Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. Dezember 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Konzett und Mag. Brunar als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Frank in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 8. Jänner 2020, GZ D 1/17, D 13/17, D 14/17-38, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, sowie des Verteidigers Mag. Srndic zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Teilfreispruch enthaltenden Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat er im Verfahren AZ 23 Cga 186/11g des Arbeits- und Sozialgerichts Wien als Vertreter des Beklagten * W* gegen die Klägerin S* GmbH in seinem Schriftsatz vom 20. März 2017 ausgeführt:
„Der Beklagte konnte insbesondere die von der Klägerin als 'Betrugsfälle' (vgl. Seite 6 im Schriftsatz vom 28. 02. 2017) angeführten Verträge deshalb nicht mehr bedienen, weil ihm die Klägerin selbst ab April 2011 (siehe Feststellungen im Strafurteil des LG Eisenstadt 7 Hv 59/12m) keine Zahlungen mehr leistete.
Oder anders ausgedrückt:
Die Klägerin selbst, in personam Mag. T*, verursachte den Umstand, dass der Beklagte abgeschlossene Verträge nicht mehr bedienen konnte. Nachdem diese Vorgehensweise schuldhaft rechtswidrig war, dem Beklagten in seinem Vermögen dadurch ein Schade letztlich alleine schon durch die strafrechtliche Verurteilung 7 Hv 59/16m [ersichtlich gemeint: 7 Hv 59/12m] LG Eisenstadt verursacht wurde, ist seitens des Beklagten beabsichtigt, den hierfür verantwortlichen Entscheidungsträger der Klägerin, Herrn Mag. * T*, jedenfalls dann in Anspruch zu nehmen, wenn der Kläger im gegenständlichen Prozess unterliegen sollte. Gleichermaßen ist im Grunde des tatsächlichen Geschehensablaufes im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verurteilung eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens angedacht“,
und dadurch entgegen dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 14. April 2014, AZ 7 Hv 59/12m, mit dem * W* – verteidigt durch den Beschuldigten – wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs zum Nachteil der S* GmbH verurteilt worden war, und entgegen dem rechtskräftigen Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 6. Juni 2015, AZ 33 Cga 8/12f, mit dem die Klage des – vom Beschuldigten vertretenen – * W* abgewiesen und dabei in der Urteilsbegründung festgehalten worden war, dass das Nichtauszahlen von Provisionsvorschüssen keine Vertragsverletzung durch die S* GmbH gewesen war, ein wissentlich unrichtiges (Mag. T* belastendes) Vorbringen erstattet.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen wegen Vorliegens der Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a sowie 10a StPO und wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung des Beschuldigten geht fehl.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) hat der Disziplinarrat den Antrag auf Vernehmung des * W* als Zeugen zum Beweis dafür, dass „die vorgetragene Prozessbehauptung nicht wissentlich unrichtig ist“ (ON 37 S 203 iVm ON 10 S 92), zu Recht abgewiesen. Da der Antrag – entgegen § 55 Abs 1 letzter Satz StPO (hier iVm § 77 Abs 3 DSt) – nicht erkennen ließ, weswegen das Beweismittel geeignet sein könnte, das Beweisthema zu klären, war er nämlich auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS-Justiz RS0099453 [T29] und RS0118444 [T6]). Die in der Berufung zur Antragsfundierung nachgetragenen Argumente sind aufgrund des aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierenden (13 Os 32/12y) Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618 [T16 und T24]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).
[5] Die Mängelrüge (Z 5) kritisiert die Feststellung, wonach der Beschuldigte wissentlich ein unrichtiges Vorbringen erstattet hat, als undeutlich, unvollständig und offensichtlich unzureichend begründet.
[6] Undeutlichkeit im Sinn der Z 5 erster Fall ist gegeben, wenn – nach Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, somit aus objektiver Sicht – nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten, also für den (hier) Berufungswerber und das Rechtsmittelgericht, unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt worden oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS-Justiz RS0117995 [insbesondere T3 und T4]). Weshalb die – eingehend begründete (ES 13 bis 15) – Feststellung, wonach der Beschuldigte ein den ihm bekannten rechtskräftigen Entscheidungen des Landesgerichts Eisenstadt vom 14. April 2014, AZ 7 Hv 59/12m, und des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 6. Juni 2015, AZ 33 Cga 8/12f, widersprechendes und solcherart wissentlich unrichtiges Vorbringen erstattet hat, mangelhaft im Sinn dieses Nichtigkeitsgrundes sein soll, ist nicht ersichtlich.
