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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §20 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des P, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 31. März 1995, Zl. Fr-6085/5-94, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 unter Bedachtnahme auf die §§ 19, 20 und 21 FrG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, daß sich der Beschwerdeführer von 1971 bis Juli 1988 und von Juli 1989 bis zum Zeitpunkt seiner Abschiebung (laut Akteninhalt am 6. Oktober 1994) in Österreich aufgehalten habe. Von Juli 1988 bis Juli 1989 habe er seinen Präsenzdienst beim "jugoslawischen Bundesheer" abgeleistet. Seit dem Jahre 1987 schienen gegen den Beschwerdeführer folgende gerichtliche Verurteilungen auf: Am 18. November 1987 sei er wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und des Vergehens der versuchten Täuschung nach den §§ 15, 108 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Mit Strafverfügung vom 20. Dezember 1991 sei er wegen § 287 Abs. 1 (§ 83 Abs. 2) StGB ebenfalls zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Am 21. August 1992 sei er von der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung ermahnt und darauf hingewiesen worden, daß bei einer weiteren Übertretung ein Aufenthaltsverbot gegen ihn erlassen werde. Am 11. November 1992 sei er vom Landesgericht Salzburg wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch gemäß § 127, § 128 Abs. 1 Z. 4, § 129 Z. 1 und 2 und § 15 StGB zu einer Zusatzstrafe in der Höhe von 11 Monaten, bedingt auf drei Jahre, rechtskräftig verurteilt worden. Am 24. April 1993 sei er nochmals von der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung darauf hingewiesen worden, daß beim nächsten Verstoß "gegen das Gesetz" ein Aufenthaltsverbot erlassen werde. Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 27. April 1994, rechtskräftig seit 29. August 1994, sei er wegen des Verbrechens der teils vollendeten und teils versuchten schweren Nötigung nach § 105, § 106 Abs. 1 Z. 1 und § 15 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von eineinhalb Jahren, davon ein Jahr bedingt, verurteilt worden.
Der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG liege vor; die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme sei gerechtfertigt. Zwei Übertretungen nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG seien zwar nicht unter den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 2 FrG zu subsumieren, würden aber als weiteres Indiz dafür gelten, daß der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ruhe und Ordnung gefährde.
Durch das Aufenthaltsverbot werde sehr stark in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen, weil er seit frühester Kindheit - mit einjähriger Unterbrechung - im Bundesgebiet aufhältig sei und auch seine Familie, und zwar seine Eltern sowie seine Lebensgefährtin und auch zwei uneheliche Kinder hier lebten.
Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei aber zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, nämlich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen, dem Schutz der Gesundheit und der Moral, sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, unbedingt notwendig. Der Beschwerdeführer habe nämlich seit 1987 trotz zweimaliger Ermahnung durch die Fremdenpolizeibehörde immer wieder bedenkenlos schwere Straftaten gesetzt. Aufgrund der Häufigkeit der strafbaren Handlungen sowie der zunehmenden Schwere der Delikte könne keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden.
Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen keinesfalls schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes, wenn man die ständigen Mißachtungen des Gesetzes durch den Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der kriminellen Energie, mit der er seine strafbaren Handlungen ausgeübt habe sowie der Tatsache, daß er trotz mehrfacher Ermahnung in zunehmendem Maße gravierendere Rechtsbrüche gesetzt habe, betrachte.
Die belangte Behörde sei der Ansicht, daß aufgrund der Schwere und der ständigen Zunahme der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen sowie des Umstandes, daß er beschäftigungslos sei und seinen Lebensunterhalt offenbar durch Zuhälterei habe verdienen wollen, eine Prognose über den Gefährdungszeitraum nicht möglich sei, sodaß das Aufenthaltsverbot unbefristet zu erlassen sei. Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer den Militärdienst in Jugoslawien abgeleistet habe, sei ein Hinweis dafür, daß er Beziehungen zu seinem Heimatstaat habe.
