TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/30 W184 2216504-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2021
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Entscheidungsdatum

30.11.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W184 2216504-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2019, Zl. 16-1102261108/160076937, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 10.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Zu ihrem Fluchtgrund befragt, brachte die beschwerdeführende Partei vor, dass sie als Sekretärin bei dem TV-Sender Aria tätig gewesen sei. Sie habe die Grund- bzw. Realschule bis zur zwölften Klasse besucht. Sie hätten keine Arbeitserlaubnis erhalten und der Sender sei beauftragt worden, alle Frauen zu entlassen. Sie hätten auch nicht mehr die Universität bzw. Schule besuchen dürfen. Überdies sei ihre Familie von den Taliban bedroht worden, dass sie getötet werden würden, wenn die Frauen ihrer Familie weiterhin einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Bei einer Rückkehr würde sie befürchten, nicht mehr lebend nach Hause zu kommen. Ihr Schwager, ihre Schwester, ihre Mutter sowie ihr Bruder seien alle in Österreich.

Am 24.05.2018 wurde die beschwerdeführende Partei vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen und gab im Zuge dieser Einvernahme zu Protokoll, dass sie in Kabul geboren und ledig sei. Sie habe in Kabul insgesamt 12 Jahre lang die Schule besucht. Sie sei vom 14.05.2013 bis zum 29.10.2015 als Stellvertreterin in der Verwaltung und im Finanzbereich bei Aria TV tätig gewesen. Sie habe bei ihrer Tätigkeit ungefähr 200 US-Dollar im Monat verdient. Befragt, ob sie von ihrem Beruf in Afghanistan selbstständig leben habe können, entgegnete die beschwerdeführende Partei, dass es gereicht habe, da sie bei ihrer Familie gelebt habe. Die Fragen, ob sie bislang eine Ehe geschlossen habe oder mit irgendjemandem in Afghanistan noch in Kontakt stehe, wurde von der beschwerdeführenden Partei verneint. Sie habe sich immer nur in Kabul aufgehalten.

Zum Fluchtgrund tätigte die beschwerdeführende Partei folgende Angaben:

F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse, die Sie zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung)!

A: Wir haben zwei Drohbriefe von den Taliban bekommen. Im ersten Brief stand, dass wir mit unserer Arbeit aufhören müssen, weil diese Arbeit unmoralisch ist und der afghanischen Kultur widerspricht.

Anmerkung: Antragstellerin fügt bei Rückübersetzung Folgendes hinzu:

Alle Mitglieder der Familie, die gearbeitet haben, wurden in diesem Brief auch namentlich erwähnt. Die Taliban haben meinen Bruder, meinen Schwager und den Bruder meines Schwagers aufgefordert, am Jihad teilzunehmen. Im zweiten Brief stand, dass die Taliban uns schon einen Brief geschickt und uns aufmerksam gemacht haben, dass wir ihren Anforderungen nicht nachgekommen sind. Daher haben die Taliban uns eine Frist von 20 Tagen gegeben, um mit unserem Job aufzuhören, andernfalls hätten sie uns getötet. Die Taliban erwähnten im ersten Brief, dass die Frauen zuhause bleiben müssen und nicht nach draußen gehen dürfen. Sie waren auch noch der Meinung, dass Frauen nicht arbeiten dürfen. (Ende der freien Erzählung)

F: Können Sie Ihr Vorbringen mit Beweismitteln untermauern?

A: Ja, ich habe eine Arbeitsbestätigung vorgelegt.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.

F: Sind das alle Fluchtgründe?

A: Ja, weitere Gründe gibt es nicht.

F: Wann, von wem und wo wurde der erste Drohbrief entgegengenommen?

A: Der Bruder meines Schwagers XXXX hat den Brief gefunden. Es war in der Früh, als er zum Sport gegangen ist. Es war im Hof.

F: Wie haben Sie von diesem Drohbrief erfahren?

A: Er brachte den Brief ins Haus und gab ihn meinem Schwager, er selbst ( XXXX ) konnte kein Paschtu lesen.

F: Haben Sie den Drohbrief jemals selbst gelesen?

A: Ich kann auch nicht so gut Paschtu, mein Schwager hat uns das vorgelesen.

F: Werden Sie in diesem Brief namentlich erwähnt?

A: Nachdem wir hörten, was auf dem Brief stand, sagte mein Schwager, dass wir jetzt in die Arbeit gehen sollen, er würde derweil eine Anzeige bei der Polizei erstatten.

Anmerkung: AW fügt bei Rückübersetzung Folgendes hinzu: Ich werde auch namentlich erwähnt. Ich hatte auch Angst.

F: Wie genau sind Sie zum Job bei diesem Fernsehsender gekommen?

A: Über eine Freundin.

F: Können Sie das genauer sagen?

A: Sie arbeitete dort beim Fernsehen und sagte, dass es dort eine freie Stelle gibt. Ich konnte dann dort anfangen.

F: Hat es ein Bewerbungsprozedere gegeben?

A: Ja, ich habe meinen Lebenslauf geschrieben und meine Freundin hat ihn dann mitgenommen.

F: Gab es auch ein mündliches Bewerbungsgespräch?

A: Ja, ich wurde dann angerufen und bekam einen Termin.

F: Was wurden Sie gefragt bzw. worauf wurde besonders Wert gelegt?

A: Ich wurde gefragt, ob ich im Finanzbereich schon Erfahrungen habe. Ich sagte, dass ich keine Erfahrungen habe, aber ich habe das Talent, hier zu arbeiten.

