Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* H*, vertreten durch die Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH, *, vertreten durch die DORDA Rechtsanwälte GmbH, Wien, und die Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH als Insolvenzverwalterin der *bank * Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH, Wiener Neustadt, wegen 13.736,15 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Rekursgericht vom 8. Juni 2021, GZ 1 R 117/21h-16, mit dem infolge Rekurses der Nebenintervenientin der Beschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 12. April 2021, GZ 22 C 329/20y-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin die mit 1.017,90 EUR (darin enthalten 169,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte war in den Jahren 2006 bis 2018 Abschlussprüferin der *bank * Aktiengesellschaft (in der Folge als „Bank“ bezeichnet) und erteilte für diese Jahre zunächst uneingeschränkte Bestätigungsvermerke. Mit Mandatsbescheid vom 14. 7. 2020 wurde der Bank die Fortführung des Geschäftsbetriebs untersagt. In der Folge wurde über das Vermögen der Bank der Konkurs eröffnet und die Beitrittswerberin zur Insolvenzverwalterin bestellt.
[2] Die Klägerin begehrt von der beklagten Abschlussprüferin 13.736,15 EUR an Schadenersatz für den durch fehlerhafte Abschlussprüfungen erlittenen Ausfall ihrer Spareinlagen bei der Bank. Aufgrund der veröffentlichten Konzern- und Jahresabschlüsse sei sie davon ausgegangen, dass es sich um ein seriöses und solide wirtschaftendes Kreditinstitut gehandelt habe. Tatsächlich sei die Bank bereits seit 2006 insolvenzreif gewesen. Die Insolvenz sei nur durch Bilanzfälschungen abgewendet worden; insbesondere seien der Abschlussprüfung gefälschte Bankbriefe zugrunde gelegen, die tatsächlich nicht bestehende hohe Guthaben bei Drittbanken ausgewiesen hätten. Dies hätte der Beklagten bei Einhaltung der anzuwendenden Prüfungsstandards auffallen müssen. Bei pflichtgemäßem Vorgehen hätte die Beklagte den Bestätigungsvermerk versagt; dann hätte die Klägerin ab 2017 keine Gelder bei der Bank mehr angelegt. § 69 Abs 5 IO stehe ihrer Klage nicht entgegen, weil die Beklagte kein zur Konkursanmeldung verpflichtetes Organ der Bank sei.
[3] Die Beklagte wendete ein, die Bankprüfungen seien ordnungsgemäß durchgeführt worden. Es liege kein ersatzfähiger unmittelbarer Schaden vor. Wenn überhaupt, habe nur die prüfpflichtige Bank Schadenersatzansprüche. Schadenersatzansprüche der Bank bzw der Insolvenzmasse würden bei Zuteilung des Haftungsfonds gegenüber Drittansprüchen Vorrang genießen. Nach § 69 Abs 5 IO könne die Klägerin ihre Ansprüche erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens geltend machen.
[4] Nach Streitverkündung der Beklagten trat die Insolvenzverwalterin der Bank dem Verfahren auf deren Seite bei und brachte vor, für die behaupteten Schäden sei lediglich die Schuldnerin gemäß § 69 Abs 5 IO aktiv klagelegitimiert und sie habe überdies selbst Ansprüche in Höhe von 20 Mio EUR gegen die Beklagte wegen fehlerhafter Bank- und Abschlussprüfung geltend gemacht. Ein Obsiegen der Klägerin würde zur Verkürzung ihrer Ansprüche führen.
[5] Die Klägerin beantragte die Zurückweisung der Nebenintervention.
[6] Das Erstgericht wies den Beitritt der Schuldnerin als Nebenintervenientin zurück. Die Beitrittswerberin mache gegen die Beklagte vor dem Handelsgericht Wien Schadenersatzansprüche geltend und werfe dieser ebenfalls pflichtwidriges Verhalten vor, indem diese uneingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt hätte, obwohl Verfälschungen der Bankbücher und Jahresabschlüsse der Bank bei der Prüfung auffallen und die Erteilung von Versagungsvermerken zur Folge haben hätten müssen. Das Interesse der Beitrittswerberin sei bloß ein wirtschaftliches. § 69 Abs 5 IO sei nicht anwendbar.
