TE OGH 2021/11/16 1Ob189/21g

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Veröffentlicht am 16.11.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers S*, vertreten durch Dr. Christian Widl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin A*, vertreten durch Dr. Silvia Franek, Rechtsanwältin in Baden, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. August 2021, GZ 45 R 156/21f-24, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 22. Februar 2021, GZ 8 Fam 7/20h-18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]       Die Streitteile heirateten 1993, die Ehe wurde mit Urteil vom 14. 1. 2019 geschieden.

[2]            Der Mann erwarb vor Eheschließung Nutzungsrechte an einer Genossenschaftswohnung, für deren Finanzierung (Eigenmittelbeiträge, Ausstattung und Möblierung) er insgesamt 1.572.000 ATS (114.242 EUR) aufwendete. Während der Ehe leisteten die Parteien Eigenmittelbeiträge von rund 200.000 ATS (14.532 EUR), wovon 50.000 ATS (3.634 EUR) aus einem der Frau von ihrer Mutter geschenkten Betrag und der Rest aus ehelichen Ersparnissen stammten.

[3]            Der Mann pachtete 2005 einen Kleingarten mit einem Haus. Die Ehegatten investierten zwischen 2005 bis 2008 insgesamt 70.000 EUR aus ehelichen Mitteln in die Renovierung und Ausstattung des Kleingartenhauses.

[4]            2014 erhielt der Mann von seinem Arbeitgeber anlässlich der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses eine Einmalzahlung von rund 304.000 EUR. Damit finanzierte er unter anderem die Anschaffung eines Motorrads, im Übrigen gab er „bedeutende Teile“ dieses Betrags für den laufenden (luxuriösen) Lebensaufwand der Ehegatten aus. Um 100.000 EUR erwarb er Wertpapiere, die er nach einem Jahr mit einem Wertverlust von 6 % wieder verkaufte.

[5]            Trotz aller Streitigkeiten fand die Gestaltung des ehelichen Lebens (Alltags- und finanzielle Angelegenheiten) auch in den letzten Ehejahren im Einvernehmen statt, wobei sich beide an den anfallenden Kosten beteiligten. Im März 2018 zog der Mann – nach einem Streit mit der Frau – in das Kleingartenhaus bzw zu seiner Freundin. Die Frau wohnt weiter in der Ehewohnung, deren Betriebskosten der Mann zahlt.

[6]       Beide Ehegatten beantragten die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse.

[7]            Das Erstgericht ging davon aus, dass die ehemalige Ehewohnung (Genossenschaftswohnung) sowie der Kleingarten nicht der Aufteilung unterlägen, jedoch „Gegenstand des Aufteilungsverfahrens“ seien. Es wies sowohl die Ehewohnung als auch die Pachtrechte am Kleingarten (jeweils samt „Inventar und Ausstattung“) dem Mann zu und verpflichtete ihn zur Leistung einer Ausgleichszahlung von 110.000 EUR, die es wie folgt bemaß:

[8]            Da die Frau zur Finanzierung der Genossenschaftswohnung 50.000 ATS aus einem ihr von einem Dritten geschenkten Vermögen aufgewendet habe und dafür weitere eheliche Mittel in Höhe von 150.000 ATS verwendet worden seien, stehe ihr insoweit ein Ausgleich in Höhe von 125.000 ATS (rund 9.000 EUR) zu. Für die aus ehelichem Vermögen erfolgten Investitionen in Höhe von 70.000 EUR in das Kleingartenhaus stehe der Frau ein weiterer Ausgleichsbetrag von 35.000 EUR zu. Hinsichtlich der dem Mann bei Beendigung seines Dienstverhältnisses zugeflossenen Einmalzahlung von rund 304.000 EUR „sei ihm zuzubilligen, bis zur Beendigung der ehelichen Gemeinschaft im März 2018 monatlich 3.000 EUR (für 45 Monate seit Erhalt der Zahlung sohin 135.000 EUR) als Einkommensersatz verwendet zu haben“. Der Restbetrag von 169.000 EUR sei „als Ersparnis zu bewerten“, wovon die Hälfte (84.500 EUR) bei der Bemessung der Ausgleichszahlung zu berücksichtigen sei. Zusammengefasst ergebe sich somit ein Ausgleichsbetrag von 128.500 EUR. Da die Frau den in der unentgeltlichen Weiterbenutzung der Ehewohnung und der dadurch bewirkten Ersparnis von Aufwendungen gelegenen (vom Erstgericht mit 20.400 EUR bemessenen) Vorteil auszugleichen habe, erscheine insgesamt eine Ausgleichszahlung von 110.000 EUR angemessen.

[9]                     Das nur vom Mann angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es erachtete die Feststellungen als ausreichend, um den Zeitpunkt der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft den es ebenso wie das Erstgericht mit März 2018 annahm – beurteilen zu können. Die erstinstanzliche Aufteilungsentscheidung entspreche insgesamt auch hinsichtlich der „Einbeziehung eines Investitionsvolumens von 70.000 EUR betreffend das Kleingartenobjekt in die Aufteilungsmasse“ – dem Grundsatz der Billigkeit. Die dem Mann von seinem ehemaligen Dienstgeber geleistete Einmalzahlung sei als eheliche Ersparnis „zu behandeln“, soweit sie nicht verbraucht wurde, was nach der vom Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung getroffenen Feststellung auf einen Betrag von 169.000 EUR zutreffe. Mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG sei der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[10]           Der dagegen vom Mann erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch zulässig, weil die Vorinstanzen von den in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse abgewichen sind; er ist mit seinem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

[11]           1. Der Revisionsrekurswerber behauptet eine mangelhafte Fassung der Rekursentscheidung gemäß § 57 Z 1 iVm § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG. Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen jener des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (RIS-Justiz RS0121710). Der dort geregelte Nichtigkeitsgrund läge aber nur vor, wenn eine mangelhafte Begründung der Entscheidung deren Überprüfung hindern würde (RS0121710 [T1]), die Entscheidung also etwa gar nicht oder bloß so unzureichend begründet wäre, dass sie sich nicht überprüfen ließe (RS0007484; RS0042133 [T6, T10 und T11]). Davon kann hier keine Rede sein.

