TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/2 96/21/0099

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Veröffentlicht am 02.10.1996
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

AVG §38;
AVG §45 Abs3;
FrG 1993 §18;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrG 1993 §20 Abs2;
SGG §12 Abs1;
StbG 1985 §10 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des S in H, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 19. Dezember 1995, Zl. III 382/95, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 i.V.m. den §§ 19, 20 und 21 FrG ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von zehn Jahren erlassen. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, daß sich der Beschwerdeführer seit 24 Jahren im Bundesgebiet aufhalte. Es bestehe eine enge familiäre Bindung des Beschwerdeführers zu seiner Ehegattin, seinem minderjährigen Kind und seiner Mutter. Es sei von einer "großen Integration" des Beschwerdeführers und seiner Familie im Bundesgebiet auszugehen.

Der Beschwerdeführer sei in den Jahren 1984, 1985, 1991 und 1992 wegen fahrlässiger Körperverletzung im Zuge von Verkehrsunfällen und 1988 wegen vorsätzlicher Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden. Im Jahre 1995 sei er wegen § 15 StGB, § 12 Abs. 1 Suchtgiftgesetz und § 36 Abs. 1 Z. 1 Waffengesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt worden. Die letztgenannte Verurteilung erfülle den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FrG. Die anderen genannten rechtskräftigen Verurteilungen erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG. Infolge der Häufigkeit und Schwere des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers komme deutlich seine negative Einstellung gegenüber den österreichischen Rechtsvorschriften zum Ausdruck. Es entstehe dadurch der Eindruck, daß der Beschwerdeführer offensichtlich nicht gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften in erforderlicher Weise zu achten und sein Verhalten den Gesetzen anzupassen. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit dar.

Das Aufenthaltsverbot stelle einen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar. Das Aufenthaltsverbot sei aber zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen (Art. 8 Abs. 2 MRK) notwendig.

Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet seien von großem Gewicht. Diese Interessen wögen jedoch im Hinblick auf die Neigung des Beschwerdeführers zu Straftaten, darunter zuletzt eine schwere Suchtgiftstraftat, höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei daher auch im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG zulässig.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auch im Grunde des § 20 Abs. 2 FrG zulässig. Die Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts im Sinne des § 20 Abs. 2 FrG bestehe in der Verurteilung durch das Landesgericht Innsbruck vom 23. Februar 1995 wegen § 15 StGB, § 12 Abs. 1 Suchtgiftgesetz und § 36 Abs. 1 Z. 1 Waffengesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten. Der für die Beurteilung, ob die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG gegeben seien, entscheidende Zeitpunkt (vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts) sei vor der Rechtskraft dieser Verurteilung. Bezogen auf diesen Zeitpunkt sei zu beurteilen, ob beim Beschwerdeführer sämtliche der im § 10 Abs. 1 Z. 1 bis Z. 8 StbG angeführten Voraussetzungen vorlägen. Die belangte Behörde gehe davon aus, daß der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitpunkt die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG nicht erfülle. Bereits im maßgeblichen Zeitpunkt wäre beim Beschwerdeführer der Aufenthaltsverbotsgrund des § 18 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG vorgelegen. Die Art und Häufigkeit der seit dem Jahr 1984 begangenen Straftaten ließen ein Charakterbild vom Beschwerdeführer erkennen, das den Schluß rechtfertige, daß er gegenüber den zum Schutz der körperlichen Integrität von Menschen erlassenen Vorschriften negativ eingestellt sei und solcherart eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bilde. Daraus folge, daß aufgrund des Verleihungshindernisses des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG die Erlassung des Aufenthaltsverbotes aus dem Grunde des § 20 Abs. 2 FrG zulässig sei.

Die seit der Drogenstraftat des Beschwerdeführers verstrichene Zeit sei noch viel zu kurz, um ihm seriöserweise eine dauerhafte Änderung seiner Einstellung hin zu einem rechtstreuen Menschen attestieren zu können. Daß der Beschwerdeführer zu Jugoslawien "überhaupt keine Bindungen mehr habe, da alle Verwandten in Österreich lebten", vermöge keine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet. Auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gegen die - zutreffende - Auffassung der belangten Behörde, daß der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt, die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt und das Aufenthaltsverbot im Grunde des § 19 FrG zulässig sei, führt der Beschwerdeführer nichts ins Treffen.

Der Beschwerdeführer meint, die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei im Grunde des § 20 Abs. 1 und Abs. 2 FrG nicht zulässig. Der Ansicht des Beschwerdeführers, die Beurteilung, ob dem Beschwerdeführer die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, hätte verliehen werden können, müsse von der "Staatsbürgerschaftsbehörde" erfolgen, steht der Wortlaut des § 20 Abs. 2 FrG i.V.m. § 38 AVG entgegen. Demnach war die belangte Behörde berechtigt, diese Vorfrage nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrundezulegen. Die Auffassung der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 6 Staatsbürgerschaftsgesetz nicht erfülle, ist nicht rechtswidrig. Die vom Beschwerdeführer dagegen ins Treffen geführten Umstände, daß er einen "massiven und heilsamen Schock" durch die verhängte Freiheitsstrafe und Schubhaft erlebt habe und er seine Vergangenheit mit einem Arzt aufarbeite, können zu keinem anderen Ergebnis führen. Der Beschwerdeführer übersieht, daß er bereits fünfmal rechtskräftig verurteilt wurde und trotzdem noch schwerere Vergehen setzte.