[7] Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung ab und ließ die Nebenintervention zu. Rechtlich führte es aus, die Beitrittswerberin habe ein rechtliches Interesse am Obsiegen der Beklagten und zugleich am Nachrang der Klägerin. Für einen Vorrang des Anspruchs der geprüften (mittlerweile insolventen) Gesellschaft, die ihre Ansprüche gegen die Beklagte bereits gerichtlich geltend gemacht habe, spreche einerseits, dass die Beitrittswerberin allein die Kosten für die Buchprüfung getragen habe, und andererseits, dass eine primäre Schadloshaltung der Bank bis zur Höhe der Haftungssumme letztlich auch im Interesse sämtlicher Insolvenzgläubiger (und damit auch der Klägerin selbst), liege.
[8] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil die Frage des rechtlichen Interesses des Insolvenzverwalters „in der hier vorliegenden Konstellation“ über den bloßen Einzelfall hinausgehe und sich aus der höchstgerichtlichen Judikatur keine eindeutige Lösung ableiten lasse.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der – von der Nebenintervenientin beantwortete – Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
[10] 1. Wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Person obsiegt, kann dieser Partei nach § 17 Abs 1 ZPO im Rechtsstreit beitreten. Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient dann, wenn die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse hinausgeht (RIS-Justiz RS0035724).
[11] Im Allgemeinen ist ein rechtliches Interesse dann gegeben, wenn die Rechtslage des Dritten durch das Obsiegen der Hauptpartei verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RS0035724 [T3]).
[12] 2. Allein der Nebenintervenient hat infolge des Zurückweisungsantrags sein rechtliches Interesse zu konkretisieren und zu bescheinigen. Die Zulässigkeit der Nebenintervention darf nicht aus anderen als den von ihm vorgebrachten Tatsachen abgeleitet werden (RS0035678).
[13] 3. § 275 Abs 2 UGB verpflichtet den Abschlussprüfer einer prüfpflichtigen Gesellschaft, gewissenhaft und unparteiisch zu prüfen. Verletzt er diese Pflicht – vorsätzlich oder fahrlässig – und entsteht der Gesellschaft daraus ein Schaden, ist er zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet. Eine Besonderheit der Abschlussprüferhaftung ist, dass diese nur bei vorsätzlichen Prüffehlern sowie einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht oder des Verwertungsverbots unbeschränkt ist. Für fahrlässige Prüffehler enthält § 275 Abs 2 UGB gestaffelte Haftungshöchstsummen, die sich an der Größe der geprüften Gesellschaft orientieren. Diese Regelung gilt auch für Bankprüfer, wobei § 62a BWG abweichende Haftungshöchstsummen, gestaffelt nach der Höhe der Bilanzsumme des jeweiligen Kreditinstituts, vorsieht.
[14] 4. Nach herrschender Auffassung, auf die sich auch die Klägerin stützt, wirkt § 275 UGB über die Verantwortlichkeit des Abschlussprüfers als (eigentliches) Schutzgesetz (nur) zu Gunsten jener Gesellschaft, die ihn bestellt hat (Reischauer in Rummel3 § 1311 ABGB Rz 4 mwN), jedoch entfaltet der Vertrag zwischen dem Abschlussprüfer und der geprüften Gesellschaft auch Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter, die den Kreis der potentiellen Gläubiger der Gesellschaft umfasst. Stellt ein Abschlussprüfer schuldhaft einen unrichtigen Bestätigungsvermerk aus, kann er Dritten, die im Vertrauen auf die Verlässlichkeit dieses Bestätigungsvermerks disponiert haben und dadurch einen Schaden erleiden, ersatzpflichtig werden (RS0116076; RS0116077; RS0129123; 3 Ob 230/12p = SZ 2013/3; 8 Ob 93/14f = SZ 2015/105, jeweils mwN; vgl RS0037785).
