Entscheidungsdatum
09.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W176 2217175-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD über die Beschwerde des iranischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2019, Zl. 751166102-180322015, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. bis IV. sowie VII. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Hinsichtlich Spruchpunkt V. und VI. des Bescheides wird der Beschwerde hingegen stattgegeben und der Bescheid wie folgt abgeändert:
Spruchpunkt V. hat zu lauten: „Gemäß § 8 Abs. 3a Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von XXXX in den Herkunftsstaat IRAN unzulässig ist.“
Spruchpunkt VI. hat zu lauten: „Gemäß § 55 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab dem Zeitpunkt der Entlassung aus der Maßnahme.“
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX .08.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei seiner Erstbefragung nannte er als Fluchtgrund, aufgrund vorehelichem Sex mit seiner Verlobten im Iran Probleme bekommen zu haben. Die Familie seiner Verlobten habe dies herausgefunden und ihn angezeigt; deshalb habe er aus dem Iran fliehen müssen.
2. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am XXXX .12.2006 legte der Beschwerdeführer eingangs Kurzarztberichte vom 31.07.2006 und 21.11.2006 vor, aus denen hervorgeht, dass er von 16.07.2006 bis 02.08.2006 und 11.10.2006 bis 22.11.2006 aufgrund einer vorübergehenden akuten psychotischen Störung mit akuter Belastung (F23.21) bzw. einer schweren depressiven Störung mit psychotischen Symptomen (F33.3) mit der Differenzialdiagnose paranoider Schizophrenie (F20.0) in stationärer Spitalsbehandlung war.
Befragt nach seinen Fluchtgründen gab er an, seine Angaben im Rahmen seiner Erstbefragung seien nicht richtig. Vielmehr habe er den Iran deswegen verlassen, weil er am XXXX .07.2004 an einer Studentendemonstration in Teheran teilgenommen habe; im Zuge dessen sei es zu einer Auseinandersetzung mit Beamten gekommen, von denen ihm einer mit einem Messer in den Bauch gestochen habe. Anschließend sei er mit verbundenen Augen in ein Krankenhaus gebracht worden, wo er am Dünndarm operiert worden sei. Nach einem Monat sei es ihm mit Hilfe seines Vaters gelungen, aus dem Krankenhaus zu fliehen. Im Anschluss habe er sein Heimatland verlassen.
Darüber hinaus habe er in Österreich die Religion gewechselt. Er besuche seit drei Monaten die XXXX Kirche in Linz. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland würde er hingerichtet werden, weil er jetzt Christ sei.
3. Mit Bescheid vom 09.02.2007 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. ab (Spruchpunkt I.), erklärte dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß § 8 Absatz 1 leg. cit. für zulässig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Absatz 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran aus (Spruchpunkt III.).
4. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer rechtzeitig Berufung (nunmehr: Beschwerde) ein.
5. Am 19.05.2007 wurde der Beschwerdeführer in der XXXX in Linz getauft.
6. Bei einer Einvernahme am XXXX .01.2009 gaben die nach Österreich nachgereisten Eltern des Beschwerdeführers übereinstimmend an, dass dessen Narbe in der Bauchgegend von einer Operation stammen würde, die der Beschwerdeführer im Kindesalter aufgrund einer Darmerkrankung gehabt habe.
7. Die Grundversorgung des Landes Salzburg teilte mit Schreiben vom 17.06.2009 mit, dass die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe in den Herkunftsstaat zurückgekehrt seien.
8. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15.02.2010 wurde der Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.02.2007 gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
9. Am XXXX .05.2010 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt ergänzend einvernommen und gab dabei im Wesentlichen Folgendes an:
Die von ihm bisher vorgebrachten Fluchtgründe seien falsch, er habe im Iran keine Probleme gehabt und sei legal ausgereist. Er sei jedoch vor drei oder vier Jahren zum Christentum übergetreten und sei nunmehr Protestant. Er sei im Mai 2007 getauft worden und habe zuvor einen Taufvorbereitungskurs besucht; er sei durch andere Iraner, die in seiner Flüchtlingspension gewohnt haben, in Kontakt mit dem Christentum gekommen; diese hätten ihn in die XXXX Kirche eingeladen. Ausschlaggebend für seine Konversion zum Christentum sei sein Aufenthalt im Krankenhaus im Jahr 2006 gewesen; er sei krank gewesen und habe starke Depressionen gehabt. Er habe dann zu Jesus Christus gebetet, damit er gesund werde, und sei so dann auch gesund geworden.
