Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagte Partei B*Aktiengesellschaft, *, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. August 2021, GZ 3 R 22/21h-21, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 10. März 2021, GZ 541 Cg 11/20g-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der bereits in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung über den Gegenveröffentlichungsantrag der beklagten Partei unberührt bleiben, werden im Übrigen dahin abgeändert, dass sie wie folgt zu lauten haben:
1. Die beklagte Partei ist schuldig, es binnen drei Monaten im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen, in Verbraucherkreditverträgen, bei denen es zur Stundung nach § 2 des 2. COVID-19-JuBG kommt, für die Zeit der Stundung dem Konto weiterhin Sollzinsen anzulasten und/oder in der Folge, auch in Form erhöhter Pauschalraten, zu verlangen, oder sinngleiche Praktiken anzuwenden.
2. Der klagenden Partei wird die Ermächtigung erteilt, den klagestattgebenden Teil des Urteilsspruchs im Umfang des Unterlassungsbegehrens und der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Samstagsausgabe des redaktionellen Teils der „Kronen-Zeitung“, bundesweit erscheinende Ausgabe, auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleich großer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 16.601,12 EUR (hierin enthalten 1.657,52 EUR USt und 6.656 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist ein klageberechtigter Verein iSd § 29 KSchG, die Beklagte ist eine österreichweit tätige Bank, die laufend Verträge mit Verbrauchern abschließt.
[2] Die Beklagte stellt im Internet Informationen zu Kreditstundungen nach dem 2. COVID-19-JuBG zur Verfügung. Unter der Frage „Kostet die Stundung etwas? Zahle ich trotzdem weiter Stundungsentgelt?“ steht folgender Hinweis:
„Nein, unabhängig von den gesetzlichen Regelungen zu den Stundungen hat die [Beklagte] entschieden, das Stundungsentgelt gemäß Preisblatt 'Entgelte und gesetzliche Gebühren für Verbraucher- und Kommerzkredite' in der Höhe von 50 EUR pro genehmigter Stundung bis Ende Oktober nicht einzuheben. Dies gilt sowohl für Privat- als auch Kommerzkunden. Während der gesetzlichen Stundung werden für das aushaftende Kapital nach unserer Auslegung des 2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetzes die Sollzinsen Ihrem Kreditkonto weiterhin angelastet. Sie müssen diese allerdings während des gestundeten Zeitraums nicht bezahlen, sondern diese werden im Anschluss auf die restlichen Raten bis zum Laufzeitende verteilt. Dadurch erhöhen sich Ihre monatlichen Raten.“
[3] Eine entsprechende Stundungsregelung wird von der Beklagten unstrittig angewendet. Unstrittig ist weiters ihre vorprozessuale Weigerung, eine Unterlassungserklärung abzugeben.
[4] Im Fall der Klagestattgebung würde sie drei Monate benötigen, um ihre EDV-Systeme bezüglich der Zinsbuchungen anzupassen.
[5] Der Kläger brachte zu seinem aus dem Spruch ersichtlichen Begehren im Wesentlichen vor, die von der Beklagten angewendete Stundungsregelung widerspreche § 2 des 2. COVID-19-JuBG und beeinträchtige dadurch die allgemeinen Interessen der Verbraucher. Die genannte Bestimmung sehe für vor dem 15. März 2020 abgeschlossene Verbraucherkreditverträge unter bestimmten Voraussetzungen eine gesetzliche Stundung der Ansprüche des Kreditgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen vor, die zwischen 1. April 2020 und 31. Jänner 2021 fällig würden, und enthalte keine ausdrückliche Regelung, die es dem Kreditgeber ermögliche, während des Stundungszeitraums weiterhin Sollzinsen zu verlangen.