[15] 5.1. Der Oberste Gerichtshof hat sich in den Entscheidungen zu 8 Ob 94/16f (= RS0131576 = SZ 2017/75 = RWZ 2017/59, 286 [Wenger] = ÖBA 2018/2475, 504 [Warto], dazu C. Völkl, Abwicklung von Dritthaftungsansprüchen gegen Abschlussprüfer – OGH 8 Ob 94/16f und 9 Ob 70/16h, RdW 2018, 80; Karner/Perner/Spitzer, Forum für Zivilrecht in Traunkirchen: OGH Cercle 20. 9. 2017, ÖJZ 2018/91, 686 [694 f]) und zu 9 Ob 70/16h mit der Frage auseinandergesetzt, wie mit Schadenersatzansprüchen geschädigter Dritter umgegangen werden soll, die die Haftungsgrenzen des § 275 Abs 2 UGB übersteigen, und diese dahin beantwortet, dass eine Aufteilung nach dem Prioritätsprinzip zu erfolgen hat. Die Aufteilung des Haftungsbetrags nach § 275 Abs 2 UGB erfolgt daher nach dieser Judikatur im Bereich der Dritthaftung nach dem Prioritätsprinzip. In diesen Entscheidungen ging der Oberste Gerichtshof nicht auf das Verhältnis von Ersatzansprüchen der geprüften Gesellschaft zu solchen von dritten Geschädigten ein.
[16] 5.2. Zur Frage nach dem Verhältnis zwischen der geprüften Gesellschaft und geschädigten Dritten bei der Aufteilung der Haftungshöchstsummen nach § 275 Abs 2 UGB und § 62a BWG wird in der Literatur überwiegend die Meinung vertreten, dass der geprüften Gesellschaft bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Abschlussprüfer ein Vorrang gegenüber geschädigten Dritten zukomme, wobei die Anwendung der betraglichen Grenzen auch auf Dritte unumgänglich sei (vgl Gelter in Bertl/Mandl, Handbuch zum Rechnungslegungsgesetz, § 275 UGB Rz 139 [23. Lfg, Juli 2020]; Knobl in Laurer/M. Schütz/Kammel/Ratka, BWG4 § 62a Rz 15; Dellinger/Told in Dellinger, Kommentar zum Bankwesengesetz, § 62a Rz 34, jeweils mwN). Begründet wird dies unter anderem damit, dass der Abschlussprüfer primär im Auftrag und zum Schutz der prüfpflichtigen Gesellschaft tätig wird (Artmann, Die Haftung des Abschlussprüfers für Schäden Dritter, JBl 2000, 623 [633]; dieselbe, Neues zur Haftung des Abschlussprüfers, RdW 2007, 323 [324 f]; Vavrovsky, Zur Haftung des Bankprüfers, ÖBA 2001, 577 [586]; Baumgartner/H. Torggler/U. Torggler, Zur Haftungs-begrenzung bei der „Dritthaftung“ des Abschlussprüfers, in FS Koppensteiner [2016] 33; Gelter aaO § 275 UGB Rz 139). Der durch die Rechtsfortbildung entwickelte zusätzliche Schutz Dritter könne keinesfalls zu einer Aushöhlung des Haftungsanspruchs der prüfpflichtigen Gesellschaft führen; vielmehr sei eine gewisse Bevorzugung der Gesellschaft und verbundener Unternehmen gesetzlich indiziert (Karollus, Die Haftungshöchstgrenze bei der Dritthaftung des Abschlussprüfers de lege lata und de lege ferenda, RdW 2006, 389 [396]; Gelter aaO; Dellinger/Told in Zib/Dellinger, UGB Großkommentar [2015] § 275 UGB Rz 71 [Gläubiger der Gesellschaft könnten aufgrund ihrer Ansprüche gegen diese unter Umständen ohnedies auch auf deren Vermögen greifen]). Die Einbeziehung Dritter in den Schutzzweck eines Vertrags könne nicht dazu führen, dass der eigentliche Vertragspartner seine Rechte aus diesem Prüfvertrag – für welchen er ja ein Entgelt bezahlt – nicht mehr oder nur eingeschränkt geltend machen könne. Niemand schließe ein Vertragsverhältnis und bezahle dafür auch noch ein Entgelt, nur damit der Vertragspartner in der Folge gegenüber Dritten – und gegenüber einem selbst nur mehr eingeschränkt oder unter Umständen überhaupt nicht mehr – hafte (Jenny/Stipanitz, Konsequenzen der Haftungsbeschränkung nach § 275 Abs 2 UGB bzw § 62a BWG, ÖBA 2021, 677 [680]). Alles andere als ein Vorrang der Gesellschaft würde zu einer Ungleichbehandlung führen und hätte – bezogen auf Gesellschafter – die Umgehung der insolvenzrechtlichen Nachrangigkeit zu Lasten der Konkursgläubiger zur Folge (Völkl in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG3 § 275 Rz 93/10). Teilweise wird auch vertreten, dass der ersatzfähige Schaden des Dritten der Höhe nach regelmäßig erst feststehe, wenn der Ersatzanspruch der Gesellschaft befriedigt oder verjährt sei (U. Torggler, Unbeschränkte Dritthaftung des Abschlussprüfers?, wbl 2001, 545 [553]).