10. Mit Beschluss des Landesgericht Wels vom 02.03.2010 wurde über den Beschwerdeführer die Untersuchungshaft wegen der Vergehen der schweren Nötigung, der gefährlichen Drohung und der sexuellen Belästigung verhängt. Es sei anzunehmen, dass die Delikte in Zusammenhang mit dem akuten Krankheitsgeschehen in Zusammenhang gestanden seien. Es sei prinzipiell von einem chronischen Krankheitsbild auszugehen, welches eine dauernde medizinische Versorgung notwendig mache.
Mit Bericht der Forensischen Abteilung der Justizanstalt Wels vom 20.05.2010 wurde beim Beschwerdeführer eine schizoaffektive Störung F25.1 sowie Hepatitis C diagnostiziert.
11. Mit Strafurteil des Landesgerichtes Wels vom 07.07.2010, rechtskräftig seit 07.07.2010, wurde der Beschwerdeführer gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Der Beschwerdeführer habe Taten begangen, die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen der Gefährlichen Drohung (§ 107 Abs. 1 sowie § 107 Abs. 2 erster und dritter Fall StGB), als Vergehen der Freiheitsentziehung (§ 99 Abs. 1 StGB) sowie des Vergehens der schweren Nötigung (§§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 erster und dritter Fall StGB), zuzurechnen gewesen wären.
12. Im Auftrag des Bundesasylamtes erstellte Fr. Prim. Dr. A. K., Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Ärztin für psychotherapeutische Medizin und Primaria der Forensischen Abteilung des Landeskrankenhaus Wagner Jauregg in Linz, unter Zugrundelegung der Krankengeschichte und eigener psychiatrischer und neurologischer Untersuchungen des Beschwerdeführers am 20.07.2010 ein Gutachten. Darin wurde beim Beschwerdeführer das Vorliegen einer schizoaffektiven Störung F 25.0, der Verdacht auf dissoziale Persönlichkeitsstörung F 60.2 sowie Polytoxikomanie, derzeit abstinent unter beschützten Bedingungen F 19.21 diagnostiziert.
Die untersuchende Ärztin führte in ihrem Gutachten zusammengefasst aus, dass sich die Behandlung der akuten Episoden des Beschwerdeführers relativ erfolgreich gestaltete, die überdauernde prophylaktische Behandlung mangels Krankheits- und Behandlungseinsicht jedoch nie etabliert habe werden können. Der Beschwerdeführer habe sich danach auch aktuell, sowohl was die Erkrankung als auch das Behandlungserfordernis betrifft, nicht einsichtig gezeigt; mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wäre bei Absetzen der Medikation mit einer Latenz von einigen Monaten mit dem Wiederauftreten von Krankheitssymptomen zu rechnen. Auslöser dafür könnten Stress oder Belastungsfaktoren seien. Bei einem chronischen Verlauf, wie er beim Beschwerdeführer mittlerweile zu attestieren sei, sei allerdings auch ohne solche Belastungssituation mit einem Wiederauftreten von Erkrankungsepisoden zu rechnen, wobei die Erkrankung selbst nach geltender wissenschaftlicher Lehrmeinung hauptsächlich durch die genetische Bereitschaft bedingt sei. Der Beschwerdeführer zeige zudem auch Symptome einer wahnhaften Realitätsverkennung.
13. Mit Bescheid vom 01.10.2010 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 neuerlich ab, erklärte dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß § 8 Absatz 1 leg. cit. für zulässig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 AsylG 2005. aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran aus.
Das Bundesasylamt traf dazu u.a. Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer im Iran weder Probleme mit der Familie seiner Verlobten aufgrund vorehelichen Geschlechtsverkehrs gehabt habe noch am XXXX .07.2004 an einer Studentendemonstration in Teheran teilgenommen habe und es daher auch keine Auseinandersetzung mit Beamten gegeben habe. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei.
14. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof.
15. Mit Erkenntnis vom 28.12.2010 gab der Asylgerichtshof der Beschwerde – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – statt und erkannte dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 den Status des Asylberechtigten zu.
Begründend führte der Asylgerichtshof im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe glaubhaft machen können, dass er sich aus innerer Überzeugung dem Christentum zugewandt habe. Er sei am XXXX .05.2010 getauft worden, habe zuvor einen sechsmonatigen Taufvorbereitungskurs absolviert, lese regelmäßig in der Bibel und habe bis vor ungefähr eineinhalb Jahren regelmäßig an Versammlungen in seiner freichristlichen Kirchengemeinde teilgenommen. Er habe bereits an religiösen Wahnvorstellungen mit Missionierungsdrang gelitten XXXX . Der iranischen Botschaft sei demnach der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, dessen Identität und Inhaftierung bekannt und es könne daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die iranische Botschaft auch über die religiöse Abwendung des Beschwerdeführers vom Islam in Kenntnis sei.