F: Was genau war Ihre Aufgabe im Finanzbereich?

A: Ich hatte die Aufgabe, die Anwesenheit der Mitarbeiter zu beaufsichtigen. Es gab eine Liste und die Mitarbeiter mussten unterschreiben. Arbeitsbeginn war um acht Uhr in der Früh, die Liste lag bis ca. 08:20 auf dem Tisch und um 08:20 brachte ich diese dann am Ende des Monats zum Chef. Bevor ich dann die Liste zum Chef gebracht habe, habe ich kontrolliert, wer aller da ist. Wenn jemand nicht da war, habe ich einen Haken gemacht. Nach dieser Liste wurden dann die Mitarbeiter bezahlt.

F: Waren Sie auch für die Ausbezahlung der Gehälter zuständig?

A: Ich hatte die Aufgabe, das Geld vom Chef zu bekommen und es den Mitarbeitern auszubezahlen. Der Chef hat bestimmt, wie viel Geld ein Mitarbeiter bekommt.

F: Wie viel Geld haben Sie von Ihrem Chef bekommen, um die Löhne zu bezahlen?

A: Das war immer unterschiedlich. Die Anwesenheit der Mitarbeiter hat sich immer geändert. Ich habe nicht das gesamte Geld auf einmal bekommen. Ich habe immer das Geld für einen Mitarbeiter in einem Couvert bekommen und diesem das dann gegeben.

F: Wer war Ihr Chef?

A: Der Besitzer des Senders war der Hr. XXXX .

F: Wer war Ihr direkter Vorgesetzter?

A: Das war Dr. XXXX .

F: Wie viele Mitarbeiter waren bei diesem Sender angestellt?

A: Es waren ca. 150 Mitarbeiter dort angestellt.

F: Was können Sie über die Beschäftigung Ihrer Schwester sagen?

A: Meine Schwester hat davor bei Nori TV gearbeitet. Nachdem wir einen Mitarbeiter bei uns gebraucht haben, sagte ich ihr, dass wir eine Stelle frei haben.

F: Wann genau hat Ihre Schwester begonnen, bei Ihnen zu arbeiten?

A: Das weiß ich nicht genau.

F: Was war die genaue Aufgabe Ihrer Schwester?

A: Sie war die Direktorin der Synchronsprecherabteilung.

F: Wie lange war Ihre Schwester als Direktorin der Synchronsprecherabteilung tätig?

A: Wir haben gleichzeitig gekündigt.

F: Wann genau haben Sie gekündigt?

A: Das war am 29.10.2015.

F: Werden Sie im Drohbrief namentlich erwähnt?

A: Ja, ich werde in der ersten Zeile genannt.

F: Warum hätten die Taliban Sie bedrohen sollen?

A: Ich habe bei den Medien gearbeitet und sie haben gemeint, dass diese Arbeit unmoralisch ist und die Frauen zuhause bleiben müssen.

F: Was halten Sie von dieser Einstellung?

A: Ich bin der Meinung, dass die Frauen arbeiten dürfen und gleichberechtigt werden. Ich wollte nicht, dass ich auf meine Familie angewiesen bzw. von ihnen finanziell abhängig bin.

F: Wie hat die afghanische Gesellschaft es aufgenommen, dass Sie als Frau bei den Medien tätig sind?

A: Es ist unterschiedlich. Manche Familien erlauben es ihren Frauen, in die Arbeit zu gehen, manche nicht. Ich wurde in einer offenen Familie geboren und aufgewachsen, für meine Familie war das kein Problem.

F: Wie hat Ihr soziales Umfeld darauf reagiert, dass Sie berufstätig sind?

A: Das war auch unterschiedlich. Manche wollten nicht, dass wir in die Arbeit gehen, und haben uns komisch angeschaut. Manche hatten aber auch nichts dagegen

F: Gab es jemals einen konkreten Zwischenfall deswegen?

A: Meine Mutter wurde bedroht, als sie von der Arbeit nach Hause kam. Dieser Mann hat sie aufgehalten und ihr eine Ohrfeige gegeben und fragte sie, warum sie arbeitet, und sie haben zu ihr noch gesagt, dass ihre Arbeit unmoralisch ist und dass es eine Schande ist, wenn eine Frau arbeitet.

F: Sie brachten bei der Erstbefragung vor, dass Sie keine Arbeitserlaubnis bekommen haben. Was hat dieser Sachverhalt mit Ihrer Ausreise zu tun?

A: Ich sagte bei der Erstbefragung, dass die Frauen keine Rechte haben und sie zuhause bleiben sollen. Wir haben in der Arbeit mit Männern zusammengearbeitet und Kontakte gehabt.

F: Sie sagten auch, dass der Sender beauftragt wurde, alle Frauen zu entlassen. Ist das richtig?

A: Das habe ich nicht gesagt.

V: Sie wurden zuvor gefragt, ob die Angaben im Protokoll stimmen. Nehmen Sie dazu Stellung!

A: Das habe ich in meinem Protokoll nicht gefunden.

Anmerkung: Der Antragstellerin werden Ihre Angaben zum Fluchtgrund rückübersetzt.

F: Sind das Ihre Angaben zum Fluchtgrund?

A: Ich habe damals gesagt, dass die Frauen keine Rechte haben. Die Taliban waren der Meinung, dass die Frauen zuhause bleiben müssen. Das habe ich damit gemeint.

