TE Vwgh Beschluss 2021/12/27 Ra 2021/18/0307

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Veröffentlicht am 27.12.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Sutter und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S G, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2021, W195 2167762-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 4. November 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, dass er in Bangladesch als Mitglied der oppositionellen Bangladesh National Party (BNP) strafrechtlich verfolgt werde, ihm eine zehnjährige Haftstrafe drohe beziehungsweise er befürchte, von Polizisten verschleppt und getötet zu werden.

2        Mit Bescheid vom 20. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für die Behandlung der vorliegenden Revision relevant - aus, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als nicht glaubhaft zu bewerten sei. Bei den Vor-Ort-Recherchen des Vertrauensanwalts der Republik Österreich sei hervorgekommen, dass der Revisionswerber Bangladesch vor mehr als sieben Jahren verlassen habe und nie Mitglied der BNP gewesen sei. Das Vorbringen zu seinen Fluchtgründen sei kursorisch, vage, oberflächlich und diffus. Dies entspreche auch dem persönlichen Eindruck, welches das BVwG in öffentlich mündlicher Verhandlung habe gewinnen können. Insgesamt betrachtet stehe damit fest, dass sich der Revisionswerber einer erfundenen Fluchtgeschichte bedient habe.

5        Gegen dieses Erkenntnis brachte der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ein. Mit Beschluss vom 22. Juni 2021, E 1686/2021-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6        Die vorliegende außerordentliche Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, das BVwG sei hinsichtlich der Durchführung eines rechtskonformen Ermittlungsverfahrens sowie in seiner Beweiswürdigung von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen. Es habe sich mit den vorgelegten Dokumenten, dem „First Information Report“ sowie der Anklageschrift, nicht angemessen auseinandergesetzt und keine weiteren Erhebungen zur Klärung des Sachverhalts durchgeführt. Bei Durchführung eines rechtskonformen Ermittlungsverfahrens hätte das BVwG festgestellt, dass gegen den Revisionswerber zwei Strafverfahren anhängig seien. Dies sei selbst dann relevant, wenn dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, aufgrund seiner Mitgliedschaft in den Vorfeldorganisationen der BNP verfolgt worden zu sein, nicht geglaubt werde. Die Haftbedingungen in Bangladesch führten nämlich zu einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte. Im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung habe das BVwG schließlich bei seiner Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK relevante - näher bezeichnete - Aspekte nicht einbezogen bzw. diese falsch gewichtet.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. zum Ganzen VwGH 17.5.2021, Ra 2021/20/0145, mwN).

12       Im angefochtenen Erkenntnis sprach das BVwG der Fluchtgeschichte des Revisionswerbers die Glaubhaftigkeit ab. Es stützte sich dabei insbesondere auf die Vor-Ort-Recherchen des Vertrauensanwalts, im Rahmen derer auch der Vater des Revisionswerbers, Nachbarn sowie Mitarbeiter des lokalen BNP-Büros befragt wurden. Dabei habe sich herausgestellt, dass sowohl der Vater als auch dessen Nachbarn angegeben hätten, dass der Revisionswerber Bangladesch vor sieben bis acht Jahren verlassen und danach fünf Jahre in London und zwei Jahre in Österreich gelebt habe (Auskunft Vater) bzw. seit zehn Jahren nicht mehr im Heimatdorf gewesen sei (Auskunft Nachbarn). Auch sei niemandem der Befragten eine politische Tätigkeit des Revisionswerbers bekannt gewesen und sei er laut Auskunft des lokalen BNP-Büros auch nicht Mitglied der BNP gewesen.