Beim Beschwerdeführer sei demnach der Asylgrund der Religion gegeben, zumal aufgrund seiner krankheitsbedingten persönlichen Situation, die eine Verleugnung seines Glaubens nach außen hin völlig unmöglich erscheinen lassen, davon auszugehen sei, dass er seinen Glauben auch aktiv im Iran nach außen leben würde und ihm dieses Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit als Beitrag zur Missionierung muslimischer Iraner seitens iranischer Behörden ausgelegt werden würde.
16. Am 31.12.2013 wurde der Beschwerdeführer unter Setzung einer Probezeit von fünf Jahren und unter Anordnung von Bewährungshilfe aus der Maßnahme bedingt entlassen.
17. Laut Aktenvermerk der Landespolizeidirektion Wien vom XXXX 2015 wies der Beschwerdeführer sich am XXXX 2015 am Flughafen Wien-Schwechat mit einem Laissez-Passer aus und gab an, freiwillig die Heimreise in den Iran antreten zu wollen. Im Zuge der Amtshandlung wurde dem Beschwerdeführer die freiwillige Ausreise gestattet und dieser händigte freiwillig seinen Konventionspass aus. Als Flugroute konnte Wien-Iran um 11:55 Uhr eruiert werden.
18. Von XXXX 2015 bis XXXX 2015 war der Beschwerdeführer nicht aufrecht in Österreich gemeldet.
19. Am XXXX .12.2015 wurde der Beschwerdeführer im Transit-Flüchtlingszentrum Schärding aufgegriffen und aufgrund einer aufrechten Festnahmeanordnung festgenommen.
20. Mit Strafurteil des Landesgerichts XXXX , Zl. 13 Hv 115/14w, vom 28.01.2016, rechtskräftig seit 02.02.2016, wurde der Beschwerdeführer aufgrund der Vergehen der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und gemäß § 21 Abs. 2 StGB wiederum seine Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. Er wurde schuldig erkannt, zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Jahr 2012 sowie von Juni bis Juli 2014 in XXXX mit E.S., M.G. und S.G. trotz seiner florierenden Hepatitis-C-Infektion Handlungen begangen zu haben (ungeschützten Geschlechtsverkehr), die geeignet seien, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren und (beschränkt) meldepflichtigen Krankheit, nämlich Hepatitis-C, unter Menschen herbeizuführen.
Dabei stellte das Strafgericht – auf einem eingeholten psychiatrischen Gutachten beruhend – fest, dass beim Beschwerdeführer eine Persönlichkeitsstörung mit einer erhöhten Impulsivität, egozentrischen und dissozialen Verhaltensmuster bestehe. Eine Gleichwertigkeit mit einer psychotischen Störung liege nicht vor. Der Beschwerdeführer sei im Tatzeitpunkt in seiner Diskretions- und Dispositionsfähigkeit eingeschränkt gewesen, diese sei jedoch nicht aufgehoben gewesen. Da der Beschwerdeführer die Tathandlungen im Wissen der durch den Geschlechtsverkehr bestehenden Infektionsgefahr begangen habe, sei von einem fehlenden Einfühlungsvermögen und ausschließlich egozentrischer impulsiver Triebbefriedung auszugehen. Es würde sich in Zusammenhang mit der Gesamtanamnese narzisstische, dissoziale, histrionische emotional instabile und impulsive Anteile finden, sodass im Gesamten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung gegeben sei. Diese präge das gesamte Denken und Handeln des Beschwerdeführers und stelle somit eine geistig-seelische Abartigkeit höheren Grades dar. Aufgrund dieser beschriebenen geistig-seelischen Abartigkeit höheren Grades seien auch weiterhin ähnliche Tathandlungen wie die gegenständlichen Anlasstaten zu befürchten, nämlich Handlungen, die der egozentrischen impulsiven Triebbefriedigung dienen und die die Gefährdung anderer Personen in Kauf nehmen.
21. Im August 2018 leitete die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) ein Aberkennungsverfahren ein und teilte dem Beschwerdeführer mit Parteiengehör vom 07.08.2018 mit, dass, da er sich freiwillig in sein Heimatland begeben habe und den Konventionsreisepass abgegeben habe, beabsichtigt sei ihm den Status als Flüchtling in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran von Amts wegen abzuerkennen.