F: Was wissen Sie über die Beschäftigung Ihres Schwagers XXXX ?

A: Er arbeitete im Bereich der Technik. Er arbeitete am Computer.

F: Welche Art Sender bzw. Sendung ist dieser Aria TV?

A: Das ist ein Kinder- und Jugendsender.

F: Welche Inhalte wurden ausgestrahlt?

A: Kinderfilme, also Cartoons. Alles, was Kinder und Jugendliche anbelangt.

F: Wurden auch andere Personen, außerhalb Ihrer Familie, jemals bedroht?

A: Ja, es wurden zwei andere Mitarbeiter auch bedroht.

F: Was ist mit diesen Personen weiter geschehen?

A: Ich habe keine genauen Informationen darüber, aber ich habe mitbekommen, dass sie vor uns bedroht wurden.

F: Haben diese Personen dann weitergearbeitet bei diesem Sender?

A: Sie haben die Arbeit gekündigt, nachdem Sie bedroht wurden.

Aufforderung: Beschreiben Sie einen typischen Arbeitstag bei diesem Sender!

A: Zuerst habe ich die Anwesenheitsliste von oben nach unten gebracht und die Mitarbeiter haben diese unterschrieben. Nachdem die Mitarbeiter unterschrieben haben, habe ich die Liste dann nach oben gebracht. Davor habe ich die Liste kontrolliert, wer da ist und wer nicht. Wenn die Mitarbeiter Fragen hatten, habe ich das dem Chef übermittelt. Wir haben auch Briefe geschrieben. Im Finanzbereich habe ich gearbeitet, also ich habe den Mitarbeitern das Geld gegeben.

F: Wie viele Stunden haben Sie am Tag gearbeitet?

A: Ich habe von 08:00 bis 16:00 gearbeitet.

F: Wie lange hat das Ausfüllen und Kontrollieren dieser Liste circa gedauert?

A: Die Mitarbeiter haben um 08:00 mit der Arbeit begonnen und sollten bis 08:20 da sein und durften unterschreiben und dann habe ich die Liste am Ende des Monats zum Chef gebracht.

F: Also hat das nicht so lange gedauert, bis Sie fertig waren?

A: Nein, ca. eine halbe Stunde.

F: Was haben Sie dann die restlichen siebeneinhalb Stunden gemacht?

Anmerkung: Die Antragstellerin überlegt lange.

A: Wir hatten Verträge mit verschiedenen Firmen. Ich hatte auch die Aufgabe, Termine mit Firmen auszumachen. Die Firmen sollten für ihre Aufträge auch Geld zahlen. Sie mussten das rechtzeitig überweisen, wenn sie das nicht getan haben, haben wir auch Mahnungen geschrieben.

F: Mit welchen Firmen haben Sie konkret zusammengearbeitet?

A: Wir haben Kontakte zu den Schulen, zu Banken und zu verschiedenen Firmen.

F: Können Sie konkrete Namen von Firmen nennen?

A: Mit Firmen meinte ich hauptsächlich Privatschulen.

F: Was haben diese Privatschulen für ein Interesse an Ihrem Sender gehabt?

A: Wir haben Sendungen für die Kinder ausgestrahlt und eine Sendung war Malen für Kinder, diese hat Stunde des Malens geheißen. Wir haben diese Sendungen in Zusammenarbeit mit den Schulen produziert. Unsere Mitarbeiter sind in die Schule gegangen und haben dieses Programm mit den Kindern in der Schule gefilmt.

F: Haben Sie die Mahnungen verfasst?

A: Im Büro wurde das verfasst und ich habe diese dann mitgenommen und zu den Firmen bzw. Schulen zugestellt.

F: Hatten Sie vor dem vorgelegten Dienstausweis zuvor auch schon welche?

A: Nein, dies ist der erste.

F: Wann haben Sie konkret begonnen, bei dieser Firma zu arbeiten?

A: Das war am 14.05.2013.

F: Warum wurde der Ausweis dann erst am 12.06.2015 ausgestellt?

A: Ich habe die Frage zuvor nicht verstanden, wir haben immer nach einem Jahr neue Karten bekommen.

F: Haben die Mitarbeiter des Senders die neuen Dienstausweise immer gleichzeitig bekommen?

A: Das war immer unterschiedlich, das hat mit dem Anfangsdatum zu tun.

F: Wie haben Sie reagiert, als Sie vom Drohbrief erfahren haben?

A: Als ich davon erfuhr, hatte ich sehr viel Angst, weil wir bedroht wurden, dass wir unsere Arbeit verlassen müssen. Mein Schwager hat uns beruhigt und gesagt, dass wir keine Angst haben sollen, weil er sich darum kümmern und eine Anzeige erstatten wird.

F: Hat es bis auf diese Drohbriefe jemals einen Zwischenfall zwischen Ihrer Familie und den Taliban gegeben?

A: Meine Mutter wurde persönlich bedroht und geschlagen, aber wir wissen nicht, wer diese Person war.

F: Gab es sonst jemals Zwischenfälle zwischen Ihrer Familie und den Taliban?

