TE Vfgh Erkenntnis 1994/10/12 B446/93

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Veröffentlicht am 12.10.1994
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
DSt 1990 §1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die neuerliche Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt nach aufhebendem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes; Einleitungsbeschluß bloß prozeßleitende Verfügung; keine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK durch eine überlange Verfahrensdauer im Hinblick auf die Schwere der disziplinären Vorwürfe, die Komplexität des Sachverhaltes und die Notwendigkeit eines zweiten Rechtsganges nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird daher abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 15. Jänner 1987 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt

"a) seine Honorarforderungen für die Vertretung der Ehegatten

J und B B nicht durch tarifmäßig erstellte Honorarnoten bekanntgegeben, sondern offenbar übermäßige Pauschalbeträge von

S 250.000,-- und S 400.000,-- als seine Honorarforderung an die Sparkasse L abgetreten zu haben, damit diese die Honorarforderungen für ihn gegen J und B B gerichtlich geltend macht;

b) am 19.5.1984 beim BG Lienz bei Abschluß des prätorischen Vergleiches 2 C580/84 zwischen der Sparkasse L als Klägerin und

J und B B als Beklagte nach §30 ZPO unter Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht für J und B B als Vertreter eingeschritten zu sein und sich in deren Vollmachtsnamen verpflichtet zu haben, an die Sparkasse L sofort neben dem gewährten Darlehen von

S 650.000,-- auch seine eigenen Kosten von S 250.000,-- und J B allein weitere S 400.000,--, alle Beträge mit 13.5 % Zinsen und 6 % Verzugszinsen, welche Kostenforderungen er an die Sparkasse L abgetreten hatte, zu bezahlen, ohne von B und J B zum Abschluß dieses Vergleiches bevollmächtigt worden zu sein und

c) im Zuge der anschließenden Exekutionsführung durch die Sparkasse L gegen J und B B auch zur Hereinbringung des Honorares von S 250.000,-- s.A. die ihm von seiner Klientin B B anvertraute Mitteilung, daß deren frühere Geschäftsführerin E K aus Griffen verschiedene Sachen aus ihrem Haus in Seeboden nach Griffen schaffte, dazu verwendet zu haben, daß er E K anrief und aufforderte, alle Sachen wieder ins Haus B nach Seeboden zu schaffen und hiebei E K empfahl, die Gendarmerie anzurufen und damit wahrheitswidrig den Anschein erweckt zu haben, daß bei der Gendarmerie bereits eine Anzeige wegen Wegschaffens von Sachen vorliege."

Er habe hiedurch die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes begangen, wofür er als Disziplinarstrafe zu einer Geldbuße verurteilt wurde.

1.2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) vom 7. September 1987 keine Folge gegeben.

1.3. Dieses Erkenntnis wurde aufgrund einer Beschwerde des Beschuldigten vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. Juni 1988, B1338/87 (= VfSlg. 11677/1988), wegen Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufgehoben, worauf mit Beschluß der OBDK vom 19. Dezember 1988 der Berufung Folge gegeben, das erstinstanzliche Erkenntnis aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten zurückverwiesen wurde.

Zur näheren Begründung wird auf das eben zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes verwiesen.

2.1. Im zweiten Rechtsgang vor dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten wurde der Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 19. April 1989 wie im ersten Rechtsgang für schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes in drei Fällen begangen zu haben, wofür er zu einer Geldstrafe in gleicher Höhe wie im ersten Rechtsgang verurteilt wurde.

2.2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschuldigten wurde mit Erkenntnis der OBDK vom 10. Juni 1991, Z Bkd 67/89 - 19, Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Disziplinarsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten zurückverwiesen.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, daß im Lichte des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 11677/1988 davon ausgegangen werde, daß der erkennende Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten (abermals) gesetzwidrig zusammengesetzt gewesen sei.

3.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und ein Verstoß gegen Art6 EMRK wegen überlanger Verfahrensdauer geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3.2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst, das angefochtene, den Disziplinarbescheid erster Instanz aufhebende und die Disziplinarsache an die Erstinstanz rückverweisende Erkenntnis der belangten Behörde verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weil der dem Verfahren zugrundeliegende Einleitungsbeschluß vom 16. Oktober 1986 von einem nicht gesetzmäßig konstituierten Disziplinarrat gefaßt worden sei. Liege aber ein gesetzmäßiger Einleitungsbeschluß nicht vor, so hätte die belangte Behörde in der Sache selbst entscheiden und den Beschwerdeführer wegen des Schuldaufhebungsgrundes der Verjährung freisprechen müssen. Eine rechtswidrige Inanspruchnahme der Strafkompetenz verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

4.1.2. Dieses Vorbringen ist schon deshalb nicht zielführend, weil, wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, es sich bei einem Einleitungsbeschluß lediglich um eine prozeßleitende Verfügung handelt. Daß der für das Disziplinarverfahren des Beschwerdeführers maßgebliche Einleitungsbeschluß vom 16. Oktober 1986 vom Disziplinarrat der Kärntner Rechtsanwaltskammer gefaßt wurde, wird auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Im übrigen genügt es, den Beschwerdeführer auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 1994 B413/93 und B1203/93 zu verweisen.

Die Behauptung des Beschwerdeführers, der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weil der für eine disziplinäre Verfolgung vorausgesetzte Einleitungsbeschluß nicht vorliege, trifft somit nicht zu.

4.2.1. Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, die überaus lange Verfahrensdauer verletze ihn im Hinblick auf die zwischen der am 16. Oktober 1986 erhobenen Anklage (gemeint offensichtlich der Einleitungsbeschluß) und der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf eine mehr als sechsjährige Verfahrensdauer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art6 EMRK, daß über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen (disziplinären) Anklage innerhalb angemessener Frist entschieden werde.

4.2.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht dieser Ansicht. Im Hinblick auf die Schwere der disziplinären Vorwürfe und die Komplexität des Sachverhaltes kann - auch unter Berücksichtigung, daß im Hinblick auf das unter 1.3. näher bezeichnete Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zwei Rechtsgänge erforderlich waren - von einer zu Art6 EMRK im Widerspruch stehenden Gesamtverfahrensdauer nicht gesprochen werden. Die behauptete Grundrechtsverletzung liegt somit nicht vor.

5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, fair trial

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B446.1993

Dokumentnummer

JFT_10058988_93B00446_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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