[6] Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, ihre Befugnis zur Verrechnung von Sollzinsen ergebe sich bereits aus den Kreditverträgen. Sie verstoße damit auch nicht gegen die Vorgaben des § 2 Abs 1 2. COVID-19-JuBG. Der Zweck des Gesetzes liege nur darin, dass der Verbraucher im Stundungszeitraum nicht zahlen müsse und sich der Kreditvertrag um die Dauer der Stundung verlängere, nicht jedoch im Entfall von Sollzinsen. Schon definitionsgemäß habe die Stundung keine andere Wirkung auf den Vertrag als die nachträgliche Änderung der Fälligkeit. Schon aus dem Gesetzeswortlaut gehe eindeutig hervor, dass während des gesetzlichen Stundungszeitraums die vereinbarten Sollzinsen weiter anfielen. Das Gesetz regle auch nicht, dass es zu einem Entfall von Sollzinsen (zu einer zinslosen Stundung) komme. Gegenteiliges wäre auch mit dem ursprünglichen Vertragsgefüge unvereinbar, weil ansonsten das vertragliche Gegenseitigkeitsverhältnis ausgehebelt würde.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ebenso ab wie den Gegenveröffentlichungsantrag der Beklagten. § 2 Abs 1 2. COVID-19-JuBG ordne offenkundig die Stundung und nicht den Entfall der Ansprüche des Kreditgebers an, die im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 31. Jänner 2021 fällig würden. Anderes ergebe sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien. Da es sich um eine echte Stundung handle, werde die ursprüngliche Fälligkeit hinausgeschoben und der Verbraucher gerate mit den gestundeten Raten nicht in Verzug. Der Zweck der Bestimmung liege in einer auf gewisse Zeit begrenzten Entlastung der Kreditnehmer. Dem werde durch die gesetzliche Stundung und dadurch Rechnung getragen, dass sich mangels anderer Vereinbarung die Vertragslaufzeit automatisch um die Zeit der Stundung verlängere. Es komme daher in keinem Monat der Vertragslaufzeit zu einer Doppelbelastung in Form von zwei zu zahlenden Raten.
[8] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge. Ein Verbot der Verrechnung von Sollzinsen sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Im Schrifttum werde überzeugend begründet, dass Sollzinsen auch für den Stundungszeitraum weiter anfielen. Es seien zwar keine Verzugszinsen zu zahlen, jedoch bestehe die Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Kreditzinsen weiter, sodass sie auch auf die gestundeten Beträge bis zu ihrer späteren Begleichung zu leisten seien; allerdings seien auch die vereinbarten Kreditzinsen gestundet. Weder dem Gesetz noch den Materialien sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber auch nur kurzfristig zinsenlose Darlehen vorsehen habe wollen. Der Rechtsansicht der Klägerin, aus § 2 Abs 6 2. COVID-19-JuBG ergebe sich, dass der Kreditgeber mangels Vereinbarung das Recht verliere, für den Stundungszeitraum Zinsen zu verlangen, sei zu entgegnen, dass diese Norm zur Frage der Verrechnung von Sollzinsen keine Aussage treffe, sondern nur festlege, dass sich der Kreditvertrag mangels einvernehmlicher Regelung um die Dauer der Stundung verlängere und sich sämtliche vertraglichen Zahlungen entsprechend verschieben.
[9] Das Berufungsgericht ließ (nur) hinsichtlich der Entscheidung über die Berufung des Klägers die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 2 des 2. COVID-19-JuBG fehle.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.
[11] 1. § 2 des 2. COVID-19-JuBG idgF lautet auszugsweise wie folgt:
(1) Für Verbraucherkreditverträge, die vor dem 15. März 2020 abgeschlossen wurden, gilt, dass Ansprüche des Kreditgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen 1. April 2020 und 31. Jänner 2021 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von zehn Monaten gestundet werden, wenn der Verbraucher aufgrund der durch die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einkommensausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. [...] Für die Dauer der Stundung befindet sich der Kreditnehmer mit der Zahlung dieser Leistungen nicht in Verzug; während dieser Zeit fallen daher keine Verzugszinsen an. [...]
(3) Die Vertragsparteien können von den Regelungen des Abs 1 abweichende Vereinbarungen treffen, insbesondere über mögliche Teilleistungen, Zins- und Tilgungsanpassungen oder Umschuldungen.
[…]
(5) Der Kreditgeber soll dem Verbraucher ein Gespräch über die Möglichkeit einer einvernehmlichen Regelung und über mögliche Unterstützungsmaßnahmen anbieten. Für dieses können auch Fernkommunikationsmittel genutzt werden.
(6) Kommt eine einvernehmliche Regelung für den Zeitraum nach dem 31. Jänner 2021 nicht zustande, so verlängert sich die Vertragslaufzeit um zehn Monate. Die jeweilige Fälligkeit der vertraglichen Leistungen wird um diese Frist hinausgeschoben. […]
[12] 2. Zwischen den Parteien ist zu Recht nicht strittig, dass § 2 Abs 1 des 2. COVID-19-JuBG auch hinsichtlich der im Kreditvertrag vereinbarten (Soll-)Zinsen eine gesetzliche Stundung anordnete. Insofern ist den Vorinstanzen jedenfalls dahin zuzustimmen, dass diese Bestimmung kein Verbot der Verrechnung von Sollzinsen für diesen Zeitraum beinhaltet, wenngleich auch die Zinsen gesetzlich gestundet wurden. Anders als Verzugszinsen fallen die vertraglich vereinbarten (Soll-)Zinsen also grundsätzlich auch während des Stundungszeitraums an (vgl Riss/Winner/Wolfbauer, Banken und Kreditmoratorium: zwischen Skylla und Charybdis, ZFR 2020/71, 161; Kellner/Liebel, Das gesetzliche COVID-19-Kreditmoratorium. Eine Analyse der gesetzlichen Stundung von Krediten nach dem 2. COVID-19-JuBG, ÖJZ 2020/80, 629 [636]; Koch, Die Stundung von Zahlungen bei Kreditverträgen nach dem 2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetz, ÖBA 2020, 330 [339]; Schett, Stundung für Kredite von Verbrauchern und Kleinstunternehmern als COVID-19-Maßnahme, RdW 2020, 313 [316]).