A: Der zweite Brief wurde von drei unbekannten Personen dem Schwiegervater meiner Schwester übergeben. Die Personen waren vor unserem Haus und haben den Schwiegervater meiner Schwester XXXX nach seinem Namen gefragt. Sie haben gefragt, ob er diese Person ist, und nachdem er dies bejaht hat, haben sie mit ihrer Hand seinen Mund zugehalten und dann haben sie ihn auf die Felder, welche in der Nähe unseres Hauses waren, gebracht und dann haben Sie ihm eine Pistole an den Kopf gehalten. Dabei haben diese Personen ihm gesagt, dass sie schon einmal einen Drohbrief geschickt und verlangt haben, dass die Mitglieder der Familie ihre Arbeit beenden. Sie haben unsere Aufforderung nicht erfüllt und uns wurde eine Frist von 20 Tagen gegeben. Nach 20 Tagen wollten sie die Antwort haben und wir hätten ihre Aufforderungen akzeptieren müssen, wenn wir das nicht gemacht hätten, würden wir mit dem Tod bestraft werden. Als XXXX sich wehren wollte, haben sie ihn heftig geschlagen, dabei hat er geblutet.

F: Haben Sie diese Vorfälle selbst gesehen?

A: Als er nach Hause kam, haben wir ihn gesehen, dass er in der Nase und am Mund blutete. Er hatte auch den Drohbrief dabei.

F: Wann genau ist der Schwiegervater Ihrer Schwester nach Hause gekommen?

A: Es war in der Nacht, als er vom Abendgebet nach Hause kam. Die genaue Uhrzeit kenne ich nicht.

F: Wann ist das Abendgebet üblicherweise?

A: Das Abendgebet war immer um 22 Uhr, aber er kam immer später, weil er mit Freunden geredet hat.

F: Sind Sie bzw. Ihre Familie nach Erhalt des zweiten Briefes noch normal zur Arbeit gegangen? Wie hat sich Ihr Leben verändert?

A: Nach Erhalt des zweiten Drohbriefes ist mein Schwager zur Polizei gegangen. Die ganze Familie hatte Angst, ich auch. Er hat der Polizei von dem Vorfall erzählt und nachgefragt, warum sie nichts dagegen machen. Der Schwager hat alles der Polizei erzählt, was passiert ist. Er hat gesagt, dass die Leute zu uns nach Hause gekommen sind, XXXX entführt und mit dem Tode bedroht haben. Und sie haben uns 20 Tage Frist gegeben, dann kam die Morddrohung. Diese Beschwerde vom Schwager liegt beim Polizeisprengel 16 in Kabul.

F: Warum hätten Ihnen die Taliban 20 Tage Zeit geben sollen, um sich zu entscheiden?

A: Das ist üblich bei den Taliban, dass sie den Leuten Zeit geben, dass sie mit der Arbeit aufhören können. Wenn sie das nicht machen, werden die Leute bestraft. Wir wussten, dass die Taliban das ernst meinen, wenn sie etwas sagen, dann setzen sie das auch um. Der Cousin des Vaters von XXXX war ein Journalist und er und seine Familie wurden auch von den Taliban getötet.

F: Sind Sie mit den Taliban, bis auf die Drohbriefe, jemals in direkten Kontakt getreten?

A: Nein, niemals.

F: Woher wussten die Taliban, dass Sie bei diesem Sender gearbeitet haben?

A: Woher soll ich das wissen? Meine Mutter ist eine Schauspielerin und hat auch bei den Filmen mitgespielt, es kann sein, dass sie über sie das mitbekommen haben.

F: Sie sind schon seit ca. 2013 bei diesem Sender beschäftigt. Warum hätten die Taliban Sie erst im Jahr 2015 bedrohen sollen und nicht schon früher?

A: Diese Frage kann ich nicht beantworten, weil ich den Plan der Taliban nicht kenne.

F: Wie kann es sein, dass der Sender laut Ihren Aussage, noch immer Sendungen ausstrahlt und ca. 150 Mitarbeiter dort noch arbeiten, Sie jedoch flüchten hätten müssen? Wieso hätten genau Sie bedroht werden sollen?

A: Nicht nur ich, sondern auch meine Mutter und die anderen Mitglieder der Familie arbeiten auch beim Fernsehen. Wir waren auch offen und anders als die anderen Frauen.

F: Wieso haben Sie Ihren Job nach der ersten Bedrohung nicht aufgegeben?

A: Die Taliban meinen, dass die Frauen immer zu Hause bleiben und nicht nach draußen gehen. Ich konnte das nicht, ich hätte mich wie ein Vogel in einem Käfig gefühlt. Deshalb habe ich meine Arbeit weiter gemacht.

V: Wieso sollten die Taliban noch Interesse an Ihnen haben? Die Drohung ist bereits einige Jahre her. Nehmen Sie dazu Stellung!

A: Ich kann mir ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen, dass war auch ein Grund, warum ich geflüchtet bin, weil ich nicht nur zuhause bleiben kann. Jetzt in Österreich möchte ich auch arbeiten und hoffe, dass ich auch hier in Zukunft arbeiten darf. Wenn ich zurückgehe, möchte ich auch wieder arbeiten.

F: Sind Sie in Österreich momentan beruflich tätig? Leisten Sie gemeinnützige Arbeit?

A: Als ich im Asylheim in XXXX gelebt habe, habe ich als Dolmetscher gearbeitet. Ich habe die Menschen zum Beispiel ins Krankenhaus oder zu den Behörden begleitet.

F: Haben Sie ein konkretes Ausbildungs- bzw. Berufsziel in Österreich?

A: Ich würde gerne als Journalistin arbeiten.

F: Haben Sie diesbezüglich schon irgendwelche Anstrengungen getätigt, um diesem Ziel näher zu kommen?