22. Mit Stellungnahme vom 23.08.2018 brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, im Jahr 2015 in den Iran gereist zu seien, weil seine Mutter schwer am Herzen erkrankt sei und er sie unbedingt habe besuchen wollen. Er sei deshalb zur iranischen Botschaft gegangen und habe sich ein Laissez-Passer ausstellen lassen. Seinen Konventionspass habe er am Flughafen Wien-Schwechat abgegeben, weil er mit diesem nicht in den Iran habe reisen dürfen. Die Reise in den Iran sei sehr gefährlich und ein großer Fehler gewesen. In einer manischen Phase könne er jedoch aufgrund seiner Erkrankung Gefahren nicht richtig abschätzen und er habe deshalb dem nachvollziehbaren Impuls, seiner Mutter bei ihrer Krankheit beizustehen, nachgegeben, ohne die Gefahr für sich selbst weiter zu beachten. Bereits drei Tage nach seiner Ankunft habe er jedoch eine Ladung vom Gericht bekommen. Da sei ihm die Gefahr bewusst geworden und er sei zurück nach Österreich geflogen. Er versuche die Befunde seiner Mutter über seine Schwester zu erlangen und diese so rasch wie möglich nachreichen. Er sei insgesamt eine Woche im Iran gewesen und nach einer Woche wieder zurück nach Österreich gereist. Er werde nie mehr in den Iran zurückkehren. Er ersuche um Verständnis dafür, dass er seiner Mutter habe beistehen wollen. Er habe sofort erkannt, wie gefährlich und leichtsinnig sein Verhalten gewesen sei als er die Ladung vom Gericht erhalten habe. Er sei sofort zurück nach Österreich geflogen. Er ersuche seine psychische Erkrankung zu berücksichtigen und allenfalls ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob er zum Zeitpunkt seiner Reise in den Iran voll dispositionsfähig gewesen sei. Es liege in der Natur einer Psychose, dass sie von der betroffenen Person selbst nicht erkannt werden könne, weil sich die Realität dabei verschiebe.
Bei einer Rückkehr in den Iran würde ihm sowohl aufgrund seiner Homosexualität als auch aufgrund seiner Konversion zum Christentum die Todesstrafe drohen. Er sei in Österreich wegen der Gefährdung der Übertragung einer Krankheit bei zwei homosexuellen Handlungen verurteilt worden und es sei nicht auszuschließen, dass die iranischen Behörden von den Gründen seiner Verurteilung in Österreich erfahren würden. Zudem würden bereits aufgrund der Ladung, die er unmittelbar nach seiner Einreise in den Iran im Jahr 2015 erhalten habe konkrete Hinweise bestehen, dass bereits ein Verfahren gegen ihn aufgrund seiner Konversion eingeleitet worden sei, an dessen Ende die Todesstrafe stehe.
23. Mit dem angefochtenen Bescheid erkannte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm nicht den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.), gewährte ihm eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise (VI.) und erließ gegen ihn ein Einreiseverbot in der Dauer von 7 Jahren (Spruchpunkt VII.).
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe sich freiwillig in die iranische Botschaft begangen und sich einen Laissez-Passer ausstellen lassen und sei daraufhin wieder in den Iran zurückgereist. Er habe sich daher freiwillig dem Schutz seines Herkunftsstaates unterstellt, weshalb ein Endigungsgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und somit ein Aberkennungsgrund nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG vorliege. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiären Schutz lägen ebenfalls nicht vor, zumal dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr keine reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK drohen würde; insbesondere wäre seine medizinische Versorgung im Iran gewährleistet.
Aufgrund der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten, insbesondere aufgrund der Einschätzung des psychiatrischen Gutachters im Strafurteil des Landesgerichtes XXXX vom 28.02.2016, wonach beim Beschwerdeführer aufgrund seiner geistig-seelischen Abartigkeit weiterhin ähnliche Tathandlungen wie die gegenständlichen zu befürchten seien, sei die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von sieben Jahren gerechtfertigt und notwendig.
24. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde mit dem primären Antrag den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben. Darin führte er zusammengefasst aus, er sei am 22.01.2015 von seiner Schwester angerufen und mitgeteilt worden, dass ihre Mutter einen Herzanfall erlitten habe und im Krankenhaus liege. Er habe zuvor heimlich seine Medikation abgesetzt, weil er sich gesund gefühlt habe, was jedoch nur ein Teil der Psychose gewesen sei. Tatsächlich sei er durch Absetzen der Medikation psychisch noch instabiler geworden. Dieser Zustand hätte sich dann durch diese Nachricht zusätzlich verschlechtert. Seine Einreise in den Iran sei unproblematisch gewesen. Er sei zu seiner Großmutter in Karaj außerhalb Teherans gefahren und habe dann am nächsten Tag seine Mutter im Krankenhaus besucht. Zwei Tage später habe ihm seine Schwester über die Zustellung einer gerichtlichen Ladung informiert, laut welcher er aufgefordert worden sei, binnen 14 Tagen bei Gericht zu erscheinen. Seine Schwester habe ihm dann 1000 EUR gegeben, womit er einen Schlepper habe bezahlen können, welcher ihm mit einem LKW über die Grenze in die Türkei gebracht habe. Danach habe er acht Monate in der Türkei als Autowäscher gearbeitet, um einen zweiten Schlepper Richtung Europa bezahlen zu können. Über die Balkanroute sei er dann letztlich nach Österreich in das Flüchtlingszentrum Schärding gelangt.