[17] 5.3. Nach Leupold (Dritthaftung des Abschlussprüfers – Verjährung und Verteilung [Teil II], Zak 2013, 411) ist der generelle Vorrang von Schadenersatzansprüchen der Gesellschaft nicht verallgemeinerungsfähig. Vielmehr müsse – wie bei der Haftung für Insolvenzverschleppung nach § 69 Abs 5 IO – zwischen Alt- und Neugläubigern unterschieden werden. Übertrage man die Grundsätze des § 69 Abs 5 IO auf die Abschlussprüfung, werde deutlich, dass jene Gläubiger, die der Gesellschaft aufgrund des fehlerhaften Bestätigungsvermerks Kredit gewähren, Anleihen zeichnen oder Gesellschaftsanteile erwerben, funktionell den Neugläubigern entsprechen und den Vertrauensschaden ersetzt bekommen müssten. Für diese Gläubiger gelte der Vorrang der geprüften Gesellschaft daher nicht. Dem stünden die Altgläubiger gegenüber, also solche Gläubiger, die ohnehin nur den Quotenschaden ersetzt bekämen. Wie nach § 69 Abs 5 IO hätten diese Gläubiger jedoch den Vorrang der geprüften Gesellschaft gegen sich gelten zu lassen. Diese Ansicht wird erkennbar auch von G. Kodek (Insolvenzrecht [2021] Rz 1065) befürwortet, der ausführt, dass eine derartige Differenzierung zudem dazu führe, dass während eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der geprüften Gesellschaft keine Individualansprüche durch die Insolvenzgläubiger geltend gemacht werden könnten.
[18] 5.4. Generell gegen einen Vorrang eines allfälligen Anspruchs der Gesellschaft gegen den Abschlussprüfer gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft spricht sich Kalss (Die Geltendmachung von Ersatzansprüchen von Gläubigern gegen den Abschlussprüfer, GesRZ 2020, 300 [302 ff]) aus: Die Ansprüche beruhten auf der gleichen Haftungsgrundlage, nämlich dem Prüfungsverhältnis zwischen der geprüften Gesellschaft und dem Abschlussprüfer. Der Zweck der Prüfung und Offenlegung des Prüfungsergebnisses (Bestätigungsvermerk) diene sowohl dem Schutz der Gesellschaft als auch gegenüber Dritten und sei im Vertrag angelegt. Der Zweck der Haftungsbeschränkung, nämlich die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Wirtschaftstreuhänders, werde dadurch in keiner Weise in Frage gestellt. Die einheitliche dogmatische Grundlage, die parallele Beschränkung der Haftung und die Einheitlichkeit der Verjährung zeigten klar die Gleichstellung von Gesellschaft und Gläubigern (im Ergebnis ähnlich Fadinger/Seeber, Windhunderennen oder Quote im Fall Commerzialbank – Geschädigte vs Bankprüfer?, ÖBA 2020, 773 ff).
[19] 6. Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RS0035638). Die Rechtsprechung anerkennt beispielsweise die Nebenintervention dann, wenn einem Dritten in einem Folgeprozess Regressansprüche als Folge des Prozessverlusts der Partei im Hauptprozess drohen (RS0106173 [T2]), wobei es ausreicht, wenn der Nebenintervenient einen solchen befürchteten Rückgriff plausibel darstellen kann. Die denkbaren rechtlichen Schritte in einem drohenden Regressprozess müssen vom Nebenintervenienten nicht im Einzelnen konkret dargelegt werden (RS0035638 [T8]; RS0035724 [T9]; RS0106173 [T5, T7]); eine detaillierte Vorwegprüfung möglicher Regressansprüche hat im Streit um die Zulässigkeit des Beitritts als Nebenintervenient also nicht zu erfolgen (6 Ob 140/12z; zuletzt 4 Ob 196/20g mwN).