A: Ich habe mich erkundigt, wie lange man das Studium machen soll. Das Hauptproblem ist, dass man zuerst die Sprache lernen muss.

F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben Sie im Herkunftsland oder hier Strafrechtsdelikte begangen?

A: Nein, ich bin nirgends vorbestraft.

F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet?

A: Nein, das ist niemals geschehen.

F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden?

A: Nein.

F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?

A: Nein, niemals.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt?

A: Nein, das ist niemals passiert.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?

A: Nein, ich wurde nur von den Taliban bedroht, wie ich es vorher erwähnt habe. Die Taliban wollten, dass ich nicht arbeite und immer zuhause bleibe. Ich möchte nicht auf die staatliche Hilfe angewiesen sein, sondern ich will selbständig sein.

F: Gab es jemals auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sie persönlich jemals irgendwer herangetreten?

A: Nein, auf mich hat es niemals irgendwelche Übergriffe gegeben. Nur auf meine Mutter und Familie gab es Übergriffe.

F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?

A: Für mich bedeutet das den Tod. Wir hatten eine Frist von 20 Tagen von den Taliban bekommen, aber jetzt sind drei Jahre vergangen. Im Falle einer Rückkehr muss ich nochmal arbeiten und wegen der Arbeit werde ich mit dem Tod bedroht.

F: Es gibt in Afghanistan auch Frauen, die arbeiten und keiner Bedrohung ausgesetzt sind. Wie schaffen es diese Frauen, selbständig und unabhängig in Afghanistan zu leben?

A: Das kann ich nicht sagen, ich persönlich wurde bedroht. Die Bedrohung betrifft nicht nur mich, sondern meinen Bruder, meinen Schwager und den Bruder des Schwagers. Die Männer wurden aufgefordert, am Jihad teilzunehmen. Wir waren damit nicht einverstanden, dass mein Bruder mit den Taliban arbeitet.

F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?

A: Das weiß ich nicht.

F: Glauben Sie, dass es diesbezüglich Probleme geben könnte?

A: Wenn ich keinen Pass habe, ist das vielleicht ein Problem.

V: Sie brachten vor, dass Sie niemals einen Pass hatten. Warum sollten Sie plötzlich Probleme bekommen?

A: Ich bin ja davor nicht ausgereist, deshalb habe ich keinen Pass gebraucht.

F: Woher sollten die Behörden wissen, dass Sie ausgereist sind?

A: Der Staat weiß davon nichts.

F: Warum sind Sie nicht in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil gezogen? In Afghanistan gibt es kein Meldewesen, wie hätte man Sie beispielsweise in Mazar-e Sharif oder Herat finden können?

A: Kabul ist die Hauptstadt von Afghanistan, man sagt, dass Kabul eine der sichersten Städte in Afghanistan ist. Wenn ich dort schon nicht leben kann, wo kann ich dann sicher leben?

F: Wissen Sie über die aktuelle politische Lage und über die Sicherheitslage in Ihrer Heimat Bescheid?

A: Ja, darüber weiß ich Bescheid.

Zum Privat-und Familienleben in Österreich befragt, erklärte die beschwerdeführende Partei auf Deutsch, dass sie nunmehr in Vils wohne und in die Schule gehe. Sie habe bereits zahlreiche soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet und gehe gerne mit ihrer Mutter, ihrer Schwester oder einer Freundin einkaufen. In Österreich habe sie im Gegensatz zu Afghanistan mehr Rechte. Sie dürfe in Österreich alleine ausgehen, was im Herkunftsstaat verboten gewesen sei. Auf Vorhalt, dass sie in Afghanistan ebenfalls einen Beruf ausgeübt habe, und befragt, was nunmehr der große Unterschied zu ihrem Leben im Heimatland sei, brachte die beschwerdeführende Partei vor, dass sie dort bedroht worden sei, einen Brief erhalten habe und selbst von normalen Menschen belästigt worden sei. Zum weiteren Vorhalt, dass sie sich traditionell kleide und ein Kopftuch trage, bzw. befragt, wie sie sich normalerweise kleide, führte die beschwerdeführende Partei an, dass sie immer so gekleidet sei. Sie werde von niemandem gezwungen, ein Kopftuch zu tragen. Befragt, was sie davon halte, dass ihre Mutter und Schwester kein Kopftuch tragen würden, erwiderte die beschwerdeführende Partei, dass es sich dabei um eine persönliche Entscheidung handle und ihre Mutter und Schwester darüber frei entscheiden könnten. Sie wolle sich so anziehen, wie sie es derzeit tue. Auf Nachfrage, ob sie seit ihrer Einreise einer legalen Beschäftigung nachgegangen sei, entgegnete die beschwerdeführende Partei, dass sie als freiwillige Dolmetscherin tätig gewesen sei, aber für diese Tätigkeit keine Gegenleistung verlangt habe. Sie sei derzeit außerordentliche Schülerin an der HAK XXXX und müsse dort mehrere Prüfungen ablegen. Die Frage, ob sie Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder Opfer von Gewalt geworden sei, wurde von der beschwerdeführenden Partei verneint.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden von der beschwerdeführenden Partei folgende Unterlagen in Vorlage gebracht:

-        eine Stellungnahme der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule vom 28.09.2017 bezüglich der Integration der beschwerdeführenden Partei als außerordentliche Schülerin der HAK XXXX

-        ein Stundenplan der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX

-        ein Zertifikat einer Bildungs-und Beratungseinrichtung vom August 2016 über die Absolvierung eines Basisbildungskurses

-        ein Empfehlungsschreiben vom 12.10.2017

-        eine Teilnahmebestätigung des ÖIF vom 03.08.2016 über die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs

-        eine Bestätigung des Klassenvorstandes der NMS XXXX

-        ein „Certificate of Employment“ vom 12.11.2017 über eine Tätigkeit der beschwerdeführenden Partei vom 14.05.2013-29.10.2015 bei Aris Television

Mit Schriftsatz vom 27.06.2018, beim BFA am 28.06.2018 eingelangt, wurde eine Bestätigung der NMS XXXX über die Absolvierung des Wahlfaches „Gesundheit und Soziales“ sowie Deutsch übermittelt.