Bei seiner Reise in den Iran sei er aufgrund seiner psychotischen Erkrankung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dispositionsfähig gewesen. Er habe sich unfreiwillig, nämlich bei mangelnder Dispositionsfähigkeit nach Absetzen seiner Medikation trotz akuter Psychose und unter dem Druck, seine erkrankte Mutter nie wieder zu sehen, für eine Woche in den Iran begeben und diesen unverzüglich wegen konkreten Verfolgungshandlungen (gerichtlicher Ladungsbefehl) verlassen. Er sei nicht freiwillig in den Iran zurückgekehrt, weil er aufgrund seiner psychotischen Erkrankung nicht dispositionsfähig gewesen sei. Von Freiwilligkeit könne auch aufgrund des Notstandes, seiner erkrankten Mutter beizustehen, nicht gesprochen werden. Er habe auch seinen Konventionspass nicht freiwillig abgegeben, sondern dieser sei ihm von der Grenzpolizei abgenommen worden. Er habe nicht beabsichtigt sich unter den Schutz seines Heimatstaates zu stellen. Dies zeige sich auch darin, dass er bei der iranischen Botschaft keinen Pass, sondern lediglich ein einmaliges Laissez-Passer beantragt habe. Er habe auch von seinem Heimatstaat keinen Schutz erhalten, sondern sei – ganz im Gegenteil – bereits unmittelbar nach seiner Einreise konkreten staatlichen Verfolgungshandlungen (gerichtlicher Ladungsbefehl) ausgesetzt gewesen. Er habe daher erneut illegal aus dem Iran ausreisen müssen und in Österreich um Schutz ansuchen müssen. Überdies würde ihm aufgrund der von ihm vollzogenen homosexuellen Handlungen sowie seiner Konversion zum Christentum im Iran die Todesstrafe drohen, weshalb eine Abschiebung in den Iran seine Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK verletzen würde.
25. Mit Strafurteil des Landesgerichts Wels vom 07.07.2020, rechtskräftig seit 07.07.2020, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs. 1 dritter Fall StGB), des Vergehens der schweren Körperverletzung (§§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB) sowie des Vergehens der Sachbeschädigung (§ 125 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und gemäß § 21 Abs. 2 StGB (wiederum) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
26. Am XXXX .11.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in welcher der Beschwerdeführer mittels Videokonferenz aus der Justizanstalt XXXX und unter Zuziehung einer Vertrauensperson des Sozialen Dienstes als Partei befragt wurde.
27. Am 02.02.2021 brachte der evangelische Anstaltsseelsorger der Justizanstalt XXXX ein Schreiben ein, in welcher er zusammengefasst ausführte, dass der Beschwerdeführer anfangs während seines Aufenthaltes in der Justizanstalt in einer sehr schlechten psychischen Verfassung gewesen sei. Er habe dann jedoch so bald wie möglich den monatlichen Gottesdienst besucht. Die wenigen Gottesdienste, die bis zum zweiten Lockdown stattgefunden hätten, habe der Beschwerdeführer mit wenigen Ausnahmen besucht. Er sei sehr bestrebt gewesen auf die Liste der beständigen Gottesdienstbesucher zu kommen.
Der Beschwerdeführer habe seit etwa 14 Jahren Kontakt zu Christen in einem eher freichristlichen Umfeld. Er habe hier eine starke Zugehörigkeit und Festigung durch die dort erlebte Gemeinschaft erlebt. Die inhaltliche Auseinandersetzung habe sich immer mehr vertieft, so dass seine religiöse Identität jetzt sehr eindeutig christlich und eher freikirchlich-evangelisch geprägt sei. Er erlebe den Beschwerdeführer stark auf der Suche nach seiner Identität. Aufgrund seines Christ-Seins bzw. der Abkehr vom Islam wäre der Beschwerdeführer im Iran einer ernst zu nehmenden existentiellen Gefahr ausgesetzt. Er bitte daher als Seelsorger, alles daran zu setzen, um dem Beschwerdeführer einen weiteren Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zum Beschwerdeführer
1.1.1. Der am XXXX geborene, ledige Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger, gehört der persischen Volksgruppe an und stammt aus Teheran. Er schloss im Iran die Schule mit Hochschulreife ab und absolvierte im Anschluss eine Computerausbildung.