[20] Ein ähnlicher Maßstab ist auch auf den Fall des Beitritts (des Insolvenzverwalters) einer Bank als Nebenintervenientin im Prozess der Einlegerin gegen die Bankprüferin wegen eines behauptetermaßen schuldhaft unrichtig erteilten Bestätigungsvermerks anzulegen. Der Insolvenzverwalter argumentiert, die Masse habe ein rechtliches Interesse am Obsiegen der Beklagten; sie habe selbst Ansprüche gegen die Beklagte wegen fehlerhafter Bank- und Abschlussprüfung (gerichtlich) geltend gemacht und ein Obsiegen der Klägerin könne zu einer Verkürzung der Ansprüche der Masse führen, weil ihren aus § 275 Abs 2 UGB iVm § 63a BWG abgeleiteten Ansprüchen Vorrang gegenüber dritten Gläubigern zukomme. Wie dargelegt, hat eine detaillierte Vorwegprüfung, ob tatsächlich ein solcher Vorrang besteht, im Streit um die Zulässigkeit des Beitritts als Nebenintervenientin nicht zu erfolgen. Vielmehr genügt die plausible Darlegung des rechtlichen Interesses am Streitbeitritt. Dieses besteht hier darin – im Fall der Bejahung einer Haftung dem Grunde nach – einen Zuspruch an die Klägerin, der die von der Nebenintervenientin behaupteten Rechte verkürzen könnte, wegen ihres Anspruchsvorrangs zu verhindern.
[21] § 275 Abs 2 UGB iVm § 62a BWG ist primär als Haftungsnorm gegenüber der geprüften Gesellschaft konzipiert (8 Ob 94/16f). Nach der überwiegenden Ansicht in der Literatur ist im Hinblick auf den Wortlaut des § 275 Abs 2 UGB (iVm § 62a BWB) und den primären Zweck der Abschlussprüfung, die Gesellschaft zu schützen, im Fall der Fahrlässigkeit des Abschlussprüfers eine vorrangige Befriedigung von Ansprüchen der geprüften Gesellschaft im Rahmen der Haftungsbeschränkung abzuleiten. Ohne dass diese Verteilungsfrage im Verfahren über den Beitritt einer Nebenintervenientin geklärt werden müsste, bestünde bei einem (allfälligen) Vorrang ihrer Ansprüche jedenfalls ein rechtliches Interesse der Masse am Obsiegen der Beklagten im Prozess gegen die klagende Anlegerin. Solange nicht eindeutig rechtlich geklärt ist (der Gesetzgeber überließ die Klarstellung der Rechtsprechung „und der zukünftigen Gesetzgebung“; vgl 641 BlgNR 21. GP, 96), dass das Vorrangprinzip in dieser Konkurrenzsituation nicht zur Anwendung gelangt, ist auch der in der Literatur (Gelter aaO § 275 UGB Rz 139 unter Bezugnahme auf OLG Wien 4 R 160/06x = ZIK 2007, 60 = Zak 2007, 97; diesem folgend Jenny/Stipanitz aaO 682) vertretenen Ansicht der Revisionsrekursgegnerin zu folgen, dass die geprüfte Gesellschaft bzw deren Insolvenzverwalter dem vom Dritten angestrengten Prozess als Nebenintervenient beitreten kann. Die in der Judikatur noch nicht geklärte und in der Literatur umstrittene Vorrangfrage ist Gegenstand der Sachentscheidung und im Hauptverfahren – unter Beteiligung der Beklagten – abzuhandeln. Da ein Einfluss auf die rechtliche Sphäre der Nebenintervenientin vorher nicht ausgeschlossen werden kann, ist ihr Interventionsinteresse zu bejahen.
[22] 7. Dem Revisionsrekurs ist daher nicht Folge zu geben.
[23] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Es handelt sich um einen Zwischenstreit zwischen der Beitretenden und der die Zulässigkeit des Beitritts bestreitenden Klägerin (Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.382 mwN).
Textnummer
E133575European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00185.21V.1116.000Im RIS seit
20.01.2022Zuletzt aktualisiert am
20.01.2022