In einem Parteiengehör am 30.11.2018 gab die beschwerdeführende Partei an, dass sich seit ihrer Einvernahme keine neuen Tatsachen ergeben hätten, die für die Fluchtgründe relevant seien. Die Fragen, ob sie in Österreich verheiratet sei, sich in einer Lebensgemeinschaft befinde oder in Österreich lebende Kinder oder andere lebende Verwandte habe, von denen sie finanziell abhängig sei, wurde von der beschwerdeführenden Partei verneint. Sie besuche aktuell eine Schule in Österreich. Sie könne auch einen abgeschlossenen Deutschkurs vorweisen und sei im Bundesgebiet bereits einer gemeinnützigen Tätigkeit als Dolmetscherin nachgegangen. Sie beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und sei niemandem gegenüber unterhaltspflichtig. Die Fragen, ob sie jemals von einem österreichischen Gericht wegen einer Straftat verurteilt worden sei oder jemals Opfer von Gewalt gewesen sei, wurde von der beschwerdeführenden Partei verneint.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung getroffen:

„I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.

IV. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.

V. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

VI. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der beschwerdeführenden Partei geglaubt werde, als Mitarbeiterin beim afghanischen Fernsehsender „Aria TV“ tätig gewesen zu sein. Dass sie aufgrund dieser Beschäftigung einer persönlichen und unmittelbaren Bedrohung seitens der Taliban ausgesetzt gewesen sei bzw. in Zukunft sein werde, habe die beschwerdeführende Partei jedoch nicht glaubhaft machen können. Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA habe die beschwerdeführende Partei im Widerspruch zu den Angaben bei der Erstbefragung zudem angeführt, postalisch von den mutmaßlichen Taliban bedroht worden zu sein. Auch wenn die beschwerdeführende Partei vor dem BFA vorgebracht habe, dass sie durch Drohbriefe und nicht mittels Telefon bedroht worden sei, müsse diesen Ausführungen entgegengehalten werden, dass auch die Schwester der beschweführenden Partei im Zuge ihrer Erstbefragung konkret von Drohanrufen gesprochen habe. Dass die beschwerdeführende Partei und ihre Schwester in zwei isoliert stattfinden Befragungen jeweils dieselben falschen Angaben hinsichtlich des Bedrohungsmediums machen sollten, sei nach Ansicht der Behörde nicht plausibel und daher auch nicht glaubwürdig. Die beschwerdeführende Partei habe sich bereits in den Kernaussagen des Fluchtvorbringens widersprochen. Hinsichtlich des Vorbringens im Rahmen der freien Erzählung gelte zudem anzumerken, dass die beschwerdeführende Partei aufgefordert worden sei, die ausreisekausalen Ereignisse detailliert zu schildern, sich das Vorbringen dennoch in einer Schilderung erschöpft habe, die lediglich wenige Zeilen umfasst habe. Weiters seien dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei eklatante Widersprüche zu entnehmen. Zu den vom Schwager der beschwerdeführenden Partei vorgelegten Drohbriefen sei weiters anzuführen, dass Afghanen in der Hoffnung, sich nach Europa einschleichen zu können, gefälschte Todesdrohbriefe kaufen würden.

Gegen den Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der belangten Behörde vorzuwerfen sei, dass sie kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Die westliche Orientierung der beschwerdeführenden Partei sei in der Bescheidbegründung nicht gewürdigt worden. Festzuhalten sei weiters, dass die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig und teils veraltet seien, und zwar allgemeine Aussagen treffen, sich jedoch in keiner Weise mit dem konkreten Fluchtvorbringen der beschwerdeführenden Partei befassen würden. Den Länderberichten sei auch eine zunehmende Gewalt gegen berufstätige Frauen zu entnehmen, welche aufgrund ihrer Berufstätigkeit vermehrt Ziele von Anschlägen seien. Die belangte Behörde habe es zudem unterlassen, ihrer Begründungspflicht ausreichend nachzukommen, da sie sich nicht mit dem Einzelfall der beschwerdeführenden Partei auseinandergesetzt habe. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die beschwerdeführende Partei ist afghanische Staatsbürgerin, gehört der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Sie ist in Kabul geboren, ihre Muttersprache ist Dari und sie hat im Herkunftsstaat 12 Jahre die Schule absolviert. Sie beherrscht zudem Englisch, Paschtu, Urdu und Deutsch. Die beschwerdeführende Partei ist ledig und hat keine Kinder. Die beschwerdeführende Partei hat im Herkunftsstaat als Stellvertreterin in der Verwaltung und von 2013 bis 2015 im Finanzbereich als Assistentin bei Aria TV gearbeitet. Die Mutter, die Nichte, die Schwester, der Schwager und der Bruder der beschwerdeführenden Partei sind ebenfalls in Österreich aufhältig.