[13] 3. § 2 Abs 1 des 2. COVID-19-JuBG ordnet nicht eine die Fälligkeit unberührt lassende reine Stundung (der Eintreibung), sondern eine echte, die vertragliche Fälligkeit verschiebende Stundung an (vgl nur Koch, ÖBA 2020, 330 [339] mwN).
[14] 4. Es liegt auf der Hand, dass sich – außerhalb des Anwendungsbereichs des 2. COVID-19-JuBG – eine Bank gegenüber ihrem Kreditnehmer im Normalfall nur dann zur Gewährung einer echten Stundung bereit finden wird, wenn der Kreditnehmer auch für diesen Zeitraum die vertraglichen Sollzinsen trägt, sei es bereits im Stundungszeitraum, sei es im Nachhinein durch Leistung entsprechend erhöhter Kreditraten. Auch das 2. COVID-19-JuBG eröffnete in seinem § 2 Abs 3 den Banken die Möglichkeit, solche Vereinbarungen mit ihren Kreditnehmern zu treffen. Aufgrund des vom Gesetzgeber eingeräumten weiten Gestaltungsspielraums könnten Kreditgeber und Kreditnehmer etwa kürzere oder längere Stundungsfristen ebenso vereinbaren wie eine von § 2 Abs 6 leg cit abweichende Verlängerung der (restlichen) Laufzeit des Kreditvertrags oder die Heranziehung von sonstigen Vermögenswerten des Kreditnehmers zur Rückzahlung (vgl Koch, ÖBA 2020, 330 [337]; ebenso Kellner/Liebel, ÖJZ 2020/80, 629 [635]).
[15] 5. Sofern jedoch – was im vorliegenden Verbandsprozess zugrunde zu legen ist – zwischen den Vertragsparteien keine einvernehmliche Regelung zustande kam, trat gemäß § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG eine automatische Verlängerung der Laufzeit des Kreditvertrags um den zehnmonatigen Stundungszeitraum ein. Für diesen Fall bestimmt das Gesetz dezidiert, dass die jeweilige Fälligkeit der vertraglichen Leistungen um diese Frist hinausgeschoben wird. Auf diese Weise sollte nach der Absicht des Gesetzgebers vermieden werden, dass mit Ablauf des Moratoriumszeitraums die bis dahin gesetzlich gestundeten Ansprüche und die nach diesem Zeitpunkt wieder regulär fällig werdenden Ansprüche parallel zu erfüllen sind. Es soll also im Anschluss an die gesetzliche Stundung der Vertrag wie ursprünglich vereinbart fortgesetzt werden, nur wird die Fälligkeit jeder einzelnen Leistung für den gesamten Vertrag um (letztlich) zehn Monate verschoben (vgl Koch, ÖBA 2020, 330 [339] mwN), dh es kommt zu einer Änderung des Tilgungsplans (Riss/Winner/Wolfbauer, ZFR 2020/71, 161). Folglich wurden die an sich im April 2020 fälligen Sollzinsen erst im Februar 2021 fällig, die an sich im Mai 2020 fälligen erst im März 2021 usw.