Der Ausspruch nach § 64 Abs. 2 AVG sei zu Recht erfolgt, weil bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet aufgrund des bisherigen rechtswidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers zu befürchten gewesen sei, daß er weiterhin schwere Rechtsbrüche begehen werde. Die vorzeitige Vollstreckung des Aufenthaltsverbotes sei daher im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzuge dringend geboten gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde bleiben die im angefochtenen Bescheid als maßgeblicher Sachverhalt festgestellten rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers unbestritten. Die Beschwerde läßt weiters den aus diesen Feststellungen gezogenen rechtlichen Schluß auf die Verwirklichung des Tatbestandes des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG und in der Folge jenes des § 18 Abs. 1 leg. cit. unbekämpft. Der Verwaltungsgerichtshof hegt insoweit keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung.
Die Frage, ob die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer aus dem Blickwinkel des § 19 und des § 20 Abs. 1 FrG zulässig war, bedarf im Hinblick auf die folgenden Ausführungen keiner weiteren Erörterung.
Die Beschwerde hält den bekämpften Bescheid (unter anderem) deshalb für rechtswidrig, weil die belangte Behörde den § 20 Abs. 2 FrG im Fall des Beschwerdeführers unrichtig angewendet habe.
Damit ist die Beschwerde im Ergebnis im Recht:
Die belangte Behörde hat als maßgeblichen Sachverhalt die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 18. November 1987, 20. Dezember 1991, 11. November 1992 und vom 27. April 1994 angenommen. Keine dieser strafbaren Handlungen ist aber mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Die belangte Behörde hätte daher zu prüfen gehabt, ob im Beschwerdefall die Voraussetzung des § 20 Abs. 2 erster Teil FrG erfüllt ist. Sie hätte hiebei zu berücksichtigen gehabt, daß nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1996, Zl. 95/21/0132, mit weiterem Nachweis) als für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes "maßgeblicher Sachverhalt" im Sinne des § 20 Abs. 2 FrG nur solche Umstände herangezogen werden dürfen, die zu einem Zeitpunkt eingetreten sind, in welchem der Fremde die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG nicht (mehr) erfüllt hat. Bei Fremden, die die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG erfüllt haben, ist gemäß § 20 Abs. 2 FrG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes daher nur dann zulässig, wenn es bei Anwendung der §§ 18 bis 20 Abs. 1 FrG auch unter Außerachtlassung jener Umstände verhängt werden dürfte, die zum Wegfall der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG geführt haben (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1996, Zl. 95/21/0132). Da die belangte Behörde als maßgeblichen Sachverhalt alle rechtskräftigen Verurteilungen wider den Beschwerdeführer annahm, hätte sie zu prüfen gehabt, ob vor der Rechtskraft der ersten Verurteilung, nämlich vom 18. November 1987, die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG vorgelegen sind. Zu dieser Prüfung war sie aufgrund der Feststellung, wonach sich der Beschwerdeführer seit 1971 in Österreich aufhält, verpflichtet. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich, daß die belangte Behörde überhaupt keine Erwägungen über die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 FrG anstellte. Sie belastete damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Aufgrund der verfehlten Rechtsansicht, § 20 Abs. 2 FrG überhaupt nicht prüfen zu müssen, hat es die belangte Behörde unterlassen, zu prüfen, ob die unabdingbare Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG 1985, daß der Fremde seit mindestens 10 Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik hat, im maßgeblichen Zeipunkt vorlag; weiters ob nicht schon allein das der rechtskräftigen Verurteilung vom 27. April 1994 oder den rechtskräftigen Verurteilungen vom 27. April 1994 und vom 11. November 1992 zugrundeliegende Fehlverhalten als bestimmte Tatsache im Sinne des § 18 Abs. 1 FrG die dort umschriebene Annahme gerechtfertigt hätte bzw. hätten und ob
- bejahendenfalls - vor Verwirklichung des diesfalls maßgeblichen Sachverhaltes (nämlich der Rechtskraft der letzten bzw. der vorletzten Verurteilung) der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer dessen erste und zweite rechtskräftige gerichtliche Verurteilung vom 18. November 1987 und vom 20. Dezember 1991 entgegengestanden wären (§ 10 Abs. 1 Z. 6 StbG 1985).
Da nach dem Gesagten der angefochtene Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit leidet, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995210717.X00Im RIS seit
20.11.2000