In Österreich hat die beschwerdeführende Partei den Pflichtschulabschluss an der Neuen Mittelschule XXXX absolviert und besucht die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX . Sie hat bereits freiwillig als Dolmetscherin gearbeitet und Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft. Die beschwerdeführende Partei hat einen Basisbildungskurs sowie einen Werte- und Orientierungskurs absolviert und beherrscht die deutsche Sprache. Die beschwerdeführende Partei will in Österreich zukünftig ein Studium betreiben und als Journalistin tätig sein. Sie geht mit ihrer Mutter oder ihrer Schwester ohne männliche Begleitung einkaufen und hat bereits soziale Kontakte geknüpft. Ihr besonderes Engagement im Schulverband wird von ihrem Klassenvorstand hervorgehoben.

Die beschwerdeführende Partei ist eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Auch dass sie im öffentlichen Raum weiterhin ein Kopftuch tragen möchte, hat sie selbst entschieden. Die beschwerdeführende Partei lebt nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, da sie ihre eigenen Entscheidungen trifft, sich ohne männliche Begleitung im öffentlichen Raum bewegt und eine Zukunftsperspektive hat, sie möchte weiterhin frei leben, sich bilden und einen Beruf ausüben.

Die beschwerdeführende Partei ist nicht gewillt, sich den afghanischen Vorschriften, insbesondere unter dem derzeitigen Taliban-Regime, entsprechend zu verhalten. Eine Fortsetzung des Lebens, das sie derzeit in Österreich führt, wäre ihr in Afghanistan nicht möglich.

Die beschwerdeführende Partei lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach einer konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Die beschwerdeführende Partei stammt aus einer liberalen Familie und würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden und würde dadurch Gefahr laufen, aufgrund ihrer westlichen Orientierung verfolgt zu werden.

Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei:

Es wird dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass die beschwerdeführende Partei Afghanistan aufgrund einer individuellen Bedrohung durch die Taliban verlassen hat. Ihre Familie hat keine Drohbriefe oder Drohanrufe von den Taliban erhalten.

Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Partei:

„COVID-19 Letzte Änderung: 16.09.2021

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO:

https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns-HopkinsUniversität:

https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467 b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Über die Auswirkungen der Machtübernahme der Taliban auf medizinische Versorgung, Impfraten und Maßnahmen gegen COVID-19 sind noch keine validen Informationen bekannt.

Aktuelle Lage in Afghanistan (Stand 18.08.2021):

Diese kann sich aufgrund der derzeit sehr volatilen Lage im Land jederzeit rasch ändern!

Der afghanische Präsident Ashraf Ghani ist angesichts des Vormarsches der Taliban auf Kabul außer Landes geflohen. Laut al-Jazeera soll das Ziel Taschkent in Usbekistan sein. Inzwischen haben die Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Suhail Schahin, ein Unterhändler der Taliban bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, versicherte den Menschen in Kabul eine friedliche Machtübernahme und keine Racheakte an irgendjemanden zu begehen (tagesschau.de 15.8.2021).

Am 15.08.21 haben die Taliban mit der größtenteils friedlichen Einnahme Kabuls und der Besetzung der Regierungsgebäude und aller Checkpoints in der Stadt den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Man wünsche sich friedliche Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft. Die erste Nacht unter der Herrschaft der Taliban im Land sei ruhig verlaufen. Chaotische Szenen hätten sich nur am Flughafen in Kabul abgespielt, von welchem sowohl diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Den Taliban war es zuvor gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Provinzen sowie alle strategisch wichtigen Provinzhauptstädte wie z.B. Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Kunduz

einzunehmen. In einigen der Städte seien Gefängnisse gestürmt und Insassen befreit worden (BAMF 16.8.2021; vgl. bbc.com o.D., orf.at 16.8.2021).

Die Taliban zeigten sich am Sonntag gegenüber dem Ausland unerwartet diplomatisch. „Der Krieg im Land ist vorbei“, sagte Taliban-Sprecher Mohammed Naim am Sonntagabend dem Sender al-Jazeera. Bald werde klar sein, wie das Land künftig regiert werde. Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit würden respektiert, wenn sie der Scharia entsprächen. Man werde sich nicht in Dinge anderer einmischen und Einmischung in eigene Angelegenheiten nicht zulassen (orf.at 16.8.2021a). Schätzungen zufolge wurden seit Anfang 2021 über 550.000 Afghanen durch den Konflikt innerhalb des Landes vertrieben, darunter 126.000 neue Binnenvertriebene zwischen dem 7. Juli 2021 und dem 9. August 2021. Es gibt zwar noch keine genauen Zahlen über die Zahl der Afghanen, die aufgrund der Feindseligkeiten und Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen sind, es deuten aber Quellen darauf hin, dass Zehntausende von Afghanen in den letzten Wochen internationale Grenzen überquert haben (UNHCR 8.2021).

Der Iran richtete angesichts des Eroberungszugs der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Pufferzonen für Geflüchtete aus dem Krisenstaat ein. Die drei Pufferzonen an den Grenzübergängen im Nord- sowie Südosten des Landes sollen afghanischen Geflüchteten vorerst Schutz und Sicherheit bieten. Indes schloss Pakistan am Sonntag einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest (orf.at 16.8.2021b).

