritik, Widerstand oderunzureichender Loyalität gegenüber der Regierung führen regelmäßig zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffende Person.

Zu den Personen, denen regelmäßig eine regierungsfeindliche Gesinnung unterstellt wird, zählen Zivilpersonen (insbesondere Männer und Jungen im kampffähigen Alter) aus oder in derzeit oder ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten; Wehrdienstentzieher und Deserteure; oppositionelle Mitglieder lokaler Räte; Aktivisten aus der Zivilgesellschaft und politische Aktivisten; Demonstrierende; Journalisten und Bürgerjournalisten aus der Zivilbevölkerung; Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen und Freiwillige der Zivilverteidigung; Ärzte und sonstige medizinische Fachkräfte; Verteidiger der Menschenrechte sowie Lehrer, Hochschullehrkräfte und -wissenschaftler.

Berichten zufolge setzen die Sicherheitsbehörden der Regierung Informanten ein, um vermeintliche Regierungsgegner zu identifizieren. Außerdem wird gemeldet, dass Menschen in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aufgrund falscher Anschuldigungen verhaftet werden, weil Personen, die sich rächen wollen oder der Regierung ihre Loyalität beweisen möchten, sie gegenüber den Sicherheitsbehörden beschuldigen, in oppositionelle Aktivitäten verwickelt zu sein.

Personen mit diesem Profil werden regelmäßig Opfer von willkürlicher Verhaftung und Verschwindenlassen, Inhaftierung unter lebensbedrohlichen Umständen, systematischer und weitverbreiteter Folter und sonstigen Formen der Misshandlung einschließlich sexueller Gewalt, Strafverfolgung nach der zu weit gefassten Antiterrorgesetzgebung von 2012 unter Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren vor Antiterror- und militärischen Feldgerichten sowie summarischer und außergerichtlicher Hinrichtung.

(UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen vom März 2021, S. 101 ff)

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die im Rahmen der Feststellungen jeweils in Klammer angeführten Beweismittel und im Übrigen auf nachstehende Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zu den Namen, den Geburts- sowie den wesentlichen biographischen Eckdaten der Beschwerdeführer beruhen auf den (großteils) stringenten Aussagen der Beschwerdeführer vor dem BFA sowie auf den Angaben im vorgelegten – authentischen – syrischen Reisepass des Erstbeschwerdeführers (AS 49 zu 2234332-1).

2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer ihren Wehrdienst in der syrischen Armee bisher nicht abgeleistet haben, ergibt sich aus ihren Angaben im bisherigen Verfahren (AS 174 f zu 2234332-1 sowie AS 168 f zu 2234329-1). Diese wurden auch vom BFA nicht in Zweifel gezogen.

2.3. Die Feststellung, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Einziehung zum Wehrdienst in der syrischen Armee droht, stützt sich maßgeblich auf die – oben angeführten – Länderfeststellungen.

Für eine Bedrohung oder Verfolgung durch das syrische Regime kommt es nicht (unbedingt) darauf an, ob eine Einberufung zum Wehrdienst vor der Ausreise bereits erfolgt ist, ob eine behördliche Suche (wegen des Wehrdienstes) bereits (vor der Ausreise) stattgefunden hat oder ob die Ausreise legal erfolgen konnte, sondern vielmehr darauf, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einem Einsatz beim Militär (im Falle einer nunmehrigen Wiedereinreise in den Herkunftsstaat) auszugehen ist. Dies ist anhand der Situation – hinsichtlich der Einberufung zum Militärdienst – im Herkunftsstaat und anhand des Profils der betroffenen Person zu beurteilen. Aus dem persönlichen Profil der Beschwerdeführer (als junge und gesunde syrische Staatsangehörige im wehrpflichtigen Alter) ergibt sich, dass Personen mit diesen formellen Voraussetzungen in Syrien angesichts des dortigen innerstaatlichen Konfliktes und des Mangels an Soldaten, die sich zum Dienst melden, mit erheblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, zum Wehrdienst eingezogen zu werden.

Vor diesem Hintergrund erscheint eine Rekrutierung der Beschwerdeführer durch das syrische Regime – entgegen der Ansicht des BFA – maßgeblich wahrscheinlich.

2.4. Die Feststellungen zur Gesundheit und strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer stützen sich auf deren eigene Angaben vor dem BFA (AS 170 zu 2234332-1 und AS 164 zu 2234329-1) sowie auf das Strafregister.

2.5. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den oben genannten Quellen. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerden [Spruchpunkt A)]

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (siehe zuletzt etwa VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428, m.w.N.).

3.1.3. Die Gefahr einer allen Reservedienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung kann asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine politisch-oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt (siehe VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124; 23.01.2019,
Ra 2019/19/0009; siehe auch VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548 sowie VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274). Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe eine asylrelevante Verfolgung darstellen (siehe dazu VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009; VwGH 13.11.2019,
Ra 2019/18/0274, m.w.N.; EuGH 26.02.2015, C-472/13, Shepherd).

3.1.4. Für die Beschwerdeführer bedeutet dies:

Die beiden Beschwerdeführer sind – wie bereits oben festgestellt – gesund und befinden sich mit ihren 23 Jahren (Erstbeschwerdeführer) und 21 Jahren (Zweitbeschwerdeführer) im wehrdienstfähigen Alter.

Für die Beschwerdeführer besteht im Falle einer Rückkehr nach Syrien bereits aufgrund ihrer – bereits während des innerstaatlichen Konfliktes in Syrien erfolgten – Ausreise und der damit verbundenen Verweigerung des Wehrdienstes, in dessen Rahmen sie zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen (wie Angriffen auf die Zivilbevölkerung) gezwungen und bei Weigerung mit Haft und Folter bedroht werden würden, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr, da maßgeblich wahrscheinlich ist, dass sie als politische Gegner des syrischen Regimes angesehen werden würden (siehe dazu VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548, wonach es für die Frage eines möglichen Asylanspruchs entscheidend ist, ob einem Beschwerdeführer bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat angesichts des in den Länderfeststellungen ausgewiesenen erhöhten Rekrutierungsdrucks der syrischen Armee und der besonderen Gefährdung von einreisenden Männern im wehrfähigen Alter mit maßgebender Wahrscheinlichkeit eine Einziehung zum Wehrdienst droht; siehe zuletzt auch EuGH 19.11.2020, C-238/19, wonach im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien eine starke Vermutung dafür spricht, dass die Weigerung, dort Militärdienst zu leisten, mit einem Grund in Zusammenhang steht, der einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen kann).

Damit fallen die Beschwerdeführer in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich der „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen“ ([u.a. Wehrdienstverweigerer]; zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen siehe etwa VwGH 11.03.2020, Ra 2019/18/0443, m.w.N.).

Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist für die Beschwerdeführer schon deswegen auszuschließen, weil die Verfolgung gerade von diesem ausgeht. Zudem besteht keine innerstaatliche Fluchtalternative. Die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum – aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien – bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. VwGH 29.06.2015, Ra 2014/18/0070).

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Aus-schlussgründe vorliegt, ist den Beschwerdeführern gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen.

Da die Beschwerdeführer ihre Anträge auf internationalen Schutz nach dem
15.11.2015 gestellt haben, sind die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG i.d.F. BGBl. I Nr. 24/2016 („Asyl auf Zeit“) gemäß § 75 Abs. 24 AsylG hier anzuwenden.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision [Spruchpunkt B)]

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass den Beschwerdeführern der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen ist, entspricht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Desertion Einberufung Einziehung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Militärdienst unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Wehrdienst wohlbegründete Furcht Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W128.2234332.1.00

Im RIS seit

20.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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