Ungefähr im Jahr 2005 verließ er – aus nicht näher feststellbaren Gründen – legal den Iran und stellte am XXXX .08.2005 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Er begann sich relativ kurz nach seiner Ankunft in Österreich für das Christentum zu interessieren, wurde Mitglied einer christlich-protestantischen Kirchengemeinde und wurde schließlich am 19.07.2007 in der XXXX getauft.
Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.12.2010 wurde ihm aufgrund seiner Konversion zum Christentum der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
1.1.2. Beim Beschwerdeführer besteht eine Persönlichkeitsstörung mit einer erhöhten Impulsivität, egozentrischen und dissozialen Verhaltensmustern. Weiters wurde bei ihm eine schizoaffektive Psychose bzw. bipolare Störung diagnostiziert. Überdies leidet er an Hepatitis C.
1.1.3. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mehrfach – wie oben angeführt – rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt.
1.1.4. Der Beschwerdeführer war von Oktober 2011 bis Februar 2012 in der Justizanstalt Linz und von Februar 2012 bis Dezember 2013 im Forensischen Zentrum XXXX untergebracht. Im Dezember 2013 wurde er – unter Setzung einer Probezeit von fünf Jahren und unter Anordnung von Bewährungshilfe – aus der Anstalt bedingt entlassen. Er lebte ab Jänner 2014 in einer Wohngemeinschaft der Sozialeinrichtung XXXX in XXXX .
1.1.5. Am XXXX 2015 verließ der Beschwerdeführer für einen Wochenendausgang das Wohnheim und flog noch am selben Tag über den Flughafen Wien-Schwechat in den Iran. Er wies sich am Flughafen Wien-Schwechat mit einem Laissez-Passer aus, welchen er zuvor bei der iranischen Botschaft in Wien persönlich beantragt hatte. Er war sowohl zum Zeitpunkt der Beantragung des Laisser-Passer als auch beim Antreten seiner Heimreise in den Iran hinreichend dispositionsfähig, sodass es ihm möglich war, die Folgen seiner Handlungen hinreichend einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer in den Iran reiste, um seine herzkranke Mutter zu besuchen. Ebenso wenig konnte die genaue Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Iran festgestellt werden; insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass er sich dort nur für eine Woche aufhielt. Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass er ein paar Tage nach seiner Ankunft im Iran eine gerichtliche Ladung (seitens der iranischen Behörden) erhielt, die ihn dazu veranlasste neuerdings den Iran (schlepperunterstützt) Richtung Türkei zu verlassen.
1.1.6. Der Beschwerdeführer war von XXXX 2015 bis XXXX 2015 nicht aufrecht in Österreich gemeldet.
1.1.7. Am XXXX .12.2015 wurde der Beschwerdeführer im Transit-Flüchtlingszentrum Schärding aufgrund einer aufrechten Festnahmeanordnung (nachdem er einen neuerlichen Asylantrag gestellt hatte) festgenommen wurde.
1.1.8. Der Beschwerdeführer war von XXXX .12.2015 bis 04.11.2019 in der Justizanstalt XXXX untergebracht und befindet sich nunmehr seit 04.11.2019 in der Justizanstalt XXXX . Er besucht dort regelmäßig den monatlichen christlichen Gottesdienst und nimmt die Begleitung eines evangelischen Seelsorgers in Anspruch.
Der Vater des Beschwerdeführers, welcher seit 23.10.2010 in Österreich asylberechtigt ist, wohnt derzeit in Salzburg. Der Beschwerdeführer ist regelmäßig in Kontakt mit dem Vater. Die Mutter sowie die Schwester des Beschwerdeführers stellten zeitgleich mit seinem Vater einen Asylantrag in Österreich, reisten jedoch im Jahr 2009 wieder freiwillig in den Iran zurück. Sie lebten fortan wieder in Teheran und halten sich seit ungefähr 2019 in Belgien auf.
Der Beschwerdeführer arbeitete in Österreich (vor seiner Unterbringung) zeitweise in einer Pizzeria; von 2005 bis 2009 befand er sich in staatlicher Grundversorgung.
1.1.9. Der Beschwerdeführer ist bisexuell. Er verkehrt sexuell mehrheitlich mit Frauen, jedoch gelegentlich auch mit Männern. Er lebte seine sexuelle Neigung bereits schon im Iran (heimlich) aus. Er hatte von 2005 bis 2010 in Österreich eine Beziehung mit einer iranischen Asylwerberin. Im Jahr 2012 führte er ein Jahr lang eine Beziehung mit E.S.; im Sommer 2014 hatte er Geschlechtsverkehr mit M.G. und S.G.