Mittlerweile baut die Türkei an der Grenze zum Iran weiter an einer Mauer. Damit will die Türkei die erwartete Ankunft von afghanischen Flüchtlingen verhindern (Die Presse 17.8.2021). Medienberichten zufolge haben die Taliban in Afghanistan Checkpoints im Land errichtet und sie kontrollieren auch die internationalen Grenzübergänge (bisherige Ausnahme: Flughafen Kabul). Seit Besetzung der strategischen Stadt Jalalabad durch die Taliban, wurde eine Fluchtbewegung in den Osten (Richtung Pakistan) deutlich erschwert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen aus dem westlichen Teil des Landes oder aus Kabul nach Pakistan gelangen ist gegenwärtig eher gering einzuschätzen. Es ist naheliegender, dass Fluchtrouten ins Ausland über den Iran verlaufen. Es ist jedoch auch denkbar, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Afghanistans (statt einer Route über den schiitisch dominierten Iran) stattdessen die nördliche, alternative Route über Tadschikistan oder auch Turkmenistan wählt. Bereits vor zwei Monaten kam es laut EU-Kollegen zu einem Anstieg von Ankünften afghanischer Staatsbürger in die Türkei. Insofern ist davon auszugehen, dass eine erste Migrationsbewegung bereits stattgefunden hat. Pakistan gibt laut Medienberichten an, dass der Grenzzaun an der afghanisch-pakistanischen Grenze halte (laut offiziellen Angaben sind etwa 90 Prozent fertiggestellt) (VB 17.8.2021).

Laut Treffen mit Frontex, kann zur Türkei derzeit noch keine Veränderung der Migrationsströme festgestellt werden. Es finden täglich nach Schätzungen ca. max. 500 Personen ihren Weg (geschleust) vom Iran in die Türkei. Dies ist aber keine außergewöhnlich hohe Zahl, sondern eher der Durchschnitt. Der Ausbau der Sicherung der Grenze zum Iran mit Mauer und Türmen schreitet immer weiter voran, und nach einstimmiger Meinung von Mig VB und anderen Experten kann die Türkei mit ihrem Militär (Hauptverantwortlich für die Grenzsicherung) und Organisationen (Jandarma, DCMM) jederzeit, je nach Bedarf die illegale Einreise von Flüchtlingen aus dem Iran kontrollieren. Die Türkei ist jedoch - was Afghanistan angeht - mit sehr hohem Interesse engagiert. Auch die Türkei möchte keine neunen massiven Flüchtlingsströme über den Iran in die Türkei (VB 17.8.2021a).

IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen. Die Aussetzung der freiwilligen Rückkehr erfolgt bis auf Widerruf (IOM 16.8.2021).

Während die radikalislamischen Taliban ihren Feldzug durch Afghanistan vorantreiben, gehören Frauen und Mädchen zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Schon in der letzten Regierungszeit der Taliban (1996– 2001) herrschten in Afghanistan extreme patriarchale Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen sowie strukturelle Gewalt und Hinrichtungen von Frauen. Die Angst vor einer Wiederkehr dieser Gräueltaten ist groß. Eifrig sorgten Kaufleute in Afghanistans Hauptstadt Kabul seit dem Wochenende bereits dafür, Plakate, die unverschleierte Frauen zeigten, aus ihren Schaufenstern zu entfernen oder zu übermalen – ein Sinnbild des Gehorsams und der Furcht vor dem Terror der Taliban (orf.at 17.8.2021).

Quellen:

• BAMF (16.8.2021): Briefing Notes, per Email

• bbc.com (o.D.): Afghanistan: US takes control of Kabul airport to evacuate staff from

countryhttps://www.bbc.com/news/world-asia-58227029, Zugriff 16.8.2021

• Die Presse (17.8.2021): Die Türkei schottet sich mit Mauer gegen Flüchtlinge ab,

https://www.diepresse.com/6021855/die-turkei-schottet-sich-mit-mauer-gegen-fluchtlinge-ab, Zugriff 17.8.2021

• IOM (16.8.2021): Aussetzung der Freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, per Email

• orf.at (16.8.2021): Krieg in Afghanistan ist vorbei, https://orf.at/stories/3225020/, Zugriff 16.8.2021

• orf.at (16.8.2021a): Verzweifelte Fluchtversuche aus Kabul, https://orf.at/stories/3225106/, Zugriff 17.8.2021

• orf.at (16.8.2021b): Nachbarländer in großer Unruhe, https://orf.at/stories/3225071/, Zugriff 17.8.2021

orf.at (17.8.2021): Ein Alptraum für Frauen, https://orf.at/stories/3225041/, Zugriff 17.8.2021

• tagesschau.de (15.8.2021): Präsident Ghani ins Ausland geflohen,

https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-kabul-ghani-101.html, Zugriff 16.8.2021

• UNHCR (8.2021): UNHCR Position on Returns to Afghanistan, Refworld | UNHCR Position on Returns to Afghanistan, Zugriff 17.8.2021

• VB – Verbindungsbeamtin des BM.I für Thailand/Pakistan [Österreich] (17.8.2021): Auskunft des VB, per Email

• VB – Verbindungsbeamter des BM.I für Türkei [Österreich] (17.8.2021a): Auskunft des VB, per Email

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des

öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19- Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021). Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID- 19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020).

Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021). Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021). Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese, wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden.

Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste

Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im

Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAXProgramm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“ (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021). Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAXProgramm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in

Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind.

Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten mehr als ein Viertel - als „schwer erreichbar“ gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021). Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19- Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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