[16] 6. Ausgehend davon ist aber für die Vorgangsweise der Beklagten, ihren Kreditnehmern (mangels einvernehmlicher Vereinbarung) die kraft gesetzlicher Anordnung erst beginnend mit Februar 2021 monatlich fällig werdenden Sollzinsen für die Monate April 2020 bis Jänner 2021 durch entsprechende Erhöhung der Monatsraten ab Februar 2021 – also zusätzlich – anzulasten, kein Raum. Dass § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG zu einer Verpflichtung des Kreditnehmers zur Leistung von (in diesem Sinn zusätzlichen) Sollzinsen nichts aussagt, spricht in Wahrheit nicht für, sondern gegen die Auffassung der Vorinstanzen: Hätte der Gesetzgeber vorgehabt, die Kreditnehmer im Anwendungsbereich des § 2 Abs 1 leg cit für den Fall des Nichtzustandekommens einer Vereinbarung mit dem Kreditgeber im Ergebnis mit den Sollzinsen für den Zeitraum der gesetzlichen Stundung – also für zehn Monate mehr als bei Abschluss des Kreditvertrags vorgesehen – zu belasten, wäre es nämlich naheliegend gewesen, dies in irgendeiner Form in der Regelung über die Fälligkeit der zunächst gestundeten Zahlungen festzuhalten (in diesem Sinn Haghofer, COVID-19-Pandemie: Gesetzgeber schützt betroffene Kreditnehmer, VbR 2020/52, 84 [88]). Soweit Koch (ÖBA 2020, 330 [339]) dagegen ins Treffen führt, dass es im Gegenteil dem Vertragsgefüge unter Berücksichtigung der §§ 998 und 1335 ABGB viel besser entspräche, den Zinsenlauf bis zur neuen Fälligkeit des Kapitals fortzusetzen als ihn – stillschweigend – entfallen zu lassen, mag dies grundsätzlich durchaus zutreffen; allerdings übersieht er dabei den einer solchen Auslegung entgegenstehenden Wortlaut des § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG.
[17] 6. Soweit die Beklagte damit argumentiert, dass die Sollzinsen Entgelt für die Kapitalüberlassung und daher vom Kreditnehmer auch für den Zeitraum der gesetzlichen Stundung zu zahlen seien, ist ihr Folgendes zu erwidern:
[18] 6.1. Es liegt auf der Hand, dass das vom Gesetzgeber angeordnete Kreditmoratorium für (letztlich) zehn Monate mangels einer einvernehmlichen Regelung zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer, die (auch) insoweit einen Ausgleich schaffen könnte, entweder zu einer finanziellen Mehrbelastung des Kreditnehmers (durch seine Verpflichtung, für weitere zehn Monate Kreditlaufzeit Sollzinsen zahlen zu müssen) oder aber dazu führen muss, dass der Kreditgeber das (restliche) Kapital erst zehn Monate später erhält, ohne für diese zusätzliche Kreditlaufzeit ein „Entgelt“ (Sollzinsen) zu erhalten.
[19] 6.2. In den Anwendungsbereich des § 2 des 2. COVID-19-JuBG fallen gerade nicht (regelmäßig revolvierend ausnutzbare) Geschäftskredite, sondern (abgesehen von der in § 2 Abs 7 leg cit angeordneten Erstreckung dieser Regelung auf Kleinstunternehmen) Verbraucherkredite; solche werden üblicherweise zur (teilweisen) Finanzierung größerer Anschaffungen (insbesondere Liegenschaften, Kraftfahrzeuge etc) aufgenommen. Durch die Verzögerung der Tilgung des Kredits um zehn Monate ist für einen Kreditnehmer, der durch höhere Gewalt (in Form der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie) in eine wirtschaftliche Notlage geraten ist, daher typischerweise kein finanzieller Nutzen in dem Sinn verbunden, dass er das Geld länger „für sich arbeiten lassen“ kann; vielmehr soll er durch die gesetzliche Stundung vor dem Abgleiten in eine Überschuldung bewahrt werden (vgl Haghofer, VbR 2020/52, 84).
[20] 6.3. Vor diesem Hintergrund ist aber die aus § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG hervorgehende Wertung des Gesetzgebers, den Kreditnehmer mangels Zustandekommens einer Vereinbarung mit dem Kreditgeber von der Verpflichtung zur Leistung von Sollzinsen für einen gegenüber der kreditvertraglichen Regelung um zehn Monate längeren Zeitraum zu entlasten, durchaus nachvollziehbar.
[21] 7. Das Argument der Beklagten, bei einer solchen Auslegung des § 2 Abs 6 leg cit würde den Kreditnehmern jeglicher Anreiz fehlen, mit der Bank eine einvernehmliche Regelung zu treffen, lässt sich genauso gut ins Gegenteil verkehren: Legte man die genannte Bestimmung im Sinn des Standpunkts der Beklagten aus, wäre nicht ersichtlich, inwiefern die Bank Interesse daran haben könnte, den Kreditnehmern im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung in irgendeiner Form entgegenzukommen. Insofern ist dem Kläger dahin zuzustimmen, dass § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG mangels einvernehmlicher Regelung als „Notlösung“ beinhaltet, dass sich der vom Verbraucher aufgrund des Kreditvertrags insgesamt zu zahlende Gesamtbetrag aufgrund der Stundung nicht erhöhen darf.
[22] 8. Dem Klagebegehren ist daher stattzugeben.
[23] 9. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 41 iVm § 54 Abs 1a ZPO und hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E133578European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00189.21X.1222.000Im RIS seit
20.01.2022Zuletzt aktualisiert am
20.01.2022