Für den Beschwerdeführer bestünde bei einer Rückkehr in den Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr aufgrund seiner sexuellen Neigung einer lebensbedrohlichen Verfolgungsgefahr ausgesetzt zu sein.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat Iran
1.2.1. Allgemeine Politische Lage und Sicherheitslage
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik. Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“. Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten. Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative.
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt. Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat. Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann.
Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte.
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen. In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund.
(Länderinformation der Staatendokumentation zum Iran vom 1. Juli 2021, S. 4 ff)
1.2.2. Religionsfreiheit
In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen. Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist.
Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Bahá‘í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament. Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten. Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regie rung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden und ihre politische Vertretung bleibt schwach.
Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück.
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt.
Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Farsi sind verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden.
Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt.
Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2018 mindestens 272 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion inhaftiert, 165 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 34 wegen ’Beleidigung des Obersten Führers und Ayatollah Khomeini’ und 20 wegen „Korruption auf Erden“.
Personen, die sich zum Atheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war.
Zur Lage der Christen
Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan. Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben. Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden. Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht. Eine wichtige Einschränkung ist das Proselytismusverbot, das für alle religiösen Minderheiten gilt. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden. Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran.
Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben. Die Mitglieder sind meist Konvertiten aus dem Islam. Grundrechtlich besteht „Kultusfreiheit“ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen. Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit, noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung Andersgläubiger ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft. Das Strafgesetz sieht für Proselytismus die Todesstrafe vor, wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen („Hauskirchen“) oft hart vorgegangen (Verhaftungen, Beschlagnahmungen, vor ein paar Jahren auch angeblich vollstreckte Todesurteile). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot.
Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen.
Im Weltverfolgungsindex 2020 von Christen von Open Doors befindet sich Iran, wie im letzten Jahr, auf dem neunten Platz. Im Beobachtungszeitraum (November 2018 – Oktober 2019) wurden 169 Christen verhaftet, 114 von ihnen in einer einzigen Woche Ende 2018 (Open Doors 2020).
Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen
Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht. Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“. Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt. Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen. Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden. Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (zehn und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar]. Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt.
Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind.
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben).
Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich „konvertierte“ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt.
Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren, deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es kann jedoch nicht klargestellt werden, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen.
In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen und Anführer und Mitgliederwurden verhaftet. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind. Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen „Verbrechen gegen Gott“ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch „low-profile“ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen wäre, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen.
Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen, vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit. Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden. Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen. Die Regierung nutzt unverhältnismäßig hohe Kautionszahlungen, um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen.
Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen.
Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, werden für die Behörden nicht von Interesse sein. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war, dann wäre eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Konvertiten, die ihre Konversion aber öffentlich machen, können sich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen, einschließlich Facebook berichtet, können die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang würde davon abhängen, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, wird der Konvertit wohl keine harsche Strafe bekommen. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein würde nicht zu einer Verfolgung führen, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, würde er/sie nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das zu einem Problem werden.
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte.
Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken.
(Länderinformation der Staatendokumentation zum Iran vom 1. Juli 2021, S. 42 ff)
1.2.3. Sexuelle Minderheiten
Mitglieder sexueller Minderheiten sind mitunter Belästigungen und Diskriminierung ausgesetzt, obwohl über das Problem aufgrund der Kriminalisierung und Verborgenheit dieser Gruppen nicht ausreichend berichtet wird. Verboten ist in Iran jede sexuelle Beziehung, die außerhalb der heterosexuellen Ehe stattfindet, also auch homosexuelle Beziehungen, unabhängig von der Religionsangehörigkeit. Auf homosexuelle Handlungen, welche auch als ’Verbrechen gegen Gott’ gelten, steht offiziell Auspeitschung; sie können auch mit dem Tod bestraft werden (dies besagen diverse Fatwas, die von beinahe allen iranischen Klerikern ausgesprochen wurden). Die Beweisanforderungen sind allerdings sehr hoch, man braucht vier männliche Zeugen. Bei Fällen, in denen zu wenige Zeugenaussagen vorliegen, gibt es ein Ermittlungsverbot. Zudem gibt es hohe Strafen für Falschbeschuldigungen. Bei Minderjährigen und in weniger schwerwiegenden Fällen sind Peitschenhiebe vorgesehen. Auch hierfür sind zwei männliche Zeugen erforderlich. Im Falle von ’Lavat’ (Sodomie unter Männern) ist die vorgesehene Bestrafung die Todesstrafe für den ’passiven’ Partner, falls der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattfand, ansonsten für den Vergewaltiger. Auf ’Mosahegheh’ (Lesbianismus) stehen 100 Peitschenhiebe. Nach vier Wiederholungen kann aber auch hier die Todesstrafe verhängt werden. Die Bestrafung von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist meist schwerwiegender als die für Frauen. Gleichfalls ist Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nicht verboten.
