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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin und die Hofräte Dr. Sutter und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A M, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. März 2021, W257 2184113-1/11E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 3. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, eine außereheliche Beziehung mit einem Mädchen geführt zu haben, weshalb er befürchte, von der Familie des Mädchens getötet zu werden. Zudem gab er an, jedenfalls seine Religion ändern zu wollen.
2 Mit Bescheid vom 12. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, sprach aus, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG - soweit für das vorliegende Verfahren wesentlich - aus, dass der Revisionswerber hinsichtlich der vorgebrachten Bedrohung durch die Familie des Mädchens, mit dem er eine außereheliche Beziehung gehabt habe, keine Verfolgung habe glaubhaft machen können. Betreffend die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgebrachte Konversion zum Christentum erwog das BVwG, dass der Revisionswerber zwar über rudimentäre Kenntnisse über die christliche Glaubenslehre verfüge, diese jedoch nicht verinnerlicht habe und im Ergebnis einen inneren Wertewandel nicht habe aufzeigen können. Die Anträge des Revisionswerbers, zwei namentlich genannte Zeug:innen zum Beweis seiner inneren Konversion einzuvernehmen, seien abzulehnen, weil diese zum einen zu knapp vor der mündlichen Verhandlung gestellt worden seien und zum anderen auch die Zeug:innenaussagen nichts daran zu ändern vermögen würden, dass der Revisionswerber die christliche Glaubenslehre nicht verinnerlicht habe.
5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache u.a. geltend macht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Ablehnung von Beweisanträgen sowie zur antizipierenden Beweiswürdigung abgewichen, weil es dem Antrag des Revisionswerbers, zwei Zeug:innen zum Beweis seiner Konversion zu laden, nicht stattgegeben habe, ohne dies ausreichend zu begründen. Zudem sei der Zeitraum von der Übernahme der Ladung am 12. März 2021 bis zur Einbringung des Antrags auf Zeug:inneneinvernahme am 26. März 2021 nicht als außergewöhnlich lange anzusehen, weil sich der Revisionswerber in dieser Zeit einen rechtsfreundlichen Vertreter suchen, mit diesem in der Folge sein Verfahren und mögliche Beweisanträge erst besprechen, diese vorbereiten und noch einbringen habe müssen. Das BVwG habe außerdem disloziert und aktenwidrig festgestellt, dass gegen den Revisionswerber ein laufendes Strafverfahren anhängig sei, obwohl dieses Strafverfahren nachweislich nicht den Revisionswerber betreffe, und habe dieses Strafverfahren zur Begründung der Rückkehrentscheidung herangezogen.
6 Das Übergehen der genannten Beweisanträge (nämlich der Einvernahme des Pastors der christlichen Gemeinde und der ehemaligen Lehrerin und langjährigen Betreuerin des Revisionswerbers) stelle - so die Revision - insofern einen relevanten Verfahrensmangel dar, als auf Basis der Zeug:innenaussagen festgestellt worden wäre, dass der Revisionswerber aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei. Die Zeug:innen hätten angeben können, dass sich der Revisionswerber nachhaltig und aus innerer Überzeugung vom Islam abgewandt habe und seit Jahren keinen Aspekt dieses Glaubens mehr lebe. Weiters hätten sie dem BVwG berichtet, dass das Christentum seit spätestens Anfang 2018 einen wesentlichen Platz im Leben des Revisionswerbers einnehme und er die Gottesdienste der iranisch-christlichen Gemeinde nicht nur aus Interesse, sondern einem tiefsitzenden Bedürfnis besuche. Da der Revisionswerber - so hätten die Zeug:innen weiter angeben können - seinen neuen Glauben auch im Alltag lebe, christliche Feiertage feiere und bete, könne er sich nicht mehr vorstellen, auf diesen zu verzichten. Die Vernehmung hätte gezeigt, dass der Revisionswerber aus innerer Überzeugung einen Glaubenswechsel vollzogen habe und es sich dabei um ein wesentliches, identitätsstiftendes Merkmal handle, auf das er auch im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan nicht verzichten könne.
7 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung der konvertierten Person an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von zeugenschaftlichen Aussagen und einer konkreten Befragung der asylwerbenden Person zu ihren religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. ausführlich VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).
11 Beweisanträgen ist grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint; dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen. Solange einem zeugenschaftlichen Beweis die grundsätzliche Eignung, zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen, nicht abgesprochen werden kann, wäre in einer Feststellung der belangten Behörde, der Zeuge bzw. die Zeugin hätte ohnedies nichts Wesentliches beitragen können, eine unzulässige vorwegnehmende Beweiswürdigung gelegen (vgl. VwGH 4.8.2021, Ra 2021/18/0204, mwN; sowie VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426).
12 Im gegenständlichen Fall hat der Revisionswerber zum Nachweis seiner ernsthaften Konversion zum Christentum u.a. die Einvernahme zweier namentlich genannter Zeug:innen (u.a. eines Pastors) beantragt.
13 Diesem Beweisantrag kam das BVwG mit einer nicht tragfähigen Begründung nicht nach: Es stützte sich einerseits darauf, dass der Revisionswerber den Antrag auf Einvernahme erst zwei Werktage vor der mündlichen Verhandlung eingebracht und das BVwG somit keine Möglichkeit mehr gehabt habe, die Zeug:innen für die Verhandlung zu laden. Andererseits führte das BVwG aus, dass auch (die) einschlägige(n) Zeug:innenaussagen nichts daran zu ändern vermögen würden, dass der Revisionswerber die christliche Glaubenslehre nicht verinnerlicht habe und diese zu keinem Bestandteil seines Lebens oder seiner Persönlichkeit geworden sei.
14 Unabhängig davon, dass das BVwG im Revisionsfall nicht daran gehindert war, aufgrund des knappen Zeitraumes zwischen der Antragstellung auf Einvernahme und der mündlichen Verhandlung einen neuen bzw. weiteren Termin für die mündliche Verhandlung festzusetzen, um die Ladung der Zeug:innen zu gewährleisten, durfte die Aufnahme der beantragten Beweise nicht mit der Begründung abgelehnt werden, das BVwG sei bereits vom Gegenteil der zu beweisenden Tatsache überzeugt. Eine solche Sichtweise stellt nämlich, wie die Revision zutreffend ausführt, eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung dar (vgl. erneut VwGH 4.8.2021, Ra 2021/18/0204, mwN).
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. Dezember 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180206.L00Im RIS seit
20.01.2022Zuletzt aktualisiert am
25.01.2022