In bezug auf § 20 Abs. 1 FrG rügte der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde "zu seinem gesamten Vorbringen" ihn nicht gehört habe.

Damit übersieht der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde ihrem Bescheid nur unbestrittene Tatsachen zugrundelegte, und es sich daher für die belangte Behörde erübrigte, ihm Parteiengehör zu gewähren. Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie habe sein "Recht auf Einvernahme der ihm nahestehenden Personen" verletzt, ist ihm zu entgegnen, daß ein solches Recht nicht besteht.

In Erwiderung zu seinen übrigen Verfahrensrügen in bezug auf § 20 Abs. 1 FrG ist der Beschwerdeführer darauf zu verweisen, daß die belangte Behörde ohnehin davon ausgegangen ist, daß der Beschwerdeführer, seine Ehegattin und sein minderjähriges Kind sowie seine Mutter seit vielen Jahren im Bundesgebiet leben und ein dementsprechend hoher Grad an Integration gegeben ist. Auch von dem Umstand, daß der Beschwerdeführer "immer" in Österreich gearbeitet hat, ist die belangte Behörde in ihrem Bescheid ausgegangen, hätte sie andernfalls nicht von einer "großen Integration" des Beschwerdeführers gesprochen. Soweit der Beschwerdeführer den Vorwurf erhebt, die belangte Behörde habe nicht festgestellt, daß auch die Geschwister des Beschwerdeführers seit Jahrzehnten in Österreich leben, kann er keinen relevanten Verfahrensmangel aufzeigen, weil er gar nicht behauptet, daß diese mit ihm im gemeinsamen Haushalt leben und daher die Bindungen zu diesen vom Schutzbereich des § 20 Abs. 1 FrG umfaßt seien. Schließlich ist der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, daß die belangte Behörde (letzter Absatz des Bescheides) ohnehin davon ausgegangen ist (entgegen der eigenen Angabe des Beschwerdeführers am 10. August 1995 vor der Behörde erster Instanz, wonach er noch immer einen Wohnsitz in Serbien habe), daß er keine Verwandten mehr in Jugoslawien habe.

Mit seiner Behauptung, er unterhalte eine derart intensive Bindung zu seiner Frau, seinem Kind und seinen übrigen Verwandten, ist der Beschwerdeführer auf die Feststellungen im angefochtenen Bescheid zu verweisen, wonach er enge familiäre Bindungen im Bundesgebiet zur Ehegattin, seinem minderjährigen Kind und seiner Mutter unterhält. Das Gewicht dieser von der belangten Behörde angenommenen engen familiären Bindung wird jedoch dadurch relativiert, daß diese "Bindung" offensichtlich keinen bestimmenden positiven Einfluß auf ihn ausübte, um ihn zu einem rechtstreuen Verhalten zu bewegen. Der Beschwerdeführer ist doch während dieses Zusammenlebens immer wieder straffällig geworden.

Der Beschwerdeführer macht geltend, daß er durch den Vollzug des Aufenthaltsverbotes entweder "versterben werde" oder an einer sehr schweren psychosomatischen Erkrankung leiden werde, die ihm "wahrscheinlich das Leben kosten werde". Auch seien bei Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes "schwerste gesundheitliche Störungen beim minderjährigen Kind und seiner Gattin" zu befürchten.

Auch mit diesem Vorbringen kann der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigen. Durch das Aufenthaltsverbot wird die Kontaktnahme zwischen Vater und Kind zweifellos erschwert, doch ist es möglich, diesen Kontakt durch Besuche des Kindes im Ausland zumindest in einem eingeschränkten Ausmaß aufrecht zu erhalten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 1996, Zl. 96/18/0090). Die Behauptung, daß die Trennung des Beschwerdeführers von seiner Familie schwerste gesundheitliche Störungen bei den Familienmitgliedern bewirken werde, stellt nicht mehr als eine bloße Behauptung dar, fehlt es doch an jeder objektiven Untermauerung.

Es kann somit nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde bei der im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG vorgenommenen Interessenabwägung zum Ergebnis gelangte, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung; dies deshalb, weil im Falle von Suchtgiftdelikten die Interessenabwägung auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht zu seinen Gunsten ausschlagen kann, und zwar auch dann nicht, wenn der Beschwerdeführer - wie er behauptet - "seine Vergangenheit mit einem Arzt aufarbeitet".

Die Beschwerde erweist sich somit zur Gänze als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Parteiengehör Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996210099.X00

Im RIS seit

27.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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