[12]                    2. Im Revisionsrekurs können nur die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten erstinstanzlichen Verfahrensmängel geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint wurden. Sonstige, nicht unter § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG subsumierbare und vom Rekursgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung in § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG, die nur Mängel des Rekursverfahrens erfasst, in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RS0030748 [T14, T15]).

[13]                    3. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG). Dieser Revisionsrekursgrund kann auch nicht als Ersatz für eine im Revisionsrekursverfahren unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (RS0117019; 1 Ob 149/20y zum Außerstreitverfahren).

[14]                    4.1. Beim Begriff der „ehelichen Lebensgemeinschaft“ handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der nicht bloß die räumliche Gemeinschaft der Ehegatten, sondern die in § 90 ABGB umschriebene Ehegemeinschaft als Inbegriff der häuslichen, geistig-seelisch-körperlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Gemeinsamkeit der Ehegatten umfasst (RS0057316 [T1]). Aus den erstinstanzlichen Feststellungen ergibt sich, dass sich der Mann im März 2018 nach einem Streit „in das Kleingartenhaus bzw zu seiner Freundin zurückzog“, woraus die Vorinstanzen auf eine Aufhebung der Ehegemeinschaft zu diesem Zeitpunkt schlossen. Dies begegnet keinen Bedenken.

[15]           4.2. Der Revisionsrekurswerber zeigt zutreffend auf, dass den erstinstanzlichen Feststellungen nicht entnommen werden kann, in welchem Umfang die ihm bei Auflösung seines Dienstverhältnisses zugeflossene Einmalzahlung von rund 305.000 EUR bei Auflösung der ehelichen Gemeinschaft – als für den Umfang der Aufteilungsmasse maßgeblichem Zeitpunkt (RS0057331 [T15]) – noch in der Aufteilungsmasse vorhanden war. Das Erstgericht ging davon aus, dass „bedeutende Teile“ dieses Betrags „zur Begleichung des Lebensaufwands“ verwendet wurden und der Mann damit unter anderem ein Motorrad finanzierte. Konkrete Feststellungen zu dem bei Auflösung der Ehegemeinschaft noch vorhandenen Teil dieses Betrags fehlen jedoch. Es bedarf daher insoweit einer Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage.

[16]           Dass das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung davon ausging, es sei dem Mann „zuzubilligen“, einen Betrag von 135.000 EUR „als Einkommensersatz verwendet zu haben“, wohingegen ein Teilbetrag von 169.000 EUR „als Ersparnis zu werten“ sei, kann nicht als Feststellung des bei Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft noch vorhandenen Geldbetrags angesehen werden. Das Erstgericht berücksichtigte damit vielmehr nur die unterschiedlichen Zwecke der „unter dem Titel Sozialplan und Abfertigung sowie vorzeitige Auszahlung einer Betriebspension“ geleisteten Einmalzahlung. Diese wären auch im weiteren Verfahren, sollte sich in diesem ergeben, dass die Einmalzahlung zum Aufteilungsstichtag zumindest teilweise noch vorhanden war, zu beachten.

[17]           4.3. Der Revisionsrekurswerber weist zu Recht auch darauf hin, dass die aus ehelichen Mitteln erfolgten Investitionen in den vom Mann gepachteten Kleingarten (in das darauf befindliche Haus sowie einen Whirlpool) nur insoweit der Aufteilung unterliegen, als das damit geschaffene Vermögen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Aufteilungsanordnung noch wertmäßig vorhanden war. Während für den Umfang der Aufteilungsmasse der Zeitpunkt der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft maßgebend ist (RS0057331 [T15]), kommt es für die Bewertung grundsätzlich – sofern Wertveränderungen ohne weiteres Zutun eines der Streitteile eintraten – auf den Zeitpunkt der Auseinandersetzung, also der Entscheidung des Gerichts erster Instanz an (vgl RS0057613). Die mit ehelichen Mitteln bewirkte Wertsteigerung eines Vermögensgegenstands unterliegt als eheliche Errungenschaft somit nur mit jenem Betrag der Aufteilung, der zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Aufteilungsentscheidung wertmäßig noch vorhanden ist.

[18]           Im vorliegenden Fall fehlen die für eine billige Aufteilung notwendigen (vgl 1 Ob 188/16b) Feststellungen zum Wert der Investitionen in das Kleingartenhaus zu diesem Bewertungsstichtag, was einen weiteren, zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führenden Feststellungsmangel begründet. Dass bei der Aufteilungsentscheidung nicht streng rechnerisch vorzugehen ist, sondern unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu bemessende Pauschalzahlungen aufzuerlegen sind (RS0057596), vermag die Aufteilung eines (allenfalls) nicht vorhandenen Vermögenswerts – entgegen der Ansicht des Rekursgerichts – nicht zu rechtfertigen.

[19]           5. Der Kostenvorbehalt beruht darauf, dass noch keine die Sache zur Gänze erledigende Entscheidung im Sinn des § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG vorliegt (vgl RS0123011 [T5]).

Textnummer

E133576

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00189.21G.1116.000

Im RIS seit

20.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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