[7] Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Erkenntnis dann, wenn (hier) der Disziplinarrat bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) erhebliche, in der mündlichen Verhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (13 Os 138/03, SSt 2003/93; RIS-Justiz RS0118316). Da die Berufung kein Verfahrensergebnis nennt, das aus ihrer Sicht der angesprochenen Feststellung erörterungsbedürftig entgegensteht, bringt sie den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungskonform zur Darstellung.
[8] Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung, die den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (14 Os 72/02, SSt 64/39; RIS-Justiz RS0116732 und RS0118317). Aus diesem Blickwinkel ist die Begründung der in Rede stehenden Feststellung, wonach der Beschuldigte * W* in den Verfahren AZ 7 Hv 59/12m des Landesgerichts Eisenstadt und AZ 33 Cga 8/12f des Arbeits- und Sozialgerichts Wien rechtsfreundlich vertreten, um die Rechtskraft der in diesen Verfahren ergangenen Urteile gewusst und dennoch ein diesen rechtskräftigen Urteilen widersprechendes Vorbringen erstattet hat, nicht zu beanstanden.
[9] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) fehlende Feststellungen zur subjektiven Tatseite einwendet, dabei aber die vom Disziplinarrat gerade hiezu getroffenen Feststellungen (ES 14 f) übergeht, verfehlt sie den – im festgestellten Sachverhalt liegenden – Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).
[10] Soweit die Berufung den inkriminierten Äußerungen einen anderen Bedeutungsinhalt beimisst als der Disziplinarrat, gilt Entsprechendes, weil auch jener auf der Feststellungsebene angesiedelt ist (RIS-Justiz RS0092437).
[11] Da eine diversionelle Erledigung im DSt nicht vorgesehen ist, steht auch der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10a im Verfahren nach dem DSt nicht offen (vgl 27 Ds 2/18b).
[12] Der Disziplinarrat erschloss die zentrale Feststellung, wonach der Beschuldigte im Verfahren AZ 23 Cga 186/11g des Arbeits- und Sozialgerichts Wien wissentlich ein unrichtiges, den Entscheidungsträger der S* GmbH Mag. T* belastendes Vorbringen erstattet hat, aus dem Umstand, dass dieses Vorbringen dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 14. April 2014, AZ 7 Hv 59/12m, widersprach und der Beschuldigte * W* im diesbezüglichen Strafverfahren vertreten hat. Indem die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (teils disloziert im Rahmen der Mängelrüge und der Rechtsrüge) den inkriminierten Äußerungen anhand eigener Beweiswerterwägungen einen anderen Bedeutungsinhalt beimisst als der Disziplinarrat, vermag sie keine Bedenken an der Lösung der Schuldfrage zu wecken.
[13] Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 5.000 Euro und wertete dabei eine ungetilgte Disziplinarstrafe als erschwerend, keinen Umstand als mildernd.
[14] Im Hinblick darauf, dass bei der Strafbemessung im anwaltlichen Disziplinarverfahren die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sinngemäß anzuwenden sind (RIS-Justiz RS0054839), entfernt sich der Berufungseinwand, wonach es einen besonderen Milderungsgrund darstelle, dass der Beschuldigte „in seiner langjährigen Karriere erst einen Schuldspruch aufweist“, vom Gesetz (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB).
[15] Ausgehend von den um den Erschwerungsgrund des § 33 Abs 1 Z 1 StGB zu ergänzenden Strafbemessungsgründen erweist sich auf der Grundlage der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten (§ 16 Abs 6 DSt) die ausgesprochene Sanktion einer Reduktion nicht zugänglich.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
Textnummer
E133564European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0230DS00001.20D.1215.000Im RIS seit
20.01.2022Zuletzt aktualisiert am
20.01.2022