13       In seiner Beweiswürdigung führte das BVwG sodann im Wesentlichen aus, dass aufgrund der Angaben der befragten Personen der Revisionswerber qualifiziert unglaubwürdig sei. Im Hinblick darauf, dass sich aus dem Rechercheergebnis des Vertrauensanwalts vorrangig ergebe, dass der Revisionswerber - entgegen seiner Behauptung - seit 2008 nicht mehr in Bangladesch gewesen sei und dies somit dessen gesamtes Vorbringen in Frage stelle und sich aus den Länderfeststellungen ergebe, dass gefälschte Dokumente in Bangladesch (wahr oder unwahr) käuflich erworben werden könnten, sei auch keine Notwendigkeit für die Durchführung weiterer Ermittlungen mehr ersichtlich. Zudem sei das Fluchtvorbringen sehr kursorisch, vage, oberflächlich und diffus geblieben, und es entspreche dem in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck des BVwG, dass sich der Revisionswerber einer konstruierten Fluchtgeschichte bedient habe.

14       Dass diese Beweiswürdigung des BVwG nach dem dargestellten Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofs in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

15       Soweit die Revision rügt, das BVwG habe sich nicht ausreichend mit den vorgelegten Dokumenten auseinandergesetzt, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich das BVwG mit dem Bericht des Vertrauensanwalts und den vorgelegten Dokumenten („First Information Report“ [FIR] sowie Anklageschrift) sehr wohl auseinandergesetzt hat. Zudem wurde dem Revisionswerber zu dem Bericht bereits im Rahmen des Verfahrens vor dem BFA Parteiengehör gewährt und fand sodann vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung statt.

16       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 14.1.2021, Ra 2020/18/0517).

17       Dass dies gegenständlich der Fall gewesen wäre, vermag die Revision nicht darzutun.

18       Soweit die Revision schließlich in Zusammenhang mit den Haftbedingungen in Bangladesch ein Abweichen von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes behauptet, ist diesem Vorbringen schon deshalb der Boden entzogen, weil das BVwG dem Fluchtvorbringen - im Rahmen einer umfassenden Beweiswürdigung - die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat (vgl. auch VwGH 2.11.2021, Ra 2021/14/0213).

19       Schließlich wendet sich die Revision gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung und bringt dazu vor, das BVwG habe dem bisherigen Aufenthalt des Revisionswerbers (sieben Jahre und vier Monate) nur wenig Gewicht beigemessen, weil er nur auf der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber beruhe. Es habe auch unberücksichtigt gelassen, dass sich der Revisionswerber gut integriert und die Sprache (auf Niveau A2) erlernt habe sowie einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgehe. Das BVwG habe keine nachvollziehbar begründete Gewichtung der maßgeblichen Kriterien vorgenommen und auf die Interessen des Revisionswerbers an seinem Verbleib im Bundesgebiet nicht ausreichend Bedacht genommen.

20       Die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK ist nur dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.6.2021, Ra 2021/18/0219, mwN).

21       Das BVwG erwog, dass der Revisionswerber etwas Deutsch spreche und selbsterhaltungsfähig sei. Gleichzeitig verfüge er über maßgebliche familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, während er im Bundesgebiet über keine familiären Bindungen verfüge. Zu Recht verwies das BVwG auch darauf, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 7.6.2021, Ra 2021/18/0167, mwN). Insgesamt könne daher keine erhebliche Integration in die österreichische Gesellschaft erkannt werden. Vor diesem Hintergrund kam das BVwG zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen die privaten Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden.

22       Es ist nicht ersichtlich, dass das BVwG dabei einzelne Aspekte in unverhältnismäßiger Weise gewichtet hätte und die vorgenommene Interessenabwägung unvertretbar wäre.

23       Soweit die Revision in diesem Zusammenhang die lange Verfahrensdauer ins Treffen führt, ist darauf zu verweisen, dass es sich dabei nur um einen von mehreren Aspekten handelt, die bei der Interessenabwägung des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 10.9.2021, Ra 2021/18/0201, mwN). Dass dieser Umstand fallbezogen entscheidend ins Gewicht fiele, vermag die Revision nicht darzulegen.

24       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 27. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180307.L00

Im RIS seit

20.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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