Die Todesstrafe für Homosexualität wurde in den letzten Jahren nur punktuell und meist in Verbindung mit anderen Verbrechen verhängt. Da Homosexualität offiziell als Krankheit gilt, werden Homosexuelle vom Militärdienst befreit und können keine Beamtenfunktionen ausüben. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches ’Coming out’ grundsätzlich nicht möglich. Auch werden Missbräuche durch die Gesellschaft oft nicht angezeigt, was Mitglieder sexueller Minderheiten noch anfälliger für Menschenrechtsverletzungen macht. Lesbische Frauen aus traditionellen, armen Familien sehen sich aus sozio-ökonomischen Gründen oder von Seiten der Familie häufig gedrängt, einen Mann zu heiraten. Transsexualität ist im Iran seit 1987 erlaubt, wird aber laut Gesetz als Geisteskrankheit definiert. Laut einer Fatwa Ayatollah Khomeneis sind Geschlechtsumwandlungen für ’diagnostizierte Transsexuelle’ erlaubt. Entsprechende Operationen werden in voller Höhe von den Krankenversicherungen erstattet. Nach der Operation dürfen Transgender-Personen heiraten. Die Geschlechtsumwandlungen gelten allerdings häufig als Weg, von der Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierungen oder Identitäten in die Legalität zu bringen. Nach der Umwandlung ist es möglich, das neue Geschlecht legal registrieren zu lassen. Iran hat nach Thailand die höchste Rate an Geschlechtsumwandlungen. Es gibt Berichte, die darauf hinweisen, dass Transsexuelle unter Druck gesetzt werden, sich für ein Geschlecht zu entscheiden, um ihre sexuelle Orientierung ausleben zu können. Transsexuelle Personen werden häufig sozial stigmatisiert, auch im Berufsumfeld und in der eigenen Familie, sodass sie in die Prostitution gedrängt werden.
(Länderinformation der Staatendokumentation zum Iran vom 1. Juli 2021, S. 67 ff)
1.2.4. Medizinische Versorgung
Seit der islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert jedem Staatsbürger das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung. Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität. Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs. Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird. Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt. Der Rote Halbmond ist auch die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. In jedem Bezirk gibt es Ärzte sowie Kliniken, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitscenter kontaktieren und einen Termin vereinbaren.
Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Das Gesundheitswesen ist zwar fast flächendeckend – laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung, die Qualität schwankt jedoch. Die spezialisierte, medizinische Versorgung ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich. Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede einzelner Regionen. Zum Beispiel liegt der Unterschied der Lebenserwartung im Vergleich mancher Regionen bei bis zu 24 Jahren. Folgende sieben Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als die Referenz-Provinz Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan, sowie Sistan und Belutschistan. Politische Reformen wurden bereits unternommen, um einen gleichmäßigeren Zugang zu Gesundheitsdiensten zu schaffen. Nichtsdestotrotz gibt es noch eine Vielzahl an Haushalten, die sich keine ausreichende gesundheitliche Versorgung leisten können. Gesundheitsdienste sind geographisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt.
Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen „Behvarz“ (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch aus-gebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) und für durchschnittlich 1.500 Personen zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird, und mehr als 85% der ländlichen Bevölkerung in dieser Weise „nahversorgt“ werden. In Städten übernehmen sogenannte „Gesundheitsposten“ in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren (ca. 3.000 landesweit) zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an ca. 730 städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind. 90% der Bevölkerung in ländlichen als auch ärmeren Regionen hat Zugang zu essenziellen Gesundheitsdienstleistungen.
Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen durchschnittlich 55% der Gesundheitsausgaben von den versicherten Personen in bar direkt an die Gesundheits-dienstleister entrichtet werden („Out-of-pocket expenditure“ ohne staatliche oder von Versicherungen unterstützte Hilfeleistungen), sei es bei staatlichen oder größtenteils privaten sekundären oder tertiären Einrichtungen. Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt.
Die Regierung versucht kostenfreie medizinische Behandlung und Medikamentenversorgung für alle Iraner zu gewährleisten, insofern gibt es zwei verschiedene Krankenversicherungen: entweder durch die Arbeit oder privat. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/.
Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen den Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen. Im Generellen gibt es aber keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem des Iran. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt